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Vorzeichen Ein Königsmord und 25 Jahre Frieden

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Am 14. Mai 1610 kam die Karosse Heinrichs IV. in der engen Straße La Ferronnerie zum Stillstand, weil zwei Wagen, einer mit Heu, der andere mit Wein beladen, die Weiterfahrt blockierten. Der König hatte den Louvre verlassen, um im Arsenal seinen Finanzminister, den Herzog de Sully, zu besuchen. Die ihn begleitenden Edelleute und Diener nahmen eine Abkürzung über den nahen Kinderfriedhof („Les Innocents“), und der Kutscher des Königs versuchte, sich mit Schlägen auf die Pferde freie Fahrt zu verschaffen.

Heinrich IV. war mit dem Herzog d’Épernon ins Gespräch vertieft, als ein groß gewachsener, kräftiger, rothaariger Mann, der der königlichen Karosse schon seit der Ausfahrt aus dem Louvre gefolgt war, auf die Hinterachse der Karosse sprang und mit einem Messer dreimal auf den König einstach. Der erste Stich drang durch sein Wams und verletzte ihn nur leicht an der zweiten Rippe, der zweite drang zwischen fünfter und sechster Rippe in die Brust ein und verletzte die Aorta – es war eine tödliche Verletzung –, der dritte glitt am Körper des Königs ab und traf nur den Ärmel des Herzogs de Montbazon. Blut floss aus dem Mund des Königs, der noch sagen konnte: „Ich bin verletzt“,1 dann zogen die Pferde die königliche Karosse im Galopp zurück in den Louvre. Dort angekommen, war Heinrich IV. bereits tot, er war das Opfer des siebzehnten Attentats auf ihn geworden – nach sechzehn Attentaten, die er mehr oder weniger verletzt überlebt hatte.


François Ravaillac, der Heinrich IV. am 14. Mai tötete. Zeitgenössischer Stich mit den ovalen Porträts von Heinrich IV., Maria de’ Medici und dem jungen König Ludwig XIII.

Sein Mörder hieß François Ravaillac. Er hatte ein sozial und geistig ungeordnetes Leben geführt, war wie sein Vater in Rechtsgeschäften im Lande unterwegs, und in die Hauptstadt, wohin ihn vor allem seine Frömmigkeit getrieben hatte, war er zu Fuß gelangt. Sowohl beim Orden der Feuillanten, wo er als Laienbruder gedient hatte, wie bei den Jesuiten war er auf Zurückweisung gestoßen. Man misstraute ihm, da er, von Visionen getrieben, aus dem seelischen Gleichgewicht geraten war. Vor seiner Vierteilung, die auf der Place de Grève mit grausamer Härte vollzogen wurde, gab er als Motiv für seine Tat an: „Der König wollte Krieg führen gegen den Papst … den Heiligen Stuhl nach Paris bringen und die Häresie triumphieren lassen.“2 Zwar hatte der König im Jahr 1598 mit dem Edikt von Nantes für einen friedlichen Ausgleich zwischen Katholiken und Hugenotten gesorgt, aber nicht zuletzt katholische Theologen sahen in ihm weiterhin einen Ketzer und hatten die Theorie des Tyrannenmords gegen ihn entwickelt.

In der Tat war Heinrich IV., als ihn der tödliche Messerstich traf, mit Épernon im Gespräch über die Planung eines unmittelbar bevorstehenden Krieges und auf dem Weg ins Arsenal, wo sich die gut gefüllte Kriegskasse befand: „Im Arsenal werde ich Ihnen den Plan zeigen, den Escures (der Generalmarschall für Stationierung und Verpflegung der Armeen) entworfen hat, um den Durchmarsch unserer Armee zu sichern. Sie werden damit zufrieden sein.“3 Es ging dem König nicht nur um die militärische Stärke, für die große finanzielle Aufwendungen notwendig waren. Seine Truppenkontingente erreichten die Mannschaftsstärke von 280 000 Mann – derartige Heeresstärken waren seit den Kreuzzügen nicht mehr erreicht worden. Das in Savoyen für den Einmarsch in Italien bereitstehende Kontingent wies 12 000 Infanteristen und 200 Reiter auf, und das verbündete Venedig hatte die Truppenstärke auf 14 000 Mann erhöht – deren Bezahlung leistete die französische Staatskasse. An der Südgrenze Frankreichs stand ein Heer von 25 000 Mann, bereit, in Spanien einzufallen. Der König selbst wollte das Kommando über ein in der Champagne aufgestelltes Heer von 35 000 Mann übernehmen, um in nordöstlicher Richtung in Deutschland einzudringen.

