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Kapitel 3: Ein leeres Gefühl

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Ich saß am Tisch und guckte überwiegend auf meinen leeren Teller. Manchmal ging mein Blick auf die Menschen vor Ort, doch kurze Zeit später fixierte ich ihn zumindest rein optisch immer wieder zurück auf meinen Teller. In diesem Moment spürte ich eine unbeschreibliche Leere. Dabei fand gerade meine Abschlussfeier statt, weshalb es eigentlich genug Anlass zur Freude geben sollte.

Es war ein Gefühl der Perspektivlosigkeit. Ich dachte, es wäre einfach auf mein persönliches Leben bezogen. Damals erschien mir diese Erklärung schlüssig, denn mir stand ein neuer Lebensabschnitt bevor, der auch schon zuvor Bedenken in mir hervorgerufen hatte.

Ich spürte, dass es nichts würde, weil die Vorgeschichte bereits das ganze Vorhaben belastet hatte. In der Zeit vor dem Abschluss habe ich mich durch mein politisches Interesse von meinem Freundeskreis distanziert; unsere Ansichten über das Leben als Ganzes haben sich zu sehr auseinandergezogen. Ich habe diese Tatsache damals sehr bedauert, blieb jedoch meinem Interesse treu und opferte es nicht, um zu einem fragwürdigen Freundeskreis dazuzugehören.

Zudem muss hinzugefügt werden, dass ich mich nicht selbst ausgeschlossen habe, sondern diese Initiative von meinen damaligen Freunden ausging.

Anscheinend war ich als naturwissenschaftlich, geschichtlich und politisch begeisterter Mensch nicht erwünscht, denn all dies unterschied sich zu sehr von den eher banalen Interessen der anderen. Diese Entwicklung zog sich über ein Jahr, bis ich schließlich im indirekten Sinne verbannt wurde.

Daher hatte ich im zweiten Halbjahr der zehnten Klasse deutlich weniger Freunde als die Jahre davor. Ich wollte mir zu keinem Moment ausmalen, was für Unwahrheiten über mich verbreitet wurden und wie über meine Person allgemein geredet wurde. Das Ganze nahm ich sogar damals relativ auf die leichte Schulter, denn die Menschen werden immer reden und verbreiten dabei gewollt oder ungewollt Unwahrheiten über jeden und alles Mögliche. Im Zeitalter des Internets war es für mich einfach, die weggefallenen Freunde durch für mich interessantere Bekanntschaften zu kompensieren.

Dennoch empfand ich die Tatsache als sehr bedauernd, dass langjährige Freunde aus meinem Leben weitgehend verschwanden. Ich versuchte grundsätzlich, bei jedem Thema mitzureden, wenn ich gesehen habe, dass der Gesprächspartner darauf besteht; sowas habe ich persönlich leider während meiner Schulzeit auf mich bezogen selten erlebt. Dementsprechend war auch verständlicherweise mein Selbstwertgefühl etwas angeschlagen, da ich danach auch Zweifel an mir selbst hegte.

Das Gefühl der Leere auf der Abschlussfeier war mir also bei Weitem nicht unbekannt.

Es war knapp ein Jahr vor dem Abschluss, ich bemerkte eines Tages eine besondere Verbindung zu einer Person. Ich blickte ihr ein erstes Mal in die Augen und verliebte mich in sie. Dieses Gefühl war echt und wiederholte sich im späteren Verlauf meines Lebens bei keiner einzigen Beziehung wieder, unabhängig davon, wie viel Freude und Spaß vorhanden waren.

Nach einem Abend und einem Gespräch mit dieser Person konnte ich mein Glück nicht fassen, es schien alles seinen richtigen Lauf zu nehmen. Jedoch kam nach zwei Tagen das gleiche Gefühl in mir hoch, dass ich dann am Abschlussball erneut verspüren durfte.

Es hielt nicht lange an, hinterließ aber in mir einen tiefen Zweifel, der sich in meinem Gedächtnis verankert hat. Ich verstand damals nicht, weshalb ich so etwas dabei empfinden könnte, da es einfach unpassend erschien.

