Читать книгу Licht in dunklen Todesschatten… Ein Elternpaar verliert nacheinander drei Kinder, jedoch nicht den Lebensmut - Ursula Hesseler - Страница 9
3. Kapitel
Оглавление„Gott verspricht: Ich will dich unterweisen
und dir den Weg zeigen, den du wandeln sollst;
ich will dich mit meinen Augen leiten.“
(Psalm 32,8)
Eine Romanze und eine Ecclesia-Erweckung
1954 erhielt Vati ein vielversprechendes Angebot von einem Wirtschaftsprüfer in Duisburg, bei dem er als Buchhalter arbeiten sollte. Also stand wieder einmal ein Umzug an. Der Abschied von Hattingen fiel mir sehr schwer. Natürlich kehrte ich meist an den Wochenenden in meine alte Heimat zurück, um mit Hanne und anderen Freunden zusammen zu sein. Auch Hans besuchte dort häufig seine Verlobte, Jutta, die er im CVJM kennengelernt hatte.
Hanne und Ursula,
Anfang der 50er Jahre
Zunächst schlossen wir uns in Duisburg wieder der Baptistengemeinde an, wo ich eine große Jugendgruppe vorfand, in der es mir Freude machte, mitzuarbeiten. Wenn jedoch junge Männer ihr Interesse für mich zeigten, ließ ich sie nicht an mich heran, weil ich immer noch im Stillen darauf hoffte, dass Werner sich bekehren würde.
Von der Schule aus machte ich ein Praktikum in der Großküche eines christlichen Altenheimes in Weltersbach, einem wunderschönen Ort bei Leverkusen. In der dortigen kleinen Kirche gab es einen Jugendkreis und eine Kindergruppe. Für die Leitung dieser Gruppen reiste regelmäßig ein netter, junger Mann aus Köln an. Schon bald bat er mich um meine Mitarbeit, weil ich Gitarre spielen konnte; oder hatte er vielleicht noch ganz andere Absichten?! Denn bei diesen Treffen unterhielten wir uns ausführlich und lernten einander näher kennen. Ich erfuhr, dass er nach seiner Ausbildung in der Verwaltung des Siemenskonzerns noch weiter studieren wollte, um Pastor zu werden.
Als Wolf-Dieter einmal sehr konzentriert meinem Harmoniumspiel lauschte und beim Abschied meine Hand zärtlich festhielt, funkte es zwischen uns …
Gegen Ende meines Praktikums fragte er mich, ob wir uns wiedersähen. Zum Abschied wanderten wir durch die hügelige Landschaftsidylle und ließen uns auf einem Holzgerüst für Milchkannen nieder. Im nächsten Augenblick legte mein Verehrer seinen Arm um mich und fragte: „Weißt du, was wir beide jetzt machen?“ Zunächst wollte ich ihn abwehren, weil ich zu Zärtlichkeiten noch nicht bereit war. Doch überraschenderweise war das gar nicht seine Absicht: „Komm, lass uns beten!“ schlug er stattdessen vor. Wie erleichtert war ich über diesen Vorschlag. Mein Herz schlug bis zum Halse. Alles hatte ich erwartet, nur das nicht. Sanft faltete er seine Hände um meine, und wir schütteten im Gebet unsere Herzen vor Gott aus. Mir war so, als gäbe dieser sein göttliches „Ja“ zu unserem gemeinsamen Weg.
Nach meinem Weggang erfolgte ein reger Briefwechsel und bald darauf wurde ich zu Wolf-Dieters Eltern nach Köln eingeladen. Diese zeigten sich zufrieden mit unserer Verbindung und verlangten nur, dass sich ihr Sohn vor allem anderen auf seine Abschlussprüfung konzentrieren solle.
Nach sieben Monaten – wir sprachen schon von Verlobung – überreichte Wolf-Dieter mir ein Buch, das mich irritierte. Inhaltlich ging es bei dieser Lektüre nämlich darum, wie man sich auf die Ehe vorbereitet, und natürlich kam auch das Thema Sexualität zur Sprache. Unglücklicherweise fiel diese Publikation meinen Eltern in die Hände. Sie waren darüber empört und äußerten die Vermutung, dass ihr zukünftiger Schwiegersohn mit dem Sex nicht bis zur Ehe warten wolle, weshalb Vati dem jungen Mann einen entrüsteten Brief schrieb und jeglichen Umgang mit mir verbot, zumindest für die kommenden zwölf Monate.
