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Das Experiment

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Am Fuße der schwarz in die Nacht aufragenden Felswand schlugen sie ihr Lager auf. Frierend rückten die Männer näher ans Feuer. In ihren dünnen Umhängen eng aneinander gedrängt, die Schultern hochgezogen, versuchten sie dem auffrischenden Nachtwind, der kalt über die Ebene fegte, so wenig Angriffsfläche wie möglich zu bieten.

In aller Eile hatten die Männer für Saranga und Astorin ein Zelt errichtet, in dessen Schutz die beiden dem gedämpften Heulen der Wüstennacht lauschten. Das schwache Licht einer Kohlepfanne zeichnete die Silhouette des Magiers, der unruhig auf und ab schritt, auf die Zeltwand.

»In der Nacht versammeln sich die ruhelosen Seelen, die auf ewig zwischen den Welten und dem Totenreich wandeln, und stimmen ihr Klagelied an. Nur der Wind ist ihr Verbündeter und trägt es hinaus in die Ebene der Traurigkeit ...« Schläfrig streckte sich Saranga auf ihrem harten Lager aus und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.

»Was hast du gesagt?« Der Magier schreckte aus seinen Gedanken auf und unterbrach seine Wanderung um die Kohlepfanne für einige Augenblicke.

»Ich dachte nur über die Sage von den ruhelosen Seelen nach.«

»Blödsinn! Für so einen Kram haben wir keine Zeit. Ich brauche einen Plan, um an diesen widerspenstigen Drachen heranzukommen. Du könntest deinen Verstand ruhig auch ein bisschen gebrauchen und mir dabei helfen.«

»Ich kämpfe für Euch, dafür werde ich bezahlt. Ich lasse sogar mein Leben für Euch, wenn es sein muss, doch es ist nicht meine Aufgabe für Euch einen Plan zu ersinnen, um einen Drachen zu versklaven. Das gefällt mir nicht. Ich bin für offenen und ehrlichen Kampf, nicht für Hinterlist und Täuschung.«

»Du wagst es, so mit mir zu sprechen?« Trotz der Dunkelheit konnte Saranga sehen, wie sich sein Gesicht rot färbte vor Ärger.

»Ich sage immer, was ich denke«, antwortete die Kämpferin ruhig und setzte sich auf.

»Wenn du weiterhin so respektlos mit mir redest, werde ich dich töten!«

»Alles zu seiner Zeit. Wenn Ihr mit mir nicht zurechtkommt, dann sagt es ruhig. Ich kann mir auch einen anderen Auftraggeber suchen. Nun jedoch entschuldigt mich, ausreichend Schlaf ist wichtig, um ein guter Kämpfer zu sein.« Ohne den Magier weiter zu beachten, schlug sie sich die Decke um und rollte sich auf dem spartanischen Lager zusammen.

Astorin starrte sie fassungslos an. So ein Verhalten war er nicht gewohnt, wurde er doch von allen seinen Untergebenen mit Respekt und ängstlicher Ehrfurcht behandelt. Obwohl ihn Sarangas Kritik maßlos ärgerte, schlich sich auch ein wenig Bewunderung in seine Gedanken. Was für eine Frau, die ihm so tollkühn die Stirn bot!

Irgendwann werde ich dich dafür töten, doch bis dahin wirst du mir noch viel nützen. Ich weiß, dass du gut bist, doch hüte dich vor meinem Zorn!

Der Morgen kam und mit ihm die sengende Sonne, die die Kälte der Nacht aufgesaugt hatte, noch ehe der Glutball sein Rot in blendendes Weiß verwandelte. Gutgelaunt trat der Magier vor das Zelt und rief seine Männer zu sich, um die Aufgaben zu verteilen. Saranga, die schon eine Stunde zuvor das Zelt verlassen hatte, um rechtzeitig mit ihren morgendlichen Aufwärm- und Konzentrationsübungen fertig zu werden, trat lautlos hinter ihn und lauschte seinen Worten. Gleichmütig und mit starren Mienen hörten die Männer sich an, was der Magier ihnen auftrug.

