Читать книгу Affären einer Pharmareferentin - Ute Richter - Страница 5
ОглавлениеIm Sommer 2003 hielt eine Hitzewelle ganz Nordrhein-Westfalen in Atem. Die Quecksilbersäule kletterte täglich auf mehr als dreißig Grad im Schatten und nur die Abende versprachen etwas Abkühlung. Diese Hitze zog sich schon mehrere Wochen hin – einfach unerträglich für Mensch, Tier und Natur.
Erbarmungslos schickte die Sonne ihre aggressiven Strahlen auf Reisen und vernichtete somit Blumen, Pflanzen bzw. jegliche Vegetation. Für die Landwirtschaft bedeutete dies eine totale Katastrophe.
Viele Menschen verharrten tagsüber in ihren Wohnungen und erst spätabends, wenn die Temperaturen etwas sanken, öffneten sie Fenster und Türen.
Alte und Kranke setzten sich im Freien großen Gefahren aus.
In Ambulanzen und Kliniken herrschte Hochkonjunktur, das Martinshorn schrillte pausenlos durch die fast menschenleeren Straßen der Innenstädte und unterbrach somit die ungewohnte Stille.
Susi strömte der Schweiß aus allen Poren.
Tag für Tag fegte sie mit ihrem Mittelklassewagen den schwarzen Asphalt des Ruhrpotts, um als Pharmareferentin ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
Die durchaus attraktive, selbstbewusste Frau von Anfang vierzig lebte nach dem Grundsatz:
„Lieber mit vierzig würzig, als mit zwanzig ranzig!“
Diese Lebensphilosophie hatte sie in den letzten Monaten davor bewahrt, den Gashahn in ihrer kleinen Zwei-Zimmerwohnung aufzudrehen bzw. andere Methoden anzuwenden, um ihrem Dasein ein Ende zu bereiten. Es fiel ihr schwer, allein zu leben.
Rolf war ihr zwanzig Jahre lang ein treuer Freund und guter Kamerad gewesen, aber genau das genügte ihr mit der Zeit nicht mehr, und sie trennte sich von ihm.
Die wilde Leidenschaft, die in ihr schlummerte und die sie nur noch aus Filmen und Zeitschriften zu kennen glaubte, machte ein unzufriedenes Biest aus ihr.
Seit ein paar Jahren bemühte sie sich als Pharmareferentin, das gesamte Ruhrgebiet zu erobern. Sicher keine leichte Aufgabe! Ein Firmenwagen wurde ihr zur Verfügung gestellt, um eine Arztpraxis nach der anderen abzuklappern.
Obwohl Susi anfangs in dieser Aufgabe eine echte Herausforderung sah, fehlten ihr mittlerweile schlechthin jegliche Erfolgserlebnisse. Dennoch gab sie ihr Bestes für die Herren der Chefetage des gigantisch großen Pharma-Konzerns.
Manchmal spielte sie mit dem Gedanken, sich vom Außendienst zu verabschieden. Doch auf ihre gewissen Freiheiten, wie z. B. eigene Zeiteinteilung und den Mittelklassewagen wollte sie auf keinen Fall verzichten. Seit Rolf aus ihrem Leben verschwunden war, hatte ihr dunkles Haar wieder etwas an Länge gewonnen. Dies ließ sie viel jünger aussehen. Susis große Augen, die auch tagsüber giftgrün leuchteten, waren typische Katzenaugen!
Mit Konfektionsgröße 42 zählte sie nicht zu den absoluten Modeltypen, doch bei einer Länge von 1,75 m konnte man sie noch unter „schlank“ einordnen. Alle bisherigen Diäten blieben erfolglos.
Gewöhnlich hatte sie nach Beendigung der Fastenzeit den unerwünschten Jojo-Effekt erreicht und noch ein paar Pfunde zugenommen. Sie hatte einmal gelesen, dass es Männer geben soll, die jedes Pfund an ihrer Frau lieben, nach dem Motto „Alles meine!“
Susi konnte keine Kinder bekommen, hatte viele Jahre darunter gelitten, weil sie sich nicht feminin genug und somit zweitklassig fühlte. Auch ihre Beziehung zu Rolf ging letztendlich deswegen den Bach runter. Doch inzwischen war der Kinderwunsch erloschen und andere Prioritäten bestimmten ihr Leben.
Was ihr gestern noch so wichtig schien, war heute vom Blickfeld des Tellerrandes verschwunden. Was konnte sie denn noch von ihrer Zukunft erwarten? Vielleicht hatte sie die Illusion im Kopf, den Traummann ihres Lebens zu finden? Und warum auch nicht? Schließlich träumen viele Frauen vom Ritter auf dem weißen Pferd, doch bei Susi durfte er auch im roten Ferrari auftauchen.
Warum passierte das komischerweise immer nur den anderen Frauen oder auch Weibern, die es ganz und gar nicht verdienten, wie Divas von ihren Gönnern verwöhnt zu werden?
Genau hier lag der Punkt, der Susis „gewöhnliches“ Leben so unerträglich machte. Ihre innerliche Unzufriedenheit wuchs von Tag zu Tag und die Angst, am wahren Leben vorbeizugehen, schien ihr langsam zum Verhängnis zu werden.
Vielleicht hatte sie nicht mehr viel Zeit, schon bald könnte sie eine schlimme Krankheit dahinraffen?
