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PAUL2

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Paul kocht Mirácoli.

»Mmh«, macht er, als der altbekannte Duft der Gewürzmischung die Wohnküche erfüllt. Wohlgerüche sind ein Feature, das Premiumprodukten vorbehalten ist: teuren Parfums, exklusiven Begleitservices und eben Mirácoli.

Theoretisch könnte sich Paul ausrechnen, wann ihm das Geld für solchen Luxus ausgeht. Aber das kann er immer noch nach seiner Mahlzeit tun.

Später, den Bauch voller Spaghetti, legt Paul die Beine hoch und startet Skype, um Mia anzurufen. Laut Weltzeituhr müsste sie gerade aufgestanden sein. Da auf Pauls Server permanent Sonnenaufgang herrscht, muss er ein bisschen aufpassen, um seine Freundin nicht mitten in der Nacht aus dem Bett zu klingeln.

»Moin«, grüßt Paul, als Mia den Anruf annimmt. Er muss grinsen, denn Mia trägt noch ihr Nachthemd und sitzt gerade am Frühstückstisch.

»Hallo Liebling«, gibt Mia zurück und deutet einen Luftkuss an. »Hast du gut geschlafen?«

»Ohne dich? Geht so.«

»Ich vermisse dich auch.« Mia schaufelt sich einen Löffel Müsli in den Mund und kaut. Das kann Paul allerdings nur ahnen, denn die Verbindung ist mittelmäßig, das Videobild pixelig und verwaschen.

»Ich spiele jetzt in einem Fußballteam«, erzählt Paul.

»Daf ift ja grofartig!«, sagt Mia mampfend. »Ich bin stolz auf dich.«

»Das erste Spiel haben wir immerhin nicht verloren.«

»Du verhältst dich vorbildlich«, sagt Mia. »Glaub mir, das ist nicht selbstverständlich. Viele sind echt durchgeknallt. Bleib, wie du bist, bitte. Bleib normal.«

»Ja, sicher …« Paul nickt. »Man hat ziemlich viel Zeit hier und muss schauen, wie man sie sinnvoll verbringt.«

»Schau ein paar Serien, die du schon immer sehen wolltest.«

»Mache ich.«

»Lies ein paar Bücher, die du schon immer lesen wolltest.«

»Mache ich.«

»Spiel ein paar Games, die du schon immer durchzocken wolltest.«

»Gute Idee«, sagt Paul. »Neverwinter Nights 3 zum Beispiel.«

»Außerdem kannst du dich an Online-Demos, Petitionen und Unterschriften-Aktionen beteiligen.«

»Das klingt nach einem sehr sinnvollen Plan«, meint Paul.

»Was Digital Natives auch im Leben tun, wofür sie aber nie genug Zeit finden. Du brauchst keinen Körper aus Fleisch und Blut, um bei Unterschriften-Aktionen gegen Abgase und Massentierhaltung mitzumachen, nur eine E-Mail-Adresse. Und die hast du ja.«

»Stimmt.«

»Es gibt übrigens eine ganze Menge Online-Petitionen zugunsten der Rechte von E-Toten.«

Paul klatscht sich die Hand vor die Stirn. »Natürlich! Darauf hätte ich auch selbst kommen können.«

Jetzt lächelt Mias unscharfes Videobild. »Gut, dass du mich hast.«

»Oh ja«, versichert Paul mit Nachdruck. »Danke, dass du für mich da bist.«

»Du, ich muss gleich zur Arbeit.«

Paul winkt. »Und ich muss tausende Petitionen unterschreiben!«

»Viel Spaß!«

»Ich liebe dich!«, sagt Paul zum Abschied.

»Ich dich auch.«

Mia schaltet ab.

Eilig trägt Paul Nudelteller und Besteck zur Geschirrspülmaschine und schaltet sie an. Eine knappe Stunde später werden sich Teller, Löffel und Gabel sauber im Schrank befinden. Eine tolle Technik, die das Leben echt erleichtert, findet Paul.

Dann macht er es sich mit einer Flasche zuckerfreier Gratis-Cola auf dem Sofa bequem, konzentriert sich voll und ganz auf seinen Großbildschirm und durchsucht das Netz nach Petitions-Websites speziell für E-Tote.

Schnell stößt Paul auf ein Portal, das sich laut Eigenwerbung darauf spezialisiert hat, die Berücksichtigung spezieller Bedürfnisse E-Toter bei Finanzdienstleistern einzufordern. Es geht um freien Zugang zu Aktiendepots, Stimmrechte bei Hauptversammlungen und Steuervorteile für Bewohner von Totenservern auf den Bahamas.

Paul ist sich zwar nicht sicher, ob die Forderungen sinnvoll oder für ihn persönlich von Nutzen sind, aber er unterschreibt trotzdem. Prima, der Anfang ist gemacht!

Nacheinander zeichnet Paul Petitionen für das Abitur auf dem dritten Bildungsweg, gegen die Streichung von Fördergeldern für die Weiterentwicklung von Astrologiesimulationen auf Totenservern und für den Geschlechtsverkehr mit beliebigen Partnern für Ex-Menschen.

