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Kapitel 3
Оглавление“Zu dir oder zu mir?” Martin wirkte sehr aufgedreht. “Mein Gott, ich habe immer davon geträumt, dass ich diese Frage einmal stellen kann.”
“Mir wurscht”, meinte Lea. “Was hast du denn für eine Anlage?”
“Och”, Martin zuckte verlegen mit den Schultern, “nichts Besonderes. Und ich wohne noch bei meinen Eltern, das heißt also, so richtig ungestört sind wir nicht.”
“Was fragst du denn dann so blöd.” Martin wurde rot, Leas Stimme klang wieder versöhnlicher. “Also zu mir. Ich bin gespannt, was du von meiner Anlage hältst.”
Sie gingen los und Lea hakte sich bei Martin ein, was für sie weniger eine vertrauliche Geste war. Sie brauchte einfach festen Halt wegen ihrer Stöckelschuhe, daher versuchte sie auch Martins glühende Ohren zu ignorieren. Unterwegs besorgten sei noch zwei Pizzas, ein paar Dosen Cola für Martin und eine Flasche Wodka für Lea.
Lea stellte die Dosen und die Flasche auf den Pizzaschachteln ab, die Martin trug, um ihre Wohnung aufschließen zu können. Er folgte ihr. “Da drüben ist das Wohnzimmer”, sagte sie mit einem Kopfnicken schräg über den Flur.
Er drückte die Tür mit der Schulter auf und betrat das, was Lea als Wohnzimmer bezeichnet hatte. Der Raum war von mehreren Monitoren spärlich beleuchtet. Er hörte das leise Surren vieler Lüfter. Auf einigen der Monitore liefen wilde Zahlenkolonnen, andere zeigten unterschiedliche, offene Arbeitsfenster, die ab und zu von selber umsprangen, wieder andere zeigten farbige Wabbelblasen, die immer wieder mit anderen Wabbelblasen verschmolzen und ab und zu von einem Monitor in den anderen hinüber glitten. Als sie das Licht anschaltete, konnte Martin auf einer schwarzen Schreibtischplatte an der Seite des Zimmers sechs offene Computergehäuse erkennen. Kabelstränge hingen heraus und schienen sich in einem gewaltigen Gewirr alle miteinander zu verflechten. Auf dem Boden neben der Platte lagen weitere Gehäuse, aus denen Kabel herausliefen und sich ebenfalls in dem Gewirr verloren. Alle möglichen Laufwerke, zum Teil offenbar gar nicht angeschlossen, aber dennoch surrend, waren zwischen den Kabeln verstreut. Außerdem lagen da noch mehrere Tastaturen, ein riesiges Pad und eine Unmenge an Mäusen.
Martin stand mit offenem Mund da. “Äh, hast du das alles zusammengebaut?”, fragte er ehrfurchtsvoll.
Lea war dabei einen Platz für ihre Verpflegung zu suchen. Mit dem Arm schob sie ein paar leere DVD-und Disketten-Hüllen vom Couchtisch, nahm die Dosen und die Flasche von den Schachteln in Martins Händen und stellte sie auf den nun freien Platz.
“Bitte? Ja klar. Die Kisten, die man so zu kaufen bekommt, sind doch irgendwie alle Mist. Meistens haben sich die Entwickler entweder selbst ein Bein gestellt oder sind faule Kompromisse eingegangen, um die Dinger besser verkaufen zu können. Da habe ich mir halt mein eigenes System aus den jeweils besten Komponenten zusammengestellt.” Lea zwinkerte Martin zu. “Außerdem ist diese Anlage sehr viel schneller als irgendeine, die du zu kaufen kriegst. Übrigens …”, sie deutete auf seine Schuhe, “wenn du die Pizzaschachteln nicht so schräg hältst, versaust du dir mit dem herab tropfenden Öl nicht so sehr die Schuhe.”
“Scheiße”, rutschte es ihm heraus. Er hielt die Pizzaschachteln wieder gerade und hob angewidert den rechten Fuß. “Bäh, die Pampe ist mir schon in den Schuh gelaufen und ich habe es nicht bemerkt.”
