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2. Von Rom nach Paris
ОглавлениеAber wie hatte sich die erste Begegnung zwischen Richelieu und Mazarin gestaltet? War der Erste Minister Frankreichs, dessen Machtposition seit 1624 ständig gewachsen war, indem er seine Gegner mit eiserner Härte dem Henker übergab, bereit, dem jungen Emissär des Papstes Aufmerksamkeit zu schenken? Hatte der diplomatische Sendbote der Kurie, der als Hauptmann eines Friedenskorps nichts anderes als Frieden anstreben konnte, gegenüber jener Eminenz eine Chance, die trotz des kirchlichen Ranges eines Kardinals zum Krieg entschlossen war?
Als Mazarin am 28. Januar 1630 in Lyon eintraf, hatte er zunächst Gelegenheit, die militärische Macht der französischen Truppen in ihrer makellosen Organisation zu bewundern. Nicht weniger als 25 000 Soldaten und 4000 Reiter, kriegserprobt sowie mit Waffen und Nahrungsmitteln wohlversorgt, standen zur Überquerung der Alpen bereit. Und nicht zuletzt die Waffenelite des französischen Adels war dem Aufruf Ludwigs XIII. gefolgt, um den französischen Machtanspruch bis nach Norditalien auszudehnen – war dies doch schon das ehrgeizige Ziel von Franz I. ein Jahrhundert zuvor gewesen.
Am folgenden Tag hatte Mazarin dann Gelegenheit, sich mit einem Beglaubigungsschreiben des Papstes zu legitimieren und dessen Position vorzutragen. Er durfte drei Stunden lang monologisieren, ohne dass Richelieu, den offensichtlich die geistige Wendigkeit und rhetorische Raffinesse des jungen Römers faszinierte, ihn unterbrach – sehr genau dürfte er diesen diplomatischen Artisten einer mentalen Überprüfung unterzogen haben. Auch erstaunte offensichtlich den mächtigen Minister, der stets eine kalte Würde ausstrahlte, dass Mazarin in ruhiger Souveränität seinem Status, der Gesandte einer gleichrangigen Macht Europas zu sein, Geltung verschaffte.
Kardinal Richelieu, Erster Minister Frankreichs von 1624 bis 1642, Vorgänger und Förderer Mazarins. Gemälde (1635) von Philippe de Champaigne.
Sein Konzept, den Frieden zu sichern oder wenigstens in einem Waffenstillstand diese Option offenzuhalten, sah vor, die Monatsfrist des Aufmarsches der französischen Truppen vor Casale zu Verhandlungen über einen Interessenausgleich zu nutzen. Es sollte und müsste doch möglich sein, in direktem Kontakt mit Spinola und Collalto deren Kriegsziele mit denen von Frankreich in einem Kompromiss so zu vereinbaren, dass ein militärischer Konflikt vermieden werden könne. Er, Mazarin, sei bereit, als Unterhändler die jeweiligen Kriegsziele der einen Kriegspartei mit denen der anderen abzugleichen, wenn ihm von allen das Verhandlungsmandat zugestanden würde. Richelieu blieb am Ende des offenen Gesprächs unnachgiebig – er wollte die militärische Auseinandersetzung, um die politische Präsenz Frankreichs in Norditalien zu etablieren und zu sichern.
Weder Annäherung noch Vereinbarkeit der Positionen der kriegsbereiten Mächte, wie er sie mit seinem Mandat zu erreichen hoffte, konnte und wollte ihm Richelieu in Aussicht stellen. Dennoch ließ er es nicht an einer gnädig-günstigen Geste gegenüber dem päpstlichen Gesandten fehlen – man bat ihn zum Diner an den Tisch des Kardinals. In den nächsten zwei Tagen, als der politische Meinungsaustausch fortgesetzt wurde, gelang es Mazarin, wenigstens eine geringe Chance für sein Friedensvotum zu erhalten – als Zeichen seines guten Willens wollte Richelieu Befehl geben, dass der Marschall Créqui eine kurze Erkundungsreise nach Montferrat zu den gegnerischen Feldherrn Spinola und Collalto unternehme. Allerdings könne dies nur unter der Bedingung geschehen, dass Papst Urban VIII. sich offen und eindeutig zugunsten Frankreichs erkläre. Mazarin musste bekennen, dass damit sein Mandat überschritten sei.