Es ging ihm aber auch und vor allem um die politische und diplomatische Offensive – den „Befreiungskrieg“, der die geopolitische Umklammerung Frankreichs durch Habsburg und Spanien aufbrechen sollte. So unterstützte Frankreich den seit 1571 schwelenden Aufstand der „Geusen“ in den Spanischen Niederlanden. Die Allianz mit England unter Elisabeth I. war während des französischen Religions-krieges für Heinrich IV. von größter Bedeutung gewesen, auch hatte der Untergang der spanischen Armada im Jahr 1588 den Seeweg von Spanien in die Spanischen Niederlande unterbrochen, und den Landweg über die Alpenpässe versuchte Frankreich durch einen Vertrag mit Graubünden zu blockieren, der die Zahlung von 1,2 Millionen Livres einschloss – insgesamt verschlangen die Subsidienverträge mit seinen Koalitionspartnern nicht weniger als zwanzig Prozent des französischen Staatshaushalts. Und schließlich betrachtete Heinrich IV. den 1598 mit Spanien geschlossenen Vertrag von Vervins nur als einen Waffenstillstand.

Es stand also eine Neuauflage der permanenten Kriege bevor, in die sich im 16. Jahrhundert Kaiser Karl V. und Franz I. verstrickt hatten. Dem habsburgisch-spanischen Herrscher ging es seinerzeit um die „Monarchia universalis“, die in der Einheit des katholischen Glaubens den Frieden und seine Herrschaft in Europa sichern sollte. Der französische König, der nicht zögerte, sogar mit dem Osmanischen Reich ein Bündnis zu schließen, um das Habsburgerreich auch im Rücken angreifen zu können, verfolgte sowohl eine Verteidigungspolitik seiner vorgeblich eingekreisten Lande wie eine offensive Strategie gegen den universalen Machtanspruch des deutschen Kaisers – schließlich ging es beiden um die Dominanz in Europa.

Für die Wiederaufnahme des Kampfes um die europäische Hegemonie fehlte Heinrich IV. bis zum Jahr 1610 nur der wie auch immer legitimierte Kriegsgrund, der sich nun fand. Bereits Franz I. hatte Frankreich zur Schutzmacht für mehrere deutsche Reichsfürsten protestantischer Konfession erklärt, nun schaltete sich der französische König in die Erbfolge im Herzogtum Kleve und Jülich ein. Dessen Herzog Johann Wilhelm war am 25. März 1609 ohne männlichen Erben gestorben, sodass entsprechend den Reichsrechten das Herzogtum als Reichslehen an den Kaiser zurückfiel. Die Schwiegersöhne des verstorbenen Herzogs, der Markgraf von Brandenburg und der Sohn des Grafen von Pfalz-Neuburg, sahen in diesem kaiserlichen Recht nur den Versuch des Kaisers Rudolph II., das Herzogtum seinem Parteigänger, dem Kurfürsten von Sachsen, zukommen zu lassen.

Der zweite Messerstich Ravaillacs ließ die grandiose Kriegskulisse Heinrichs IV. einstürzen und gewährte Frankreich eine Friedensfrist von 25 Jahren, während bereits acht Jahre später der Dreißigjährige Krieg in Deutschland ausbrach. Es sollte im Westfälischen Frieden die Frage der Vorherrschaft in Europa beantwortet werden – zugunsten Frankreichs. Dieser Friedensvertrag wurde die politisch-diplomatische Meisterleistung seines Ersten Ministers Kardinal Mazarin.

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