Sie grinste und er stellte die Schachteln auf ein paar leere CD-Hüllen auf dem Couchtisch.
“Mach dir’s bequem”, sagte sie und deutete auf einen kleinen Schrank in der Ecke neben dem Sofa. “Da drüben sind Servietten zum Abwischen. Ich geh schnell ins Schlafzimmer und ziehe mich um.”
Martin stand da und wusste nicht, was er zuerst machen sollte. Der verklebte Fuß schwebte immer noch in der Luft und seine Hände, über die ebenfalls etwas von der öligen Flüssigkeit gelaufen war, hielt er nach oben wie ein Chirurg, der sich gerade die Finger desinfiziert hat. Er begann ein paar Finger abzulecken, gab es aber gleich wieder auf und winkte mit den Händen hin und her. “Ach”, grunzte er, ließ sich rückwärts auf das Sofa fallen und angelte mit spitzen Fingern nach einer Serviette. Dabei fegte er den ganzen Stapel vom Schrank. Lea drehte sich grinsend um und verschwand im Flur.
Als sie wieder kam trug sie ein rot kariertes Schlabberhemd, das weit über eine graue Jogging-Hose hing. Ihre lockigen, roten Haare hatte sie, bis auf ein paar wenige Strähnen, unter eine schwarze Baseballkappe mit NY Aufdruck gesteckt. Außerdem war sie barfuß.
Martin hatte sich inzwischen auch die Schuhe ausgezogen. Seine Socken baumelten von den Pizzaschachteln herunter und er war gerade dabei sich letzte Reste des Öls mit einer Serviette von den Zehen zu wischen. Als er Lea sah, konnte er seine Enttäuschung nicht verbergen. “Du hast toll ausgesehen in deinem Kleid.”
“Es ist aber total unbequem”, antwortete Lea, ging zum Tisch, öffnete die Wodka-Flasche und trank etwa ein Drittel auf einen Zug aus. Martin rutschte die Serviette aus der Hand. “Alkohol wirkt auf unsere Körper wie Koffein auf eure”, erklärte sie ihm, als sie seinen Blick bemerkte. “Und umgekehrt.”
Unsicher sah er sie an. “Mach nur so weiter, wenn du mir Angst machen willst.”
Sie grinste und hielt ihm die Flasche hin.
Martin schüttelte den Kopf. Plötzlich grinste er und kniff ein Auge zusammen. “Möchtest du vielleicht eine Dose Cola?”
Lea zog eine Schnute. “Nein, danke.”
Sie setzte sich an eine der Tastaturen und begann zu tippen. Ein Monitor rechts vor ihr wurde schwarz und das obere Drittel des Bildschirms begann sich mit langen Reihen von Zahlen und Buchstaben zu füllen. Martin nahm sich einen Stuhl und setzte sich neugierig neben sie. Auf der Mitte des Bildschirms blinkte jetzt der Cursor hinter dem Wort LOGON:. Sie tippt den Namen Alien-Force.
Er stutzt. “Sag mal …”, begann er langsam. “… ich erinnere mich vage, dass vor einem Jahr eine Hacker-Gruppe mit dem Namen Alien-Force in die Computer von Shell eingedrungen sein soll.”
Sie tippte unbeirrt weiter.
“Angeblich sollen etwa eine Woche später anonyme Spenden von insgesamt 3 Milliarden Dollar auf den Konten verschiedener Umweltschutz-Organisationen aufgetaucht sein. Die haben die Hacker-Gruppe aber nie gefunden.”
Lea tippte weiter, während sie sprach. “Mhm, davon habe ich auch gehört. War ein Riesending, was die da durchgezogen haben. Mit denen habe ich aber leider nichts zu tun. Ich arbeite nur alleine und das System, das dort geknackt wurde, ist so kompliziert, dass es nur von einer ganzen Gruppe geknackt werden kann. Eine einzelne hat da keine Chance.”
