Читать книгу Franziska von Hohenheim - Die tapfere Frau an der Seite Carl Eugens - Utta Keppler - Страница 5

Die Spazierfahrt

Оглавление

Franziska hatte die Woche vor der Spazierfahrt in einer trostlosen Stumpfheit zugebracht. In der Nacht zum Sonntag lagen beide Schwestern wach in ihrem Zimmer. Louise sprach der Jüngeren gut zu, sie fände den Reinhard gar nicht so übel, er habe immerhin Geschmack, sei ein gebildeter Mann und könne sich unterhalten, wie es einem adligen Herrn zukomme. Sie selber, Louise, würde im gleichen Fall schon mit ihm fertigwerden.

Ob das ihr Ernst sei? fragte Franziska begierig, ob sie sich wirklich getraue, mit diesem Menschen zu leben?

Louise zögerte; ganz deutlich hatte sie sich das noch nie ausgemalt. Sie spürte, wie Franziskas heiße Hand in der ihren zitterte.

„Warum nicht?“ sagte sie tapfer. „Und übrigens hat er ja noch gar nicht gewählt.“

Franziska seufzte auf. Sie wußte besser, daß Leutrums Entscheidung schon lange gefallen war. Aber sie klammerte sich an die vage Hoffnung, er könnte vielleicht doch Louise …

Der Morgen kam, ein nebliger Maimorgen mit feinem Sprühregen. Die Blätter der Linde glänzten. In Schwaden wogte das Licht aus der Verhangenheit. Leutrums Wagen fuhr in den Hof ein, die Kleinen stießen sich befriedigt an. „Wie eine richtige Wurst!“ stellte Juliane überzeugt fest.

Prachtvoll geschirrte Pferde zogen das lange braunlackierte Fahrzeug, zwei Lakaien standen hinten, und einer saß neben dem Kutscher, alle in Leutrumscher Livree.

Der Freier hatte es so arrangiert, daß Franziska neben ihm Platz nehmen mußte. Er werde sonst geblendet, erklärte er halblaut, wenn er gezwungen sei, immerzu in die Augen eines so reizenden Vis-àvis zu blicken.

Franziska verbarg ihr Gesicht hinter einem Fächer, schaute angestrengt aus dem Fenster und bog sich soweit als möglich von dem eifrig Redenden weg. Man fuhr durch den leichten Regen, eine Plane war aufgespannt worden. Die Kleineren zappelten vor Unternehmungslust, Vater und Mutter saßen stumm und würdig dazwischen.

Franziska beobachtete wieder verstohlen Leutrums lange gelbe Hand, die auf seinem Knie lag; Smaragde und Rubine machten sie nicht liebenswerter, und das silbrige Spitzengeriesel am Ärmel wirkte darüber wie ein stilloser Zierat. Verborgenes, vielleicht unbewußtes Leiden schien in dem verästelten blauen Geäder eingedrückt.

Louise fiel ihr halbes Versprechen ein. Erstaunt beobachteten die Eltern, wie sich die Ältere, die Brauen ernsthaft zusammengezogen, an den Baron wandte, während das Schwanken des Wagens auf den unebenen Wegen sie schaukelte. „Sie haben so reizend vom Hof zu Ludwigsburg erzählt, Herr von Leutrum“, sagte sie mit einem nicht ganz glaubwürdigen Lächeln, „daß ich wohl Lust hätte, diese Feeninsel und Märchenfülle zu erleben. Wenn Sie es auf sich nehmen könnten, mich einmal hinzuführen?“

Frau von Bernerdin stieß erregt ihren Fuß gegen Louises Bein, das der dunkelrote Rüschenrock verdeckte.

Louise verlor ihre krampfhafte Heiterkeit und schickte einen verzweifelten Blick zu Franziska hinüber, die müde den Kopf schüttelte.

Leutrum lachte; er werde es sich zur Auszeichnung rechnen, der teuren Familie sein kleines Ludwigsburger Haus vorzuführen.