Als er sich außerdem im Namen der Lebenden für den Erhalt des verbliebenen brasilianischen Regenwalds und die stärkere Besteuerung von Kerosin starkgemacht hat, fühlt er sich wie neugeboren. Er hat schon lange nicht mehr so viel bewirkt, ohne auch nur ein bisschen nachdenken oder anderweitig arbeiten zu müssen.

Kurz danach klingelt es an der Tür.

Es ist mal wieder Emma, aber heute präsentiert sie ihm kein Verführerlächeln, sondern eine überaus besorgte Miene.

»Paul Stein«, sagt sie an Stelle einer Begrüßung, »wir müssen reden.« Sie drängt sich an ihm vorbei in die Wohnung und bleibt neben dem Sofa stehen. »Schließ bitte die Tür.«

»Was ist denn los?«, fragt Paul verdattert.

»Zuerst die gute Nachricht: Es ist dir noch während deiner kostenlosen Tutorial-Tage passiert. Sonst könnte das jetzt echt teuer werden.«

Paul schluckt. »Es? Was ist mir passiert?«

»Du hast dir Feinde gemacht. Und dabei vergessen, Safe Browsing zu aktivieren.«

»Hä?«, macht Paul. Hätte Emma ihm ein paar Zeilen Programmcode vorgelesen, hätte er genauso viel verstanden.

»Setz dich hin«, sagt Emma, zeigt auf das Sofa und zieht ein längliches Messgerät mit Zeigern und Lämpchen aus der Tasche.

Paul lässt sich nieder. Während Emma das Gerät auf ihn richtet und unzufrieden den Zeigerausschlag beobachtet, murmelt Paul: »Und was ist die schlechte Nachricht?«

»Vielleicht bist du wirklich etwas naiv«, seufzt Emma. »Also. Es gibt da draußen, jenseits der Grenzen des Totenreichs, Leute, die überhaupt nichts vom Leben nach dem Tod halten. Jedenfalls nichts von dieser Art des Lebens nach dem Tod. Sie sind der Ansicht, dass ausschließlich ihr jeweiliger Gott dafür zuständig ist, Menschen auferstehen zu lassen.«

»Aber …«

»Reine Einbildung? Ja, geschenkt!«, schneidet Emma Paul das Wort ab. »Es geht hierbei nicht um Religion. Sondern um Hass, Neid und Eitelkeit. Um ganz normale menschliche Gefühle also. Diese Leute nennen E-Tote Zombies oder Schadcode. Verstehst du, was ich meine?«

»Nein«, muss Paul zugeben und sinkt in sich zusammen.

»Ein beliebtes Rezept von Extremisten ist es, sich selbst als Opfer darzustellen. Das legitimiert ihre Taten, verstehst du? Einen Zombie zu killen ist Notwehr, denn er will ihnen ja ans Fleisch. Schadcode ist nicht mehr als ein potenziell bedrohlicher Bug, der ausgemerzt gehört.«

»Aber ich bin kein Zombie.«

»Das kommt auf die Perspektive an. Du bist tot und läufst trotzdem noch herum. Vor allem aber bist du eine Projektionsfläche. Wer einen Zombie killt, also einen Feind der Menschheit, löst ein Problem dieser Welt und ist demzufolge ein Held. Hast du heute irgendwelche besonderen Websites besucht?«

Paul erbleicht. »Eine ganze Menge sogar«, gibt er zu. »Petitionen und so.«

»Du liebe Zeit«, sagt Emma. »Wahlrecht für E-Tote und dergleichen?«

»Etwas in der Art«, sagt Paul betreten.

»Schon mal von Honigtöpfen gehört? Oder Honeypots?«

»Klingt lecker.«

»Genau«, nickt Emma säuerlich. »Das sind Websites, die nur dafür da sind, um Opfer einer bestimmten Gruppe anzulocken und ihre Daten zu sammeln.«

»Scheiße«, stößt Paul hervor.

»Die Lebenden benutzen die Daten dann für einen hochoptimierten Angriff, um dir irgendwelche Trojaner oder anderen Schadcode unterzujubeln. Zum Beispiel ein Unterprogramm, das dich lebensmüde werden lässt, so dass du aus eigenem Antrieb dein Abo kündigst. Du wirst dann komplett gelöscht. Still und leise. Allerdings passiert das ziemlich selten.«

»Dann hab ich ja Glück«, sagt Paul.

»Wie man’s nimmt«, entgegnet Emma. »Die Angreifer mögen es lieber mit Knalleffekt als heimlich, still und leise. Sie lieben es, dein Ansehen nachhaltig zu schädigen. Zum Beispiel …« Das Tutorial schwenkt das Messgerät. Es verharrt auf Höhe von Pauls Unterleib. »Aha, da haben wir es ja schon.«

»Was denn? Ist mein Balken weg?«

»Das wäre bei weitem nicht so tragisch«, versetzt Emma. Sie hält Paul das Display des Messgeräts vor die Nase, das einen tiefroten Warncode blinken lässt. »Sie haben dir ein Pädophilie-Modul installiert.«

Paul schweigt. Presst die Lippen zusammen. Damit verhindert er gerade noch, »Aber was ist denn daran schlimm?« zu antworten. Er begreift im selben Moment, dass Emma ins Schwarze getroffen hat, denn diesen Satz hat ihm sicher eben-jenes Schadmodul eingeflüstert. Sein Scham-Algorithmus fährt hoch und lässt ihn rot anlaufen.

