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Dieses und jenes

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Jetzt ist es also passiert! Unser Fohlen Sammy ist verkauft worden, auch wenn er noch bis zum Sommer bei uns auf dem Rösslehof bleiben wird.

Den ganzen Abend denke ich darüber nach. Ich habe ja längst gewusst, dass es so kommen muss. Eigentlich schon von Anfang an, als Sammy zur Welt kam und wir feststellten, dass er ein Hengstfohlen ist.

Ich tröste mich damit, dass Nick ihn bekommen wird, der Bruder von Jens. Ich kenne die beiden seit dem vergangenen Winter. Jens hat mit mir zusammen einen Kochkurs besucht. Er ist ziemlich nett, eigentlich sogar sehr nett. Und sein jüngerer Bruder hat sich Sammy sehnlich gewünscht, das weiß ich.

Im Grund hätte es nicht besser laufen können. Dass Sammy nicht zu fremden Leuten kommen wird, sondern zu Nick und Jens, ist ein echtes Glück. Die beiden wohnen ungefähr eine halbe Fahrstunde von uns entfernt. Und sie haben einen Bauern als Nachbarn, bei dem Sammy untergestellt werden kann. Dort gibt es auch noch ein zweites Pferd. Und Nick ist echt lieb.

Ich frage mich, weshalb Jens mir nicht erzählt hat, dass sein Vater sich jetzt entschlossen hat, Sammy zu kaufen. Wir haben vor drei Tagen miteinander telefoniert, aber da hat er nichts davon erwähnt. Ob ich ihn anrufen soll? Ich versuche es, doch da ist nur der Anrufbeantworter.

„Vielleicht hat er’s nicht gewusst“, meint Dani. „Sein Vater ist ja viel unterwegs. Kann sein, dass er gerade erst von einer Reise zurückgekommen ist und sich ganz plötzlich entschieden hat.“ Er sieht mich scharf an. „Macht es dir viel aus?“

Ich seufze. „Komisch wird es schon sein, wenn Sammy plötzlich nicht mehr auf der Weide steht“, antworte ich.

Dani nickt nur.

„Du“, sage ich, „hast du morgen nach der Schule Zeit?“

Wieder nickt er. Ich brauche meinem Bruder nicht lange zu erklären, worum es geht. Das ist zwischen uns oft so. Wir verstehen uns auch ohne viele Worte.

„Am besten behalten wir es vorerst mal für uns“, sagt er nur. „Dann gibt’s kein langes Palaver.“

Ich bin ganz seiner Meinung. Wir haben ja nichts Unrechtes vor, wenn wir nach einem einsamen Pony schauen.

Am nächsten Tag überlege ich auf dem Weg zur Schule, ob ich meine beste Freundin Sammy einweihen soll. Sie hat so ein aufbrausendes Temperament. Mein Vater sagt, sie schüttet immer gleich das Kind mit dem Bad aus. Das heißt, sie will alles erzwingen und hat keine Geduld. Sammy wird auch leicht zornig. Dann kann es passieren, dass sie unhöfliche Sachen sagt oder die Leute anschreit. Damit erreicht sie meistens überhaupt nichts und macht sich nur unbeliebt.

Aber die Sache erledigt sich von allein. An diesem Tag bleibt der Platz neben dem meinen leer. Sammy kommt nicht zum Unterricht.

Unser Deutschlehrer sagt, dass Sammys Vater angerufen und Sammy entschuldigt hat. Sie hat sich den Magen verdorben.

Mittags radle ich wie ein Weltmeister in unser Dorf zurück, das Schwarzbach heißt, und die Landstraße zu unserem Hof hinauf. Das geht langsamer, denn der Weg ist steil.

Alles blüht. Die Wiesen und Berghänge sind gelb und blau und rot von Trollblumen und Lichtnelken und wildem Salbei.

Und aus den Wäldern ruft der Kuckuck. Das ist hier die schönste Zeit im Jahr, finde ich.

Auch die Schwalben sind zurückgekommen. Sie sitzen auf dem Dach unseres Hauses, eine neben der anderen wie Perlen an einer Schnur, und zwitschern sich gegenseitig die Ohren voll.

Seit die Pferde auf unserer Weide sind, haben wir wieder viele Schwalben. Sie ernähren sich und ihre Jungen von den Fliegen, die überall auftauchen, wo Pferde grasen. Ihre Nester kleben noch vom letzten Jahr unter dem Dachvorsprung. Die benutzen sie auch in diesem Jahr wieder. Sie bessern sie nur aus. Dazu holen sie Schlamm aus den Pfützen, das hab ich oft beobachtet.