In einer nassen Waldschneise begegnete dem Gefährt eine Holzfuhre, die ein struppiger Greis über den Pfad zerrte. Er erschrak, hetzte weiter und wäre beinahe gefallen. Dann hielt er am Wegrand und zog die verbeulte Kappe. Er bückte sich, bis ihm die grauen Strähnen ins Gesicht fielen. Bernerdin grüßte. „Der gehört nicht mehr zu unserer Herrschaft, sondern zur herzoglichen“, sagte er mit einem Blick auf den zerfetzten Rock des Gebeugten. „Aber die Leute hier dürfen nur selten Holz sammeln; und dieses treibt jetzt schon und ist ganz feucht.“

Sie fuhren vorbei.

„Besser als keins“, meinte Leutrum leichthin. Franziskas Augen streiften sein verwelktes Gesicht mit dem zynischen Mund. „Er ist vor lauter Bitterkeit alt und böse geworden“, dachte sie und spürte, wie sie erstarrte.

In der welligen Felderebene tauchten die Neresheimer Klostertürme auf, vom Baugerüst wie von leichten Gittern umsponnen. Die Pferde gingen im Schritt die Allee hinauf. Leutrum wies mit dem Stöckchen vorwärts; Franziska beugte sich weg. Er legte behutsam und wie probierend den Arm um ihren Nacken. Es war eine Berührung ohne Aufdringlichkeit. Trotzdem wischte sie leicht mit den Fingern über ihre Schulter und streifte ihn ab. Bernerdin lächelte mühsam. Louise vermied es, Franziska anzusehen; sie grübelte beständig darüber nach, wie sie ihr helfen könnte.

Inzwischen kam die Kutsche im Klosterbezirk an. Leutrum bemühte sich um die Damen, die ihre Reifröcke mit zierlich vorgestreckten Füßen aus der Wagentür quetschten.

Franziska hielt die Schwester zurück. Die übrigen traten ins Haus, um das Essen zu bestellen.

„Kannst du dir denken“, flüsterte Franziska scheu, „daß der einmal ein ausgelassener Bub war? Und er soll erst dreiundzwanzig sein!“

„Das Jungsein hat ihm wohl die Hofettikette ausgetrieben“, tröstete Louise halblaut. „Aber wir müssen jetzt hinein.“

Nach der Mahlzeit in der Klosterschenke schlug Leutrum vor, den berühmten Neresheimer Kirchenbau zu besichtigen, das letzte Werk des großen Balthasar Neumann, das seit dem Tod seines Schöpfers nun schon zwölf Jahre lang verwaist liege. Es gebe keinen mehr, der es wage, die kühnen hölzernen Gewölbekonstruktionen des Meisters auszuführen. Man erzähle, daß sein Sohn an einem vereinfachten Plan arbeite, der freilich wohl nur einen großartigen Torso zutage bringen würde.

Leutrum plauderte angerept und unermüdlich über Baukunst – er hatte vorher einiges Passende gelesen. Er deutete in die Wölbungen der Decke, wo der Maler Knoller seine Fresken auf dem Verputz skizziert hatte.

Bernerdin wollte den Künstler besuchen, aber Knoller war nicht bei seinem Werk. Oft genug – klagten die frommen Brüder bekümmert – hingen nur seine Stiefel oben, er selber sitze in der Klosterschenke statt auf dem Gerüst. Und dabei sehe es von unten aus, als arbeite er demütig und hingegeben an irgendeiner irdischen Rundung oder himmlischen Schwingung. Es sei ein Jammer mit den Herren Künstlern!

Da die Bemalung sich erst in matten Wolken, in schwebenden Farbtönen zeigte, wirkte die Architektur der Bögen um so stärker. Die Balustraden und Gewölbeecken öffneten immer neue Durchblicke. Es war, als vollziehe sich ein großartig bewegtes Theater für die Augen, als schwebten und wogten die Formen in feierlichem Rhythmus gegeneinander. Franziska starrte gebannt hinauf und zog mit dem Finger die Linien in der Luft nach, als wollte sie den großen Plan aufzeichnen.

Während der Rückfahrt sprach Bernerdin über die vielfältigen religiösen Strömungen in dem kleinen Württemberger Land und merkte, wie ein Schatten über Leutrums flache Stirn lief, als er mit Sympathie von den Pietisten reden hörte. Sie seien das Salz der Kirche, meinte der Freiherr, auch wenn man es nicht immer wahrhaben wolle. Sie hätten einen tiefen Ernst und eine Einsicht in die Lage des Volkes, von der man bei Hof manches annehmen dürfte.

