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ОглавлениеIV. Sprachliche Grundstrukturen
In diesem Kapitel werden als Vorbereitung für die Betrachtung der Kategorien die ontologisch relevanten Grundstrukturen der Sprache aufgewiesen.
1. Namen, Prädikate, Sätze
Bei den einleitenden Überlegungen zur ontologischen Methodologie (siehe Kap. I) wurde ausgeführt, dass die Ontologie auf dem Weg zu ihren Erkenntnissen bei der Sprache ansetzt. Die Grundstrukturen der Sprache sollen uns hinführen zu den Grundstrukturen des Seienden, sei es wirklich oder nichtwirklich. Deshalb sind nun an diesem Punkt – einleitend zur Betrachtung der Kategorien – einige Ausführungen notwendig über die Grundstrukturen der Sprache.
An der Sprache lassen sich viele Strukturen unterscheiden. Aber ontologisch relevant sind insbesondere die Strukturen, die mit der Unterscheidung zwischen Namen, Prädikaten und Sätzen angesprochen sind. Es ist zu betonen, dass diese sprachlichen Strukturen nicht rein syntaktischer Art sind, sondern einen unhintergehbaren semantischen Aspekt aufweisen. Deshalb lassen sie sich auch nicht rein syntaktisch charakterisieren; primär für ihre Charakterisierung ist vielmehr der Aufweis semantischer Rollen.
Die semantischen Rollen von Namen, Prädikaten, Sätzen
Namen haben eine bestimmte semantische Rolle: Sie werden verwendet, um auf etwas Bezug zu nehmen. Ein Name wird immer gebraucht, um auf etwas Bezug zu nehmen, um dann von diesem etwas auszusagen, und dieses, was ausgesagt wird, wird von einem Prädikat ausgedrückt. Denn Prädikate dienen zum Ausdruck dessen, was von etwas ausgesagt werden kann. Sätze schließlich sind häufig das Ergebnis dessen, dass etwas von etwas anderem ausgesagt wird. Nicht jeder Satz resultiert so, auch nicht jeder Aussagesatz (was in diesem Buch mit „Satz“ stets gemeint ist), aber es gilt doch für sehr viele Sätze.
Prädikate als Satzreste nach Streichung von Namen
Wenn wir einen Satz betrachten, der mindestens einen Namen enthält, dann ist alles ein Prädikat, was aus dem Satz hervorgeht, wenn ein Name oder mehrere Namen aus dem Satz entfernt und die entstehende(n) Lücke(n) (einer festen Regel folgend) markiert werden. Betrachten wir ein Beispiel: „Anna liebt Fritz“. Das ist ein Satz, und zwar einer, in dem etwas von etwas ausgesagt wird. Es kommen in ihm zwei Namen vor: zwei Ausdrücke, die dazu dienen (sollen), auf etwas Bezug zu nehmen, um davon etwas auszusagen, „Anna“ und „Fritz“. Nun können wir die Namen aus dem Satz entfernen, beide zusammen oder auch nur einen von beiden. Dann erhalten wir z. B. das Prädikat: „x liebt Fritz“. Dieser Ausdruck drückt etwas aus, was von etwas ausgesagt werden kann und im Satz „Anna liebt Fritz“ von etwas ausgesagt wird, nämlich von Anna: von Anna wird ausgesagt, dass sie Fritz liebt. Wir können aber den Namen „Anna“ auch stehen lassen und an seiner Stelle den Namen „Fritz“ aus dem Satz entfernen: „Anna liebt x“ ist dann ein anderes Prädikat; es dient im Satz „Anna liebt Fritz“ dazu, von Fritz auszusagen, dass er von Anna geliebt wird. Wir können auch beide Namen aus dem Satz „Anna liebt Fritz“ herausnehmen. Dann erhalten wir, wenn wir die entstehenden Lücken verschieden markieren, das Prädikat „x liebt y“, das zwei offene Stellen hat und dazu dienen kann, zum Ausdruck zu bringen, dass etwas etwas liebt oder dass etwas von etwas geliebt wird. Wenn wir die Lücken hingegen in gleicher Weise markieren, so erhalten wir das Prädikat „x liebt x“, das wegen der uniformen Markierung tatsächlich nur eine offene Stelle hat und dazu dienen kann, von etwas auszusagen, dass es sich selbst liebt.
