Читать книгу Sodom und Camorra - Uta Bahlo - Страница 4

Kapitel 1

Оглавление

Als Bauer Jensen am Abend mit seinem Trecker vom Kneipenbesuch nach Hause kam, wurde er schon von seiner Frau Vera ungeduldig erwartet. »Gut, dass du kommst«, sagte sie aufgeregt und baute sich szenisch vor ihrem Mann auf. »Weißt du, was mir Birgit eben am Telefon erzählt hat«?

»Nee, keine Ahnung. Was denn!?«, knurrte er schlecht gelaunt, zog seine Gummistiefel umständlich aus und warf sie in die Ecke. Dabei lösten sich einige Brocken Erde

und verschmutzten den frisch gewienerten Fliesenboden im Eingang. Doch seine Frau hatte andere Probleme, als ihn deswegen zur Sau zu machen. Ihr Interesse galt im Moment den Neuigkeiten, die sie zu berichten hatte. Deswegen begnügte sie sich auch nur mit einem tiefen Seufzer, legte ihre Stirnfalten noch ein bisschen tiefer und fuhr fort.

»Rate.«

Bauer Jensen wurde laut.

»Ich bin nicht in Stimmung für irgendwelche Ratespiele!«

»Mein Gott, welche Laus ist dir denn wieder über die Leber gelaufen! Ist der Herr mal wieder schlecht drauf?« Sie hatte ja keine Ahnung, dass sich ihr Mann immer noch in einer Phase totaler Erregung befand. Schließlich hatte er gerade von Steffen Jordan, einem Bauern aus dem Nachbarort Brunksdorf, erfahren, dass der Anteile an seinem Kälbchen Lucie für sich beanspruchte. Jordans Bulle Big Mäc war damals von Jordans Weide ausgebüxt, hatte sich wohl brunftig auf Gesine geworfen … und sie prompt geschwängert.

Peter Jordan machte damals sogar Werbung für seinen potenten Bullen. Jeder Schuss ein Treffer, war die Überschrift im hiesigen ›Bauernblatt‹. Jensen war empört, niemals wäre es einvernehmlicher Sex gewesen. Er kannte seine Kuh, die hatte nichts übrig für ´nen Quickie. Vergewaltigung würde es seiner Meinung nach präziser treffen.

Während Gesines Trächtigkeit hatte sich Jordan nicht ein einziges Mal bei ihm auf dem Hof blicken lassen. Aber jetzt – jetzt kommt er damit. Niemals würde er diesem Jordan irgendetwas von seinem Kälbchen überlassen – eher würde er ihn über den selbigen schicken.

In diesem aufgeheizten Zustand hätte Jensen eigentlich nicht mehr Trecker fahren dürfen.

»Willst du´s nun wissen oder nicht?«, drängelte seine Frau ungeduldig und trat von einem Bein aufs andere.

»Wenn´s unbedingt sein muss«, seufzte er genervt und ergänzte, »Was gibt’s zu essen?« Seine Emotionslosigkeit machte sie wahnsinnig. Sie war beleidigt.

»Dann eben nicht. Mir doch egal, wenn hier alles den Bach ´runtergeht und irgendwann von Kriminellen unterwandert wird. Essen is heut nicht. Du weißt ja, wo der Kühlschrank steht.« Nörgelnd verschwand sie in der Küche und verging sich laut klappernd am Geschirr.

Er ließ sie kopfschüttelnd stehen und brummelte Unverständliches vor sich hin, während er ins Wohnzimmer schlurfte. Dort angekommen, warf er sich aufs Sofa, das unter der Last seiner Biomasse wieder einmal verdächtig ächzte. Er schaltete den Fernseher ein, kratzte sich ausgiebig am Kopf, dann am Bauch, abschließend am Gemächt. Obwohl ›Gemächt‹ irreführend war. Sein Ding war alles andere, als ein Gemächt. In der Badehose konnte jede Interessierte seinen kleinen Penis nur erahnen. Was ihm als junger Mann peinlich war und er deswegen ausschließlich Boxershorts trug, kümmerte ihn heute nicht mehr. Schließlich sagten die Frauen immer – es kommt nicht auf die Größe an, sondern auf die Technik. An der Technik hatte er zwar immer wieder gefeilt, doch er hatte nie so viele Frauen zum Üben rumgekriegt. Er war damals eher ein schüchterner Junge.

Werner Jensen war erst fünfzig Jahre alt, wirkte aber wesentlich älter.

