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RAS TSCHUBAI
22. November 1551 NGZ
Shari Myres Hände zitterten so stark, dass sie den Datenträger beinahe hätte fallen lassen, als sie ihn aktivieren wollte.
Verhalte dich wie ein verdammter Profi!, mahnte sich die gäonische Journalistin. Dennoch waren drei Versuche erforderlich, bis sie das kleine Gerät mit dem Multikom verbunden hatte.
Ihre Gedanken glitten immer wieder ab und kehrten jedes Mal zum Ausgangsort zurück.
Wie geht es meinen Kollegen im Sender?, fragte sie sich. Sie hatte in den letzten Stunden kaum Kontakt mit ihnen gehabt, kannte keine Einzelheiten. War jemand von ihnen gestorben?
Und ... war ihre Familie unverletzt? Hatten ihre Eltern den Mnemo-Schock gut überstanden? Die Nachrichten über Einlieferungen in die Krankenhäuser häuften sich. Viele Gäonen kamen nicht so gut zurecht ...
Aber sie war Journalistin. Sie war Profi. Sie schämte sich fast dafür, aber sie konnte nicht unentwegt an ihr persönliches Umfeld denken. Ihr Beruf drängte sich immer wieder in den Vordergrund.
Wem soll ich glauben?, fragte sie sich dann. Was kann ich glauben?
Arbo P. Dannan? Der Sternenadmiral hatte sie gefördert, ihr geholfen, an die Spitze der Medienwelt zu kommen.
Aber gerade bei ihrem jüngsten Auftrag hatte er sie falsch informiert, nachweislich die Unwahrheit gesagt, sie getäuscht und belogen. In dieser Hinsicht war sie geneigt, Syllester Ford zu glauben, dem ehemaligen Solastrator. Aber ein letzter Zweifel blieb ...
Ford behauptete, dass Sternenadmiral Dannan der Urheber des Putschversuchs sei, aber schlüssige Beweise hatte er keine. Genauso wenig wie Perry Rhodan, über den sie gerade eine Reportage zusammenstellte: Die Nacht der 100. Sie wollte darin einhundert Besatzungsmitglieder zu Wort kommen lassen, die über Perry Rhodan und die Terraner sprachen.
Sie hatte in den wenigen Tagen, die sie an Bord der RAS TSCHUBAI war, zwar erst etwa zehn Interviews geführt, doch deren Aussagen zeichneten ein ganz anderes Bild als das, das Dannan vom Handlanger des Wanderers an die Wand malte.
Die Journalistin atmete tief durch. Genau genommen hatte sie nicht eine Reportage erstellt, sondern zwei. Für die erste hatte sie eher positive Auszüge aus den Interviews zusammengeschnitten, für die zweite eher negative. Einige leicht verschiedene Nuancen bei den Kommentaren, und fertig waren die unterschiedlichen Versionen.
Die eine berichtete wohlwollend, die andere abwertend. Sie war gut in ihrem Job; solche Manipulationen waren ein Klacks.
Aber welche sollte sie nach Gäon senden?
Ford hatte sie fast überzeugt. Fast ...
Hat Poroi überlebt?, fragte sie sich dann. Der Gedanke kam wie aus heiterem Himmel und ließ keinen Platz für Dannan und Ford und die Wahrheit, die sie in den nächsten Stunden oder Tagen sowieso nicht erfahren würde. Der Mnemo-Schock kämpfte sich nach oben, die grausamen, quälenden Bilder von Tod und Vernichtung öffneten sich vor ihr, drohten sie hineinzuziehen in einen Sog aus Leid und Schmerz.
Nein! Ich darf mich dem nicht hingeben! Wer wusste schon, ob Perry Rhodan das nicht alles arrangiert hatte? Hatte Ford wirklich recht?
Ford, Ford, Ford ... Er hatte ihr Weltbild ins Wanken gebracht.
Sie spürte, wie Hitze in ihr emporstieg, ihr Gesicht durchdrang, wie ihr der Schweiß ausbrach und ihr Puls plötzlich raste, ihr Blutdruck ihren Schädel platzen zu lassen drohte.
Und dann ... dann war sie wieder nur nervös. Professionell nervös. Ungewohnt nervös.
Die Zeit raste. Sie musste sich zusammenreißen, schließlich hatte sie einen Job zu erledigen. Die Anspannung ergriff sie erneut und ließ sie nicht mehr los. Von dem kleinen Konferenzraum, den Perry Rhodan ihr zugewiesen hatte, hatte sie gute Sicht auf Teile der Zentrale der RAS TSCHUBAI. Dort hing, erstarrt in der Zeit, die dreidimensionale Darstellung des Thoogondus Ruogoovid.