Logischer, nicht grammatischer Sinn von Prädikat, Satz, Namen
Prädikate erhält man aus Sätzen, die mindestens einen Namen enthalten, wenn man einen oder mehrere Namen aus ihnen entfernt. Der hiermit angesprochene Sinn des Wortes „Prädikat“ ist nicht der vertraute grammatische Sinn, sondern ist ein logischer Sinn. Ähnlich verhält es sich mit dem Sinn des Wortes „Satz“ hier. Mit diesem Wort sind, wie gesagt, nur Aussagesätze gemeint, d.h. Ausdrücke, von denen es möglich ist, dass sie wahr sind oder falsch. Damit ist ein logischer Sinn von „Satz“ angesprochen, nicht der vertraute grammatische Sinn (wonach es ja auch Fragesätze, Wunschsätze, Nebensätze usw. gibt). Schließlich hat auch das Wort „Name“ hier einen logischen Sinn, der vom vertrauten Sinn abweicht: Der Ausdruck „dass Regensburg an der Donau liegt“ ist im hier verwendeten Sinn ein Name (gemäß der vertrauten Grammatik würde man ihn hingegen als einen Nebensatz bezeichnen); denn er wird dazu verwendet, um auf etwas Bezug zu nehmen, um davon etwas auszusagen. Zum Beispiel wird im Satz „Anna ist überzeugt, dass Regensburg an der Donau liegt“ davon, dass Regensburg an der Donau liegt, ausgesagt, dass Anna davon überzeugt ist. (Manche Ausdrücke sehen zwar aus wie Namen, sind aber keine, z.B. „nichts“. Würde nämlich „nichts“ tatsächlich verwendet, um auf etwas Bezug zu nehmen, um davon etwas auszusagen, so würde aus „N. N. hat nichts in der Tasche“ logisch folgen „N. N. hat etwas in der Tasche“, und folglich würde der Satz „N. N. hat nichts in der Tasche“ aus logischen Gründen falsch sein – was er natürlich nicht ist.)
Mit der Unterscheidung zwischen Namen, Sätzen und Prädikaten – im angegebenen logischen Sinn – sind drei Grundstrukturen der Sprache angesprochen, die ontologisch bedeutsam sind. Was verraten uns diese Grundstrukturen der Sprache über die Grundstrukturen des Seienden?
Namen zeigen Entitäten an
Lenken wir unsere Aufmerksamkeit zunächst auf die Namen. Namen dienen der semantischen Intention nach zur Bezugnahme auf etwas, also zur Bezugnahme auf eine Entität. Und an den Namen, die in einer Sprache auftreten, können wir dementsprechend ablesen, welche Entitäten der Sprache – jedenfalls der Absicht nach – zu Grunde liegen (über was mit ihr gesprochen werden soll); denn am Namen sieht man (er sagt es uns), auf was er Bezug nehmen soll. Die zwei Namen, die oben beispielhaft erwähnt wurden, „Anna“ und „Fritz“, sind Namen von Individuen. Es gibt aber noch ganz andere Namen. Den Namen „dass Regensburg an der Donau liegt“ habe ich ebenfalls schon erwähnt; bei ihm handelt es sich um einen Namen für eine sachverhaltsartige Entität. Doch auch der folgende Ausdruck ist ein Name: „quadratisch zu sein“. Wie andere Namen, dient dieser Ausdruck der Bezugnahme auf etwas, um davon etwas auszusagen (was etwa in dem folgenden Satz geschieht: „Quadratisch zu sein kommt häufig vor“). Der Name „quadratisch zu sein“ ist aber nun kein Name für ein Individuum oder eine sachverhaltsartige Entität, sondern ein Name für eine Eigenschaft. Statt „quadratisch zu sein“ kann man ja das explizitere Synonym „die Eigenschaft, quadratisch zu sein“ gebrauchen.