Ihr Lebenstraum bestand darin, ein Haus am Meer (irgendwo in der Normandie) zu besitzen. Natürlich nicht allein! In einer harmonischen Partnerschaft gemeinsam alt zu werden, schien ihr vernünftiger. Susi musste sich also einen Mann angeln! Aber wie zum Teufel? Auch ihr übereifriger Chef, Herr Mutz, würde sie davon nicht abhalten können, denn schon viel zu lange hatte sie kein Privatleben mehr, und lebte einzig und allein für ihre Arbeit.
Außerdem – was sollte das ständige Streben nach besseren Verkaufszahlen? Immerhin war Susi nicht die Schlechteste in dieser Region. Mutz konnte sie keineswegs mehr motivieren mit seiner ewigen Nörgelei, für die er im Distrikt bestens bekannt war.
Die Härte für Susi war, wenn er sich ansagte, um sie einen ganzen Tag zu begleiten. Schon eine Nacht zuvor konnte sie nicht schlafen und schluckte Anti-Depressiva bzw. Beruhigungstabletten.
Er war ein wirklicher Schleimer und wollte stets der Beste sein unter allen Regionalmanagern.
Nur weit gefehlt, denn auch sein großer Boss kannte seine kleinbürgerliche Denkweise, die ihn wie einen absoluten Spießer rüberkommen ließ. Das hielt Mutz dennoch nicht davon ab, von einem dicken, fetten Sessel in der oberen Chefetage zu träumen.
Für so einen Mann möchte Susi niemals die Socken waschen müssen. Allein der Gedanke erfüllte sie mit Brechreiz.
Er war ziemlich klein von Wuchs, stark untersetzt, weil er sich den ganzen Tag etwas unter seiner Nase reinschob, beinah kahlköpfig und darum kämmte er die spärlichen Haare von links nach rechts und brachte dieses Gebilde mit einer Dose Haarspray in Form. Nach dem Motto von Drei-Wetter-Taft: „Wesel – die Sonne brennt – … “
Susi wollte zu gern wissen, wie er wohl aussehen würde, wenn es wie aus Kannen gießt, aber der Pedant hatte immer einen Schirm dabei. Kein Wunder, dass diese Schießbudenfigur keine Frau abkriegen konnte.
Dennoch schien es angebracht, diese Antisympathie ihm gegenüber geschickt zu verbergen. Bei der angespannten Arbeitsmarktlage wäre es nicht auszudenken, wenn sie ihren Job verlieren würde.
Darum blieb Susi lieber still und schwamm mit der breiten Masse mit – nach der Devise: ‚Nur nicht auffallen!‘
Ihren Kollegen im Distrikt konnte sie wenig Vertrauen schenken und private Kontakte untereinander bestanden nicht.
Das Arbeitsleben war nicht mehr das, was es früher mal war. Ethische Begriffe, wie Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit etc. hörten sich wie Fremdwörter an.
Dafür tauchten täglich neue amerikanische Bezeichnungen wie z. B. Mobbing auf, mit denen jeder heute oder schon morgen konfrontiert werden konnte.
Um weiteren Gefahren aus dem Wege zu gehen, dachte sie sich einen perfekten Plan aus. Sie musste taff bleiben und wollte die übliche Durchschnittlichkeit der meisten Frauen in den Schatten stellen. Darum beschloss sie, ihr Leben fortan so zu verändern, dass sie innerhalb kurzer Zeit keine finanziellen Sorgen mehr haben würde. Ihre Rente, die laut ihren Berechnungen mehr oder weniger bescheiden ausfallen würde, verschaffte ihr regelrecht Albträume. Oft genug hatte Susi von einem Zehn-Punkte-Plan in der Politik gehört, wenn die Großen nicht weiter wussten. Sie musste etwas Adäquates tun, um schneller ans Ziel ihrer Träume zu kommen.
Entschlossen brachte sie einen „ABC-Plan“ zu Papier. Susi wusste genau was sie tat, denn sie wollte den Spätsommer sowie den Herbst ihres Lebens genießen, nachdem es Frühling und Sommer nicht so gut gemeint hatten mit ihr.
Und der Winter könnte viel Kälte mit sich bringen, wenn er dann überhaupt noch käme.
Skrupel kannte sie in ihrer Vorgehensweise nicht, denn sie würde nach dem Alphabet vorgehen und sich einen Arzt nach den anderen vornehmen, ihren Charme spielen lassen, und vielleicht … naja … somit den Richtigen finden.
Fingerspitzengefühl und Taktik waren keine Fremdwörter für Susi. ‚Also auf geht’s!‘ dachte sie.
Bei A dachte sie sofort an den netten und freundlichen Dr. Albertino, der ursprünglich aus Italien stammte.
Zu seiner Praxis-Einweihungsfeier war sie ihm zum ersten Mal begegnet. Neben dem Strauß Blumen, der natürlich bei solch einer Angelegenheit dazugehört, hatte Susi eines ihrer Werbegeschenke dabei und das war leider nicht so treffend, denn es handelte sich hierbei um ein gewöhnliches Fernrohr. Vielleicht passend für einen Augenarzt!?
Aber Dr. Albertino war nun mal Gynäkologe!
Ein peinlicher Auftritt für Susi.
Inzwischen hatte Susi ihre Hausaufgaben gemacht und genau dieser Dr. Albertino sollte in ihrem ABC-Plan das erste Opfer bzw. ihre allererste Versuchung sein.