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3. Der ökologische Mundschutz

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Mundschutz gegen das Corona-Virus ist wichtig. Sagen die Fachleute. Das heißt, Wochen vorher war der Mundschutz laut den gleichen Fachleuten nur bedingt wichtig. Auf jeden Fall schadet er nicht, hieß es damals. Was ja schon recht beruhigend klang. Man setzte also- damals, vor ein paar Wochen- eine Maske auf, von der man wusste, dass sie möglicherweise nichts schadet und möglicherweise nichts nutzt.

Egal, was vor Wochen richtig war. Wahrheiten können sich ändern. Im Hier und Jetzt ist der Mundschutz nun doch zum Nutz avanciert. Er ist sogar so wichtig geworden, dass er zur Pflicht für alle erklärt wurde. Kein Einkauf mehr ohne Mundschutz. Keine Bus- oder Bahnfahrt mehr ohne Mundschutz. Dreißig Euro Strafe, wer ohne erwischt wird. In manchen Bundesländern nur zehn Euro. In wieder anderen fünfzig Euro. Bitte nicht aufregen! So ist das nun einmal in einem demokratischen Staat. Für den einen sind zehn Euro demokratisch, für den anderen dreißig, für den dritten wiederum… Ach, befassen wir uns doch nicht mit so einem Kleinkram wie Geld. Was ist schon Geld gegen die Gesundheit? Gesundheit geht vor. Ja, das haben wir nun alle begriffen. Und deshalb kaufen, nähen, stricken, häkeln und basteln wir Mundschütze, was das Zeug hergibt. Der Ehrgeiz derer, die Mundschütze herstellen, kennt keine Grenzen. Kittelschürzen, die wir in Urgroßmutters Nachlässen finden, werden zu Mundschützen verarbeitet. Blümchentischdecken, die niemand mehr leiden kann. T-Shirts, die normalerweise in der Altkleidersammlung gelandet wären. Unterwäsche, der man nicht ansieht, dass sie Unterwäsche war. Die Kreativität kannte keine Grenzen. Und doch sind nicht alle Menschen zufrieden mit dem, was sie da um sich herum als Mundschutz sehen. Zum Beispiel die Menschen, die weiter denken, hinein in die Zukunft sozusagen. Und dort- in der Zukunft- sehen sie mit hellseherischer Begabung all die Mundschütze des Hier und Jetzt auf einem gewaltigen Müllberg liegen. Vielleicht so hoch wie die Zugspitze. Oder noch höher. „Grauenhaft“, stellten die beiden Schwestern Hanne und Lore fest, die zu diesen weitsichtigen Menschen gehörten. Wunderten sich, dass noch niemand sonst auf dieses Phänomen – wohin mit den benutzten und nicht mehr brauchbaren Mundschützen -hingewiesen hatte. Das doch auf der Hand lag, wenn man sich die Millionen und Abermillionen von Mundschützen vorstellte, die bis zum Ende der Corona-Krise benötigt wurden.

Die Schwestern wollten dem Mundschutzmüllberg keine Chance geben und schrieben einen offenen Brief an die Umweltministerin. Hatte sie sich schon Gedanken um die Entsorgung der Mundschütze gemacht? Und wenn ja, hatte sie dabei die Umwelt im Blick gehabt? Die Umwelt, die unter der Last der zu entsorgenden Mundschütze stöhnen würde. Nein, darüber hatte die Umweltministerin noch nicht nachgedacht, erfuhren Hanne und Lore. Während das Corona-Virus wütete, konnte auch eine Umweltministerin kaum bis morgen geschweige denn bis übermorgen denken. Keine Zeit. Kapiert? Keine Zeit für die Umwelt, aha. Das hätten sich Hanne und Lore denken können. Für den Klimawandel hatte ja auch seit Wochen niemand mehr so recht Zeit. Was eine Umweltministerin gerne einmal hätte bemängeln können. Hatte sie aber nicht. Sicher auch aus Zeitgründen. Also mussten Hanne und Lore ohne das zuständige Ministerium einen Mundschutz entwickeln, der keinen Berg in Höhe der Zugspitze hinterließ. Am besten einen Mundschutz, der sich so leicht entsorgen ließ wie die Kartoffelschalen, die Lore gerade auf den Komposthaufen im Garten warf. Sie winkte Hanne zu, die Rhabarber erntete, aus dem nachher ein wunderbarer Rhabarberkuchen entstehen würde. Hanne schnitt gerade die nutzlosen großen Blätter ab, wollte sie zu den Kartoffelschalen auf den Kompost werfen, da hielt sie abrupt inne. Sie sah Lore an, Lore sah Hanne an. Und in dem Moment wurde in zwei Köpfen die gleiche Idee geboren. Hanne hielt sich das eine Rhabarberblatt vor Mund und Nase, Lore das andere. Ohne ein Wort zu sprechen gingen sie ins Nähzimmer. Stachen Löcher in die Blätter, durch die sie ökologisch abbaubares Gummiband zogen, das sie stramm zogen und verknoteten. Fertig war der ökologische Mundschutz. Ob er Viren abhielt war ebenso unbewiesen wie es bei anderen, selbst gebastelten Mundschützen der Fall war. Doch das war nicht sonderlich wichtig. Wichtig war, dass Mund und Nase ökologisch einwandfrei bedeckt waren. Hanne und Lore gingen in den Supermarkt, um ihr Werk auszuprobieren.. Ein kräftiger Mann im schwarzen Outfit stand vor dem Supermarkt und passte auf, dass alle potentiellen Käufer und Käuferinnen einen Mundschutz trugen.