»Zum Glück stehst du an den ersten Tagen unter Tutorial-Überwachung«, sagt Emma. »Ansonsten wäre es nicht so schnell aufgefallen und du hättest Gelegenheit bekommen, sehr, sehr, sehr falsche Dinge zu tun.«

Paul fällt die Petition für Geschlechtsverkehr mit beliebigen Partnern ein und schließt die Augen. »Kannst du dieses Modul bitte entfernen?«

»Nein«, sagt Emma. »Zu aufwändig. Aus Sicherheitsgründen sehen die Nutzungsbedingungen, die du ja sicher komplett gelesen hast, für solche Fälle schlicht einen gebührenpflichtigen Reset vor. Du hast ein aktuelles Backup?«

»Von gestern Abend«, presst Paul hervor.

»Besser als nichts«, sagt Emma. »Du wirst gar nichts davon merken. Also dann.« Sie greift nach ihrer Handtasche und fummelt einen Schlüssel hervor.

Paul erinnert sich noch an das Gespräch mit Mia beim Frühstück. Das ist nicht im Backup. »Warte …«, sagt er noch, aber Emma schiebt ihm schon den Schlüssel durchs T-Shirt in den Bauchnabel und dreht.

Klick.

Willkommen auf dem Server gruft07 von e-tot.de. Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Tod.

Verdammte …

Paul zuckt heftig zusammen. Er sitzt auf seinem Sofa und die Sonne geht auf. In seiner Wohnung ist es still. Sehr still.

Die Systemuhr widerspricht seinem Zeitgefühl.

Er will mit Mia skypen, aber aus irgendeinem Grund ist bei den Lebenden schon Nachmittag. Seine Freundin ist bei der Arbeit und ihr Status lautet:Bitte nicht stören.

Verwirrt starrt Paul auf seinen Wandbildschirm. Er kann sich beim besten Willen nicht erinnern, was er den ganzen Tag getrieben hat. Er öffnet den Browserverlauf und sieht sich mit einer Liste von Websites für Online-Petitionen konfrontiert. Sein Mail-Postfach ist voller »Bestätigen Sie Ihre Teilnahme«-Links.

Genau in diesem Moment trifft eine weitere Mail ein. »Rechnung für Reset« lautet der Betreff. Der Text verweist auf die Nutzungsbedingungen, die e-tot.de dazu ermächtigen und verpflichten, bei fahrlässiger Beschädigung der eigenen Simulation einen kostenpflichtigen Reset auszuführen. Der Preis dafür ist schmerzhaft, denn die Gebühr beträgt 199 Coins. Inklusive 19 Coins Cashback in Form eines Gutscheins nach Wahl.

Paul löscht den Browserverlauf und die ganzen Petitions-Mails, so schnell er kann. Was auch immer damit nicht stimmte, allzu viele Resets kann er sich nicht mehr leisten.

Er wählt einen Gutschein für ein Fußball-Powerup, das seine Zweikampfstärke in der Defensive um satte fünfzehn Prozent steigert. Der zugehörige Online-Shop zeigt nach dem Einlösen des Gutscheins Unmengen weiterer auf ihn zugeschnittener Angebote. Leider kosten die besten Powerups mehr, als Paul sich im Moment leisten kann.

Aber man muss sich Ziele im Leben setzen, oder?

Und im Tod auch.

Paul beschließt, Fußballstar im Exitus zu werden. Das wird ihm eine Menge Spaß machen, er kann mit Leo abhängen und glorreiche Siege feiern. Er braucht dazu nur ein bisschen Startkapital, das er dann sehr gezielt in den Aufbau seiner Karriere investieren wird. Für etwaige Preisgelder kann er wiederum Verbesserungen erwerben. Ein durchdachter Plan!

Aber jetzt hat Paul erstmal Hunger.

Weil es so still in seiner Wohnung ist, schaltet er eine Sitcom an. Dann kocht er Mirácoli.


Tutorial für E-Tod-Newbies: Ihre Rechte

Ihre Rechte sind uns wichtig! Ihre Simulation basiert auf Daten in unseren Systemen. Daten haben vor dem Gesetz keine Rechte. Rechte kann nur der Besitzer der Daten geltend machen, und der sind laut Ihrem E-Tod-Vertrag wir, der Server-Anbieter Ihres Vertrauens. Die Ihnen von uns zugesicherten Zweitrechte – insbesondere das Recht auf Vorhalten Ihrer Daten für den Zeitraum Ihres zahlungspflichtigen Abonnements – verteidigen wir in Ihrem Namen nötigenfalls vor Gericht. Die fälligen Kosten sind durch unsere Rechtsschutzversicherung bis 1 Mio. EUR gedeckt, darüber hinausgehende Beträge müssen wir Ihnen leider in Rechnung stellen.

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