Читать книгу Perry Rhodan 2287: Die Träume der Schohaaken - Uwe Anton - Страница 6
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20. April 1333 NGZ
»Wir haben kein funktionsfähiges Raumschiff gefunden, auch kein Transmittersystem, mit dem wir TRIPTYCHON verlassen könnten«, fasste Myles Kantor zusammen. »Wir sind nach wie vor in der Station gefangen. Verfügen wir über eine Kommunikationsmöglichkeit?« Er schüttelte den Kopf. »Nein. Können wir irgendwen informieren, dass die Sonne kurz vor der Zündung steht? Nein. Wir haben keine Funkverbindung nach draußen.«
Und vor zwei Tagen hatten sie herausgefunden, dass die Kybb die Sonne zur Nova aufheizten. In sechs Wochen würde der Prozess so weit fortgeschritten sein, dass er nicht mehr umzukehren war.
»Selbst wenn wir von TRIPTYCHON fliehen könnten«, sagte die Plophoserin Inshanin gereizt, »würde es uns auch nichts nutzen. Die Kybb-Titanen lauern über der Sonnenoberfläche, und das Solsystem steht vollständig unter der Kontrolle des Gegners. Die Lage ist aussichtslos!«
Myles verstand die Reaktion der Frau, die er liebte. Bei ihnen allen lagen die Nerven blank. Ihm persönlich bereitete die Ohnmacht am meisten Probleme. Das sichere Ende der Menschheit vor Augen, und sie konnten nichts tun, nur warten. Er hätte am liebsten geschrien, um sich geschlagen, auf die vier Meter große Statue eingetreten, die den Zentralrechner der TRIPTYCHON-Station DENYCLE darstellte. Er musste sich permanent zwingen, die Haltung zu bewahren und ruhig nachzudenken, unentwegt, immer wieder. Vielleicht fiel ihnen ja doch noch eine akzeptable Lösung ein.
Jeder reagierte anders auf die Situation. Der Schohaake Orren Snaussenid hatte sich weitgehend von ihnen zurückgezogen und durchstreifte auf eigene Faust die Station seiner Ahnen, die Gedenkstätte für die tote Superintelligenz ARCHETIM. Attaca Meganon, der Hyperphysiker und ehemalige USO-Offizier, schien sich in sich selbst zurückgezogen zu haben. Er sagte kaum noch ein Wort, beteiligte sich nicht mehr an Gesprächen.
Der Venusgeborene Kyran Anteral hingegen ging pausenlos auf und ab. Die Verzweiflung schien überschüssige Energie in ihm zu erzeugen, die er nun auf diese Art und Weise wieder abbauen musste.
»Damit kann ich mich nicht abfinden! Es muss eine Möglichkeit geben! Irgendetwas müssen wir doch tun können!«
»Wir können nichts tun«, sagte die Siganesin Aileen Helsin leise. »Gar nichts. Dreimal nichts. Nur warten.«
»Wir könnten weiterhin TRIPTYCHON durchsuchen«, schlug die Swoon-Frau Tyun-Theris vor. »Auch wenn wir nichts finden ... das ist immer noch besser, als untätig hier herumzusitzen und zu warten.«
»Worauf?«, fragte Kyran eine Spur zu laut. »Worauf warten wir hier? Auf das Ende? Darauf, dass uns die Vorräte ausgehen? Oder darauf, dass die Kybb uns noch mal mit einer Schockwellenfront erwischen und TRIPTYCHON dann endlich zerstören?«
»Halt doch den Mund!« Inshanin funkelte ihren Kollegen wütend an. »Dieses Gerede bringt uns nicht weiter!«
»Nein, wirklich nicht«, sagte Myles. »Wir brauchen einen völlig neuen Ansatz. Wir alle denken in zu engen, festgefahrenen Bahnen.«
Kyran Anteral wollte etwas sagen, überlegte es sich dann jedoch anders, schloss den Mund wieder und sah den Unsterblichen an. »Was meinst du?«
Myles räusperte sich. Nun sahen auch die anderen zu ihm. »Wir verfügen sehr wohl über eine theoretische Möglichkeit zur Außenkommunikation!«
»Ach ja?«, fragte Inshanin. »Welche?«
»Die Anlagen in ODAAN.« Sie hatten nicht herausfinden können, wozu sie dienten, und sie einfach aktiviert. Unmittelbar darauf hatten sie etwas in ihrem Geist verspürt, eine Art mentales Tasten, als würde eine immaterielle Hand in ihren Köpfen die Gedanken berühren.