Ich ahnte, dass sich unsere Wege irgendwann schmerzlich trennen würden und dass alles schon feststünde. Selbstverständlich versuchte ich, das alles nicht ernst zu nehmen, und maß dem zu der Zeit auch keine allzu große Bedeutung bei. Dessen ungeachtet wurde alles Mögliche meinerseits getan, damit diese damalige Art trotz der Vorahnung nicht zur Realität würde, allerdings ohne Erfolg.

Letzten Endes musste ich akzeptieren, dass wir beide keine gemeinsame Zukunft hatten. Umso schmerzhafter wird das alles, wenn die ergriffenen Maßnahmen nichts bewirkt haben. Dennoch bleiben die schönen Erinnerungen in mir bestehen, vor allem jene beiden Tage, an denen ich noch an sie denken konnte, ohne dabei im Hintergrund etwas Negatives zu spüren.

Diese Zeit nimmt sogar nach elf Jahren einen besonderen Platz in meinem Herzen ein, denn in meinem Fall bleibt nur die Erinnerung. So schleppte ich den ganzen Tag an meiner Abschlussfeier dieses Gefühl erneut mit mir herum; schließlich musste ich es an dem Abend so hinnehmen.

Als ich mich dazu entschloss zu gehen, blickte ich noch einmal auf den Saal mit seinen Leuten und merkte umso deutlicher, dass alles bald zur Vergangenheit gehören würde.

Draußen blickte ich für eine Weile in den dunklen Himmel. Dadurch verstärkte sich zwar für einen kurzen Augenblick in mir deutlich das Gefühl der Leere, aber zum Glück hatte auch das am nächsten Tag sein Ende.

Ich frage mich immer wieder, wie es wohl ist, dauerhaft mit so einem Gefühl zu leben, denn diese Leere hat mich verschlungen, zumindest für eine kurze Zeit in zwei unterschiedlichen Situationen.

Vor allem musste ich zuerst dahinterkommen, durch was genau dieses Empfinden bei mir ausgelöst wurde. Ich vermute, dass mein ehemals widersprüchliches Verhalten in diversen Lebenssituationen dazu beigetragen hat. Zwar änderte ich mich schon in sehr jungen Jahren in eine eher positive Richtung, zumindest im allgemeinen Leben. Allerdings muss ich zugeben, dass ich in jüngeren Jahren einen gewissen Schaden angerichtet und damit auch einige Menschen im Leben sehr negativ beeinflusst habe.

Ein Gewissen war bei mir grundsätzlich immer vorhanden, dementsprechend stellte ich dieses Verhalten auch schnell ein. Dennoch änderte es nichts an den bereits begangenen Taten, wobei diese sich im Vergleich zu den Taten anderer Menschen mehr als begrenzt in Bezug auf ihre Bösartigkeit verhalten. Ich wurde in keinem Sinne jemals verurteilt, aber mein Bewusstsein hat mir eines Tages die Augen geöffnet. Jedoch ist es sogar mit einem eher harmlosen Vergehen deutlich komplizierter zu leben, wenn man ein wirkliches Gewissen besitzt.

Daher haben sich die im Verhältnis zahlenmäßig geringen schlechten Taten in meinem Kopf verankert und lösen manchmal ein schlechtes Gewissen aus, selbst wenn ich mich in jeder Hinsicht gebessert habe.

Grundsätzlich denke ich nicht an diese Geschehnisse aus der Vergangenheit, aber mein Bewusstsein scheint mir in wichtigen Lebensereignissen zu signalisieren, dass sich schlechte und verlogene Taten von früher negativ auf die weitere Entwicklung auswirkten.

Zwei wichtige Lebensereignisse waren in diesem Sinne die Bekanntschaft mit einer sehr geliebten Person und mein Abschluss sowie die damit verbundenen Pläne für das weitere Leben.