An den Namen können wir ablesen, mit welchen Entitäten die Sprache sozusagen „rechnet“, von welchen sie ausgeht. Wenn die Sprache Ausdrücke enthält, um auf etwas, d. h. auf gewisse Entitäten Bezug zu nehmen, um von ihnen etwas auszusagen, dann können wir anhand dieser Ausdrücke ersehen, welche Entitäten die Sprache – oder besser gesagt: jeder, der die Sprache spricht – voraussetzt. Wenn man einen Namen für etwas gebraucht, so ist nämlich in der Regel davon auszugehen, dass man auch dieses Etwas akzeptiert und nicht bloß den Namen dafür.
Namen zeigen Entitäten nicht sicher an
Doch ist eben bei diesem durch den Namen hindurch erfolgenden Akzeptieren eine gewisse Vorsicht am Platze. Namen sind nämlich nur gewisse Indikatoren für Entitäten. Wenn wir einen Namen für etwas haben, dann können wir nicht mit völliger Sicherheit daraus schließen, dass wir in gewissem Sinne auch dieses Etwas „haben“, nämlich dass wir mittels des Namens erfolgreich auf es Bezug nehmen. Es könnte sein, dass wir bloß den Namen haben, ohne das Etwas.
Freilich wäre dies eine Situation, die nicht regelgerecht ist; denn läge sie vor, so würden wir einen Ausdruck verwenden, der eigentlich – der Sprachnorm nach – der Bezugnahme auf etwas dienen soll, der aber diese Rolle gar nicht erfüllt, sondern bloß so aussieht, als ob er sie erfüllte. Der gewöhnlichen Erfüllung der Sprachnorm vertrauend, sind wir zunächst und bis auf weiteres berechtigt, bei jedem Namen anzunehmen: Wo ein Name, da auch die entsprechende Entität. Von dieser Annahme sollten wir nur abgehen, wenn gute Gründe dafür sprechen, und das müssen weiter reichende Gründe sein als die bloße Selbstverständlichkeit, dass kein logischer Schluss von „Fido“ auf Fido gilt (wie man so sagt).
Sonst – wenn den Namen hinsichtlich der Erfüllung ihrer Bezugsrolle immer und überall grundsätzlich misstraut würde – verlöre die Sprache einen Großteil ihrer ontologischen Relevanz, und die Konsequenz wäre keine andere, als dass Ontologie der Erkenntnisskepsis zum Opfer fiele – wie übrigens auch jede andere Wissenschaft (denn alle Wissenschaften sind auf die im Großen und Ganzen wohlfunktionierende singuläre sprachliche Bezugnahme angewiesen). Es wird aber nicht überraschen, dass sich an der Frage, welche Namen letztlich ontologisch ernst zu nehmen sind und welche nicht, die ontologischen Kontroversen entzünden.
Bezugslose Namen
Denn natürlich kann es – und wird es – vorkommen, dass ein Name vorliegt, ohne dass eine Entität dahinter steht. Oft erwähnte Beispiele sind die Kennzeichnungsnamen, bei denen die Beschreibung des intendierten Bezugs nicht erfüllt ist, etwa: „der im Jahr 2000 regierende König von Frankreich“. Ein syntaktisch perfekter Name, und augenscheinlich ein Ausdruck, der der Bezugnahme auf etwas dient, um davon etwas auszusagen, z. B. in „Der im Jahr 2000 regierende König von Frankreich fährt gerne Fahrrad“. In diesem Satz wird augenscheinlich von dem im Jahr 2000 regierenden König von Frankreich ausgesagt, dass er gerne Fahrrad fährt. Doch leider ist dies alles nur schöner Schein. Der angegebene Name scheint der Bezugnahme auf etwas zu dienen, aber er erfüllt diese Rolle tatsächlich nicht. Warum? Weil kein im Jahr 2000 regierender König von Frankreich vorhanden ist. Unter den Entitäten ist keine, die die im Kennzeichnungsnamen verwendete Beschreibung „ist König von Frankreich und regiert im Jahre 2000“ erfüllt – jedenfalls, wenn man dieses Prädikat im normalen Sinn versteht (so dass „regieren“ „existieren“ im Sinne von „wirklich sein“ einschließt) und auch den semantischen Terminus „erfüllen“ im normalen (unabgeschwächten) Sinn versteht. (Vgl. aber in Kap. V.5 die Aussagen zum starken und schwachen Haben von Eigenschaften.)