Schließlich war er tagein, tagaus und jahrein, jahraus, dem sehr wechselhaften Wetter ausgesetzt. Wind und Regen und noch mehr Regen. Das kann eine Haut auch nur begrenzt aufnehmen. Wie aufs Stichwort blitzte es und der Donner folgte relativ zügig. Das Gewitter schien nah zu sein. Starkregen und Sturmböen drückten nun gegen das Mauerwerk. Das Regenwasser rann die Fenster herunter und legte sich wie eine zweite Haut über das Bauernhaus.

Alles wie immer.

Mit noch nassen Händen, nur flüchtig über dem Waschbecken abgeschüttelt, folgte Vera ihrem Mann ins Wohnzimmer. Er würde nicht so einfach mit Ignoranz davonkommen.

Die Stimme der Moderatorin Inka Bause kündete gerade Werners Lieblingssendung ›Bauer sucht Frau‹ an.

Vera stand direkt vor ihm und tropfte den Teppich voll.

»Na gut, wenn du´s unbedingt wissen willst … die Mafia war heute im Dorf. Zwei unheimliche Typen standen vor Knuths Sex-Laden und schauten durch die Fenster. Richtig unheimlich war das, sagt Birgit.« Wieder donnerte es; das Grollen gab Veras Aussage noch mehr Gewicht.

»Hmm, Mafia, in Tottenbüttel. Das glaubst du doch wohl selber nicht. Wat wollen die denn hier? Hier is ja nix.«

»Vielleicht waren das aber auch … ähm … hier … na sach schnell … Sala … Dingsbums … Salafisten.«

»Ich glaub, ihr guckt zu viel Fernsehen.«

»Na das sagt der Richtige.« Vera zeigte mit dem Finger auf die Flimmerkiste, vor der ihr Mann saß. Erst jetzt bemerkte sie noch etwas ganz anderes.

Sie schnupperte in seine Richtung. »Hast du etwa getrunken? Das riech ich doch bis hier.«

Ziemlich aufgebracht, die immer noch nassen Hände in die Hüften gestemmt, stand Vera vor ihm und versperrte ihm die Sicht auf das Geschehen um Inka Bause. Er musste sich etwas zur Seite lehnen, um an ihr vorbeizuschauen.

»Nur ein Schluck«, versicherte er ihr, »Wegen dem Stress.«

»Aber du weißt schon, dass dann alles für die Katz war? Du hattest das doch bisher so gut im Griff, auch mit Hilfe vom Doc.«

»Ja, ich weiß«, sagte er, ohne das Fernsehbild aus den Augen zu lassen. Es klang reumütig. In diesem Moment forderten die gecasteten Bauern ihre Bewerberinnen beim traditionellen Scheunenfest zum Tanz auf. Die Bäuerinnen in spe waren allesamt ziemlich naiv, fand er. Doch es waren auch ein paar nicht üble Schnitten darunter, und einige hatten ganz schön viel Holz vor der Hüttn, was ihn lächeln ließ.

Aber insgesamt hatte es Ähnlichkeit mit einem Viehmarkt. Fehlte eigentlich nur noch der

Blick ins Maul, dachte Jensen. Er gähnte ausgiebig und seine Augen wurden immer kleiner.

Vera war in ihre Küche zurückgegangen und krakeelte im Hintergrund weiter, doch das hörte Werner nicht mehr – er war eingeschlafen.

Inzwischen war das Gewitter weiter gezogen, nur der Platzregen entschied sich, noch etwas länger zu bleiben.

Noch vor ein paar Jahren war der Alkohol Werners bester Freund. Und genau dieser beste Freund hatte wohl Schuld daran, dass Jensen beim Schützenschießen vor drei Jahren, den Allerwertesten des damaligen Bürgermeisters nur ganz knapp verfehlte.

Man ging damals sogar von einem politisch motivierten Anschlag aus. Natürlich totaler Nonsens, aber das Gerücht hielt sich ziemlich lange.

Danach kam der Entzug. Anfänglich für Werner sehr schwierig, da er sich so an die tägliche

Hopfen-Malz-Mischung gewöhnt hatte, aber letztendlich schaffte er es. Doktor Hagen und Vera – damals noch Bünte mit Nachnamen – halfen ihm in dieser schwierigen Zeit.

Jetzt war er seit drei Jahren trocken.