Er wirkte nicht überzeugt.
Sie hörte auf zu tippen und sah ihn an. “Den Namen habe ich schon sehr lange und es ist einfach ein blöder Zufall, dass die den gleichen Namen wie ich benutzt haben. Ich gebe zu, die Aktion finde ich Superklasse. Ich bin der Meinung, wie ihr hier auf der Erde mit eurer Umwelt umgeht, ist eine Schande. Auf unserem Heimatplaneten ist das ganz anders. Wir haben gelernt mit der Natur zu leben. Wir versuchen zwar inzwischen den Schwerpunkt unserer Technologie weg von der biologischen, hin zu einer elektronischen Basis zu verschieben …”, sie seufzte. “Papa ist da zwar anderer Meinung, aber ich bin der festen Überzeugung, dass das der richtige Weg ist. Befürworter wie Gegner dieser Bestrebungen sind sich aber einig, dass Maßnahmen, egal in welche Richtung, nur im Einklang mit der Natur unseres Planeten getroffen werden dürfen.”
Martin konnte sich ein schräges Grinsen nicht verkneifen. “Ja, ja, auf deinem Planeten ist natürlich alles ganz anders.”
Sie seufzte. “Du glaubst mir immer noch nicht oder?”
“Lea”, er wurde ernst. “Du bist die tollste Frau, die je mit mir ausgegangen ist. Ich glaube dir alles, was du willst.”
Sie lehnte sich seufzend auf ihrem Stuhl zurück und schug die Beine übereinander. Nachdenklich begann sie, ihren Fuß zu reiben und verzog dabei das Gesicht.
“Tun deine Füße weh?”
“Ach, diese blöden Stöckelschuhe”, sie schüttelte den Kopf. “Dr. Smooth hatte genaue Anweisungen, wie ich mich aufdonnern sollte. Ich blöde Kuh habe das natürlich haarklein befolgt.”
“Soll ich dir vielleicht deine Füße ein wenig massieren?”, seine Augen begannen zu leuchten und er setzte mit tieferer Stimme nach, “ich bin extrem gut im Füße massieren.” Sie zuckte die Schultern und streckte sie ihm entgegen.
Er berührte sie sanft und wurde blass. Lea hatte an beiden Füßen sechs Zehen.
“Was ist denn los?”, fragte sie. Dann bemerkte sie seinen Blick. “Ach so. Das kannst du ja noch nicht wissen. Unserer Rassen sind sich, bis auf ein paar geringfügige Unterschiede, extrem ähnlich.” Sie nickte in Richtung ihrer Füße. “Einen dieser Unterschiede hast du gerade entdeckt.”
Er wollte etwas erwidern, aber sein Unterkiefer gehorchte ihm nicht.
Lea lächelte zufrieden. “Du darfst gerne anfangen”, forderte sie ihn auf.
Seine Hände bewegten sich widerstrebend auf ihre Füße zu.
“Keine Angst, die beißen nicht.”
Martin schloss die Augen und atmete tief durch. “Alles Quatsch, alles Quatsch, alles Quatsch, Quatsch, Quatsch”, murmelte er vor sich hin. Dann begann er sanft ihren rechten Fuß zu bearbeiten.
Lea lehnte sich zurück und schloss die Augen. Martin nahm sich zunächst die Ferse vor. Kräftig arbeitete er sich von unten bis zur Mitte der Fußsohle hoch. Er massierte den Ballen von Innen hin zu den beiden Seiten. Dann begann er die große Zehe vom Ansatz bis zur Spitze zwischen Daumen und Zeigefinger zu rollen. An der nächsten Zehe arbeitete er sich von der Spitze bis zum Ansatz hinab. Lea begann leise zu seufzen.
Als er zur sechsten Zehe kam, zuckte sie mit dem Fuß zurück.
“Entschuldigung”, Martin sah sie erschrocken an. “Ich wollte dir nicht weh tun.”