„Aber sie murren oft genug, und ihre Prediger halten nicht immer die gebührliche Subordination ein, sie haben hier und dort etwas auszusetzen am allergnädigsten Fürsten; Serenissimus liebt keinen engeren Kontakt mit diesen kleinen Leuten, so generös er sonst in Sachen der Konfession ist!“

„Er kümmert sich überhaupt nicht um die Religion“, tadelte Bernerdin, „und das ist etwas ganz anderes als bei seinem königlichen Oheim in Brandenburg – der gönnt es jedem, die Seligkeit auf seine Façon zu erlangen, und hält doch alle in der Ordnung.“

„Friedrich“, murrte Leutrum gelangweilt, „der sich als Mentor unseres allerhuldreichsten Fürsten aufwirft, weil er seinen Ehevertrag mitgarantiert und ihm in seinen Anfängen etliches geholfen hat … Wir machen uns immer unabhängiger von ihm, und wenn er die Subsidienverträge nicht gutheißt …“

Bernerdin schlug sich mit der Hand aufs Knie. „Den Soldatenhandel sollte er längst verbieten und nicht befehlen, der Herzog! Menschen verkaufen! Aber dahinter steckt dieser Schmeichler Montmartin, dieser gewissenlose, charakterlose … und das will ein Mann von Adel sein, ein Graf? Und der oberste Minister in Wirtenberg?“

„Soldatenhandel?“ warf Leutrum hin, „es tun’s doch alle: Der Hesse, der Bayer, alle brauchen Subsidiengelder, und wer zahlen kann, kriegt, was er will.“

Bernerdin schwieg.

Da unterbrach Leutrum die mißmutig lastende Stille mit einer Einladung. Man müsse doch das Corps de Logis in Ludwigsburg besehen und das kleine Palais, das den Kammerherren und Reisemarschällen zustehe, unter die er sich bald zu zählen hoffe. Niemand widersprach. Frau von Bernerdin verneigte sich zustimmend. Leutrum dankte; er freue sich ungemein, sagte er höflich. Aber dann verfiel er wieder in sein trübseliges Sinnieren. Nach der Heimkehr nahm er keinen Imbiß mehr an, verabschiedete sich rasch und schaute nicht zurück, als seine Karosse gegen die Wälder einbog. Da saß er versponnen und niedergedrückt in der Wagenecke und spielte mit seinen Ringen. Er sah sich wieder im Neresheimer Klostergewölbe, unter Pfeilern und Laibungen.

„Der Neumann hat’s aufs Papier gerissen“, grübelte er, „nur die vollkommene Gestalt hat er nicht mehr erlebt. Ein gigantischer Wurf. Aber jetzt wird’s verstümmelt und vertan, und was bleibt, ist ein Krüppelgewächs – wie ich!“

Der Ludwigsburger Schloßhof lag im Mittagslicht. Louise lief. Glücklicherweise hatte sie noch keiner gefragt, wer sie sei und wo sie hin wolle. Drunten im Park saßen die Ihrigen mit Leutrum und schwatzten. Man versuchte das neue, in Italien erfundene Eisgericht, das Casanova eingeführt hatte. Louises „kleiner Gang durch die Parkwege“ hatte bisher niemanden beunruhigt.

„Ich werde die Leute vom Hof nicht anreden“, dachte Louise am Tor, „hier können mir ja die kleinen Kinder sagen, wo ich den Herzog finde.“

Im weiten Umkreis des Innenhofs lagen die Schloßgebäude. Sie schaute sich neugierig um. Drüben ging ein Diener mit einem Korb voll Weinflaschen auf eine Tür zu, aber ehe sie ihm nahe genug war, um zu rufen, verschwand er schon im Eingang.