Astorin betrachtete zufrieden seine willigen Werkzeuge, drehte sich dann jedoch unvermittelt um und winkte Saranga, ihm ins Zelt zu folgen.

»Komm mit, ich erkläre dir den Plan.«

Die junge Kämpferin hörte ihm aufmerksam zu und kaute auf der Unterlippe. »Wir werden also beide unsichtbar sein. – Das heißt, wir wissen nicht, wo der andere gerade ist?«

»Nicht ganz.« Astorin legte Saranga einen aus zahlreichen kleinen Spiegelfacetten gearbeiteten Reif um den Hals. »Damit kann ich spüren, wo du bist, und dich zu dem Drachen emporheben.«

»Aber ich kann Euch nicht sehen!«

Sie versuchte Astorins Mienenspiel zu lesen, doch der zuckte nur mit den Schultern.

»Das ist ja auch nicht wichtig.«

»Wozu nehmt Ihr die zehn Männer mit, wenn der Drache uns sowieso nicht sehen kann?«

»Er spürt die Magie. Die Männer müssen ihn ablenken, damit wir unbemerkt durchkommen.«

»Sie haben keine Chance gegen ihn. Er wird sie vernichten!«

»Ja, sicher. Ich gebe ihnen allerdings einen Feuerschutzzauber, damit es nicht zu schnell geht und wir genug Zeit haben.« Ungeduldig wandte Astorin sich ab und verließ das Zelt, um den Männern einen Hitzeschutz zu zaubern. Saranga sah ihm nach und ballte die Fäuste. Die Verachtung stand ihr im Gesicht geschrieben. Sie arbeitete schon lange mit Vertos zusammen, der für einen Magier ein ungewöhnlich verlässlicher Partner war. Astorin hatte sie zuvor noch nicht zu Gesicht bekommen. Jetzt, nach nur wenigen Tagen in seiner Nähe, wuchs ihr Abscheu gegen seine Hinterlist und Falschheit, und sie war sich nicht sicher, ob sie ihrem Prinzip treu bleiben sollte, Aufträge nur nach der Höhe der Bezahlung zu beurteilen.

Astorin schob den dicken Leinenstoff zur Seite und streckte den Kopf ins Zelt. »Komm, alles ist bereit.«

Schweigend folgten sie dem Gewirr schmaler Gänge, das sie zur Schlafhöhle der roten Echse führte: Astorin aufgeregt, ob sein Plan aufgehen würde; Saranga im Widerstreit der Gefühle zwischen Spannung, Neugier und Abscheu; die Männer in gewohntem Gleichmut, sich der Todesgefahr nicht bewusst, der sie entgegengingen.

»Halt!« Nur wenige Biegungen vor der großen Höhle blieb der Magier stehen und wandte sich an die Männer.

»Sobald ihr mich nicht mehr sehen könnt, rennt ihr in die Höhle und greift den Drachen an. Ist das klar? Ihr seid vor seinem Feuer geschützt, also schont ihn nicht.«

Die Männer nickten.

»Saranga, nimm den Reif mit der Kette. Du weißt, was du zu tun hast.«

Astorin strich über den Halsreif und murmelte ein paar Worte, dann streute er ein Pulver darüber, das wie Eisblumen glitzerte. »Hitze wird zu Kälte.« Der Magier grinste böse. »Der Drache muss leiden!«

Die Konturen des Magiers verschwammen, die Farben verblassten, und die scharfkantigen Höhlenwände begannen durch seine schwindende Gestalt zu schimmern, dann war er verschwunden. Saranga, die den Halsreif mit der schweren Kette über die Schulter gehängt hatte, verschwand auf gleiche Weise. Unsicher sahen sich die Männer um, doch die beiden blieben verschwunden.

»Zum Angriff!«, dröhnte plötzlich die Stimme des Magiers aus der Leere. Die Wände nahmen den Ruf auf, um ihn weiterzugeben und bis in die entlegensten Winkel des Labyrinths zu flüstern.

Die Söldner zogen ihr Schwert und stürzten in die Höhle. Todesmutig und mit keinem Gedanken an den Wahnsinn ihrer Tat griffen sie den Drachen an.