“Schon OK”, antwortet Lea. “Ich bin da nur …”, sie kniff das linke Auge zusammen, “… ziemlich empfindlich.”
“Gut”, er strich sanft über die Zehen. “Dann werde ich jetzt ganz vorsichtig sein.”
“Ja, bitte”, sie streckte ihr Bein wieder ganz aus. “Ja, so ist das angenehm.”
Martin rieb ganz vorsichtig an der sechsten Zehe von der Spitze zum Ansatz.
“Oh, ja”, Lea schloss die Augen wieder und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. “Sehr angenehm.” Sie legte den Kopf zurück und atmete hörbar durch den geöffneten Mund aus.
Er schluckte.
“Ja …” Sie atmete tief ein. “Genauso. Ja.” Ihre Augenbrauen wanderten nach oben. “Uuh!”
Schweißperlen traten auf seine Stirn.
Ein leises Piep war zu hören.
Er hörte es nicht. Die Auswirkungen der Massage ihrer Zehen, nahm seine ganze Konzentration in Anspruch.
Wieder ein Piep.
Sie öffnete die Augen.
Piep.
Sie zog ihren Fuß zurück, er sah sie enttäuscht an.
Piep.
Drei der Monitore blinkten rot. Sie war sofort wieder hellwach und begann wild auf der Tastatur herumzutippen. Martin war irritiert. “Was ist denn los?”
Sie blickte von einem Monitor zum andern, während sie immer weiter tippte. “Das hatte ich aber schon lange nicht mehr.”
“Was hattest du schon lange nicht mehr?” Martin hob die Hand und winkte. “Hallo, darf ich auch wissen, was das Ganze zu bedeuten hat?”
Sie wendete den Blick nicht von den Monitoren, als sie zu ihm sprach. “Im Netz laufen für mich ein paar …”, nach einem kurzen Zögern lächelte sie, “na ja, ich würde sie Hausierer nennen.”
“Aha?!”, er verstand gar nichts.
“Ich habe im Netz ein paar Routinen laufen, die ständig neue Systeme suchen, anklopfen und versuchen eingelassen zu werden.”
“Mhm”, er verstand noch immer nichts.
“Also”, sie riss sich von den Monitoren los. “Ich habe ein paar Routinen programmiert, die ständig im Netz laufen. Sie können sich selbstständig von einem Server zum anderen schicken. Sie benutzen Suchmaschinen und Listen um neue Systeme zu finden und dergleichen mehr. Außerdem habe ich sie mit so viel Intelligenz ausgestattet, dass sie alle möglichen Verschlüsselungen und Sicherheitsstufen umgehen können.”
“Oh”, er begann langsam zu verstehen.
“Genau. Und falls sie dann mal auf ein System stoßen, das sie nicht aufkriegen, melden sie sich bei mir.”
“Wahnsinn”, Martin war beeindruckt.
“Und genau das ist gerade passiert.” Damit wendete sie sich wieder den Monitoren zu und ihre Finger rasten über die Tasten.
Er saß still daneben und sah ihr zu. Nach einer Weile ließ er die leise vor sich hin fluchende Lea an ihrer Tastatur alleine. Er machte sich über seine inzwischen halb kalte Pizza her, bis sie sich zu ihm umdrehte.
“Unfassbar”, sie schüttelte ihre Finger, die vom intensiven Tippen schmerzten. “So ein widerspenstiges Biest hatte ich noch nie.”
Martin legte seine Pizzaecke in die Schachtel und wischte sich die Finger mit einer Serviette ab. “Vielleicht gibt es ein paar Programmierer, die schlauer sind als du?”, meinte er undeutlich mit halb vollem Mund.
“Bitte?” Lea kniff die Augen zusammen. “Nenn mir ein System, das du für absolut sicher hältst.”
Er überlegte, dabei knüllte er die Serviette zu einem Ball zusammen und rollte ihn zwischen den Handflächen. “Der BND”, sagte er, warf den Ball aus dem Handgelenk in die offene Pizzaschachtel vor sich auf dem Tisch … und verfehlte. “Fuck!”
