Читать книгу Unerfreuliche Geheimnisse - Ute Dombrowski - Страница 10
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ОглавлениеAm Freitagnachmittag stand Nelly mit gepackter Reisetasche neben Paolo und verabschiedete sich von Benjamin. Sie war mittags noch zu ihrer Mutter gelaufen und hatte ihr erzählt, wie sehr sie sich auf das Wochenende mit Paolo freute. Katja umarmte sie.
„Wenn du in den Sommerferien mal ein bisschen weiter mit ihm verreisen willst, dann seid ihr bei Marie herzlich willkommen. Sie hat vorhin angerufen.“
„Ich hoffe, Paolo bekommt seine zwei Wochen Urlaub, er kann ja nicht die ganzen Sommerferien über mit mir wegfahren. Aber Maries Angebot nehmen wir sicher gerne an. Ich muss jetzt los, Mama. Am Abend essen wir in der Pizzeria. Leon hat sich sogar freigenommen. Wir treffen uns erstmal bei ihm und dann werden wir ein tolles Wochenende haben. Bis Sonntag, wir melden uns zurück.“
„Viel Spaß! Bis Sonntag.“
Katja küsste Nelly auf die Wange, drückte ihr noch einen Geldschein in die Hand und wartete an der Tür, bis ihre Tochter um die Ecke verschwunden war.
Nelly erreichte das Weingut, als Paolo soeben aus dem Bad kam, wo er nach der Arbeit geduscht hatte. Er nahm Nelly in den Arm und sie genoss seinen Duft.
„Bist du fertig? Alles gepackt? Du bist dir darüber im Klaren, dass wir beide auf einer schmalen Couch schlafen?“
„Paolo, das ist das Schönste am ganzen Wochenende. Nein, Spaß, es ist schon in Ordnung. Ich denke doch, wir werden nicht viel schlafen, sondern ganz viel erleben. Ich freue mich. Mama hat mir erzählt, dass Marie angerufen und uns im Sommer zu sich eingeladen hat.“
Paolo war ein wenig verstimmt.
„Da kann meine Familie mit einer Reise nach Eltville natürlich nicht mithalten. Aber ich hoffe, du freust dich auch so.“
„Was soll das denn? Jetzt bist du schon wieder sauer. Du weißt, ich bin überall mit dir glücklich. Das hat doch mit mithalten nichts zu tun.“
„Entschuldige, Süße, so war das nicht gemeint. Jetzt ziehe ich mich an und dann geht es los. Wo ist Wuschel?“
„Er ist unten. Ich gehe nochmal Papa suchen und warte am Auto.“
Damit drehte Nelly sich um und lief die Treppe hinunter. Christian und Benjamin waren im Keller. Nelly setzte sich auf das kleine Fass und sah zu, wie die Männer miteinander redeten. Dann kam Christian auf sie zu.
„Wann wollt ihr los?“
„Paolo muss sich noch anziehen. Ich wollte mich nur verabschieden, Papa. Bis Sonntag.“
„Brauchst du noch Geld?“
„Mama hat mir etwas gegeben, danke für die Nachfrage.“
Sie rutschte vom Fass, als Paolo oben an der Tür nach ihr rief. Schnell küsste sie Christian und Benjamin auf die Wange und rannte hinauf.
Nach kurzer Fahrt kamen sie bei Leon an, der schon Kaffee gekocht hatte. Für Nelly stellte er Kakao und Milch hin. Nachdem Leon Paolo über die Arbeit ausgefragt hatte, wandte er sich an Nelly.
„Was macht die Schule? Nächste Woche sind Osterferien, oder?“
„Alles gut“, plauderte Nelly munter drauflos, „ich muss viel lernen, aber es geht gut voran. Paolo muss ja viel arbeiten, da bleibt genug Zeit für die Schule. Außerdem will ich es mir mit meinen Eltern nicht verscherzen. Sie vertrauen mir, dass ich genug arbeite und die Schule läuft, auch wenn ich bei Paolo wohne. Schließlich ist das meine eigene Verantwortung.“
„Da hast du recht. Lasst uns gleich zu meinen Eltern ins Restaurant fahren. Ihr seid meine Gäste. Danach zeige ich dir, wo ich mein Praktikum mache.“
„Oh, interessant, ich war noch nie …“
Paolo hatte zu lachen begonnen. Nelly grinste.