»Dieser Taschenspielertrick, mit dem die Betreiber der Station das Gedenken an ihre Superintelligenz hochhalten und den Pilgern vorgaukeln wollten, ARCHETIM sei noch irgendwie für sie da?« Die Plophoserin schüttelte den Kopf. »Wie willst du ...« Sie verstummte und schaute nachdenklich drein.
Myles nickte. »Genau. Man kann mit der Vorrichtung in ODAAN, der Hand, immerhin ARCHETIMS Korpus eine mentale Berührung entlocken.«
Sie vermuteten, dass es sich dabei quasi um eine Art Anwesenheitsnachweis handelte, den die Schohaaken für Pilger oder Historiker geschaffen hatten. Schließlich war TRIPTYCHON eine Gedenkstätte, gewissermaßen auch eine Art Mausoleum. Und was war ein Mausoleum schon wert, in dem sich nichts von der Leiche erkennen ließ? Ein undeutliches Ortungsbild von einem undefinierbaren Etwas tief in der Sonne reichte da nicht aus.
»Du willst ...« Inshanin verstummte.
Myles nickte. »Ich will die Vorrichtung umfunktionieren.«
»Zu einer Art Impulsgeber?«, fragte die Plophoserin.
»Wenn es uns irgendwie gelingt, diese mentale Ausstrahlung gezielt zu pulsen ...«
»Das ist doch sinnlos!«, unterbrach Kyran Anteral. »Im Sonnensystem können sie ARCHETIMS Ausstrahlung nicht anmessen!«
»Wahrscheinlich nicht, aber wir wissen es nicht genau«, widersprach Myles.
»Und selbst wenn! Das Solsystem ist fest in Gon-Os Hand!«
»Aber vielleicht erfahren die Terraner dann wenigstens von dem, was sie erwartet«, sagte Aileen Helsin leise. »Oder willst du, dass sie von der Entwicklung nicht einmal etwas ahnen?«
»Natürlich will ich das nicht!«, rief der Venusgeborene. »Ich will nichts von alledem! Ich will nicht, dass die Kybb-Titanen das Sonnensystem besetzen, ich will nicht, dass wir auf dieser verdammten Station festhängen, und ich will eure Gesichter nicht mehr sehen! Glaub mir, ich will nichts davon!«
Früher oder später musste es so kommen, dachte Myles. Wir hängen hier fest wie die Ratten im Käfig. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir richtig übereinander herfallen werden. Das hier ist nur ein Vorgeplänkel.
Immerhin waren sie Wissenschaftler, besonnene Denker, die gelernt hatten, sich in Geduld zu üben. Aber die letzten Wochen waren schwer gewesen. Zuerst das wochenlange untätige Warten im Hangar, während Orren Snaussenid in TRIPTYCHON verschollen war und sie nicht wussten, ob er überhaupt noch lebte. Dann die unergiebige Erkundung der Triple-Station, das endlose Marschieren durch Korridore, ohne dass sie etwas gefunden hatten, was es ihnen ermöglichte, die Station wieder zu verlassen.
Aber damals hatten sie weder in Lebensgefahr geschwebt noch unter Zeitdruck gestanden. Das hatte sich nun grundlegend geändert. Die Kybb konnten jederzeit wieder eine Strahlenfront auf TRIPTYCHON abschießen, und die Bevölkerung des Planeten Erde war zum Untergang verdammt.