Gähnend hob die Echse ihr mit knöchernen Stacheln bewehrtes Haupt, als das Geklirr der Waffen und Rüstungen in ihre Schlafhöhle brandete.

»Ich kann sie nicht leiden – Menschen! Das Schlimmste an ihnen ist, dass sie so von sich eingenommen und so schrecklich dumm sind!«

Er begrüßte die Angreifer mit einem weiß glühenden Feuerstrahl, und die Wucht der Flammenwand ließ sie straucheln. Schnell rappelten sie sich hoch und nahmen den Angriff wieder auf. Ärgerlich zischend sandte der Drache eine Dampfwolke zur Decke.

»Glaubt ihr etwa, ihr könnt mir etwas anhaben, nur weil ihr es geschafft habt, euch gegen mein Feuer zu schützen?«

Die Söldner hatten den Bogen von der Schulter genommen. Ein Pfeilhagel ging als Antwort über dem Drachen nieder, doch die Spitzen waren zu schwach, um seinen dicken Panzer zu durchdringen. Der Drache schüttelte sich nur unwillig, und sein Schwanz peitschte zornig auf den Felsboden. Plötzlich schnellte er mit seinem langen Hals nach vorne, bekam zwei der Männer zu fassen und hob sie in die Luft. Er schien es zu genießen, wie ihre Schmerzensschreie verhallten, als ihre Knochen knirschend zwischen seinen spitzen Zähnen barsten. Genüsslich leckte er mit seiner gespaltenen, schwarzen Zunge das Blut auf, das ihm übers Kinn rann.

* * *

Nass und schwer hingen die Wolken über den Silberbergen. Der Wind trieb den Regen an die Fenster und klatschte dicke Tropfen gegen die bleigefassten grünen Scheiben. Die Tropfen zersprangen und folgten in Rinnsalen ihren Vorgängern, um sich in großen Pfützen auf den Steinplatten im Hof wieder zu treffen. Es war erst Nachmittag, doch der Tag war so trüb, dass in der Burg bereits die Kerzen angezündet wurden, um ein wenig Licht und Wärme in den nassen Herbsttag zu bringen.

Lamina lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und schob seufzend eine kupferrote Haarsträhne aus dem Gesicht. Die Schriftstücke türmten sich auf ihrem Sekretär.

Cordon räusperte sich. »Gräfin, sollen wir für heute Schluss machen? Ihr solltet Euch schonen. Ich finde, Ihr arbeitet viel zu viel.«

»Nein, Cordon, wir müssen heute noch den Bericht über die Höfe im Norden durchgehen. Die Pächter warten auf Nachricht, und ich muss endlich einen Überblick über die Viehbestände und Getreidevorräte für den Winter bekommen. Den Überschuss könnten wir mit der nächsten Karawane nach Ehniport bringen, dort steigen die Preise wegen der schlechten Ernte im Süden.«

»Ich muss Euch bewundern Gräfin. Ihr habt in den wenigen Monaten viel gelernt, und ich sage Euch, keine Grafschaft wird erblühen wie die Eure.«

Sie legte dem alten Verwalter die Hand auf den Arm. »Ach Cordon, ich danke dir, dass du das sagst. Manchmal war ich schon ganz verzweifelt und dachte, ich würde es nie lernen, doch mit euer aller Hilfe werden wir dafür sorgen, dass es in der Grafschaft nie wieder Hunger und Elend gibt.«

Kaum hatte sie sich wieder über die endlose Reihe von Zahlen gebeugt, da wurde die Tür aufgestoßen, und Seradir trat ein. Er trug Jagdkleidung und hatte den dicken Regenumhang über dem Arm. Der lange Bogen war wie gewöhnlich auf dem Rücken befestigt. Ein schmaler Silberreif bändigte sein blauschwarzes Haar.

