Читать книгу Venetia und die Delfine - Ursula Geck - Страница 6
4. Die Ilias
Оглавление„Und was hast du noch vor?“, fragte die Mutter Venetia.
„Wenn du mich nicht brauchst, würde ich gerne an den Strand gehen und was lesen.“
„Was liest du denn im Moment?“, fragte die Mutter, die wusste, dass ihre Tochter eine Leseratte war.
„Die Ilias von Homer.“
„Oh“, meinte die Mutter beeindruckt
„und wie gefällt dir die Sprache?“
„Sie ist wunderschön“, erwiderte Venetia.
„Ja, das finde ich auch“, sagte die Mutter. „Gut, dass du unsere Traditionen pflegst und Homer liest.“
Venetia war ausgesprochen gut in der Schule. Sie brauchte gar nichts dafür zu tun, es flog ihr so zu. Die Eltern waren sehr stolz auf sie.
„Wenn es so weitergeht, kannst du in Athen studieren“, sagte die Mutter oft stolz.
Venetia stellte die gespülten Teller in den Holzschrank und ging nach oben in ihr Zimmer, um die Ilias zu holen. In der Ilias geht es um den Krieg zwischen den Griechen und Troja an der kleinasiatischen Küste. Jahrhun- dertelang hatte man die Ilias und die Odyssee von Homer für Märchen gehalten. Aber seit der Deutsche Heinrich Schliemann Mykene und Troja ausgegraben hatte, wusste man, dass ein historischer Kern in den Epen steckte.
„Viel Spaß Venetia!“, meinte die Mutter. Venetia sprang die Treppen hinunter.
„Danke Mama!“, meinte sie vergnügt und machte sich mit Buch und Handtuch auf zum Strand.
Der Weg führte bergab die macchiebewachsenen Felsen hinab. Wieder spürte sie jeden Stein unter ihren Flip Flops. Am Strand angekommen, setzte sie sich in den Sand und fing an, in der Ilias zu lesen. Sie liebte die Sprache. Und spannend waren die Abenteuer der Griechen vor Troja auch. Besonders die Figur der Kassandra, der Hellseherin, hatte es ihr angetan.
Einige Zeit saß sie so versunken und las in der Ilias. Dann legte sie das Buch auf die Seite und stand auf. Sie ging zum Meer und lief eine Zeit lang mit den Füßen im Wasser den Strand entlang. Es war ihr heiß geworden und das Wasser kühlte sie ab.
„Ich hätte meine Schwimmsachen mitnehmen sollen“, dachte sie verdrossen.
Sie ging zurück, nahm ihr Buch und machte sich auf den Heimweg. Zu Hause angekommen, empfing sie die Mutter mit den Worten:
„Venetia decke den Tisch bitte, ich habe noch Giuvezi, wir wollen gleich essen.“
Sie rief nach oben.
„Alex steh auf bitte auf, es gibt Essen!“
Der Vater hatte sich nach der anstrengenden Nacht auf dem Meer und dem Tag auf dem Markt etwas hinge- legt, das machte er immer.
„Ich komme gleich!“, kam es von oben heruntergeschallt.
„Wo sind die Zwillinge?“, fragte Venetia ihre Mutter.
„Sie wollten zum Schäfer, sie werden gleich hier sein.“, antwortete die Mutter.
Der Vater kam müde die Treppe hinuntergewankt. Barfuß war er, seine Fußsohlen waren von einer dicken Hornhautschicht überzogen, denn er fischte immer barfuß und ging auch oft barfuß durchs Dorf. Venetia hatte einmal mitbekommen, wie Touristinnen sich den Hals nach ihm verdrehten. Sie fanden so einen ursprünglichen Mann wohl attraktiv. Venetia musste lächeln, ihr Vater war wirklich eine eindrucksvolle Erscheinung, groß, gutaussehend und ein echter Naturmensch.
Sie beeilte sich, den Tisch zu decken. Die Mutter wärmte das Giuvezi in der Küche. Da hörte man auch schon wildes Geschrei vor der Tür. Ah, die Zwillinge kamen vom Schäfer nach Hause.
Petros stieß die Türe auf und fragte lautstark: „Wann gibt es Essen, wir sterben vor Hunger.“
„Es ist gleich fertig!“, antwortete die Mutter. „Wascht Euch die Hände und setzt Euch schon einmal an den Tisch!“
Die Jungen verschwanden im Badezimmer. Als sie wieder hinunterkamen, setzten sich alle an den großen Holztisch. Der Vater sprach ein kurzes Gebet und danach verteilte die Mutter das Essen.
„Wie war es beim Schäfer?“, fragte die Mutter.
Yannis antwortete mit vollem Mund:
„Die Lämmer sind groß geworden. Auf dem Rückweg haben wir Tante Voula getroffen, sie sagte sie käme morgen mal mit ihrem Sohn vorbei.“