Es war dann nicht ein Monat, bis die französischen Truppen vor Casale aufmarschierten, sondern es wurden neun Monate, die Mazarin zu ständigen Verhandlungen mit den Kriegsgegnern nutzte. Vor und dann nach dem geschilderten Friedenskompromiss vor Casale in letzter Minute hatte aber auch eine Annäherung zwischen Richelieu und Mazarin stattgefunden, die zu Beginn des Jahres 1631 ihre Fortsetzung fand, als Mazarin nach Paris eilte, um die Feinheiten des endgültigen Friedensvertrages mit Richelieu abzustimmen. Es wurde ihm dort ein triumphaler Empfang bereitet, und er wurde dem König sowie der Königin vorgestellt. Bei dieser Gelegenheit soll sich Richelieu gegenüber Anna von Österreich die Taktlosigkeit, deren historische Richtigkeit jedoch auszuschließen ist, erlaubt haben, ihr Mazarin mit dem Satz zu empfehlen: „Madame, er wird Ihnen gefallen, er sieht aus wie Buckingham.“1 Es war eine Anspielung auf den Duke of Buckingham, den Günstling der englischen Könige Jakob I. und Karl I. und einflussreichen Politiker, der sich 1625 in einem Park von Amiens Anna von Österreich in unziemlicher Leidenschaft genähert hatte.
Die definitiven Friedensverhandlungen fanden am 6. April und 19. Juni in Cherasco (Piemont) statt und hatten zur diplomatischen Ausgangslage, dass alle eroberten Plätze ihren ursprünglichen Besitzern zurückerstattet werden sollten. Dadurch konnte der Herzog de Nevers seine neuen Herzogtümer Mantua und Montferrat wieder in Besitz nehmen, die zwischenzeitlich von Spanien besetzt worden waren. Wäre diese Regel auch im Fall von Pinerolo zur Anwendung gekommen, hätte die Stadt an Savoyen zurückfallen müssen. Die Spanier schickten Kontrolleure dorthin, um die Übergabe zu überprüfen, waren aber so unachtsam, nicht in die Kasematten zu schauen, wo sich 227 der besten französischen Soldaten verborgen hielten. Um die endgültige Übergabe der Stadt an Frankreich zu gewährleisten, waren Geheimverhandlungen zwischen Mazarin und dem Herzog Viktor Amadeus erforderlich, die das ganze Jahr 1632 in Anspruch nahmen, bedurfte es doch einer scheinkriegerischen Auseinandersetzung zwischen Frankreich und Savoyen. Diplomatische Voraussetzung des französischen Scheinsieges war die Zustimmung Savoyens, dass Pinerolo, allerdings gegen eine stattliche Summe für den Herzog, endgültig den Franzosen übergeben wurde, sodass die in der Festung verborgenen Soldaten wieder auf offener Szene erscheinen konnten.
Nicht nur während der sich lange hinziehenden Verhandlungen am Hofe von Savoyen in Turin, der offiziellen wie der geheimen, sondern überall dort, wo er auftauchte, und nicht zuletzt in Paris, setzte Mazarin verführerisch duftende Essenzen für die Damen und überaus elegante Handschuhe für die Herren ein, um mit diesen Geschenken eine ihm und seiner Mission günstige Atmosphäre zu schaffen. Er selbst inszenierte sich in überwältigend kostbarer Garderobe und erwies sich als Meister kunstreich stilisierter Komplimente.
Auch gegenüber Richelieu bediente er sich fein ziselierter Phrasen, die von seiner scheinbar grenzenlosen Unterwürfigkeit zeugen sollten und zugleich von seiner überläuferischen Bereitschaft, seine Talente zwar weiterhin für den Papst zum Einsatz zu bringen, aber zugleich überaus geneigt zu sein, sich dem bewunderten Kardinal in Paris zu verpflichten. Als er Richelieu den Erfolg seiner finessenreichen Manöver in Savoyen melden konnte, tat er es in vorgespielter Bescheidenheit: „Eminentissime und reverendissime Seigneur, mein sehr verehrter Maître … Ich gebe mich damit zufrieden, dass die Ereignisse Euer Eminenz meinen Wunsch offenbaren, Ihnen zu dienen.“2 Er diente in der Tat Frankreich, das mit seiner Hilfe den habsburgisch-spanischen Korridor über die Altenpässe gesprengt hatte und sich in Norditalien fest etablieren konnte.