»Ich bin fertig. Ich hatte gehofft, der Regen ließe nach, aber das Wetter hat heute kein Einsehen mit mir. Länger will ich nicht warten. Ich reite noch diese Stunde los.«

Lamina breitete die Arme aus. »Lieber Freund, willst du nicht doch bis zum Morgen warten?«

»Nein, ich möchte rechtzeitig zum Ehrentag meiner Schwester die Baumstadt erreichen. In zwei Wochen bin ich zurück und bringe dir gute Nachrichten. Ich bin mir sicher, dass der Druide dem Vertrag zustimmen wird. Die Eiben haben sich lange genug vor der Welt verschlossen. Die Zeit bleibt nicht stehen, und der Handel ist für beide Seiten gut. Die Eiben bekommen von unserem Getreide, und unsere Wachen erhalten die besten Bögen westlich des Thyrinnischen Meeres.« Seradir wurde rot. »Ich meine natürlich dein Getreide und – also ich wollte damit nicht sagen ...«

Lamina unterbrach ihn. »Du hast nichts Falsches gesagt. Du gehörst zu Theron wie alle meine Freunde, und ich freue mich, wenn du dich hier nicht fremd fühlst und gerne wiederkommst.« Sie umarmte ihn und küsste ihn zärtlich auf beide Wangen. »Die Götter seien mit dir. Ich freue mich jetzt schon auf deine Rückkehr.«

Der Elb legte ihr die Hände um die Taille und erwiderte ihren Kuss. Tiefe Zuneigung brannte in seinen dunklen Augen mit dem seltsam violetten Ton. Rasch wandte er den Blick ab, aus Angst, sie könne zu viel darin lesen. Nie hätte er geglaubt, dass ihm eine Menschenfrau einmal so viel bedeuten würde. Seradir war noch jung. Mit seinen einhundertundfünfzehn Jahren hatte er gerade erst das Mannesalter erreicht, in dem die jungen Krieger ihre ersten Pflichten bei der Jagd und bei Patrouillenritten erfüllen müssen. Er kam sich so unerfahren vor. Lamina war immerhin schon einmal verheiratet gewesen, hatte ein Kind geboren und begraben, war inzwischen Witwe und wieder schwanger. Sie war eine Gräfin und Landesherrin und doch gerade erst zwanzig Jahre alt! Die Schnellebigkeit der Menschen machte ihn ganz schwindelig.

Sie ist so jung und wunderschön, aber wenn ich das beste Alter für einen Krieger erreicht habe, dann ist sie bereits eine alte Frau oder vielleicht schon tot. Rasch verscheuchte er diesen Gedanken, verbeugte sich und eilte hinaus.

Vielleicht ist der Regen heute ganz gut. Er wird mich ein wenig abkühlen.

Lamina betrachtete noch einige Augenblicke die geschlossene Tür, dann wandte sie sich wieder ihrer Arbeit zu. »Noch einer weniger.«

Cordon nickte. In seinen wasserklaren Augen stand Verständnis für die junge Frau. »Zwei Wochen gehen schnell vorbei, und Ihr habt doch noch den jungen Magier zu Eurer Gesellschaft.«

»Und dich, Cordon!«

»Oh, liebe Gräfin«, die zahlreichen Falten um seine Augen vertieften sich, »einen alten Knochen wie mich kann man kaum als passende Gesellschaft für eine junge Frau bezeichnen.«

»Manchmal sind einem die ›alten Knochen‹ die liebsten. Ich wünschte mir, Lahryn wäre hier.«

»Da müsst Ihr Euch noch eine Zeit lang in Geduld fassen. Eure Freunde haben eine große Aufgabe zu erfüllen, und ich glaube nicht, dass wir noch vor dem Winter mit ihrer Rückkehr rechnen können.«

»Ich fürchte, du hast Recht.« Ihr Blick wanderte sehnsuchtsvoll zu dem trüben Fenster, als könne er Raum und Zeit durchdringen und zu den Gefährten eilen. Doch dann straffte sie ihren Rücken und lächelte den alten Verwalter an.