Sie drehte sich um und tippte los. Drei Minuten später grinste sie ihn an. “Was soll ich denn für Vorstrafen in deine Akte eintragen?”
Martin, der immer noch versuchte mit dem Serviettenball die Pizzaschachtel zu treffen, sprang auf. “Ist nicht wahr”, ungläubig starrte er auf den Monitor. Er sah seine Akte. Außer Name, Adresse und ein paar Eintragungen über seine schulische Laufbahn stand nichts Besonderes drin, aber dass Lea ohne Probleme an diese Daten herangekommen war, bereitete ihm sichtbar Unbehagen. “Komm, komm”, er winkte mit beiden Händen, “mach das bloß schnell aus.”
“Hast du Angst?” Überrascht sah sie ihn an.
“Natürlich”, antwortete er ehrlich entsetzt. “Die sind doch nicht blöde beim BND. Die merken doch sofort, wenn sich bei denen jemand reinhackt und dann machen die eine Fangschaltung und dann schicken die ihre Spezialeinheiten los und dann kriegen die uns ganz schnell am Kanthaken und…”, er blickte mit Panik in den Augen zur Tür.
“Langsam, langsam”, Lea hob beschwichtigend die Arme, “keine Angst. Ich bin auch nicht blöde. Ich gebe zu, ich habe ein wenig gemogelt. Ich kenne den BND, weil ich da schon ein paar mal drin war. Deshalb ging das eben so schnell.”
Martin klappte der Unterkiefer herunter.
“Die Sicherheitsvorkehrungen sind normaler Standard, mit ein paar kleinen Tricks, die ich alle kenne. Die kriegen mich nicht. Keine Chance”, sie lächelte. “Die wissen noch nicht einmal, dass ich gerade bei denen drin bin.”
Martin hatte immer noch Panik in den Augen. “Aber…, aber…, logg dich trotzdem aus. Bitte!” Er sah sie flehend an. “Und lass um Himmels Willen die Finger von meiner Akte.”
“OK, OK”, sie schüttelte den Kopf. Dann tippte sie auf ein paar Tasten und auf dem Monitor waren statt Martins Akte bunte Wabbelblasen zu sehen.
“Du bist wirklich draußen?”, fragte er ängstlich. “Du hast nicht einfach nur einen Bildschirmschoner eingeschaltet?”
“Ehrenwort.” Sie blickte ihm ruhig in die Augen. “Beruhige dich. Es ist nichts passiert und es wird auch nichts mehr passieren.”
Martin sah sie immer noch unsicher an. “Unglaublich”, meinte er schließlich und schüttelte den Kopf. “Wer bist du?”
“Ein Alien, das habe ich dir doch gesagt. Aber mir glaubt ja keiner.” Sie sah ihn an und fragte sich, ob seine momentane Blässe eher durch die Tatsache ausgelöst wurde, dass er ihre außerirdische Herkunft nun doch ernsthaft in Erwägung zog oder einfach nur durch die Nachwirkungen ihrer Stippvisite beim BND.
“Die viel interessantere Frage ist: Wer sind die?”, sie nickte mit dem Kopf in Richtung Monitor. “Wer steckt hinter diesem widerspenstigen System?”
Er atmete tief durch. “Keine Ahnung.”
“Eins ist klar”, Lea sah wieder auf den Monitor. “Wenn jemand so starke Sicherheitsvorkehrungen trifft, muss er sehr große Angst haben, dass man ihm etwas stehlen könnte.”
“Und was?”
“Keine Ahnung”, sie rieb sich am Ohrläppchen. “Informationen, Bankgeheimnisse, Kontenbücher der Mafia, was weiß ich. Irgend etwas Wertvolles halt.”
“Ah ja”, er nickte. Langsam kehrte wieder etwas Farbe in sein Gesicht zurück. “Und jetzt?”
“Na, jetzt versuchen wir irgendwie in das System reinzukommen.” Sie grinste über das ganze Gesicht und begann wieder auf ihrer Tastatur herumzuhämmern.