„Doch, ich war schon bei der Polizei. An der Ostsee, vor fast zwei Jahren, aber das ist eine lange Geschichte.“
Sie machten sich auf den Weg in die Pizzeria, wo sie herzlich begrüßt wurden. Leon hatte einen Tisch in der Ecke reserviert und nun ließen die drei sich das gute Essen schmecken. Leons Mutter setzte sich kurz zu ihnen und der Abend endete sehr spät. Den Besuch auf der Polizeistation hatten sie vertagt.
Am nächsten Morgen frühstückten sie spät und machten dann einen langen Spaziergang am Rhein entlang. In Eltville konnte man gut laufen und weil die Sonne schien, waren unwahrscheinlich viele Leute unterwegs. Mütter und Väter hielten ihre kleinen Kinder fest, damit sie nicht zu nahe ans Wasser gingen. Auf den Bänken saßen alte und junge Menschen und hielten ihre Gesichter in die Sonnenstrahlen. In der Nähe des Schlosses war eine freie Bank und die drei Spaziergänger setzten sich. Paolo legte den Arm um Nelly und Leon eilte los, um für alle ein Eis zu holen. Als er wieder kam, grinste er, weil Nelly und Paolo vor lauter Küssen nicht bemerkt hatten, dass er mit tropfenden Eiswaffeln vor ihnen stand.
„Muss Liebe schön sein!“
Sie saßen und aßen wortlos ihr Eis. Hinter ihnen liefen die Leute weiter gemächlich unter den Bäumen am Rhein entlang, als die Ruhe plötzlich gestört wurde. Ein junges Mädchen auf Inline-Skatern war mit einem Passanten zusammengestoßen und gestürzt. Sie hielt sich den Arm und der ältere Mann polterte ungehalten los.
„Du blöde Göre, kannst du nicht aufpassen? Das sollte verboten sein! Du gefährdest hier die Menschen mit deinen Roll-Dingern.“
Leon war aufgestanden und zu den beiden Streitenden hinter ihrer Bank getreten. Er reichte dem Mädchen die Hand und half ihr beim Aufstehen. Sie kam Nelly bekannt vor.
„Ist dir etwas passiert?“
„Nein, nur der Arm tut mir weh.“
Jetzt mischte sich der ältere Mann ein.
„Noch einer von der Sorte. Diese jungen Leute heute kennen das Wort Rücksicht gar nicht mehr. Jetzt hilfst du der auch noch!“
„Entschuldigung“, sagte Leon ruhig, „das Skaten ist hier erlaubt, also müssen alle Rücksicht nehmen. Sie als Fußgänger ebenso wie als Skater. Aber statt hier zu schimpfen, hätten Sie ruhig mal helfen können.“
„Ach, du bist wohl ein ganz Schlauer? Die ist doch selbst schuld an dem Zusammenstoß. Tu du mal nicht so, als wenn du von der Polizei wärst.“
Nun mussten Nelly und Paolo, die dazugekommen waren, laut lachen, was den älteren Mann noch wütender machte. Er schimpfte und wollte gar nicht mehr aufhören.
„Hören Sie, mein Herr, ich bin tatsächlich bei der Polizei, allerdings habe ich heute frei, aber wenn sich jemand wie Sie so respektlos verhält, überlege ich direkt mal, ob ich meine Kollegen anrufe. Vielleicht beruhigen Sie sich jetzt und gehen weiter. Wir kümmern uns um das Mädchen.“
Der verdutzte Mann lief eilig fort und Nelly fasste das Mädchen am Arm, um sie zur Bank zu begleiten. Sie zog dort die Inline-Skater aus und schnaufte. Dabei rieb sie sich den Arm. Nachdem sie festgestellt hatte, dass es nur eine Schramme war, lächelte sie Nelly an.
„Du bist Nelly, oder? Ich kenne dich vom Schulhof. Wir gehen auf dieselbe Schule. Ich bin Juliette Steinhagen, neunte Klasse.“
„Ich habe auch schon überlegt, woher ich dich kenne. Darf ich dir meinen Freund Paolo vorstellen? Dein Retter ist Leon, sein Cousin.“
Sie schüttelten sich die Hände und blieben noch einen Moment sitzen. Juliette bedankte sich.