Jetzt kam dieser Druck noch hinzu. Er musste sich überlegen, wie er ihn wieder abbauen konnte, bei sich und den anderen.
»Schluss jetzt!«, sagte er laut. »Müssen wir uns streiten? Außerdem ziele ich mit der Warnung gar nicht auf das Solsystem ab. Denkt doch mal nach!«
Die anderen redeten kurz durcheinander und verstummten dann.
»Der sechsdimensionale Jetstrahl zur Großen Magellanschen Wolke!«, sagte Inshanin dann.
»Genau!« Myles nickte. »Mit einem Impulsgeber müsste es doch möglich sein, den Jetstrahl gezielt zu manipulieren. Wir könnten beispielsweise mit einem Morsekode arbeiten, mit Zeichen in Mikrosekunden-Abständen. Die RICHARD BURTON wird mit ihrer Ultra-Giraffe das Signal in der Magellanschen Wolke vermutlich auffangen, messtechnisch stellt das wohl das kleinste Problem dar. Und wenn sie es auch dechiffrieren kann ...«
»Das ist doch verrückt!«, unterbrach Kyran Anteral ihn.
Inshanin wirkte nachdenklicher. »Ein irrer Gedanke, aber ...«
»ARCHETIM und TRIPTYCHON benutzen, um ausgerechnet die RICHARD BURTON in der Großen Magellanschen Wolke zu informieren?«, überlegte Tyun-Theris laut.
»Verdammt noch mal, was bringt uns das überhaupt?« Kyran schritt wieder auf und ab. »Die BURTON kann niemals schnell genug zurückfliegen, um uns zu retten ...«
»Oder um die Sonne zu retten!«, stellte Aileen Helsin klar.
»Es ist ja auch nur ein Gedanke«, sagte Myles. Mit dem ich euch beschäftigt halten will, damit ihr euch nicht gegenseitig an die Gurgel geht. Andererseits ... »Theoretisch ist der Plan durchaus umsetzbar.«
»Wollt ihr lieber hier warten und Däumchen drehen?«, dröhnte Attaca Meganons Stimme durch die Schaltzentrale DENYCLES. Es war das erste Mal seit mehreren Stunden, dass er sich äußerte. »Oder wollt ihr versuchen, die letzte Möglichkeit zu nutzen, die wir haben?«
Plötzlich war es totenstill. Myles hatte den Eindruck, dass alle anderen betroffen zu Boden schauten.
Inshanin brach das Schweigen schließlich. »Zumindest in der Magellanschen Wolke soll man Bescheid wissen. Versuchen wir es also.«
»Und vielleicht«, sagte Myles, »hat die BURTON mittlerweile ja doch eine Möglichkeit gefunden, das Sonnensystem oder die Heimatflotte zu informieren, von der wir in TRIPTYCHON noch nichts wissen.«
Der PULS zwischen den Galaxien
DaGlausch und Salmenghest
2. Mai 1291 NGZ
Trotz der Euphorie, die Myles durchdrang, verspürte er Besorgnis ... oder zumindest Ehrfurcht. Das brodelnde Chaos vor ihm war einfach nicht dazu geschaffen, von Menschen betreten werden zu können – oder ihren Raumschiffen. Doch genau das hatten sie vor.
Zwischen der Galaxis Salmenghest, zu der das Quar-System gehörte, und ihrer größeren Nachbarin DaGlausch wirkten enorme Anziehungskräfte. In einer 15.000 Lichtjahre durchmessenden Zone um den Kessel, die Berührungsstelle der beiden Galaxien, herrschte eine hyperenergetische Hölle. Der Druck der fünfdimensionalen Energien entlud sich in schrecklichen Dimensionsbeben, die überall in der Zwillingsgalaxis entstehen konnten und zehn bis zwanzig Jahre andauerten.