Martin sah ihr eine Weile zu, drehte sich dann aber wieder um, um den Rest seiner Pizza zu essen. Lea fluchte immer heftiger vor sich hin.
“Meine Güte”, grinste er. “Im Fluchen kann man von dir richtig was lernen.”
Lea hörte ihn nicht.
Schließlich drehte sie sich um. “So wird das nichts”, meinte sie mehr zu sich selbst. “Ich denke, ich muss hier größere Geschütze auffahren.” Damit stand sie auf, ging aus dem Zimmer und kam mit einem Glaszylinder von etwa einem halben Meter Durchmesser zurück. In dem Zylinder schwamm in einer durchsichtigen Flüssigkeit etwas Fleischiges. “Oh”, meinte er überrascht. “Ich habe eigentlich gar keinen Hunger mehr, die Pizza war wirklich ausreichend.”
Lea lachte. “Ich erkläre es dir gleich, wenn ich alles da habe.” Sie stellte den Zylinder neben die Tastatur und ging wieder aus dem Zimmer.
In diesem Moment zuckte der Fleischklumpen. Martins Augen weiteten sich. Unsicher ging er zum Schreibtisch, um das merkwürdige Ding besser betrachten zu können. Die eine Seite des Fleischklumpens sah aus wie ein Herz oder eine Leber, noch ganz rosig, so als sei es gerade eben frisch entnommen. Aus der hinteren Seite hing eine Art Geschwür heraus, das an ein Stück Gehirn erinnerte. Vorsichtig klopft er an die Gefäßwand. Das Organ zeigte keinerlei Reaktion. Er beugte sich näher heran.
In diesem Moment zuckte der Fleischklumpen wieder.
Entsetzt sprang er zurück, stolperte über den Stuhl hinter ihm und landete unsanft auf dem Hintern.
Lea kam wieder und trug zwei Nierenschalen. Unter den Arm hatte sie eine Flasche mit einer grünen Flüssigkeit geklemmt. Martin hatte sich gerade wieder hochgerappelt und wich stumm zwei Schritte zurück, als sie mit ihrer Ladung auf den Tisch zukam.
“Ich habe dir ja schon angedeutet, dass wir auf unserem Heimatplaneten schon sehr lange Erfahrung mit einer Technologie auf biologischer Basis haben.” Sie stellte die Nierenschalen und die Flasche neben den Zylinder auf den Schreibtisch.
Er schluckte schwer.
“Da ich hier mit der elektronischen Technik nicht weiterkomme”, sie hob ihren Zeigefinger, “obwohl ich sie schon optimiert habe, werde ich es nun mit unserer alten Technik versuchen.” Sie schüttete die Hälfte der grünen Flüssigkeit aus der Flasche zu dem Organ in den Zylinder, woraufhin das Organ anfing heftig zu zucken.
Martin wich einen weiteren Schritt zurück und stand mit dem Rücken an der Wand.
“Wo habe ich denn nur…”, Lea blickte suchend zwischen den Kabeln herum, “ah, da ist es ja.” Sie holte eine kleine, viereckige Plastikdose aus dem Kabelgewirr hervor. Aus der einen Seite kam ein Bündel Drähte, auf der anderen Seite waren mehrere kleine Vertiefungen. Sie öffnete die Dose, prüfte ihren Inhalt und schüttete dann auch hier ein wenig von der grünen Flüssigkeit hinein. Dann nahm sie mehrere dünne, weiße Fäden aus der einen Nierenschale, schob die Enden durch die Vertiefungen an der Seite in die Plastikdose und verschloss sie wieder.
“Das hier”, sie deutete auf das Organ in dem Zylinder, dessen Bewegungen sie sehr kritisch beobachtete, “ist ein biologisches Interface und die grüne Flüssigkeit, die ich eben in den Behälter gegossen habe, ist eine Nährlösung mit speziellen Botenstoffen, um es zu aktivieren. Also so eine Art Benzin für das Interface”, erklärte sie ohne aufzublicken. “Wir nennen es Aktralin.”
