Читать книгу Entfesselte Emotionen - Uschi Gassler - Страница 11
ОглавлениеLiebe
sie wächst
mit jedem Herzensschlag
Dankbarkeit ist dir gewiss
Hundetreue
CINDY
Memorandum an »Cinderella vom Rotenberg«, unsere erste, quirligste und lustigste Rottweiler-Hündin. Eine autobiografische Erzählung.
Acht lange Wochen sehnten wir ungeduldig den Einzug unseres ersten Hundes herbei. Fast, als wären wir in Erwartung eines Kindes, wälzten wir etliche Nachschlagewerke und überlegten und stritten uns über einen passenden, klangvollen Namen. Ich verteidigte hart »Cinderella«, denn in diesen Namen war ich seit meiner Kindheit vernarrt gewesen, bis schließlich mein Mann aufgab, »Cleo« durchsetzen zu wollen, und wir uns auf »Cindy« einigten.
Jeden Tag besuchten wir Cindy und ihre drei Geschwister, was sehr einfach war, da sich ihre Mutter Cora im Besitz unseres Nachbarn von gegenüber befand, und beobachteten und begutachteten das Heranwachsen der maulwurfartigen Winzlinge. Die Hundefamilie gehörte der Gattung Rottweiler an, und trotz der damals schon herrschenden Vorurteile gegenüber dieser Rasse hatten wir uns von ihrem treuen, ruhigen Wesen und guten Charakter überzeugen lassen.
Endlich, es war Samstagvormittag, wurden wir vom Lampenfieber erlöst und durften unser Hundebaby nach Hause holen.
Obwohl ich schon Erfahrung im Halten von Tieren vorweisen konnte, weil ich einige Zuchtkaninchen besaß und auch großgezogen hatte – natürlich nur zum Schmusen und keinesfalls zum Essen, war das aufgeweckte, frech herumtobende Wesen etwas völlig Neues.
»Rottis brauchen eine feste und strenge Hand!«, hatte uns unser Nachbar eingeprägt.
Das war leicht gesagt. Ich traute mich nicht, richtig zuzupacken, aus Furcht, ich würde Cindy wehtun, obwohl mir schien, der kompakte und stämmige Körper könnte durchaus schon einiges aushalten. Und ob ich jemals die benötigte Strenge würde aufbringen können, stand zu jenem Zeitpunkt noch in den Sternen.
Das neue hellbraune Lederband schien viel zu groß für den kleinen Hundehals zu sein, außerdem störte das ungewohnte störrische Ding. Cindy versuchte vergeblich, es loszuwerden.
Ich lachte laut auf, als ich ihr zusah, wie sie sich abmühte, den abstehenden Lederriemen zu erhaschen. Unbeholfen drehte sie sich um die eigene Achse, geriet aus dem Gleichgewicht und purzelte auf die Seite. Als ob ich die Schuld an ihrem Missgeschick getragen hätte, bellte sie mich vorwurfsvoll mit ihrer noch hohen Stimme an. Kaum vorstellbar, dass sich daraus einmal ein stattlich sonores Rottweilerbellen entwickeln würde.
»Du bist so süß!«, stieß ich verzückt aus. Ich konnte einfach nicht anders und nahm sie in den Arm, streichelte, drückte, knuddelte sie.
Da schleckte sie fiepend mit ihrem zarten, samtigen Zünglein über mein Gesicht und schaute mich prüfend mit ihren dunkelblauen Knopfaugen an. Sie machte mich glücklich.
Am Nachmittag bereiteten mein Mann und ich den Zwingerbau vor. Cindy tollte quirlig zwischen uns herum. Die Kleine war neugierig und lebhaft – dank der vorzüglichen Aufzucht. Vor nichts schreckte sie zurück. Jeder Strauch, jeder Baum, sogar der Kaninchenstall wurde genauestens erkundet. Ich bemühte mich angestrengt, sie nicht aus den Augen zu verlieren.
Schließlich entdeckte Cindy die steinernen Treppenstufen, die zu unserer Terrasse auf dem Garagendach hinaufführten. Das Schnäuzchen, gefolgt von vier beachtlichen Pfoten, tastete sich untersuchend Stufe um Stufe empor.