Aber noch stand Mazarin in den Diensten der Kurie, und fast als Aufforderung an Richelieu, ihn aus dieser Abhängigkeit zu befreien, klang die Klage über seine gefährdete Rolle in Rom: „In Rom sind sehr bösartige Worte gegen mich gefallen, der Grund dafür ist die Ehre, die mir von seiner Majestät und Eurer Eminenz zuteil geworden ist. Daher stammt der Neid, von dem die Böswilligen getrieben wurden, tausend falsche Dinge über mich zu schreiben.“3 Der Hintergrund dieses Lamen tos dürfte eher gewesen sein, dass Papst Urban VIII. zwar seinen so erfolgreichen Unterhändler feiern ließ – sogar eine Münze zu Ehren des Friedens von Casale wurde geprägt –, ihm aber ansonsten jede Gunst verweigerte und nicht zuletzt jede Aufstiegschance nur zögernd gewährte. Auch wollte und musste der Papst vermeiden, jenen Mann zu fördern, der zum Schaden Spaniens so bravourös agiert hatte, und Spanien dominierte in Rom bis zur Überzahl der Kardinäle und bis in den Palazzo des Fürsten Colonna, dem Mazarins Familie besonders verpflichtet war.
Aber das wesentliche Motiv dieser Zurückhaltung war die Absicht Urbans VIII., seinen unruhig-weltoffenen Emissär, der so gern und verführerisch am vergnügungsreichen Hof von Savoyen in Turin als Gesellschafter der Damen agierte, an die Kurie zu fesseln – das Mittel dazu war, ihn zum Kleriker zu machen. So war Mazarin bereits im Dezember 1631 die durch einen Todesfall vakant gewordene Kanonikerstelle an der Kirche Santa Maria Maggiore offeriert worden, freilich mit der Auflage, Kleriker zu werden. Zudem hatte Papst Sixtus im Jahre 1589 in einer Bulle festgelegt, dass der Inhaber einer kirchlichen Pfründe nur über das mit ihr verbundene Geld verfügen könne, wenn er sich der Tonsur unterzogen habe und ein geistliches Gewand trage. Mazarin aber ging es nur um das Geld.
Eine weitere mit 500 römischen Dukaten dotierte Pfründe eines Kanonikers, diesmal an der Kirche San Giovanni in Laterano, offerierte ihm der Papst im Mai 1632 – sogar mit der Konzession, dass Mazarin nur die erste Tonsur („prima tonsura“) absolvieren müsse und sich auch dieser nur in symbolischer Form unterziehen müsse, wie ihm ein Breve mit dem Titel „De non incendendo“ gestattete, dessen Inhalt ihm zudem diskret („per segreta“) mitgeteilt wurde. Auch könne die Prozedur von einem Bischof seiner Wahl vollzogen werden. Für die weitere Ausnahme, nicht die Soutane tragen zu müssen, fand sich im unendlich dehnbaren kanonischen Recht der gewünschte Dispens, der das Datum der Verbindlichkeit in eine unbestimmte Zukunft verlegte. Mazarin, der sich im Sommer 1632 am französischen Hof aufhielt, unterzog sich dieser Minimalzeremonie auf einer Reise, die Ludwig XIII. nach Lothringen unternahm – Mazarin wie der römische Nuntius Kardinal Alessandro Bichi zählten zum Gefolge des Königs.
Am 18. Juni 1632 wurde Mazarin in Sainte-Menehould der fiktiven Tonsur unterzogen – die Schere klapperte über seinem Kopf ins Leere, ohne ein Haar zu berühren, während er vor dem Bischof niederkniete. Psalmen wurden gesungen und eine Messe abgehalten. Der spätere Kardinal und Erste Minister Frankreichs hat über diese Szene nie ein Wort geäußert und sie offensichtlich aus seinem Gedächtnis getilgt.
