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Alle unsere Pferde

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Am nächsten Tag ist Montag. Ein total stressiger Tag. Ich habe Schule bis um halb drei, weil mittags noch Sport angesagt ist. Schulsport kann ich nicht leiden, obwohl ich eigentlich ganz gut im Klettern, Radfahren und Rennen bin. Aber auf Befehl mag ich mich einfach nicht durch die Gegend hetzen lassen.

Dann versorgen wir die Pferde. Das ist meistens schön, aber manchmal auch anstrengend. Daniel ist nicht da, weil er sich mit zwei Freunden auf eine besonders knifflige Matheprüfung vorbereitet. Und Emma drückt sich vor der Arbeit mit den Pferden, wo sie kann. Zum Glück kommen Mick, Jonas und Jenny Pflaumer, wie jeden Tag.

Sie sind sehr zuverlässig. Eigentlich müssten sie sich nur um ihre Ponys kümmern – das Shetty Franzi, die Norwegerstute Sammeli und Sammy, das Fohlen. Aber weil ich heute ganz allein bin, helfen sie mir auch mit Lady und Bessie.

„Ich hab gedacht, Toni kommt regelmäßig und schaut nach seiner Bessie?“, fragt Jenny.

Toni war früher unser Nachbar. Er ist ein alter Bauer, dem die Schwarzwälder Fuchsstute gehört.

„Zur Zeit geht es ihm nicht so gut“, erkläre ich. „Er hat am Samstag angerufen und gesagt, dass er nach Sankt Blasien zum Arzt muss.“

Zu viert kommen wir gut voran. Wir füttern die Pferde. Nur Franzi bekommt jetzt in den Sommermonaten fast kein Zusatzfutter, da Shetlandponys nicht zu viel fressen dürfen, wenn sie auf der Weide sind. Dann bürsten wir Sammy und Franzi mit der Wurzelbürste ab. Sie haben sich mal wieder in einer Schlammkuhle gewälzt und sehen wie Erdferkel aus.

Das Shetty hat eine Leidenschaft für Dreck. Und das Fohlen Sammy Langbein ist in dem Alter, in dem man jeden Blödsinn nachmachen muss, auch als Pferd.

Er ist jetzt sieben Monate alt und ein richtiger „Halbstarker“, wie mein Vater das nennt. Sammy ist voller Übermut und tobt oft wie ein Wilder herum. Er hat jetzt schon eine Menge Kraft. Im März haben wir noch mit ihm gespielt, aber inzwischen ist das zu gefährlich. Er weiß ja nicht, wie stark er ist – stärker als wir Menschen. Wir müssen aufpassen, dass er uns nicht über den Haufen rennt oder versehentlich mit den Hufen tritt.

„Sammy bräuchte dringend jemanden zum Spielen“, sagt Mick. „Ein Fohlen im gleichen Alter, das wär’s! Die Stuten mögen ja nicht mehr toben, und mit Franzi gibt’s in letzter Zeit nur noch Zoff.“

Ich denke, dass es wohl nicht mehr lange gut gehen wird mit Sammy und Franzi. Das Shetlandpony ist zwar ein Wallach, aber es fühlt sich als Anführer unserer kleinen Herde und ist eifersüchtig auf den kleinen Sammy. Denn Sammy ist ein Hengstchen. Wenn Sammy eine Stute wäre, gäbe es bestimmt keine Schwierigkeiten.

Lange wird Sammy nicht mehr bei uns bleiben können. Rasch schiebe ich den Gedanken daran zur Seite. Es tut richtig weh, wenn ich mir vorstelle, dass Sammy Langbein, der Kobold unter unseren Pferden, eines Tages nicht mehr auf dem Rösslehof sein wird.

Aber ich habe ja Lady, die sanfte graue Stute. Zärtlich streichle ich ihre Nase, während wir unter den Apfelbäumen stehen, die gerade voller Blüten sind. Lady schnuppert an meinen Haaren. Dann knabbert sie vorsichtig am Ärmel meines Flanellhemds.