»Geduld hat noch nie zu meinen Tugenden gezählt. Machen wir uns also wieder ans Werk, damit wir unseren Freunden eine blühende Grafschaft präsentieren können, wenn sie zurückkehren.«

* * *

Saranga blieb kurz am Eingang der Höhle stehen. Der Kampf war bereits in vollem Gange. Wo Astorin wohl war? Zu dumm, dass sie ihn nicht sehen konnte. Die Kämpferin tastete nach den Spiegelfacetten um ihren Hals. Er würde schon kommen.

Aufmerksam nahm sie die Höhle in sich auf: die Männer, den kämpfenden Drachen, die zu kleinen Bergen aufgeschütteten Münzen und anderen Kostbarkeiten, die Nischen und die massiven Säulen, die die Decke stützten. Saranga rückte den schweren Ring auf der Schulter zurecht und machte sich, dicht an die Wand gedrängt, auf den Weg – den Blick immer auf den Drachen gerichtet. Sie musste sich ihren Weg zwischen den Schätzen hindurch bahnen, ohne dass die Münzen ins Rutschen kamen!

Da, der Schwanz des Drachen peitschte plötzlich nach vorn, und die hornigen Spitzen an seinem Ende schossen genau auf die Kämpferin zu. Blitzschnell duckte sie sich, sodass die scharfen Stacheln über sie hinwegfegten. Saranga machte einen schnellen Schritt zur Seite, um sich abzufangen, aber das Gewicht auf ihrer Schulter drückte sie nieder. Sie strauchelte. Die Münzen unter ihrem Stiefel setzten sich in Bewegung, und mit einem ganzen Berg an Kostbarkeiten schlitterte sie gegen den Fuß einer Säule. Sofort war sie wieder auf den Beinen, ließ den Ring fallen und zog das Schwert, doch der Drache war zum Glück zu sehr in den Kampf vertieft, um den Zwischenfall bemerkt zu haben. Ganz in der Nähe ertönte ein schadenfrohes Kichern.

Verdammt, wo war er? Angestrengt ließ Saranga den Blick über die angehäuften Schätze wandern. Da, nur wenige Schritte von ihr entfernt, verschoben sich die Münzen wie von Geisterhand und bildeten kleine Mulden, die wie Abdrücke im Schnee zurückblieben. Den unförmigen Metallring geschultert, folgte sie den Spuren vorsichtig.

Ein Pfeil traf den Drachen ins Auge. Er brüllte auf vor Schmerz. Heftig schüttelte er sein mächtiges Haupt und wischte sich mit der Klaue über das verletzte Auge. Der Schaft brach, das spitze Metallende jedoch blieb stecken. Dicke Tropfen sammelten sich in der roten, faltigen Haut unter dem Auge und rannen über die schuppige Schnauze.

Der Drache kreischte und schlug mit den Klauen nach den Männern, die vergeblich hinter einigen Felsbrocken Deckung suchten. Zahnstochergleich wirkten ihre zum Schutz erhobenen Schwerter, als die Riesenklauen herabsausten. Wie im Rausch schlug und biss der Rote um sich und richtete ein Blutbad unter den Söldnern an.

Saranga versuchte, die Schreie der Sterbenden zu ignorieren und schlich langsam weiter. Dort, wo der lange Hals des Drachen in den mächtigen Rumpf überging, wartete sie im Schutz einer Säule auf Astorins Befehl.

»Noch nicht! Er bewegt sich zu sehr, aber es kann nicht mehr lange dauern, nur Geduld!« Es war nur ein Flüstern an ihrem Ohr, und sie ahnte die Worte mehr, als dass sie sie hörte.

Der Drache raste wie ein Wilder und fällte die Männer, die von Klauen und Zähnen zerrissen liegen blieben. Als der letzte Söldner für Astorins Plan sein Leben gegeben hatte, kehrte Ruhe in die Höhle ein. Nur noch das Schlürfen und Schmatzen der Echse war zu hören, als sie sich daran machte, die Überreste der Männer zu verspeisen. Das war die Gelegenheit!

Saranga spürte, wie der Boden unter ihr wegglitt und sie sich langsam in die Luft erhob. Sie sah die glänzend roten Schuppen des Drachen vorbeigleiten und die hornigen Rückenstacheln vor sich auftauchen. Vergeblich streckte sie den Arm aus, um sich näher heranzuziehen und auf seinen Rücken zu schwingen. Er war noch zu weit weg.