Er war der Kommandant des soeben eingetroffenen Geschwaders der Thoogondu, das unter anderem fünfzig Pentasphären umfasste. Dann werden die Waffen sprechen müssen, hatte er gesagt, und seine Drohung hing noch in der Luft und machte ihr Angst.
Würde er tatsächlich die RAS TSCHUBAI attackieren? Die Thoogondu wussten nicht, worauf sie sich mit einem Angriff einließen. Auch sie selbst wusste es nicht. Einige sicherheitsrelevante Bereiche des Schiffs hatte sie nicht betreten dürfen.
Aber ihr Instinkt als gute Journalistin verriet ihr, dass das Schiff aus der Milchstraße einen Angriff wahrscheinlich nicht fürchten musste. Ganz im Gegenteil. Sie machte sich eher Sorgen darüber, was eine Eskalation des Konflikts für ihre Heimatwelt bedeuten würde.
Wo blieb die Verbindung mit Gäon? Eigentlich hatte sie für die Übertragung der Reportage und des Interviews, das ihr Haussender mit ihr führen wollte, ihr Multikom benutzen wollen, genauer gesagt eine seiner Spezialformen, die man mit einem Raumanzugfunk vergleichen konnte und die eine große Reichweite hatte.
Aber welcher Zauber-Funksender sollte bei 200.000 Kilometern Entfernung und interplanetaren Geschwindigkeiten durch 1500 Meter Spezialstahl, Hyperaggregate, Ringenergiespeicher und nicht zuletzt einen aktivierten Paratronschirm eine Verbindung mit einem Empfänger auf einem Planeten herstellen können?
Also lief das Gespräch über die Funkzentrale der RAS TSCHUBAI. Sie hatte Shari einen festen Kanal zugewiesen, der nicht überwacht wurde, wie man ihr versicherte.
Wieder etwas, das nicht zum Bild des Wanderer-Schergen passte. Der Admiral hätte in derselben Situation von ihr die Vorlage jedes zu sendenden Worts verlangt. Und auf nicht unerheblichen Korrekturen bestanden ...
Sie warf erneut einen Blick auf das Holo, das Kopf und Schultern von Ruogoovid zeigte. Er war ein älterer Thoogondu mit einer Linie verwachsener Knochenplatten am Hals, die auf eine frühere schwere Verletzung hindeuteten. Sein schlanker Kopf wies kaum sichtbare Adermuster auf, das Gesicht wurde von vergleichsweise schmalen Lippen geprägt. Als er seine Drohung ausgesprochen hatte, hatte seine Stimme kratzig geklungen, genau wie ihre eigene.
Aber bei ihr ging das auf eine Verdickung der Nasenscheidewand zurück, die sie nie hatte operieren lassen, weil ihre Stimme zu ihrem Markenzeichen geworden war. Jeder, der sie hörte, wusste sofort, mit wem er es zu tun hatte.
Und sie hatte bemerkt, dass der Kommandant der gondischen Westarm-Flotte oft die Daumen einer Hand in schnellem Takt aneinandertippte, wenn er auf etwas wartete oder nachdachte. Seltsam, was einer ausgebildeten Journalistin alles auffiel. Ein andere Gäone hätte wohl gar nicht darauf geachtet.
Es war ein Fehler gewesen, Ruogoovids Gesicht noch einmal in aller Ruhe zu betrachten. Ihr Unbehagen wurde stärker. Warum hatte Rhodan das verdammte Holo nicht ausgeschaltet? Ein kleiner psychologischer Trick? Wollte er die Zentralebesatzung der RAS TSCHUBAI damit permanent darin erinnern, welche Gefahr dem Schiff drohte?
Sie bezweifelte, dass das notwendig war.
Verdammt, wo bleibt die Verbindung? Was ist los auf Gäon? Wie geht es meinen Eltern?
Als hätte es ihr sehnliches Flehen erhört, bildete sich vor ihr ein Holo. ANANSI unterstützte sie bei der Übertragung. Wahrscheinlich nicht aus reiner Freundlichkeit. Das Zweite Solare Imperium war in Sachen Überwachung schließlich auch kein Lämmchen, und sie vermutete, dass der Bordrechner der RAS TSCHUBAI ihren Funk kontrollierte. Sollte sie sensible Daten transferieren, würde ANANSI einschreiten und die Verbindung sofort unterbrechen.