„Bist du wirklich Polizist?“
„Ich machen ein Praktikum bei der Polizei hier in Eltville“, erklärte Leon freundlich. „Ungerechtigkeit nervt mich besonders. Da kann ich nie wegschauen. Darum bin ich auch zur Polizei gegangen. Bald ist die Ausbildung fertig, vielleicht kann ich dann hier nach Eltville kommen. Die Kollegen sind wie eine Familie. Was haltet ihr davon, wenn wir da jetzt mal hingehen? Juliette, wie kommst du heim?“
„Mein Bruder kommt in einer halben Stunde, danke nochmal für alles. Bis Montag, Nelly. Du bist echt nett.“
Das blonde, schlanke Mädchen mit den braunen Augen winkte ihnen noch einmal, als sie in Richtung Erbach liefen. Am Polizeirevier angekommen, stellte Leon seinen Kollegen den Cousin und dessen Freundin vor. Alle waren entspannt, selbst der Chef kam von oben, um den Besuch zu begrüßen. Nelly trat von einem Fuß auf den anderen, so aufgeregt war sie, weil sie an ihren Polizei-Aufenthalt denken musste.
„Wollt ihr noch die Zellen im Keller sehen?“, fragte eine blonde, junge Frau in Uniform.
„Klar, falls wir mal festgenommen werden, wissen wir wenigstens schon, wo wir schlafen“, rief Paolo.
Die Frau lachte und ging mit ihnen in den Keller. Die karge, geflieste Zelle war alles andere als einladend, aber es war ja kein Hotelzimmer. Mit so einer Zelle hatten die drei Männer aus der Clique damals sicherlich Bekanntschaft gemacht. Nelly wischte den Gedanken schnell weg und war froh, wieder auf dem Parkplatz zu stehen. Die junge Frau und ihr schweigsamer Kollege waren mitgekommen. Sie liefen auf den Dienstwagen zu.
„Wir fahren jetzt eh unsere Runde und da bringen wir euch nach Haus, wenn ihr wollt.“
Paolo und Leon nickten, Nelly musste lachen, denn ihr Freund freute sich wie ein kleiner Junge, der mal im Polizeiauto fahren darf. Später bestellten sie Pizza und saßen zusammen vor dem Fernseher.
„Hast du eine Pistole?“
Leon schaute Nelly mit großen Augen an, so unvermittelt kam die Frage.
„Ja, ich habe eine Pistole.“
„Aber du machst doch erst Praktikum?“
„Wir lernen in der Ausbildung recht früh schießen. Es muss ja sein, falls wir uns im Einsatz mal verteidigen müssen. Stell dir vor, ein Verbrecher steht mit einer Waffe vor mir und ich kann nichts tun. Natürlich ist das der allerletzte Ausweg.“
„Der Freund meiner Mutter war auch Polizist. Er ist im Dienst erschossen worden, als er einem Kollegen helfen wollte. Wenn du mein Freund wärst, hätte ich immer Angst um dich.“
„Keine Sorge, Nelly, dass man mal in eine gefährliche Situation kommt, kann schon passieren, aber wir haben eine gute Ausbildung. Wie war das bei dem Freund deiner Mutter?“
Nelly erzählte die Geschichte von Arne und auch Paolo hörte gebannt zu. Er wusste, dass sie Arnes Grab immer auf dem Friedhof besuchten, aber so genau hatte noch nie jemand berichtet, was passiert war.“
Sanft sagte Leon: „Das ist schlimm, ich hoffe, ich komme nie in so eine Situation. Aber gerade hier im Rheingau ist es ziemlich ruhig. In großen Städten lauern mehr Gefahren.“
Sie sprachen noch über Leons Arbeit und die langen Schichten, bis Nelly gähnte.
„Morgen fahren wir schon wieder heim. Danke für deine Gastfreundschaft, Leon. Ich hoffe, du kommst auch mal wieder zu uns auf das Weingut.“
„Gerne, dann kann mir dein Freund ja mal zeigen, was es bei euch so zu tun gibt. Und du schaust die am Montag nochmal diese Juliette an. Wenn sie noch Schmerzen hat, sollte sie zum Arzt gehen.“
Sie sagten Gute Nacht und schliefen am nächsten Morgen lange, um dann in Ruhe zu frühstücken. Da Nelly noch Chemie lernen musste, machten sie sich am Mittag auf den Weg zurück ins Weingut.
Sie hielten kurz bei Katja und Christian, die auf der Terrasse saßen und dann war ihr erster gemeinsamer Ausflug auch schon vorbei. Nelly machte es sich mit den Chemiesachen im Schaukelstuhl bequem und Paolo half noch ein bisschen bei Benjamin.
Eng aneinander gekuschelt lagen sie später im Bett.
„Das mit Arne tut mir leid“, sagte Paolo leise.
„Es ist lange her, da war ich noch ganz klein, aber ich kann mich sehr gut an ihn erinnern. Arne war ein ganz toller Mensch. Hoffentlich passiert Leon nichts.“
„Er wird auf sich aufpassen. Schlaf jetzt, Süße, damit du morgen den Test schaffst. Gute Nacht.“