Doch die Kurie verlangte von ihm, nach Rom zurückzukehren, wo das offizielle Vatikan-Journal am 20. November 1632 vermeldete: „Seigneur Mazarini hat bei seiner Rückkehr aus Frankreich und der Lombardei vor fünf Tagen das kirchliche Gewand angelegt, des Kanonikats von San Giovanni in Laterano wegen, das ihm seine Heiligkeit übertragen hat.“4 Schließlich fügte er sich und zog die Soutane an – seinen Widerwillen brachte er im Spott zum Ausdruck, als er Mademoiselle de Senneterre nach Paris meldete: „Wenn Sie wüssten, wie ungeduldig ich mich danach sehne, wieder in Paris zu sein, um Ihnen meine Verehrung zu Füßen zu legen, würden Sie mich, dessen bin ich sicher, noch mehr lieben. Bereiten Sie sich jedoch darauf vor, zu lachen, wenn Sie mich im Gewand eines Nuntius sehen werden, denn es ist arg verschieden von dem, das ich früher getragen habe.“5 Die „Liebe“ war im gehobenen Tonfall des Barock von sehr inflationärem Gebrauch, denn die „Verehrte“ war eine Dame von sechzig Jahren.
Eine Aufwertung seiner Stellung in Rom erlangte Mazarin auch dadurch, dass er zu einem der Pronotare ernannt wurde. Der Pronotar war eine geachtete Institution, bestand seine Aufgabe doch darin, die päpstlichen Episteln aufzusetzen – in diesen geheimen Schriften konnte es um die Papstwahl, aber auch um die Umwandlung von nicht ehelichen in eheliche Kinder gehen. Die Pronotare gehörten dem Prälatenkollegium an und hatten Vorrang vor den anderen Mitgliedern dieses Kollegiums, sodass sie als Bischöfe in Wartestellung galten. Ihre violette Gewandung dürfte Mazarins ästhetische Erscheinung und sein hierarchisches Ansehen erhöht haben. Diese Rangerhöhung war ein weiterer Versuch des Papstes, seinen wendigen Emissär zufrie den zustellen und damit unter Kontrolle zu halten.
Doch Mazarins Blick richtete sich mehr und mehr nach Frankreich, und das hieß, selbst und gerade in Rom politische Aktivität zugunsten Frankreichs zu entfalten. Papst Urban VIII. hatte den Nepotismus erneut zu besonderer Blüte gebracht, indem er seine beiden Neffen Francesco und Antonio Barberini zu Kardinälen erhoben hatte und mit hohen Ämtern in der Kurie betraute. In ihrem Gegensatz spiegelte sich auch die europäische Machtbalance, denn der gestrenge Macht politiker Francesco Barberini war Spanien zugeneigt, während der die schönen Künste fördernde Antonio Barberini sich mehr und mehr als Vertreter der französischen Interessen etablierte. So war es Antonio Barberini, nur wenig jünger als er selbst, in dem Mazarin einen Mitstreiter für den französischen Einfluss auf die Kurie fand – sogar freundschaftliche Nähe wusste er mit seinem scheinbar grenzenlosen Anpassungs vermögen herzustellen.
Zunächst jedoch ernannte Urban VIII. Mazarin zum „Auditor des Kardinals Antonio für die Angelegenheiten in Avignon“, nicht zuletzt um dessen Lebensunterhalt zu sichern. Denn weder der Kardinal noch sein Auditor begaben sich in die ferne päpstliche Enklave, wies doch das faszinierend flirrende Luxusleben in Rom die raffiniertesten Verführungen auf. Auch ging der Palazzo Barberini gerade seiner Vollendung entgegen, sodass schon 1632 in dessen Theatersaal der Karneval gefeiert wurde und die Oper „Sant’Alessio“ – Libretto Giulio Rospigliosi, Musik Stefano Landi – zur Aufführung kam. Dass der Librettist Rospigliosi, Autor mehrerer melodramatischer Opern, 1667 als Papst Pius IX. den Stuhl Petri bestieg, zeigt die Symbiose von katholischer Kirche und überbordender Lebenskultur jener an Opulenz reichen Epoche. Maskiert und von erlesenen Düften umweht, stürzten sich der Kardinal Antonio und sein ihm eng verbundener Auditor in den festlichen Wirbel. Hier hat Mazarin seine Theaterleidenschaft, besonders für die römische Oper, entdeckt und erstmals ausgelebt, so intensiv, dass er später versuchte, diese Oper in Paris zu etablieren.