Näher Astorin, näher! dachte sie, wagte jedoch nicht den Magier zu rufen. Der stand hinter der Säule und versuchte das fast unmögliche Kunststück, die unsichtbare Saranga an die richtige Stelle schweben zu lassen. Zwar konnte er durch die Spiegelfacetten spüren, wo sie war, aber das war nicht einmal halb so gut wie sehen. Er atmete tief ein und schob sie dann auf den Drachen zu.

»Ugh!« Fast wäre ihr ein Schrei entfahren, als die Rückenstacheln so plötzlich auf sie zugesaust kamen, doch im allerletzten Moment griff sie zu und zog sich zwischen die Knochenschilde auf den Hals der Echse. Entschlossen biss sie die Zähne zusammen, um das leichte Zittern in den Knien zu unterdrücken. Schließlich gehörte es nicht gerade zu ihren alltäglichen Aufgaben auf dem Hals eines roten Drachen herumzuklettern.

Ganz vorsichtig bewegte sie sich ein Stück nach vorne. Hier am Ansatz war der Hals für den Reif zu dick. Konnte das gut gehen? Noch hatte der Drache nichts bemerkt und war damit beschäftigt, Blut vom Boden aufzulecken. Saranga war es, als müsste er ihr klopfendes Herz hören, als sie sich Stück für Stück an den knöchernen Stacheln entlanghangelte. Lautlos öffnete sie den Reif und ließ ihn über den Hals gleiten. Dann warf sie eine Münze dorthin, wo sie Astorin vermutete, und stieß sich wieder von der schuppigen Haut des Drachen ab. Auf das Signal hin begann Astorin den Ring magisch zu verschließen.

Der Drache schmatzte unwillig. Er hasste den Geruch von Menschen in seiner Höhle. Diesen Gestank nach Zweibeinern und Magie. Magie? Der Kopf des Drachen schnellte hoch. Er konnte den Magier wittern! Er war in seine Höhle eingedrungen!

Zu spät! Mit einem leisen Klicken schnappte das Schloss des Quecksilberrings zu, und der Reif klammerte sich immer enger um den schuppigen Hals. Der Drache stieß einen schrillen Schrei aus, warf den Kopf in den Nacken, schüttelte ihn wie wild und versuchte, das grausame Metallding abzustreifen. Saranga ruderte, hilflos in der Luft schwebend, mit den Armen, um wieder auf den Boden zu kommen. Besorgt behielt sie die scharfen Hornspitzen im Auge, die gefährlich nahe vor ihr herumtanzten. Wo war der verdammte Magier?

Die Echse bäumte sich auf und schlug mit dem Hals hart an eine Felssäule. Das Gestein knirschte unter der Wucht des Stoßes, doch der Reif blieb unbeschädigt. Kreischend sandte der Drache einen Dampf- und Flammenstrahl an die Decke und peitschte mit dem Schwanz auf den Boden, dass die Münzen in Fontänen aufspritzten. Er hüllte sich in einen Feuerball, um das Metall zu schmelzen, doch der Zauber, der tückisch darin wohnte, verwandelte die Hitze in eisige Kälte, die sich schmerzhaft durch den Panzer der Echse fraß. Der Drache heulte auf. Konnte auch keine noch so brennende Hitze ihm etwas anhaben, so war er doch sehr empfindlich gegenüber magischer Kälte.

Die Drachenfigur fest an sich gedrückt, eilte der Magier der Felsspalte am Höhleneingang zu, um sich vor dem tobenden Drachen in Sicherheit zu bringen, denn die Statuette konnte ihn nicht davor schützen, von so einer Echse erdrückt zu werden. Astorin warf noch einen Blick dorthin zurück, wo er die unsichtbare Kämpferin vermutete, und zuckte dann gleichgültig mit den Schultern. Bei diesem Durcheinander konnte er die Schwingungen der Spiegelfacetten nicht orten, um Saranga behutsam auf den Boden zurückschweben zu lassen. So zeichnete er verschlungene Zeichen in die Luft und murmelte etwas, um den Schwebezustand aufzuheben.