Ich war völlig durcheinander und wusste überhaupt nicht, wie ich mich in dieser schwierigen Situation verhalten sollte. Schließlich schrieb ich Wolf-Dieter einen Abschiedsbrief. Unser Verhalten hat ihn bestimmt unsagbar geschmerzt und gekränkt, aber Näheres habe ich nie erfahren, denn es war aus für immer. In dieser Zeit weinte ich viel und bat Gott, unsere Wunden zu heilen.
1955 kam ein Missionsteam nach Duisburg, an dessen gut besuchten Veranstaltungen ich rege teilnahm, was mich von meinem Liebeskummer etwas ablenkte.
John Parschauer, ein Bibellehrer aus Brake, evangelisierte und seine Töchter sangen wunderbare Lieder. Unvergessen blieb für mich das Lied: „Gehe in den Weinberg! Geh, geh, geh!“ Die Verkündigung über das Buch Nehemia baute mich auf und motivierte mich, in der Gemeinde noch mehr mitzuarbeiten. Nur war mir immer noch unklar, wie und wo. In diesen zwei Wochen entschieden sich hundertzehn Menschen für den Glauben an Jesus Christus. Ich sprach mit John über meine Zukunft und äußerte meinen Wunsch, Gott zu dienen. Außerdem dachte ich ernsthaft daran, eine Bibelschule zu besuchen.
Er sagte: „Du bist 18 Jahre alt, gesund und hast eine gute Schulbildung, also geh! Für eine Berufung braucht man nicht unbedingt eine Engel-Erscheinung!“ Nachdem John für mich gebetet hatte, fühlte ich mich richtig gestärkt. Ich sorgte mich nur darum, wie ich eine weitere Ausbildung finanzieren sollte.
Als ich danach später als sonst heimkam, empfing mich meine Mutter wütend an der Haustür und schlug mich sogar, obwohl ich vorher Bescheid gesagt hatte. Ich fühlte mich entsetzlich gedemütigt und innerlich wie zerschlagen.
Nach dem Schulabschluss hätte ich gerne einen Beruf mit einer sozialen Ausrichtung ergriffen, aber meine Eltern wollten, dass ich schnell Geld verdiente. Deshalb brachte Vati mir etwas Buchführung bei, und kurz darauf fand ich einen Arbeitsplatz in der Buchhaltung einer Papiergroßhandlung. Diese Büroarbeit fand ich zwar ziemlich eintönig, aber vorerst schien ich beruflich keine andere Wahl zu haben. Aber Gott hatte meinen Werdegang sehr wohl sorgfältig vorbereitet. Denn für meine weitere Zukunft konnte ich diese Kenntnisse brauchen.
Ursula im Alter von 18 Jahren
Mitte der 50er Jahre hielt der Fabrikant Hermann Zais, ein gläubiger Christ aus Solingen, sehr vollmächtige, missionarische Versammlungen ab, bei denen auch viele Kranke geheilt wurden. Aus dieser Bewegung entstanden an mehreren Orten Gemeinden, die sich „Ecclesia“ nannten und von Laien geleitet wurden. Schließlich gründete auch mein Vater in Duisburg eine solche Gemeinde, die sich in einer Schule versammelte. Damit begann für mich eine schöne und aufregende Zeit. Das gemeindliche Engagement stärkte meinen Glauben. Da ich immer für neue Entwicklungen offen war, machte ich eifrig mit und leitete begeistert den Chor, mit dem wir häufig in der Innenstadt missionierten.
Jutta, meine künftige Schwägerin, zog ebenfalls von Hattingen zu uns nach Duisburg. Nachdem sie einige Male mit uns im Gottesdienst gewesen war, bekehrte sie sich. Nun hatte sie den brennenden Wunsch, dass auch Hans seine Beziehung zu Jesus erneuerte und sie beide sich taufen ließen. Dieser Wunsch erfüllte sich und bald danach heirateten sie. Es war die erste Hochzeit in unserer „Ecclesia“. Vati vollzog die Trauung, und die ganze Gemeinde freute sich mit dem Brautpaar.