Nur konsequent geriet der kunstsinnige und vielfältig sensible Kardinal Antonio in den Bannkreis der gefeierten Sängerin Leonora Baroni, die das vom Krieg zerstörte Mantua verlassen hatte und 1633 in Rom die Szene betrat. Sie hatte ihre Auftritte nur in den prächtigen Palazzi Roms, da im Kirchenstaat Frauen nicht in den Frauenrollen der Opern auftreten durften – an ihre Stelle traten Kastraten, die in ganz Europa überschwänglich gefeiert wurden. Leonora Baroni, hochgebildet und von strahlender Weiblichkeit, hat sogar den puritanischen englischen Dichter John Milton auf seiner Romreise derart fasziniert, dass einige seiner Gedichte ihr gewidmet sind.
Auch Kardinal Antonio begann mit einer so schüchternen Verehrung der Diva, dass es des Freundes Mazarin bedurfte, ihr wenigstens ein Zeichen seiner Zuneigung zu übermitteln, als er in jenen sommerlichen Tagen an der Seite seines päpstlichen Onkels in Castel Gandolfo weilte:
„Ich habe nur Ruhe finden können bei dem Gedanken, dass es Ihnen gelingen möge, der Signora Leonora einen Gruß von mir auszurichten, ihr selbst zu schreiben, wage ich nicht, denn ich kann nicht hoffen, eine Antwort zu verdienen … Es wird also geschehen, o Gott, dass Sie in dieses gesegnete Haus gehen, dass Sie diesen Engel sehen und hören, während ich kein anderes Gespräch habe als das mit blühenden Büschen und den einsamen Wegen, die meine Gedanken nicht hindern, mich mit dem Gegenstand meiner Sehnsucht zu beschäftigen.“6
Noch recht lange hält diese sentimentale, der übertreibenden Rhe torik jener Epoche verpflichtete Suada an, aber sie richtet sich zunehmend direkt an Mazarin mit der Frage, „ob das Gesetz der guten Freundschaft zwischen uns“ nicht dadurch gefährdet werden könnte. Zur Gewissheit darüber, „ob ich eifersüchtig bin“, fand er jedoch auch nicht, schließlich bereitete es ihm Trost, dass die „Macht der Liebe“7 zu dieser Dame ihn wie zwangsläufig in ihren Bann geschlagen habe. Sicher ist, dass auch Mazarin bei einer der Soireen, die in ihrem Hause stattfanden, eigene Gedichte vorgetragen hat, nicht ganz sicher ist, ob auch er ihr Geliebter geworden ist – der spätere Kardinal hat sich dieser Frage wie auch in anderen Fällen mit höchster Diskretion entzogen.
Sicher aber ist, dass Kardinal Antonio bald ans Ziel seiner weltlichen Sehnsüchte gelangte, die bei den hohen Kirchenfürsten Roms keine Seltenheit waren. Je höher der Rang des Gönners im Kirchenstaat, desto größer die Willfährigkeit der Damen – der junge Mazarin hat deshalb kaum hoffen dürfen. Als jedoch im Jahre 1640 die Neigung des Kardinals Antonio für die Dame Leonora ihr Ende gefunden hatte, verheiratete er sie mit seinem Sekretär Castellani. Es war zugleich der Beginn oder auch schon die Fortsetzung seiner Leidenschaft für den Kastraten Marc’Antonio Pasqualini, der 1630 Mitglied des Chors der Sixtinischen Kapelle geworden war. Die künstlerische Faszination, die in den Jahren 1632 bis 1634 der Sänger auf Mazarin ausübte, war so groß, dass er ihn 1647, inzwischen selbst zum die Politik Frankreichs bestimmenden Minister aufgestiegen, nach Paris kommen ließ, um in der Rolle des Aristeo in Giulio Rossis Oper „Orfeo“ zu brillieren.
Aber in jenen turbulenten römischen Jahren verlor der Pronotar des Papstes nicht die familiären Pflichten aus dem Auge und verheiratete seine Schwester Laura Margareta mit dem Sohn Hieronimo des einflussreichen Majordomus Vincenzo Martinozzi – er führte den Hofstaat des Kardinals Antonio. Wie eng die persönlichen Verflechtungen in Rom waren, verrät schließlich die sentimentale Verbindung der anderen Schwester Anna-Maria, die Nonne geworden war, mit der umschwärmten Sängerin Leonora Baroni.
