Читать книгу Das Ende ist immer nahe 1 - Urs Herzog - Страница 6

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Frühling

In diesem Jahr war der Schnee bis Ende Februar liegen geblieben und als er endlich dahinschmolz, blieb das Wetter grau, feucht und kalt, bis fast Ende März.

Doch dann, endlich, der erste warme Frühlingstag. Das Thermometer kletterte auf ungewohnte zwanzig Grad und die Menschen strömten aus ihren Häusern. Endlich hinaus, hinaus in die frische, warme Frühlingsluft, hinaus an die wärmende Sonne, die vom wolkenlosen, azurblauen Himmel herunter lachte. Der Wind spielte sanft mit den ersten Blättern und strich um die austreibenden Knospen. Die vielen Schneeglöckchen verbreiten ihren Duft und die Luft war erfüllt von unzähligen weiteren Düften welche den Menschen die Sinne zu verwirren schienen. In den Bäumen sangen die Vögel um die Wette, und die Möwen umkreisten die Fähre die ihre Passagiere vom Ufer unterhalb des Basler Münster an das Kleinbasler Gestade brachte.

Die Menschen flanierten dem Ufer entlang. Familien mit Kindern die nun endlich wieder draussen herumtollen konnten. Und so ausgelassen, laut und wild die Kleinen auch waren, die Leute lächelten ihnen zu, tolerierten ihren Überschwang und waren selbst fröhlich und voller Lebenslust. Liebespaare spazierten Hand in Hand oder eng umschlungen, die Welt vergessend, der Promenade entlang. An den Ufern des Rheins, der mit seinem silbernen Band die Stadt Basel durchschneidet, spazierten Tausende. Es schien als wäre an diesem wunderschönen Tag ganz Basel unterwegs.

In den Boulevardcafés wurden eiligst Tische und Stühle bereitgestellt und schon drängten sich die Leute um einen Platz zu ergattern.

Es brauchte heute sehr viel Glück und Geduld sich auf einen der begehrten Plätze setzen zu können.

Doch niemanden schien dies zu stören, man hatte ja Zeit und das Wetter war unbeschreiblich, die Sonne, die Wärme, die wiedererwachte Natur, dies alles stimmte fröhlich und friedlich.

Die ersten Boote wagten sich auf den Rhein. An den Landungsstegen der Fähren standen die Menschen geduldig in der Schlange.

Für all das hatte Michael Schneider keine Augen, hatte an diesem wunderschönen Frühlingstag keine Zeit. Zielstrebig ging er dem Ufer entlang.

Der Kontakt erfolgte diesmal über sein Büro in Brüssel und natürlich war ihm klar, wer der Auftraggeber war. Die fehlenden Informationen waren eingetroffen und nun konnte es losgehen. Nachdem ihm sein Büro die Angaben übermittelt hatte, nahm er sich zwei Tage Zeit für seine persönliche Risikoanalyse. Danach ging alles sehr schnell. Für den heutigen Tag waren die ersten Schritte geplant und welcher Wochentag auch war, welches Wetter auch vorherrschte, jetzt war es Zeit seinen Job zu machen. So hatte er es immer gehalten.

Er hielt kurz inne und schaute auf seine elegante Rolex. Noch eine halbe Stunde, kein Grund sich zu beeilen. Er passte sich dem Menschenstrom an und bahnte sich langsam einen Weg ans Ufer. Dort blieb er stehen und schaute auf den silberglänzenden Rhein.

War es schon zehn Jahre her? Seine Schneider Consulting vermittelte temporäre Arbeitskräfte. Nicht wie tausend andere Firmen. Er vermittelte nur hochkarätige Spezialisten, top qualifiziertes Personal, die Besten der Besten. Alle Branchen. Bei Schneider Consulting konnte man sich nicht bewerben, das war aussichtslos, bei Schneider Consulting wurde man ausgesucht und nur wer hervorragendes leistete, bekam eine Chance. Ausnahmen gab es keine. So konnte Schneider sicher sein, seinen Kunden immer die Besten zu vermitteln. Hinzu kam, dass seine Firma schnell, unbürokratisch und verschwiegen arbeitete und dies sieben Tage die Woche, 12 Monate im Jahr, Tag und Nacht. Seine Firma beschäftige elf Personen. In Brüssel und am Hauptsitz in Zürich arbeiteten im Schichtbetrieb jeweilen fünf Angestellte.

Hinzu kam seine persönliche Sekretärin die schon seit der Firmengründung dabei war.

Schneider selbst suchte weltweit die Spezialisten aus, er schloss die Verträge ab und vermittelte diese Leute dann weltweit.

Auch wenn seine Firma teuer war weil er Spitzenlöhne zahlte -, das Geschäft boomte.

„Schneider Consulting, die beste Firma der Branche.“ Es war ein harter Weg an die Spitze und zu Beginn wollten die Auftraggeber noch den Preis drücken. Doch Schneider blieb hart. Sein Preis oder gar nicht. Wer nicht wollte musste sich anderweitig umsehen und sich mit dem Zweitbesten zufrieden geben. Doch er wusste, dass er immer am Ball bleiben, seinen Konkurrenten immer einen Schritt voraus sein musste, oder er war raus aus dem Geschäft.