Doch dann war aus dem Mega-Dom, einem Pilzdom, wie er schon auf Trokan entstanden war, wenn auch mit einer Höhe von 104 und einem Durchmesser von 23 Kilometern, ein zweiunddreißig Kilometer durchmessender roter Saugstrahl hervorgeschossen, der die Energien des Kessels zu einem unbekannten Ziel ableitete. Dadurch war der fünfdimensionale Überdruck im Kessel schlagartig reduziert worden, und die drohende Gefahr eines Superbebens in DaGlausch und Salmenghest war gebannt.
Und dann hatte der PULS zu schlagen begonnen. In Abständen von 32 Minuten und 16,44 Sekunden war ein psionisches Pulsieren spürbar geworden, das ähnlich lange dauerte wie ein menschlicher Pulsschlag und in den anwesenden Intelligenzen ein Gefühl der Euphorie auslöste.
Lotho Keraete, der neue Bote von ES, hatte weitere Auskünfte über dieses energetische Wahnsinns-Gebilde gegeben. Die Koalition Thoregon sei der Versuch von sechs Superintelligenzen, sich aus der kosmologischen Zweiteilung von Chaos und Ordnung zu lösen. Die Kosmokraten, die diese Eigenmächtigkeit nicht zu dulden bereit seien, versuchten die widerspenstigen Superintelligenzen zu disziplinieren, indem sie von ihrem Aufenthaltsort hinter den Materiequellen aus über die Virtuelle Materie auf das Universum Einfluss nähmen. Die Virtuelle Materie, die ständig überall im Universum entstehe und vergehe, sei das wichtigste Trägermedium kosmokratischer Macht.
Es gebe jedoch Orte wie den PULS, an denen keinerlei Virtuelle Materie entstehen könne und die daher dem Zugriff der Kosmokraten wie auch der Chaotarchen entzogen seien. Es handele sich um extrauniverselle Gebiete, in denen das GESETZ nicht gelte und die auch nicht von den Kosmonukleotiden beeinflusst würden. An den Schnittstellen zwischen diesen extrauniversellen Zonen und dem Normalraum fließe jedoch Energie aus dem übergeordneten Medium ab, in das das Universum eingelagert sei. Die zuströmenden Energiemengen seien so gewaltig, dass sie sich nicht mehr auf normalem Wege entladen könnten. Daher komme es entlang der fünfdimensionalen Kraftlinien von DaGlausch und Salmenghest zu spontanen fünfdimensionalen Potenzialflüssen, deren Folge die Kesselbeben seien. Sofern eine solche extrauniverselle Zone nicht von Mächten mit einer entsprechenden Technologie aufrechterhalten werde, löse sie sich nach einigen hunderttausend Jahren wieder auf, wobei die zugehörige Galaxis in einem Superbeben verginge.
Der PULS werde von ES und den fünf anderen Superintelligenzen stabilisiert. Und die aus dem Kessel abgezogene Energie habe den Zugang zum Mega-Dom von Segafrendo geöffnet. Die SOL müsse nun sofort durch den Pilzdom fliegen und in der weit entfernten Galaxis eine wichtige Aufgabe erfüllen.
Immerhin ... ES hatte seine Hand im Spiel. Die Superintelligenz, die ihm die potenzielle Unsterblichkeit verliehen hatte. Ein eigentlich beruhigender Gedanke.
Trotzdem fragte Myles sich, welcher Teufel ihn geritten hatte, als er sich bereit erklärt hatte, an Bord der SOL zu bleiben und dazu beizutragen, dass diese wichtige Aufgabe tatsächlich erfüllt wurde.
Vielleicht wäre es besser gewesen, das Schiff Hals über Kopf zu verlassen.
Doch er war Wissenschaftler. Und Wissenschaftler waren von Natur aus neugierig. Alles in ihm schrie danach, das Geheimnis zu ergründen, das Thoregon umgab. Und herauszufinden, um welche wichtige Aufgabe es sich handelte ...
»Ja«, murmelte er leise zu sich selbst. »Und Neugier ist der Katze Tod ...«