„Was ist das denn?“ Mit dieser Frage hielt er die Schwestern auf, die total entspannt auf die Eingangstür des Supermarktes zugingen. Er zeigte auf das Grün in ihrem Gesicht. „Ein natürlicher Mundschutz“, erwiderte Hanne. „Ökologisch abbaubar“, fügte Lore hinzu.

Der Wärter dachte eine Weile nach. Bis ihm einfiel, dass ökologisch abbaubar auf jeden Fall positiv klang. Sogar sehr positiv. Und weil er schon immer mal gerne etwas für die Umwelt getan hätte, tat er es jetzt. Er holte sich ein Megaphon aus dem Büro des Chefs und machte für alle gut hörbar auf den neusten Mundschutz aufmerksam. Der die Umwelt nicht belasten würde. Weil er rein pflanzlich direkt aus der Umwelt stammte. Hanne und Lore standen neben ihm, drehten und wendeten sich, damit alle das Modell Rhabarberblattmundschutz sehen konnten.

Der Chef des Supermarkts eilte herbei. Er versprach allen, die Rhabarber mit Blättern kaufen würden, eine Kaufprämie von achtzig Cent. Daraufhin kauften die Leute und kauften, bis kein einziges Rhabarberblatt mehr im Laden zu finden war. Das übrigens normalerweise in der Öko-Tonne landete. Der Chef persönlich rief ein paar Bauern an, die ihm soviel Rhabarber- selbstverständlich mit Blättern- liefern sollten, wie sie nur konnten. Und die Bauern lieferten nur zu gerne. Irgendwann war die Rhabarberzeit vorbei. Und damit auch die Zeit der ökologisch abbaubaren Mundschütze? Keineswegs. Der Zufall führte die beiden Brüder Karl und Heinz auf einer Wanderung zu einem Feld, auf dem Kohlköpfe wuchsen. Weißkohl und Rotkohl. Karl und Heinz sahen sich an und hatten wie damals Hanne und Lore die gleiche Idee. Die äußeren Blätter der Kohlköpfe waren groß genug, um genau wie die Rhabarberblätter als Mundschutz zu fungieren. Und – wir ahnen es – mit einer Kaufprämie von siebzig Cent pro Kohlkopf wurden sämtliche Kohlköpfe in kürzester Zeit aufgekauft.

Und so geschah es, dass nun doch kein Berg so hoch wie die Zugspitze aus nicht abbaubaren Mundschützen entstand.

Übrigens wurden Hanne, Lore, Karl und Heinz für das Bundesverdienstkreuz vorgeschlagen. Vom Chef des Supermarktes. Doch – wie das so ist – die Regierung interessierte sich nicht die Bohne für umweltfreundliche Mundschütze. Ja, es schien so, als interessierte sie sich in dieser Corona-Zeit überhaupt nicht mehr für irgendeine Art von Umweltschutz. Und so kam es, dass jemand sagte, Wilhelm Busch hätte durchaus Recht mit seiner Behauptung: „Wer mal so ist, der bleibt auch so.“ Damit meinte er, der Jemand, nicht die Mundschütze, sondern die Regierung. Was der aber nichts ausmachte.

Hanne und Lore, Karl und Heinz bekamen nun zwar nicht das Bundesverdienstkreuz, aber immerhin einen Orden vom Bauernverband. Weil Rhabarber und Kohl in diesem Jahr total ausverkauft wurden, in aller Munde und -vor allem- vor aller Münder und Nasen war.


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