August kommt mir entgegen, als ich über die Auffahrt radle. Es sieht so rührend aus, wie er angehinkt kommt und die rechte Vorderpfote in die Luft streckt. Wahrscheinlich tut es ihm weh, wenn er sie mit seinem ganzen Gewicht belastet.

Aber immerhin hat Großvater seine Pfote wieder zusammenflicken können. Das ist fast ein Wunder, wenn ich daran denke, wie die Pfote aussah, als sie in dem furchtbaren Tellereisen steckte. Dieses Bild von August im Wald, mit seiner Pfote in der Falle und all dem Blut, ist eine von meinen schlimmsten Erinnerungen.

Ich steige ab und kraule ihn hinter den Ohren. Dann schiebe ich mein Rad, damit er nicht so schnell gehen muss. „Hallo, August“, sage ich. „Wenn du gesund wärst, könntest du heute mitkommen. Wir wollen nach dem Pony schauen. Aber es ist zu weit für dich.“

Er sieht mich mit seinen goldenen Augen an und wedelt mit dem Schwanz. Früher war August überall mit dabei. Es macht mich traurig, dass wir ihn jetzt so oft zurücklassen müssen. Großvater sagt, ich soll froh sein, dass August überhaupt noch lebt.

Zum Glück ist Kathi, unsere Mutter, mit einem neuen Bild beschäftigt. Wenn sie malt, hört und sieht sie nichts anderes. Ich glaube, dann könnte einer von uns an ihr vorbeischlappen und den Kopf unter dem Arm tragen, ohne dass sie es bemerken würde.

Sie sitzt auf ihrem Klappstuhl in der Nähe des Komposthaufens vor der Staffelei und malt unser Haus mit den blühenden Schwertlilien drumherum.

Unser Vater ist nicht zu Hause. Nur Emma lungert auf der Hausbank herum, als Daniel und ich losradeln.

Natürlich will sie wissen, wohin wir fahren.

„Wir haben was zu erledigen“, brummelt Dani.

„Was denn?“, fragt Emma.

„Dieses und jenes“, sage ich.

„Wartet, ich komme mit!“

„Kein Bedarf!“, sagt Dani. Ich erinnere Emma daran, dass sie heute an der Reihe ist, bei den Pferden zu helfen.

August sieht uns traurig nach. Aber er versteht, dass er auf dem Hof bleiben muss, wir haben es ihm erklärt. Die Pferde kommen zum Koppelzaun, als wir durch den Obstgarten fahren. Lady wiehert leise, wie immer, wenn sie mich sieht. Sammy Langbein streckt seinen struppigen Kopf weit über das Gatter. Franzi scharrt aufgeregt mit dem Vorderhuf.

„Wir sind bald zurück!“, rufe ich ihnen zu. „Und Mick und Jenny kommen ja auch noch!“

Es ist ein ziemlich weiter Weg durch den Bärentalwald. Wir kommen nicht besonders schnell vorwärts, denn die Pfade sind holprig. Manchmal müssen wir die Räder schieben.

Auf einer Lichtung zeigt Dani mir die Stelle, wo er am Sonntag eine Springspinne fotografiert hat. „Die Springspinnen“, erklärt er, „machen Beute, indem sie sich an ihre Opfer heranschleichen und dann auf sie zuspringen. Sie sind total behaart und haben eine schwarze Augenmaske. Wenn sie groß wären, wären sie die perfekten Monster.“

Zweimal überqueren wir den Schwarzbach. Hier im Wald ist er noch nicht so breit und reißend wie unten im Tal, wo viele Quellen zusammenfließen. Wir hören den Kuckuck rufen und die Spechte hämmern. Drosseln singen, und irgendwo im Unterholz flötet ein Rotkehlchen. Der Wald ist wirklich ein wunderbarer Ort.

„Wenn ich mal sterbe, möchte ich im Wald begraben werden“, sage ich.

„Und ich möchte, dass meine Asche aus dem Flugzeug gestreut wird, hier über dem Bärental“, erklärt Dani.

Wir sind fast eine Stunde unterwegs. Dann kommen wir zu einem kleinen Tal, das Im Gründle heißt. Hier endet der Wald und geht in ausgedehnte Wiesen, Felder und sanfte Hügelketten über. Dazwischen sind immer wieder Gruppen von Büschen, Bäumen und Sträuchern wie kleine Inseln.

Wir holpern über einen Trampelpfad. Ein Dickicht aus Eichen und Brombeergestrüpp versperrt uns den Weg. Dann kommt eine große, mit Stacheldraht eingezäunte Wiese. Und mitten auf der Wiese steht ein Pony mutterseelenallein und hält den Kopf tief gesenkt.

Nelly - Das einsame Pony

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