Читать книгу Moses - Ursula Striepe - Страница 10
ОглавлениеDie ersten Spaziergänge
Einen kleinen, gelben, genoppten Gymnastikball in der Tasche betrete ich mit Moses eine große Wiese, auf der vereinzelt Bäume stehen. Weit und breit ist kein anderer Hund zu sehen. Ich hole den Ball hervor und halte ihn ihm hin. Er schnappt ihn sich sofort, legt sich an der langen Leine unter einen Baum und beginnt den Ball zu zerkauen. „Nicht zerbeißen!“, sagte ich, doch ich kann nichts weiter tun, als ihm dabei zuzuschauen. Was würde er machen, wenn ich ihm den Ball wegnehmen wollte? Vielleicht nach mir schnappen? Ich traue mich nicht, ihn zu stören. Zu meinem Entsetzen bemerke ich, dass er die Hälfte des Balles, die mit dem innen liegenden Gummiventil, verschluckt. Als ich an der Leine ziehe, um weiter zu gehen, liegt nur noch ein kläglicher Rest gelben Plastiks auf dem Rasen. Dann hat Moses offenbar Durst bekommen und steuert eine große Pfütze an, aus der er ausgiebig trinkt. „Auch das kann nicht gesund sein“, denke ich, und: „na ja, ist ja nicht mein Hund“, versuche ich mich emotional abzugrenzen, „das wird der schon vertragen.“ Ich versuche auf seinen Instinkt und die Selbstheilungskräfte der Natur zu vertrauen.
Beim zweiten Spaziergang mit ihm allein am nächsten Tag, zeigt er sich von einer anderen Seite. Er hüpft an der Langleine fröhlich um mich herum. Als er eine Bank sieht, läuft er sofort darauf zu, so als wolle er mich auffordern, mich dort nieder zu lassen. Ich setze mich und er macht brav Platz neben mir, hechelt und lässt sich streicheln. Von Weitem sehen wir, dass ein Mann und eine Frau zusammen mit einem kleinen, gedrungenen Hund die Wiese betreten. Trotz Leinenpflicht in dieser Stadt ist das mopsähnliche Wesen nicht angeleint und steuert langsam, aber zielstrebig auf uns zu. Moses und ich schauen einfach nur. Ich bin nicht sicher, was passieren würde, wenn der Hund ganz nahekäme. Wie wird Moses reagieren? Ich halte die Langleine vorsichtshalber etwas kürzer. Der Mann und die Frau bleiben stehen und unterhalten sich, der kleine, dicke Hund schreitet unbeirrt bedrohlich voran. Das kann nicht gut gehen. Ich spüre Moses' Anspannung. Er spitzt die Ohren und ein kleines Bisschen sträubt sich sein Fell. Deshalb rufe ich dem Hund zu: „Stopp“ und hebe meine Hand wie zu einem Gruß. Ich habe einmal gehört, dass dies ein Kommando ist, dass alle Hunde verstehen. Einen kleinen Moment hält der Hund zögernd an. Dann setzt er sich wieder in Bewegung. Ich bitte daraufhin lautstark, um die Entfernung zu überbrücken, den Mann und offensichtlichen Besitzer des Hündchens, ihn doch bitte zurückzuhalten. Seine Reaktion auf meine Bitte würde ich noch öfter erleben, das wusste ich da aber noch nicht. Er setzt einen erbosten, verständnislosen Gesichtsausdruck auf und schaut mich finster an. Dann ruft er seinen Hund, der natürlich nicht reagiert. Erst nach mehrmaliger Aufforderung ist die Gefahr gebannt und der Hund wackelt zurück. Moses und ich entspannen uns wieder. Auf dem Rückweg zum Tierheim huscht Moses für sein Geschäft unter die Büsche. „Gut erzogen“, denke ich und erinnere mich daran, dass der Hund, den wir hatten, als ich Kind war, dies auch immer tat, was wir alle als sehr angenehm empfanden. So gab es nämlich keine Tretminen auf dem Rasen.