Dennoch bleibt es dabei: Hat man einen Namen für etwas, so hat man prima facie (zunächst und bis auf weiteres) guten Grund anzunehmen, hinter dem Namen stehe eine (seinem Sinn gemäß durch ihn bezeichnete) Entität. Es gibt allerdings Ausnahmen zu der Regel „Wo ein Name, da auch die entsprechende Entität“, aber es sind eben nur Ausnahmen (darin besteht jedenfalls das ontologische Urvertrauen). Deshalb können wir davon ausgehen, dass die Namen einer Sprache uns im Großen und Ganzen durchaus etwas darüber verraten, welche Entitäten anzunehmen sind, mithin auch darüber, mit welchen nichtleeren ontologischen Arten – Kategorien – gerechnet werden muss.
Namen nehmen Bezug, Sätze und Prädikate drücken aus
Die völlig entsprechenden Ausführungen gelten auch von Prädikaten und Sätzen, nur dass die semantische Rolle, die diese Ausdrücke haben, eine andere ist als die von Namen. Sie sollen nicht der Bezugnahme auf etwas dienen (und können dies auch nicht), sondern dem Ausdrücken von etwas. Die Erfüllung dieser Rolle mag im Einzelfall ausbleiben (und bleibt auch aus), es besteht aber kein Grund zu der Annahme, dass sie in jedem Fall ausbleibt. Vielmehr kann man in der Regel darauf vertrauen, dass gilt: Wo ein Prädikat bzw. Satz, da auch eine entsprechende (nun nicht benannte, sondern ausgedrückte) Entität.
Es darf in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben, dass einer der einflussreichsten Philosophen des letzten Jahrhunderts, Ludwig Wittgenstein (1889–1951), das eben gezeichnete Bild der Sprache, das man auch als semantischen Realismus bezeichnet (ein Realismus, der sowohl mit dem erkenntnistheoretischen Realismus als auch mit dem ontologischen Idealismus verträglich ist), in [4-1] einer grundlegenden Kritik unterzogen hat – mit letztlich skeptizistischer Intention und ohne tiefere Berechtigung, wie ich meine.
2. Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen
Zusammenfassung
In diesem Kapitel wurde beschrieben, an welchen Grundstrukturen der Sprache die Ontologie ansetzt, um – unter Voraussetzung eines semantischen Realismus – Grundstrukturen des Seienden offen zu legen. Es sind dies die Strukturen, die mit der syntaktisch-semantischen grundlegenden Unterscheidung zwischen Namen, Prädikaten und Sätzen angesprochen sind.
Lektürehinweise
Zur realistischen Semantik (mit anderen Worten: zum semantischen Realismus) und zu Alternativen siehe [4-2], Kap. 2.
Fragen und Übungen
Geben Sie Sätze an, die dadurch resultieren, dass etwas von etwas anderem ausgesagt wird, und benennen Sie jeweils das, was ausgesagt wird, und das, von dem es ausgesagt wird. (Beachten Sie: Wenn von Anna ausgesagt wird, dass sie Fritz liebt, und von Hans ausgesagt wird, dass er Fritz liebt, dann wird von beiden dasselbe ausgesagt, nämlich: Fritz zu lieben.) Geben Sie Sätze (d. h. Aussagesätze) an, die nicht in der Weise resultieren, dass etwas von etwas ausgesagt wird.
Geben Sie 15 Namen verschiedenster Art an, einfache und komplexe, Namen für Personen und Namen für Nichtpersonen, Namen, die nach Ihrer Meinung sicher etwas benennen, und Namen, die das nach Ihrer Meinung nicht tun.