Der Schwanz des Drachen peitschte herab, und die Echse wälzte sich brüllend auf dem Boden. Als sie aufsprang und mit den Flügeln schlug, erwischte sie Saranga, die immer noch hilflos in der Luft hing, und schleuderte sie gegen die Wand. Der Aufprall presste ihr die Luft aus der Lunge. Ein stechender Schmerz durchfuhr sie. In diesem Moment löste Astorin den Schwebezauber, und die Kämpferin fiel mit einem dumpfen Schlag aus fünfzehn Fuß Höhe in einen Haufen Goldmünzen.

Der Drache hielt wie versteinert inne, starrte auf die Kuhle in seinem Schatz und sog geräuschvoll Luft ein.

»Jetzt hab ich dich, Elender!«

Saranga rieb sich mit der linken Hand den brummenden Kopf. Sie versuchte, ruhig zu atmen und den mächtigen Drachenschädel zu ignorieren, der mit entblößten Zähnen und wütend funkelnden Augen immer näher kam. Der Schmerz in ihrer Brust entlockte ihr ein Stöhnen, und der Blick auf ihre rechte Schulter, an der ihr Arm reglos herabhing, trug nicht dazu bei, ihr Mut zu machen.

Er kann dich nicht sehen, und außerdem beschützt dich die Drachenfigur, versuchte sie sich zu beruhigen. Ihre Finger suchten nach den scharfen Kanten des kleinen Drachen. Verdammt, wo war er? Sie kramte hektisch, ertastete aber nur den groben Stoff ihres Gewands.

Die geräuschvoll schnuppernden Nasenlöcher des Drachen kamen immer näher, und seine Augen starrten hasserfüllt auf die sich erst schwach, dann immer deutlicher abzeichnenden Konturen der Kämpferin.

Er kann mich sehen! Die Erkenntnis durchfuhr sie wie ein Blitz, und ihre linke Hand griff nach dem Schwert. Kampflos würde sie sich nicht ergeben! Behutsam rappelte sie sich auf, versuchte den stechenden Schmerz zu ignorieren und hob trotzig ihre Waffe.

»So, du bist das also – eine kleine Menschenfrau. Dann fresse ich eben dich zuerst, bevor ich mir den Magier vorknöpfe.«

Sarangas Blick fiel auf einen kleinen, blauen Gegenstand, der keine fünf Schritte entfernt halb begraben zwischen den Münzen lag. Ihre Gedanken rasten. Sie musste den Drachen hinhalten und versuchen an die Figur heranzukommen. Fieberhaft grübelte sie. Was könnte die Echse interessieren?

»Dann hoffe ich nur, dass du den Magier auch ohne meine Hilfe findest, sonst hast du doppelt Pech. Dir entgeht deine Rache und der sagenhafte Goldschatz des Alten obendrein.« Unschuldig sah sie zu den gelben Echsenaugen hoch, schob ihr Schwert wieder in die Scheide und rutschte wie zufällig etwas näher an die Drachenfigur heran.

Astorin stand am Höhleneingang und knetete nervös die Hände hinter dem Rücken. Seine wertvolle Drachenfigur lag dort hinten in der Höhle und war in Gefahr, von Münzbergen verschüttet zu werden. Verflucht! Hatte er ihr die Figur gestern nicht abgenommen und wieder in seiner Truhe verstaut? Wie konnte sie es wagen, diesen Schatz auf so eine heikle Mission mitzunehmen! Er musste rein und sich die Statuette zurückholen.

Auf der ledernen Drachenstirn erschienen ein paar Falten. »Du willst mir also einreden, dass ich mit deiner Hilfe an den Magier rankomme und dazu noch meinen Schatz vergrößern kann? Dafür, dass du dein armseliges Leben rettest?«

»So hart würde ich das nicht ausdrücken.« Saranga lächelte betörend und machte noch zwei Schrittchen zur Seite.