Nur wenigen Insidern war bekannt, dass Schneider Consulting für einen kleinen Kreis ausgewählter Kunden einen ganz besonderen Service bieten konnte. Verschiedentlich konnten, oder wollten, die Auftraggeber nicht in Erscheinung treten und deshalb übergaben sie die gesamte Planung und Ausführung an Schneider. Er suchte die Spezialisten, organisierte den Ablauf und erledigte auch den finanziellen Teil. Alles aus einer Hand. Still und verschwiegen, so dass weder der Auftraggeber noch Schneider Consulting in Erscheinung traten. Und heute ging es wieder um einen solchen Auftrag.

Den dunklen Anzug hatte er gegen ein dunkelblaues Sportsakko getauscht, dazu trug er eine hellgraue Cabardinhose. Der bordeauxfarbene Schlips zu dem weissen Hemd wurde von einer schlichten, silbernen Krawattennadel gehalten. Er schlenderte weiter und zog dabei die Blicke der Damen auf sich. Sein dunkelbraunes, volles Haar, der leicht gebräunte Teint und seine hellen, blauen Augen verfehlten nicht die Wirkung auf Frauen, ein Umstand, den er auch gekonnt auszuspielen wusste. Selten verfehlte seine Erscheinung die gewünschte Wirkung. Ein Mensch mit Charisma, eine starke und seriöse Persönlichkeit. Das Einzige was nicht so richtig ins Bild passte, war, dass Michael Schneider keine Vergangenheit hatte. Aber das war bis anhin den Wenigsten aufgefallen und die, welche um seine Vergangenheit wussten, hatte alle Gründe zu Schweigen.

Erneut blieb er kurz stehen und schaute sich um. Prüfend schweifte sein Blick umher. Alte Gewohnheiten kann niemand so leicht abschütteln.

Dann setzte er seinen Weg fort und steuerte auf das nächste Boulevardcafé zu.

Die bunten Sonnenschirme leuchteten in warmen Farben und passten zu den gestreiften Tischdecken und den geflochtenen Korbstühlen, deren Kissen mit demselben Stoff bezogen waren. Er quetschte sich zwischen den wartenden Gästen, den Kellnern und Stühlen hindurch und erreichte endlich den Tisch an dem sich schon vier Personen niedergelassen hatten. Sie begrüssten sich als würden sie sich schon seit Jahren kennen, wären die besten Freunde. Er setzte sich auf den letzten freien Stuhl, den die Vier bis dahin tapfer verteidigt hatten. Stühle waren heute Mangelware.

Dichtgedrängt sassen die Leute im Gartenrestaurant. Lachen und Stimmengewirr erfüllte die laue Frühlingsluft. Das klirren der Gläser, die Rufe nach der Bedienung, - zwischendurch konnte man sein eigenes Wort nicht mehr verstehen. Es brummte und summte wie in einem Bienenhaus. Den fünf war es recht so. Hier mussten sie sich heute keine Sorgen machen, auch wenn jemand versucht hätte zu lauschen, an den Nebentischen waren allenfalls Gesprächsfetzen zu hören, der Rest ging im Stimmengewirr unter.

Schneider winkte dem Kellner und bestellte sich ein grosses Bier, Lager, hell. Damit schloss er sich den Anderen an, die alle vor einem halben Liter Bier sassen. Sie plauderten angeregt miteinander. Endlich kam Schneiders Bier. Sie hoben die Gläser und prosteten einander zu. Es schmeckte köstlich. Schneider stellte sein Glas hin.

„Der erste Schluck ist immer der Beste. Und nun lasst uns zum Geschäftlichen übergehen. Ich gehe davon aus, dass ihr alle mit eurer Bleibe zufrieden seid und ich diesen Punkt abhaken kann.“

Die vier nickten zustimmend. „Gut, dann weiter.“ Er griff in sein Sakko, zog vier schmale Briefumschläge hervor und verteilte sie. „Hier drinnen findet ihr weitere Informationen und Angaben für euren Job. Zeitplan, Einsatzgebiet, Kontaktadresse -, steht alles da drinnen.

Dazu der Name der kontoführenden Schweizerbank bei der ihr ein unbegrenztes Spesenkonto habt, zudem der Name der Bank auf den Cayman Islands und die Kontonummer eures Privatkontos. Selbstverständlich seid ihr wie immer versichert.

Die Police liegt auch im Kuvert. Bei den Begünstigten habe ich dieselben Namen eingetragen wie letztes Mal.

Den genauen Zeitpunkt für den Beginn des Auftrages werde ich noch bekannt geben. Es wird Anfang nächsten Monats sein.“

Die Vier steckten die Briefumschläge ein ohne sie geöffnet zu haben. Schneiders Wort zählte.

„Nun möchte ich euch in Basel willkommen heissen und hoffe, dass euch der kommende Job Spass machen wird.“ Dann bestellte er eine weitere Runde. Sie tranken auf den Erfolg, die gute Zusammenarbeit, den sonnigen Tag und den Frühling. Eine lustige, fröhliche Runde. Freunde die sich an diesem Sonntagnachmittag zu geselligem Zusammensein getroffen hatten.

Das Ende ist immer nahe 1

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