Ursulas Bruder Hans bei seiner Hochzeit mit Jutta
Finanziell ging es uns jetzt besser und wir unternahmen sogar eine Urlaubsreise in den Süden. Ich war fasziniert vom wunderschönen Schwarzwald und dem Rheinfall bei Schaffhausen. Dann ging es weiter nach Italien. Auf einem Campingplatz, wo wir übernachten wollten, hatte unser alter VW plötzlich einen Defekt und hörte nicht mehr auf zu hupen. Wegen dieses ruhestörenden Lärms schnitt jemand kurzerhand die Leitung durch.
Als ich zum ersten Mal das Mittelmeer sah, nahm ich sofort meinen Wasserball und schwamm weit hinaus. Bei meiner Rückkehr erblickte ich am Ufer mehrere Menschen, die ziemlich beunruhigt wirkten. Später erfuhr ich, dass sie besorgt nach mir Ausschau gehalten hatten, weil am Vortag eine Frau genau an der Stelle, zu der ich hinausgeschwommen war, von einem Hai getötet wurde.
In Pisa fotografierten wir Rüdiger mit ausgestreckten Armen vor dem schiefen Turm. Auf dem Foto sah es so aus, als hindere er das Gebäude daran endgültig umzukippen. Mit dieser und vielen anderen schönen Erinnerungen kehrten wir glücklich wieder heim.
Zu uns kamen viele Besucher, meist waren es Gastredner. Einer von ihnen hieß Herbert. Schon bald hatte er Feuer gefangen und wollte mich unbedingt mit zu sich nach Ulm nehmen, wo er eine Drogerie besaß.
Bei einem Treffen in Düsseldorf sahen wir uns wieder, und ich merkte, dass er es ernst mit mir meinte. Dennoch erteilte ich ihm eine Absage, obwohl es mir Leid tat. Trotz seiner liebenswürdigen Art war er überhaupt nicht mein Typ, und außerdem wartete ich insgeheim immer noch auf Werner. Traurig fuhr Herbert fort.
Mutti hatte heimlich meine Tagebuchaufzeichnungen gelesen und meinte, ich würde mich damit brüsten, viele Freier zu haben und mache mir einen Spaß daraus, sie abzuweisen. Das stimmte jedoch nicht. Wenn ich jemanden zurückgewiesen hatte, war das stets mit einem Schmerz verbunden gewesen. Ich wünschte mir sehnlich, endlich in den Hafen der Ehe einzulaufen, und einen Ring zu tragen zum Zeichen, dass ich vergeben war. Wer aber war der Richtige für mich?
Langeweile kannte ich nicht. Wenn ich Zeit hatte, verschlang ich Dutzende von Büchern: Am liebsten las ich Biographien von bekannten Persönlichkeiten wie zum Beispiel Albert Schweitzer, Martin Luther King, Mutter Eva von Thiele Winkler oder Hudson Taylor. Durch die Lebensgeschichten dieser Gläubigen erfuhr ich unter anderem, dass manche von ihnen um die Erfüllung mit dem Heiligen Geist gebetet und diesen auch empfangen hatten. Das war also das Geheimnis ihrer geistlichen Kraft gewesen. Sehr beeindruckt war ich auch von Georg Müller, dem Waisenvater von Bristol, der sich jedes Mal hinkniete, wenn er seine Bibel studierte. Alle diese Glaubensberichte waren inspirierend und wegweisend für mich.
Auch mit meiner Freundin Hanne stand ich in regelmäßigem Briefkontakt. Sie nahm regen Anteil an den Hochs und Tiefs in meinem Alltag, obwohl wir uns seltener sahen als früher.
Inzwischen hatte sich Vati zu einem beliebten Prediger entwickelt. Oft wurde er auch in andere Städte eingeladen. Mutti, Jutta und ich begleiteten ihn ab und zu auf seinen Touren und sangen im Terzett. Eines dieser Lieder hat mich innerlich sehr bewegt, denn es handelte von Jeremia 18, wo Gott mit einem Töpfer verglichen wird. Wenn eines der Gefäße die Form verliert, gestaltet er es neu. Welch ein Sinnbild für unser eigenes Leben, in dem sich der Schöpfer immer wieder liebevoll ans Werk macht, um uns, seine Geschöpfe, gottgemäß zu gestalten …