»Ich glaube eher, du willst mich reinlegen. Bemüh dich nicht, du wirst die Figur nicht erreichen. Sie gehört mir!«

Als die Kämpferin loshechtete, um die blaue Drachenfigur an sich zu reißen, schnellte auch der Kopf des Drachen vor und schleuderte die Statuette in hohem Bogen weg. Krachend schlug sie auf dem Felsboden auf, rollte noch einige Fuß und blieb dann unversehrt liegen. Sarangas Sprung jedoch endete abrupt am Maul des Drachen, wo sie gegen Reißzähne und hornige Lippen prallte und dann zu Boden fiel.

Unbemerkt huschte der Magier an der Echse vorbei, stürzte sich auf die blaue Figur, ließ sie in die Tasche gleiten und eilte dann wieder in den Schutz der Felsspalte zurück. Er wandte sich um und betrachtete Saranga. Sie war eine gute Kämpferin. War es Verschwendung, sie zurückzulassen? Würde er sie noch brauchen?

Die Echse lachte kehlig und stieß ein paar Dampfwolken aus, dann riss sie das Maul auf.

Das war’s, dachte Saranga, doch der Drache gähnte nur herzhaft, seine Augen verengten sich zu Schlitzen, und seine Bewegungen wurden immer langsamer. Für einen Augenblick war sie so überrascht, dass sie sich nicht regte, dann jedoch kehrten ihre Instinkte zurück. Geduckt schlich sie hinter die nächste Säule. Am Eingang tauchte Astorin auf und reckte triumphierend die Faust in die Luft.

»Es funktioniert«, rief er. »Der Zauber des Reifs beginnt zu wirken.« Mit vor Stolz geschwellter Brust trat er in die Höhle.

»Siehst du, ich habe dich besiegt. Jetzt bist du mein, und ich werde dich in meine Armee der Willenlosen aufnehmen. Du wirst für mich kämpfen und zu meinem Ruhm beitragen.«

Der Drache sah den Magier verwirrt an. »Ich bin ein Drache, das mächtigste Wesen der Welt. Ich werde mich niemandem unterordnen. Die Welt und ihre dummen Bewohner interessieren mich nicht. Lass mich allein und störe mich nicht. Ich fühle mich so müde.«

Der Drache schloss die Augen und legte das mächtige Haupt auf seine Klauen.

Saranga erhob sich. Fassungslos starrte sie auf die schlafende Echse und zog sich dabei Schritt für Schritt zur Felsspalte zurück.

Astorin schäumte. Er schrie auf die Echse ein, aber sie rührte sich nicht mehr. Wütend nahm der Magier die lange Kette, wickelte sie um eine breite Säule und verschloss sie magisch.

»Was ist los? Ihr habt ihn besiegt, und er ist lammfromm. Das wolltet Ihr doch!«

»Was soll ich mit einem lethargischen Drachen anfangen, der von der Welt nichts wissen will? Ich brauche seine Wut, um sie in meinem Kampf einzusetzen. Nichts habe ich gewonnen!«

Saranga griff sich an die schmerzende Schulter. Das Schlüsselbein war gebrochen. Sie wandte sich ab. Der Magier und seine Machtbesessenheit waren ihr jetzt egal. Sie wollte nur noch raus und sich hinlegen, bevor ihr eine Ohnmacht die Sinne rauben konnte. Langsam hinkte sie dem Sonnenlicht entgegen, der Magier folgte ihr vor sich hin schimpfend.

Sie hatten die Höhle bereits verlassen, als ihm auffiel, wie schwer Saranga verletzt war.

»Komm ins Zelt. In diesem Zustand nützt du mir nichts.«

Astorin zog ein Glasfläschchen aus den Tiefen seines Gewands und gebot ihr zu trinken. Er sah zu, wie sie wieder Farbe bekam, wie die Knochen zusammenstrebten und die zahlreichen Schürf- und Schnittwunden sich schlossen.

»Ich brauche dich. Du wirst mit Vertos die Suche nach den Toren fortführen.« Er seufzte. »Wenn sich meine Quellen nicht irren, werde ich mein Ziel in dieser Welt allein nicht erreichen.«

Das Vermächtnis des Kupferdrachens

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