Ich betaste ihr linkes Hinterbein. Die lange Narbe sieht man noch, aber sonst ist ihr Bein wieder ganz in Ordnung. Keiner würde glauben, dass es noch im letzten Frühling dick und klumpig geschwollen war wie ein Elefantenfuß.

„Ist die Narbe noch empfindlich?“, fragt Mick, der gerade mit der Bürste über Ladys Rücken fährt.

„Nein, sie zuckt jetzt nicht mehr zusammen, wenn ich darüber streiche. Ich glaube, die Narbe tut ihr nur manchmal noch weh, wenn sich das Wetter ändert.“

Mick Pflaumer ist dunkel und kräftig und nicht besonders groß. Er kann sehr gut mit Pferden umgehen. Ich mag Mick gern. Anfangs hab ich sogar ein bisschen für ihn geschwärmt, aber jetzt hat er eine Freundin. Und inzwischen gefällt mir Jens eigentlich besser. Aber das ist eine andere Geschichte.

Ich erzähle Mick von dem einsamen Pony. „Wir wollen in den nächsten Tagen mal hinradeln, Dani und ich“, sage ich. „Kommst du mit?“

„Ich kann leider nicht“, erwidert Mick. „Morgen und übermorgen hab ich zwei Prüfungen, da muss ich lernen. Vielleicht findet ihr ja den Besitzer des Ponys und könnt mit ihm reden. Womöglich weiß er einfach nicht, wie schlimm es für ein Pferd ist, irgendwo ganz allein und verlassen herumzustehen. Pferde müssen mit Artgenossen zusammen sein – aber das kapieren viele Leute nicht.“

Ich habe da so meine Zweifel. Die meisten Erwachsenen lassen sich von Jugendlichen nicht gern etwas sagen.

„Wenn ihr nichts erreicht, könnten wir vielleicht meine Mutter losschicken“, fügt Mick hinzu.

Ich koche Früchtetee für uns alle, weil es an diesem Tag regnerisch und kalt ist. Wir setzen uns in die Küche um den großen Tisch. Natürlich taucht jetzt auch Emma auf, die vorher so furchtbar beschäftigt getan hat. Sie zwängt sich zwischen Jenny und Jonas aufs Sofa.

August, unser Schäferhund, kommt und lässt sich mit Butterkeksen füttern. Seit er krank war, ist er dicker geworden, denn jeder steckt ihm etwas zu. Und er hinkt noch immer. Manchmal fürchte ich, dass August nie wieder so laufen und springen kann wie früher … ehe er mit der rechten Vorderpfote in die Falle eines Wilderers geraten ist.

„Armer August“, sagt Jenny und streichelt seine Stirn mit der goldenen Zeichnung.

August verdrückt ganz vergnügt jede Menge Kekse. Ich glaube, er kommt sich nicht besonders arm vor. Natürlich ist es schlimm für ihn, dass er nicht mehr so rennen kann wie früher und dass eine seiner Pfoten so empfindlich geblieben ist.

Aber für ihn ist es wohl am wichtigsten, dass alle so lieb zu ihm sind. Und Großvater meint, dass es mit seiner Pfote auch noch besser werden kann. Unser Großvater ist Tierarzt, was sehr praktisch ist, wenn man so viele Tiere hat wie wir.

Wir reden über die Pferde. Sie müssen entwurmt werden, sagt Mick. Und Jonas behauptet, dass Bessie sich etwas in den Huf getreten hat. Mick aber erklärt, er hätte nachgesehen und nichts bemerkt.

Es wird schon dämmerig, als die Pflümlis ihre Jacken anziehen, um nach Hause zu radeln. Ich stehe mit ihnen im Flur und sehe zu, wie Jenny in ihre Gummistiefel schlüpft.

Da sagt Mick plötzlich: „Übrigens, jetzt ist es so weit. Meine Mutter hat Sammy Langbein verkauft.“

Nelly - Das einsame Pony

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