Über ein Jahr hatte sich Mazarin auf das Legat in Avignon vorbereitet, aber er zögerte, denn die päpstliche Enklave in Südfrankreich könnte schnell zum Exil werden. Im August 1634 reiste er dennoch von Rom ab, da eine Verweigerung ihn um seine Stellung in der kurialen Hierarchie gebracht hätte, doch es geschah mit Pomp und großem Gefolge. Kardinal Antonio hatte für eine prunkvolle Karosse gesorgt, die von sechs kräftigen Maultieren gezogen wurde, und seine Begleitung war personenreich – sein Sekretär Dom Alessandro, der Violinspieler Michele Angelo und sein Vetter Niccolò Buffalini durften nicht fehlen. Kein Reisetempo beunruhigte die Karawane, die zu so manchem Umweg bereit war, um so manches historische Bauwerk in Augenschein zu nehmen. Nicht weniger als drei Monate waren für die gemächliche Reise über Florenz, Modena, Bologna, Ferrara, Parma, Mailand und Turin nach Avignon erforderlich.
In dem gefürchteten Avignon, wie es die wechselvolle Gunst des Papstes so mit sich brachte, war sein Aufenthalt nur kurz – Urban VIII. hatte für seinen ehrgeizigen Diplomaten eine Mission, die auch eine Falle sein konnte. Als außerordentlicher Nuntius sollte er an den französischen Hof reisen, und sein Auftrag bestand in der Lösung von drei Aufgaben: König Ludwig XIII. zu überreden, sich von seinen protestantischen Bündnispartnern in Deutschland, vor allem aber auch von den Schweden, zu trennen, das Herzogtum Lothringen in seinen alten Grenzen zu restituieren und die Ehe, die sein Bruder Gaston d’Orléans heimlich mit Margarete, der Schwester des lothringischen Herzogs Karl IV., geschlossen hatte, nicht länger in ihrer sakralen Gültigkeit zu bekämpfen.
Wohl eher in von Zweifeln begleiteter Hoffnung hatte der Papst seinen Friedensstifter von Casale nach Paris geschickt, wo Kardinal Richelieu seit Langem jenen Eroberungskrieg nach Nordosten führen wollte, den 1610 das Messer Ravaillacs verhindert – nunmehr nur verzögert hatte. In einem Dossier für den König hatte der Kardinal im Jahre 1633 formuliert, dass „es notwendig sei, an die Befestigung von Metz zu denken und dann bis Straßburg vorzudringen, um, wenn es möglich sei, einen Eingang (‚une entrée‘) nach Straßburg zu gewinnen“.8 Es müsse das Ziel des Königs sein, „sein Reich bis an den Rhein auszudehnen …Wenn er diese Pfänder in der Hand hätte, würde er zum Richter über Krieg und Frieden werden, über die man ohne ihn nicht entscheiden könnte.“9 Richelieu war schon über die Kriegsbereitschaft zur Kriegsentschlossenheit gelangt – die causa für einen bellum iustum dürfte sich finden.
Auf dem Weg zum Rhein galt es, Lothringen zu minimieren und möglichst zu beseitigen, also in Abhängigkeit von Frankreich zu bringen oder zu einem Teil Frankreichs zu machen. Für den wiederholten Einmarsch in Lothringen und die Eroberung von Nancy diente der Vorwurf, Herzog Karl IV. habe Bündnisse mit frankreichfeindlichen Mächten geschlossen, als wäre dies nicht das Recht eines souveränen Staates. Ludwig XIII. zog die Okkupation des Herzogtums vor, da für die Annexion die Legitimation fehlte, aber sie kam de facto der Integration gleich. Herzog Karl IV. hatte bereits zugunsten seines Bruders Nikolaus Franz abgedankt, nachdem er gezwungen worden war, auf jedes Bündnis mit dem Kaiser zu verzichten. Er war in die Spanischen Niederlande nach Brüssel geflüchtet. Die Restitution des unabhängigen Herzogtums Lothringen war für Frankreich ausgeschlossen.