Martin presste sich mit dem Rücken fest an die Wand.
“Und dies hier”, sie strich über die weißen Fäden, ohne das zuckende Organ aus den Augen zu lassen, “sind so eine Art Nervenfasern, die zur Verbindung der einzelnen Komponenten dienen.” Sie hängte die anderen Enden der Nervenfasern in den Zylinder. Sofort bewegten sie sich auf das Organ zu und heften sich an den Teil, der wie Gehirn aussah, an. Nachdem sie die Anschlussstellen genau überprüft hatte, erklärte sie zufrieden nickend, “wie du siehst, wird die Verbindung von selbst hergestellt, ohne Schraubenzieher oder Lötkolben.”
In Martins Blick spiegelte sich Entsetzen.
Sie griff in die andere Nierenschale und holte eine Plastikhaube, die mit einem durchsichtigen Gel gefüllt war, heraus. Aus dieser Haube kamen mehrere Nervenfasern heraus, die sie ebenfalls in den Zylinder tauchte. Auch diese verbanden sich sofort mit dem Organ. “Und darauf sind wir besonders stolz”, ein Lächeln umspielte ihren Mund, während sie die Haube aufsetzt. “Diese Haube kann sozusagen Gedanken lesen. Dadurch ist es möglich unser Gehirn quasi direkt mit allen möglichen”, sie suchte nach einem geeigneten Wort, “ich nenne es jetzt mal Computern, zu verbinden.”
Damit schloss sie die Augen. Im Gel bildeten sich sofort grüne Schlieren, die in der ganzen Haube umher flossen. Die Schlieren wurden breiter, die grüne Farbe wurde immer intensiver und auf allen Monitoren begannen lange Zahlenkolonnen rasend schnell durchzulaufen.
Martin war starr und begann zu schwitzen. Nach einer Weile öffnete Lea wieder die Augen und sah ihn an. “Was ist denn mit dir los?”, meinte sie und nahm die Haube ab.
“Lass mich in Ruhe”, sagte er tonlos und lief aus dem Zimmer. Sie folgte ihm und sah ihm kopfschüttelnd dabei zu, wie er an der Wohnungstür rüttelte, die sie abgeschlossen hatte. Als sie auf ihn zuging, wich er zurück. Das Badezimmer war offen. Schnell ging er hinein, schloss die Tür und verriegelte sie von innen.
Lea holte tief Luft. “Mist.” Vorsichtig klopfte sie an.
“Martin?”
Keine Reaktion.
“Martin? Ganz ruhig. Keine Angst. Ich will dir nichts tun, wirklich.”
Kein Laut kam aus dem Bad.
“Martin? Komm, mach die Tür auf und lass uns über alles reden.”
Nichts passierte.
Sie trat einen Schritt zurück, atmete zwei, drei mal kräftig aus, sprang hoch und zersplittert das Holz um das Schloss der Badezimmertür durch einen kurzen, harten Kick ihres rechten Fußes.
Martin schrie auf, drückte sich in die Ecke neben die Badewanne und hob die Hände. Lea stand in der Tür und hatte die Handflächen flach aneinander gelegt. Sie versuchte ganz ruhig auf ihn einzureden.
“Martin.”
“Lass mich bloß in Ruhe”, rief er und fuchtelte mit seinen Händen abwehrend herum.
“Jetzt hör doch erst mal zu.”
“Nein”, seine Stimme wurde schriller. “Geh weg!”
“Martin”, sie machte einen Schritt auf ihn zu.
Er quiekte wie ein kleines Ferkel, griff nach dem Duschkopf am Wasserhahn der Badewanne und schlug damit in ihre Richtung. “Bleib mir bloß vom Leib, verschwinde.”
Lea ließ ihre Arme sinken und sah ihn an. Dann drehte sie sich um, ging betrübt zum Telefon und suchte die Nummer ihrer Eltern.