Am nächsten Morgen wachte Werner mit Rückenschmerzen auf. In seiner anfänglichen Orientierungslosigkeit scannte er langsam die Umgebung ab und bemerkte, dass ihn seine Frau gestern Abend hier auf dem Sofa einfach vergessen hatte. Er wischte sich angetrockneten Speichel aus dem Mundwinkel, rollte sich zur Seite und rappelte sich langsam hoch. Dabei griff er sich mit einer Hand ins Kreutz und jammerte. Wie konnte sie ihn einfach so liegen lassen. Sie wusste doch, dass er wegen der ganzen Hofarbeit sowieso schon Rückenprobleme hatte.

Zeit fürs Frühstück. Doch nichts deutete auf die wichtigste Mahlzeit des Tages hin.

Kein Kaffeegeruch lag in der Luft – nichts.

Tja, früher als Junggeselle war einiges besser. Da hatte sich Vera darum gerissen, ihm am Abend, wenn er vom Feld kam, warmes Essen zu kochen. Und jetzt? Jetzt war er mit dieser Frau verheiratet und alles schien anders. Sie konnte regelrecht zickig werden, wenn man eine andere Meinung hatte, als sie.

Das war der erste kleine Streit, seitdem sie verheiratet waren.

Jensen hatte nicht so viel Erfahrung mit Frauen. Von seiner Kuh Gesine mal abgesehen, war Vera seit vielen Jahren das erste weibliche Wesen, das auf seinem Hof über Nacht bleiben durfte – und das gleich mehrere Nächte hintereinander. Deswegen überfordert es ihn, als Vera ihm gestern so zusetzte. Aber sie hatte ja recht. Er hatte gestern um ein Haar wieder angefangen zu trinken.

Leicht verkrampft, etwas gebückt, eine Hand unterstützend in den Rücken gedrückt, schlurfte er ins Bad. Hätte Vera ihn so gesehen, hätte sie vermutlich gesagt, er solle sich mal nicht so anstellen und sich zusammenreißen. Andere in seinem Alter wären viel fitter als er es sei.

Dann hätte er geantwortet, dass andere auch nicht so schwer arbeiten müssten wie er, und dabei hätte er seine Frau aus dem Augenwinkel gemustert und sie wäre wieder einmal beleidigt abgezogen.

Er konnte nichts mehr sagen, alles wurde sofort in die Waagschale geworfen … oder wie das heißt.

Doktor Hagen wollte ihm wegen seines Rückens schon mal Physiotherapie aufschreiben, aber für so einen neumodischen Kram, so wie er es nannte, hatte er keine Zeit.

Gut, dass sie ihn jetzt nicht sehen konnte.

Denn der Badezimmerspiegel warf die volle Realität zurück und ließ ihn vor sich selbst erschaudern. Er sah aber auch schrecklich aus: Die letzten roten Haare auf dem Kopf, weigerten sich vehement, seinen Kopf zu verlassen. Dafür kamen in der Nase und den Ohren neue dazu.

Sein Bart, ebenfalls rot, hob sich kaum von der roten Gesichtsfarbe ab. Die rote Haut war dem Bluthochdruck geschuldet, der ihm manchmal zu schaffen machte. Das war auch der Grund, warum seine Vera ihn davon überzeugen wollte, weniger Fleisch zu essen.

Er, der er das Fleisch sozusagen züchtete, sollte persönlich weniger davon essen?

Dieser ›Vorschlag‹ wurde von ihm weggelacht.

Er drehte seinen Kopf von links nach rechts, ohne die Augen vom Spiegelbild zu lösen und strich sich über die Bartstoppel. Dann fletschte er die Zähne und entschied mit den Worten: »nützt ja nix«, sie mal wieder zu putzen.

Nun brauchte er erstmal einen Kaffee … war natürlich keiner mehr da. Nach einem großen Schluck aus der Milchtüte beschloss er, im Stall nach Gesine und ihrem Kalb zu sehen.

»Na, ihr. Wie geht’ s?« Die ersten freundlichen Worte des Tages.

Beide kamen sofort angelaufen und stupsten ihn mit der Schnauze an.

»Ihr seid einfach die Besten. Auf euch kann ich mich verlassen.«

Jensen wischte sich eine Träne aus dem Auge und das Kälbchen muhte ihn an. Gesine ließ simultan einen mächtigen Fladen auf den Boden klatschen.

Er lächelte und flüsterte: »Ich liebe euch auch.«

Sodom und Camorra

Подняться наверх