Da kam wieder ein älterer Livrierter quer über die Hofbreite, langsam, als müßte er seine Würde samt seinen weißen Strümpfen deutlich zur Schau stellen. Louise ging auf ihn zu. „Verzeihen der Herr, bitte“, redete sie ihn an, da er ihr durchaus einige Stufen über den Adelmannsfelder Bedienten zu stehen schien. Der Lakai drehte sich erstaunt um; er hatte die junge Dame im Vorbeigehen ganz richtig als ländliches Adelsfräulein eingeschätzt und wunderte sich, daß sie allein kam. „Sie befehlen, Mademoiselle?“ fragte er bereitwillig.

„Ist der Herzog hier?“ entfuhr es der aufgeregten Louise. Der Diener wurde um einige Grade steifer und legte die behandschuhten Finger an die Hosennähte. „Seine Durchlaucht erteilen seit acht Uhr Audienzen“, rapportierte er in dienstlichem Ton. „Sind die gnädige Demoiselle dafür vorgemerkt?“ Louise stockte nur einen Moment. Aber hier bot sich ihr das Stichwort, das sie brauchte. „Allerdings, und dringlich!“ stieß sie hervor, und wiederholte noch einmal: „Ganz dringlich!“

„Und wen darf ich dem diensttuenden Kammerherrn melden lassen?“

„Meld Er“ – sie verbesserte sich – „melden Sie die Demoiselle de Bernerdin in einer ganz persönlichen Angelegenheit!“

„Jawohl, Euer Gnaden“, bestätigte der Alte devot und verbeugte sich, nicht ganz so wie vor den herzoglichen Verwandten, aber doch wie man etwa eine der Hofdamen oder eine Freundin der Hauptmaitresse grüßte. Louise wurde in einen Vorraum gebeten, sie sah vor zitternder Erwartung gar nicht, in welches Gebäude, durch wie viele Flure und Türen es ging; und dann wurde sie ersucht, auf einem der seidenen Stühlchen Platz zu nehmen; sie tat es nur mit einem winzigen Teil ihrer selbst, so daß sie gerade noch vor dem Abrutschen bewahrt blieb. Um sie herum saßen und standen allerlei Leute, sie verschwammen vor Louises Augen zu einer undeutlich wogenden Masse, fast wie bunte Fische im Aquarium.

Ein dunkel gekleideter Herr mit Orden erschien unter einem geschnitzten Portal und ließ sich von einem rotbefrackten Lakaien die Neuhinzugekommenen nennen; Louise war darunter. Ihr erster Begleiter hatte ihren Namen mit bedeutsamer Miene angegeben, und betont wurde er jetzt weitergeflüstert, nachdrücklich dem Minister, geheimnisvoll schließlich dem Herzog gemeldet … Carl Eugen hörte schon seit Stunden Anliegen und Anerbieten und war müde; als ihm aber eine ansehnliche junge Dame von Adel präsentiert wurde, ließ er sie schon nach einer Viertelstunde hereinkomplimentieren.

Louise war ein wenig verstört, durchs Warten ängstlich geworden, und wischte verlegen über ihr wirres Haar, zupfte am Ausschnitt, strich über die Rockfalten. Sie trat in ein kleines Kabinett, trippelte vorsichtig über spiegelndes Parkett und wagte nicht aufzuschauen. Endlich – knapp vor dem Schreibtisch, sank sie zu dem gelernten Hofknicks zusammen. Sie rutschte ein wenig aus mit dem zurückgestellten Fuß, schwankte halb in der Hocke, trat auf die Rockrüsche und fiel vollends zu einem unbeabsichtigten Fußfall nieder. Sie schaute verzweifelt auf, sah schwarze ausgeschnittene Lackschuhe, weißseidene Hosen mit goldenen Strumpfbändern, sie registrierte alles mit der Exaktheit der Verzweiflung. Ein leises gurrendes Gelächter rollte sanft über sie hin, sie lag noch immer hingegossen in ihren fließenden Kleiderfalten und riskierte es endlich, den Kopf ganz zu heben.

Carl Eugen lächelte aus kleinen Augen. Er beugte sich ein wenig vor und bot ihr die Hand zum Aufstehen. Dann warf sie den ersten bewußten Blick auf ihn: Ein starker, sehr selbstgewisser Mann saß vor ihr, gewichtig und überlegen. Die gewölbten Brauen waren hochgezogen, der Mund verbog sich zu gutmütigem Spott: Das drang sekundenschnell in Louises jetzt überwaches Bewußtsein.