Eine gewisse Genugtuung dürfte es dem neuen Herzog Nikolaus Franz verschafft haben, dass es ihm gelang, seiner Schwester Margarete von Lothringen-Vaudémont, die eine geheime Ehe mit Gaston d’Orléans eingegangen war, zur Flucht aus dem belagerten Nancy zu verhelfen – sie gelangte als Mann verkleidet nach Brüssel zu ihrem Gemahl, wohin auch seine Mutter, Königin Maria de’ Medici, vor ihrem ältesten Sohn geflohen war. Ludwig XIII. wollte die Ehe seines Bruders, da ohne seine Zustimmung geschlossen, annulliert sehen, doch Gaston hatte sich abgesichert und seine geheime Ehe kirchlich legitimieren lassen – von keinem Geringeren als von Papst Urban VIII. selbst, der nun seinen außerordentlichen Nuntius beauftragte, dafür zu sorgen, dass diese Ehe von Ludwig XIII. akzeptiert werde.
Mazarin wusste, dass er zur dreifachen Erfolglosigkeit verdammt war, und versuchte dennoch, seine diplomatische Niederlage in einen persönlichen Sieg zu verwandeln. So nutzte er den grandiosen Empfang, der ihm in Paris bereitet wurde, zur Annäherung an die politische Position Frankreichs. Aber an den harten Fakten führte trotz des Wohlwollens, das Ludwig XIII. ihm entgegenbrachte, kein Weg vorbei, als es galt, mit dem Bruder des Königs zu einer Verständigung zu kommen. Gaston d’Orléans war nach der schmählichen Niederlage seines Heeres, das er gegen seinen königlichen Bruder aufgeboten hatte, in Brüssel trotzdem in einer Position der Stärke. Denn es war undenkbar, dass Richelieu den Krieg gegen Spanien beginnen konnte, solange sich Gaston im feindlichen Ausland aufhielt, war er doch der nächste Thronanwärter, da sein königlicher Bruder seit seiner Heirat mit Anna von Österreich im Jahre 1614, also seit über zwanzig Jahren, ohne den ersehnten männlichen Erben geblieben war.
In der Kriegsfrage, die zunehmend zu einer militärischen Antwort führen musste, kam Richelieu Mazarin scheinbar entgegen, indem er dessen Vorschlag, die konfliktgeladene Situation auf einem Friedenskongress unter Beteiligung vor allem von Habsburg zu klären, nicht krass zurückwies, sondern diese Möglichkeit der Konfliktlösung nicht ausschloss. Geschickt hatte Mazarin diesen Kongress unter das Patronat Urbans VIII. gestellt, sodass es dessen Aufgabe war, den mit päpstlicher Autorität ausgestatteten Legaten zu benennen, und auch Frankreich und Spanien-Habsburg wurden eingeladen, ihren Kongressbevollmächtigten zu bestimmen – als Konferenzort war bereits Köln in Aussicht genommen. Diese noch weit entfernte Friedensperspektive, über die Mazarin ständig neue Depeschen an Urban VIII. schickte, verschaffte ihm immer neuen Aufschub, den französischen Hof nicht verlassen zu müssen. Gegenüber einem generell legitimierten Nuntius, der zeitlich unbegrenzt an einen ausländischen Hof entsandt wurde, war die Rolle des außerordentlichen Nuntius strikt an die speziellen Aufgaben seiner Mission gebunden – diese hätte im Fall der drei offenen Fragen nach zwei Wochen als negativ erledigt angesehen werden müssen, aber Mazarin verstand es, seine Anwesenheit in Paris auf nicht weniger als sechzehn Monate auszudehnen.
Er nutzte diese Zeit intensiv und geschickt, um mit Richelieu zu einem tiefen Vertrauensverhältnis auf Gegenseitigkeit zu gelangen – sogar Freundschaft entwickelte sich zwischen beiden. Sie steigerte sich zu immer neuen Einladungen des Ersten Ministers nach Rueil, wo Richelieu sich ein glanzvolles Schloss errichtet hatte, von dem heute auch nicht die geringste Ruine erhalten ist. Mazarin hatte, keine Kosten bis hin zur persönlichen Verschuldung scheuend, ein stattliches Anwesen in unmittelbarer Nähe gemietet, wo er seinerseits Gäste empfangen und mit seinen bevorzugten Geschenken – feine Lederhandschuhe und verführerische Duftwässerchen – versehen konnte.
