Читать книгу Patchwork – Leben mit einer psychischen Krankheit - Ulrike Infante - Страница 9
Mutters Kleider
ОглавлениеOma hatte die Modezeitschrift „Pramo“ abonniert. Daraus suchte sich Mutter schöne Kleider aus, die Oma ihr dann nähte. Später, als Oma Rentnerin war, durfte sie in den Westen zu ihrer Cousine nach Frankfurt am Main fahren. Ein oder zweimal war sie auch in Westberlin, bei ihrer Tante M. und einmal in Bremen, bei Tante E., die den Bremer Dialekt sprach. Sie rollte das „R“ und stotterte das „T“. Von drüben brachte Oma immer Stoffe mit. Die waren nicht so teuer wie Konfektionskleidung und von besserer Qualität als bei uns. So konnten wir etwas Schönes schneidern. Als ich meine Abiturzeit in Z. begann, ging ich mittags zu Oma in die Schneiderlehre. Ich lernte noch Lochstickerei, Biesen, Smog, Paspeln, Knöpfe beziehen, zuschneiden, Kammstich und Hinterstich. Wenn Oma nähte, hörte sie „Rias“ und wusste besser darüber Bescheid was in der Welt passierte, als mein Vater. Ich lernte beim Nähen, die Stille zu hören.
Meine Mutter hatte viele buntgemusterte Kleider mit Volant, die sie auch gern auf ihren Urlaubsreisen zur Schau stellte. Einmal war sie zusammen mit meinem Vater auf dem Roten Platz in Moskau und trug ein gewagtes längeres Sommerkleid, das sehr gut ankam. Dazu aber ein Paar Sandalen, die den Sowjetmenschen nicht gefielen. Ein acht Zentimeter hoher klobiger Absatz! Es sah so aus, als würde sie auf zwei Briketts gehen. Das war zur Zeit der Silastikmode – „Malimo macht Weltniveau“! In Lima bemerkte ich allerdings, dass die Bettwäsche nur zum Teil für jedes Klima geeignet war. In den Elendsvierteln von Peru trug man noch Silastik, als wir hier schon wieder die Baumwolle favorisierten. Opas Hemden habe ich Sr. H unserem Maurer geschenkt. Omas Blusen bekam das Dienstmädchen Maria, die sie wahrscheinlich verkaufte, um sich von dem Geld eine Zahnprothese machen zu lassen. Ich hatte ihr auch meine Brillen geschenkt. Ich bin Brillen und Uhrenfetischist.