Aber dem Herzog dauerte die Verblüffung der jungen Dame zu lang.

„Nun, was führt Sie her, Demoiselle?“ fragte er und betrachtete die gebeugt Stehende in ihrem grauseidenen Gewand. Sie schien ihm nicht ganz das, was die Wichtigtuer ihm hatten nahelegen wollen, keines der verfügbaren Mädchen, und ihre Erregung deutete eher auf große Not als auf kokette Berechnung hin. Er wartete also ein paar Augenblicke. Louise zwang sich zum Reden.

„Durchlaucht, bitte tausend-, hunderttausendmal um Vergebung – ich … ich komme nicht wegen mir – es ist wegen meiner kleinen Schwester, der Franziska!“

„Ach?“ machte der Erhabene gemütlich, „was fehlt denn dem Fräulein Schwester?“

„Sie soll doch heiraten!“

„Ist das denn so schlimm?“

„Manchmal schon, Durchlaucht!“ flüsterte die Bittstellerin.

Carl Eugen mochte an eigene Erfahrungen denken und seufzte. „Ja, es kann schlimm werden, manchmal …“

Louise faßte Mut; es eilte ohnehin, denn schon spähte ein Lakai mahnend durch den Türspalt.

„Durchlaucht“, setzte sie wieder an, „sie soll den Leutrum kriegen – er ist ganz krumm und sehr klein, und sie mag ihn gar nicht, und sie ist erst sechzehn und so zart und hell und …“

„Nehmen Sie immerhin einen Stuhl, Demoiselle!“

Der Herzog deutete auf einen der imposanten goldgerahmten Fauteuils aus rotem Samt.

Louise dankte; sie blieb lieber stehen, falls doch noch ein Kniefall nötig werden sollte. „Euer Durchlaucht haben dabei gewiß ein Wort mitzureden – zu befehlen, mein’ ich. Und da wollte ich alleruntertänigst bitten, dem Leutrum zu bedeuten … zu verbieten … ach, Durchlaucht wissen es gewiß selbst am besten!“ Sie schloß aufatmend und erschöpft den Mund.

„Der Leutrum?“ erkundigte sich der Herzog, „der ist mir wohlbekannt; sein Vater ist Ritterschaftsrat des Kantons Kocher, Baden-Durlachscher Geheimderat … ja, da kann sie doch eigentlich zufrieden sein, Ihre kleine Schwester, nicht?“

„Das sagt mein Vater auch, aber der Leutrum …“ „Ich weiß, er ist nicht gut gewachsen, kein Mensch, der den Frauen gefällt. Und Ihre Franziska – ist sie schön?“

„Sehr! Wunderschön, Durchlaucht, und paßt gar nicht zu so einem … Zwerg!“

„Hm“, brummte der Herzog, „so arg ist’s ja nicht gerade. Kennt sie denn den Freier schon?“

„Ja, leider.“

„Und liebt einen anderen, wie das in solchen Fällen ist?“

„Nein, nein, Durchlaucht, niemand, bloß – der Hauslehrer hat ihr einmal ein Gedicht gebracht, und da hat ihn der Vater mit Prügeln fortgejagt.“

„Also – in Adelmannsfelden dichten sie auch, das liegt den Schwaben scheint’s im Blut … War’s denn ein Hymnus oder eine Ode, was der Dorfschulmeister da zusammengereimt hat?“

Sie merkte den Spott nicht. „Ich weiß nicht recht“, kam es stockend, „halt ein schöner Vers. Ich kann bloß noch den Schluß:

Die kühne Hoffnung, die mich längst erfüllt,

Seit ich dich sah, du süßes Engelsbild,

Will jetzt im Unglück wirklicher erscheinen.

Der demutsvoll zu deinen Füßen kniet,

Weiht dir, verehrte Franzel, dieses Lied:

Laß mich dir dienen, laß mich mit dir weinen.“

Carl Eugen lachte amüsiert. „Hm, gar nicht so schlecht! Aber was denkt sich der Mensch eigentlich? Nichts? So ist das also mit der Franzel! Nun, ich werd mir den Leutrum für irgendeine Dekoration vormerken und die kleine Schwester auch bestellen und ihr gut Zureden. Gehen Sie nur heim, Mademoiselle, einen Gruß an den Herrn Vater und an die – Franziska!“

„Die wissen’s gar nicht!“ platzte Louise heraus, „ich bin einfach weggelaufen!“

Jetzt lachte Carl Eugen, und er lachte noch, als Louise mit einem scheuen und vorsichtshalber nicht allzu tiefen Knicks verschwand. Dann vergaß er die Angelegenheit sofort.