Nach Rom skizzierte er seine Rolle als bevorzugter Gast des Ersten Ministers:
„Zwei von dreimal lässt mich seine Eminenz zum Diner bleiben. Er veranstaltet kein Fest in seinem Haus, ohne mich dazu einzuladen, und besteht darauf, dass ich ihn zu den Festen des Königs begleite. Im Privaten erweist er mir viel Vertrautheit und im Öffentlichen besonderen Respekt. Wenn er sich gegen die Langeweile im Spiel unterhalten will, verpflichtet er mich, ihm Gesellschaft zu leisten.“10
Der Standes- und Altersunterschied erlaubte es dem mächtigen Minister, gegenüber dem jungen Diplomaten aus Rom seine kalt-verschlossene Haltung aufzugeben und ihn mit geistvollen Sentenzen und allerlei Spitznamen zu versehen – von dem Anagramm „Rinzama“ bis zu dem spöttischen Namen „Colmardo“. Dies die Bezeichnung des geringsten Mitbruders einer Klostergemeinschaft, dessen Auftrag im Kohlschneiden bestand.
Aber schließlich brachte der im Mai 1635 von Frankreich erklärte Krieg die Friedensmission Mazarins um ihre Sinnhaftigkeit – und seinen Aufenthalt am französischen Hof ebenfalls. Es war nunmehr, immerhin schon April 1636, unvermeidlich, seine Position als Vizelegat in Avignon einzunehmen, wo er sich wie „im Grabe“11 fühlte, da die wenigen administrativen Aufgaben schnell erledigt waren und auch der wieder ausgebrochene Spieltrieb ihn nicht aus der Langeweile befreite, selbst dann nicht, wenn er hohe Summen verspielte. Doch nicht weniger als neun Monate musste er in der päpstlichen Enklave ausharren, bis ihn die freundschaftliche Gunst des Kardinals Antonio befreite, indem er ihn zu seinem Majordomus („maestro da casa“) ernannte. Diese Rückkehr nach Rom ließ ihn in die konfliktreiche Atmosphäre des Hauses Barberini geraten, an dessen Spitze sich Papst Urban VIII. auch deshalb nicht zu größerer Gunst gegenüber Mazarin entschließen konnte, weil damit der Vorwurf verbunden gewesen wäre, in seiner politischen Haltung zunehmend Frankreich zu begünstigen – und sich von Spanien abzuwenden.
So verweigerte der Papst ihm sowohl eine bedeutende Rolle in der sich langsam etablierenden päpstlichen Delegation für den Friedenskongress wie auch eine Nuntiatur am Hofe Frankreichs – zumal die Nuntiatur am Hofe Ludwigs XIII. unmittelbar zur Würde des Kardinals geführt hätte. Auf der Vorschlagsliste für den nächsten Kardinalshut zugunsten Frankreichs stand, so wollte es Richelieu, an erster Stelle sein Vertrauter, der legendäre Père Joseph, an zweiter Stelle aber Mazarin. Als Père Joseph überraschend Ende 1638 starb, war Mazarin der erste Anwärter, den zu akzeptieren für den Papst nicht infrage kam.
Seine Frankreichnähe brachte den Vertrauten Richelieus in Rom zunehmend in Gefahr, sogar seine nächtliche Ermordung musste er fürchten. Dennoch beließ ihn der mächtige Minister Frankreichs so lange wie möglich in Rom, war Mazarin doch der wertvollste Lieferant geheimer Informationen aus der Kurie. Im Dezember 1639 erreichte ihn schließlich die offizielle Einladung Ludwigs XIII., nach Paris zu kommen: „Es wäre mir sehr angenehm, wenn Sie sich so schnell wie möglich zu mir begeben könnten … um mich mit Ihnen über jene Angelegenheiten austauschen zu können, die mir sehr wichtig sind.“12 Von Civitavecchia gelangte er zu Schiff, da die Kriegswirren die Landwege sperrten, nach Marseille und von dort ungefährdet nach Paris, um Frankreich zu dienen. Er sollte niemals nach Rom zurückkehren.