Aber sie hatte hoffentlich nichts zu befürchten. Sie hatte ANANSI mitgeteilt, dass sie die Reportage senden würde. Der Bordrechner hatte keine Einwände gehabt. Natürlich würde er den Bericht auf darin verborgene Inhalte untersuchen, das war ihr klar.
Es blieb die in ihrem Gewissen schwärende Frage, welche Fassung der Reportage sie nach Gäon schicken sollte.
Allerdings ... wenn sie ehrlich zu sich selbst war, hatte sie diese Entscheidung längst getroffen.
Das Holo zeigte nun einen Mann, der hinter einem Schreibtisch saß und einen ehrlichen, respektablen Eindruck machte: Crow Harrow, der allen, die es hören wollten, liebend gerne erzählte, dass seine Familie aus dem tiefsten Westen des nordamerikanischen Kontinents stammte und er somit einer der letzten reinrassigen Indianer aus dem Stamm der Krähen sei.
Das war natürlich eine Lüge, die ihn nur interessant machen sollte. Aber wer mit kratziger Stimme sprach, äußerte sich besser nicht dazu. Glashäuser und Steine und so weiter. In ihrer Branche war es notwendig, Aufmerksamkeit zu erregen.
»Ich grüße dich, Shari«, sagte er mit volltönender Stimme.
Sie nickte knapp und erwiderte den Gruß. »Wie sieht es aus auf Gäon?«, fragte sie. »Weißt du was über meine Familie? Kannst du mir etwas sagen?«
»Keine Zeit«, sagte Harrow. »Später. Die Verbindung steht. Wir müssen mit dem Interview beginnen. Hast du die Reportage fertig?«
»Ja, den ersten Teil. Ich schicke ihn dir jetzt rüber.«
Sie hob die Hand mit dem Multikom vors Gesicht.
Welche Fassung?, dachte sie. Letzte Chance ...
Sie entschied sich für die Wahrheit. Wie jede gute Journalistin es tun sollte.
Sie schickte die Fassung B nach Gäon.
Dann begann das Interview.
*
Crow Harrow: Wir sprechen nun live mit meiner Kollegin Shari Myre, die sich bekanntlich an Bord der RAS TSCHUBAI aufhält. Im Anschluss an unser Gespräch könnt ihr Sharis Reportage Die Nacht der 100 sehen, eine Sondersendung unserer beliebten Sendung Die Nacht der 1000, die Shari moderiert ... falls sie sich auf Gäon befindet. (Lacht.) Ich grüße dich, Shari. Wie ist die Lage an Bord der RAS TSCHUBAI?
Shari Myre: Hallo, Crow. Die vielen Schwarzseher, die sich Sorgen um die Solastratorin und ihre Begleiter machen, kann ich von vornherein beruhigen. An Bord der RAS TSCHUBAI ist alles ruhig, alle verhalten sich völlig unaufgeregt. Hier herrscht eine routinemäßige Gelassenheit.
Crow Harrow: Der Solastratorin geht es also gut?
Shari Myre: (Legt die Stirn in Falten.) Sehr gut. Sie hat sogar ein wenig zugenommen. Die Bordküche der RAS TSCHUBAI birgt wirklich unglaubliche Überraschungen. Du hast noch nie von Muurt-Würmern gehört, oder? Die wurden erst nach unserer Zeit ins Solare Imperium importiert. Bei richtiger Zubereitung behaupten sie sogar, giftig oder deine reinkarnierte Großmutter zu sein.
Crow Harrow: Interessant. (Schaut verdutzt drein.) Und was bekommst du von der Feindschaft gegen die Gäonen mit?
Shari Myre: Keine Spur! Niemand zeigt feindselige Gefühle gegen uns. Ich erlebe es vor Ort mit. Solche Behauptungen kann man nur als böswillige Unterstellungen bezeichnen.
Crow Harrow: Was ist an dem Vorwurf dran, dass Rhodan gemeinsame Sache mit den gefährlichsten Terroristen der Galaxis mache, den Vranoo ba'Drant, den Fürsten des Lichts?
Shari Myre: Nicht das Geringste. Mir ist kein einziger Vranoo ba'Drant über den Weg gelaufen. Ich kann absolut nicht bestätigen, dass Perry Rhodan mit ihnen zusammenarbeitet.
Crow Harrow: Du bist also nicht der Meinung, dass Rhodan ein Terrorist ist?
Shari Myre: Genau, diese Meinung verweise ich ins Reich der Propaganda. Dagegen spricht auch das Verhalten aller Besatzungsmitglieder, mit denen ich gesprochen habe.
Crow Harrow: Aber was ist nun, da die Thoogondu mit ihrer Armada eingetroffen sind?