Auf den Gängen und Treppen mußte sich Louise ohne Geleit zurechtfinden. Sie lief, als würde sie gejagt, um möglichst schnell aus dem Labyrinth dieses bedrückend weitläufigen Baues hinauszukommen. Aus einem Seitengang hörte sie Gelächter, Frauenstimmen und das Getrippel vieler Füße. Eine Gruppe junger Damen wogte schwatzend durcheinander wie gefiederte Vögel, schillernd in Seide und Spitzen. Ihre gepuderten Haare sahen aus wie eine einzige Wolke von Flaumfedern, so nah standen sie beieinander. Louise fragte schnell nach der Treppe zum Park. Sie kicherten und winkten; eine der Jüngeren trat auf Louise zu, um ihr den Weg zu weisen. Man sah sie bedauernd und belustigt an; dann blieb alles zurück, das klirrende Gelächter und die glitzernde Schar, die ganze fremde, verlockende, undurchschaubare Welt des Hofes.

Als Louise sich auf dem großen Vorplatz umsah, entdeckte sie über die Fläche hinweg ihren Vater, Leutrum, die Mutter mit Franziska und die kleinen Schwestern. Sie schlüpfte in eine Nische und wartete, bis alle ein wenig weitergegangen waren; zittrig, aber verwegen kam sie bei der kleinen Gesellschaft an. Man begrüßte sie erstaunt; aber sie hatte sich eine nette Geschichte ausgedacht: daß sie im Park mit einer Dame ins Gespräch gekommen sei, die sie ins Schloß geführt hätte. Sie sei jetzt noch ganz durcheinander von dem Vielerlei, was sie dort gesehen hätte. Louise nahm Franziska heimlich beiseite. „Franzel“, wisperte sie, „jetzt brauch ich beinah deinen Trost, und dazu noch deinetwegen!“ Franziska blickte sie verständnislos an.

„Ich hab’s recht machen wollen“, flüsterte Louise, „ich hab gedacht, jetzt kann keiner mehr der Franzel vom Leutrum helfen als der Herzog selber! Deshalb bin ich auch weggelaufen und hab mich bei der Audienz melden lassen und bin zugelassen worden, obwohl man sonst wochenlang drum eingeben muß …“

„Louise! Das hast du meinetwegen getan? Und der Vater? Und der Leutrum? O gute, gute Louise … das gibt ein Unglück!“

„Ich hab’ ja auch gar nichts erreicht“, beichtete Louise kleinlaut, „er hat mich angehört und gefragt, ob du einen anderen gern hättest, und er wollte einmal mit dir drüber diskutieren, und den Leutrum wollt er dekorieren, und du solltest halt zufrieden sein, er wär’ nicht ganz so übel, und die Ehe …“ Franziska drückte ihr die Hand auf den Mund. „Sag kein Wort mehr, damit der Vater nichts erfährt! Ich hoff nur, daß es der Leutrum nicht merkt. Und wenn der Herzog je mit ihm reden sollt’ und mit mir … wenn er mir einen Brief schriebe, mich zur Audienz beföhle, dann würde ja alles publik! Ach, liebste Louise!“

Beide schwiegen bedrückt; sie wagten sich kaum anzusehen, während man Leutrums Wohnung besichtigte. Franziska ging wie im Nebel mit und erkannte kaum, was sie umgab. Das angebotene Mahl lehnte Bernerdin ab, es werde Zeit, sagte er ernst, an den weiten Heimweg zu denken. Im Wagen klang alles nur noch wie ein Traum in Franziska nach, ein Alptraum, der sie immer mehr bedrückte, je unabwendbarer das Beschlossene herankam.

Franziska von Hohenheim - Die tapfere Frau an der Seite Carl Eugens

Подняться наверх