Ich ließ sie gewähren, nicht ahnend, wie wendig und schnell sie die restlichen Stufen erklimmen würde. Innerhalb weniger Augenblicke hatte sie die Terrasse erobert.
Rasch rannte ich ihr nach. Das war falsch. Denn Cindy dachte an ein Spiel, hüpfte vor Freude fort und visierte sogleich etwas Neues an. Den handbreiten Spalt zwischen Blumenkasten und Hauswand. Ehe ich zu einer Reaktion fähig war, machte sie einen Satz in diese Richtung.
Ich trat einen Schritt auf sie zu und versuchte, sie zu ergreifen. Das war wieder falsch. Cindy wandte sich zwar zu mir um, zwängte sich jedoch rückwärts in den Spalt.
Ohne nachzudenken warf ich mich auf die Knie und langte nach ihr. Aussichtslos. Mein Arm war zu kurz. Es war zum Verzweifeln. Die Öffnung musste von außen verschlossen werden. Aber dazu brauchte ich einen Besen. Also rief ich nach meinem Mann, der im hinteren Gartenbereich arbeitete.
Inzwischen kroch Cindy im Rückwärtsgang immer näher dem zweieinhalb Meter tiefen Abgrund entgegen. Sie konnte ihn weder sehen noch erahnen.
»Cindy, komm!«, versuchte ich, sie zu locken. Hätte ich mir sparen können.
»Schnell!«, rief ich ein weiteres Mal nach meinem Mann. »Hilf mir! Cindy fällt …«
Und schon baumelte ihr Hinterteil in der Luft. Ihre Vorderpfoten versuchten, sich verkrampft festzuklammern, ihre Äuglein schauten mich hilfesuchend an. Alles vergebens, mein kleines Hundebaby rutschte lautlos in die Tiefe.
»Cindy!«, kreischte ich, rappelte mich auf und wäre ihr am liebsten nachgesprungen.
Mein Mann kam mit einem Besen in der Hand, ließ reaktionsschnell das nun nutzlos gewordene Stück fallen, packte mich am Arm und zerrte mich mit. Wir rannten nach hinten, die Treppen hinab und durch die Garage – das Tor stand offen – bis hin zu dem benommenen Häufchen Elend von Hund. Aus dem Näschen troff ein dünnes Rinnsal Blut. Ihre Augen hielt Cindy halb geschlossen.
Das war’s, dachte ich traurig. Nicht mal einen Tag lang bist du in der Lage, auf eine Handvoll Hund aufzupassen.
Resigniert kniete ich mich neben den kleinen Körper, streichelte behutsam darüber – und stockte. Cindy atmete. Zwar kaum spürbar, dennoch fühlte ich es.
Im selben Moment stürzte unser Nachbar aus seiner Haustür, stürmte auf die Straße und rief: »Hab’ alles gesehen – ich hol’ die Mutter!«
Er spurtete um sein Haus herum, in Richtung seines Zwingers. Die Sekunden zogen sich hin. Ich wagte nicht, meine zitternde Hand von Cindy zu entfernen. Mein Mann stand neben uns, sah herab und wirkte ebenso hilflos wie ich.
Endlich tauchte Cora auf, zunächst erhaben und gemächlich zottelnd, dann immer schneller trabend und schließlich die letzten drei, vier Meter im vollen Galopp. Sofort schien sie zu begreifen, zögerte nicht, schubste mich beiseite und schleckte ihr Baby ab.
Bis das Wunder geschah: Cindy nieste, hob ihr Köpfchen, rappelte sich auf, schüttelte sich wankend und suchte gierig nach einer Zitze. Der Hunger war wohl stärker als der Schock. Nach ein paar schmatzenden Schlucken der kräftigenden Nahrung tapste sie zur Gartenmauer und machte ein Pfützchen.
»Danke, Cora!« Überglücklich fiel ich der verdutzt dreinschauenden Hündin um den Hals.
Auch die beiden Männer zeigten sich erleichtert. Trotzdem gingen wir unverzüglich zum Tierarzt, um sicherzugehen, dass Cindy keine inneren Verletzungen davongetragen hatte.
Das war der Auftakt zu einer aufregenden, anstrengenden und stürmischen Zeit mit Cindy, unserem ersten Hund. Geboren im Sommer 1986. Ihrem nicht zu bändigenden Temperament erlegen im Frühjahr 1988.