Shari Myre: Ich sehe die Gefahr, dass die Lage eskalieren wird. Perry Rhodan liegt nichts an bewaffneten Auseinandersetzungen. Er setzt weiterhin auf Diplomatie. Ausschließlich auf Diplomatie!
Crow Harrow: Ruogoovid, der Befehlshaber dieser Flotte, der zugleich Kommandant der Pentasphäre AHAYOOTA ist, hat Perry Rhodan aufgefordert, ein gondisches Sicherheitskommando an Bord kommen zu lassen.
Shari Myre: Ist mir bekannt. Er hat mit der AHAYOOTA ein eindeutiges Zeichen gesetzt. Das ist eine Pentasphäre der GARANT-Klasse, genau wie das Schiff des Ghuogondu, aber deutlich zweckmäßiger ausgestattet und Trägerschiff für eine Armada an Trisphären. Meines Erachtens ist das ein falsches Zeichen. Ruogoovid muss zweifellos Stärke zeigen als Repräsentant der sevcoorischen Hegemonialmacht, aber das kann man auch auf andere Weise. Vor allem, da Perry Rhodan sowieso auf Deeskalation setzt!
Crow Harrow: Dieses Kommando sollte bis auf Weiteres den Befehl über die RAS TSCHUBAI übernehmen.
Shari Myre: Perry Rhodan hat abgelehnt.
Crow Harrow: Was werden die Thoogondu nun tun?
Shari Myre: Ich weiß es nicht. Obwohl Ruogoovid gesagt hat, die Waffen werden sprechen müssen. Ist es die Ruhe vor dem Sturm?
Crow Harrow: Ich könnte mir vorstellen ... (Trampeln schwerer Stiefel, Schreie) Was ...?
Unbekannter: Tretet von dem Terminal zurück! Unterbrecht die Verbindung!
*
Shari Myre versteifte sich unwillkürlich.
Sie kannte diese befehlsgewohnte Stimme nicht, aber sie kannte die Art zu sprechen: Militärisch knapp, präzise und ganz und gar nicht so, als würde sie Widerstand dulden.
Soldaten ...
Von einem Augenblick zum anderen fiel Shari Myres gelassene Professionalität von ihr ab. Sie hatte sich zusammengerissen, einen Schalter in ihrem Kopf umgelegt, wie sie es stets tat, wenn sie unter Anspannung stand. Es war eine Art Konzentrationsübung: Klick, und ihre Angst wurde unterdrückt, sodass sie sie nicht mehr wahrnahm. Was sie nicht wahrnahm, konnte sie nicht behindern, einschränken. Klein machen.
Allein die Vorstellung, dass das Militär auf Gäon gegen ihre Berichterstattung von der RAS TSCHUBAI vorging, jagte ihr einen kalten Schauder über den Rücken. War es schon so weit mit ihnen gekommen?
Im nächsten Augenblick wurden ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt. »Zurück von dem Terminal!«, wiederholte die Stimme des Unbekannten, laut und klar verständlich.
»Auf wessen Anordnung?«, fragte Crow Harrow.
»Auf Befehl von Sternenadmiral Arbo P. Dannan!«, antwortete der Soldat.
»Ich weigere mich, diesen Verstoß gegen ...«
Ein Geräusch erklang, das Summen eines Paralysators.
Shari sah das Gesicht Crows in Großaufnahme, wie es langsam auf die Kamerascheibe sank.
Im nächsten Augenblick wurde die Verbindung mit dem Trivid-Sender unterbrochen. Myre hörte nichts mehr, nicht einmal Rauschen.
»Hallo?«, sagte sie, obwohl die Frage bei einer digitalen Sichtverbindung sinnlos war. »Empfangt ihr mich noch?«
Keine Antwort. Selbstverständlich reagierte niemand.
Ob sie tatsächlich nicht mehr empfangen wurde, konnte sie nicht feststellen, aber das spielte auch keine Rolle. Soldaten waren in den Sender eingedrungen und hatten die Berichterstattung unterbunden, Soldaten unter dem Kommando von Sternenadmiral Dannan.
Die Bedeutung dieses Vorfalls konnte nicht klarer sein: Dannan ging gegen Cassandra Somersets ausdrückliche Anweisungen vor.
Ich habe meine Seite der Wahrheit gewählt.
Shari Myre schloss die Augen, atmete tief ein und hielt sich an dem Terminal fest. Die Angst spülte über sie hinweg wie eine riesige Welle, die alles mitriss.
Wenn sie sich nicht völlig täuschte, hatte sie soeben den Anfang eines Putsches auf Gäon miterlebt.