Menschen mit einem weniger ausgeprägten Gewissen werden vermutlich niemals so ein Empfinden verspüren und können sich grundsätzlich mehr erlauben, ohne jegliche Zweifel zu bekommen.

Außerdem ist es für sie auch leichter, zu jeglichen Erfolgen zu gelangen. Allerdings frage ich mich, ob es sich dabei wirklich um gute Geschöpfe handelt.

Diese Art von Leuten wird vermutlich auch nur eine angebliche Reue spüren und zeigen können, wenn die Situation es verlangt. Jedoch handelt es in diesem Fall nur um ein künstliches Verhalten, das nichts mit dem inneren Empfinden zu tun hat. Ich empfand bei keinem Mal Trauer, Hass oder etwas dergleichen, aber aus irgendeinem Grund hatte ich eine Art Vorahnung, dass die Zukunft nicht die gesetzten Erwartungen erfüllen würde; womöglich haben die schlechten Erwartungen aus der Vergangenheit irgendeinen entscheidenden Einfluss darauf genommen.

Mein Leben gestaltete sich auch ganz anders, als ich es jemals geplant hätte. Zwar konnte ich einige Ansätze während meiner Existenz verwirklichen, doch das Entscheidende ist mir nicht gelungen.

Mittlerweile weiß ich, dass dieses Empfinden der Leere und Perspektivlosigkeit am Abend der Abschlussfeier nicht nur direkt auf mein weiteres Leben bezogen war, sondern auch deutlich darüber hinaus. Die Welt an sich kommt mir immer leerer vor, trotz der zahlreichen Möglichkeiten, die man angeblich hat.

Deshalb sehe ich auf längere Sicht keine Zukunft im positiven Zusammenhang, denn durch die Widersprüche würde ich mich eines Tages in eine Sackgasse führen.

In solch einer Welt mit unzähligen Kriegen, Gier, Leid, Lügen und sonstigem Übel, nur um an mehr Macht zu gelangen, kann das persönliche Leben nicht unberührt bleiben. Zumindest nehme ich es so bei mir wahr.

Das nicht bestehende Interesse meiner schulischen Umgebung am politischen Geschehen sowie der Geschichte allgemein verband ich damals mit dem Niveau der mittleren Reife. Als ich jedoch anfing, das berufliche Gymnasium zu besuchen, musste ich mir eingestehen, dass es auf der Oberschule um dieses Interesse genauso schlecht steht. Die Bildung ist dort zwar tatsächlich in einigen Bereichen fortgeschrittener, aber bedauerlicherweise scheint das Desinteresse der Lehrkräfte und Schüler zum allgemeinen Weltgeschehen mit dem identisch zu sein, was ich zuvor bereits bei anderen beobachten konnte.

Während dieser Zeit kam es zum sogenannten Arabischen Frühling und ich ahnte schon ganz am Anfang, dass es weitgehend ein großes Dilemma mit sich bringen würde, bei dem die Doppelmoral und Scheinheiligkeit erneut ihresgleichen suchen würden.

Ende 2010 beschäftigte ich mich erstmals mit den anfänglichen Protesten und erkannte auch hauptsächlich wohlmeinende Ansichten und Ziele; jedoch ist ein gutes Vorhaben keine Garantie für eine positive Umsetzung des Gedachten. Vor allem im Nahen Osten mit all seinem großen Konfliktpotenzial können Folgen bis ins unbedenkliche Ausmaß entstehen.

Ein Sturz eines ungeliebten Machthabers bringt grundsätzlich keine Freiheit mit sich und besonders keinen sofortigen Wohlstand. Ebenso kann ein Krieg endlos erscheinen, unter anderem dadurch bedingt, dass sich unzählige Staaten einmischen. Dennoch kann man auch positive Entwicklungen durch den Arabischen Frühling verzeichnen; das kann selbstverständlich als Erfolg bezeichnet werden.

Man muss auch dabei den Wunsch nach sozialen und politischen Veränderungen im Sinne einer Demokratie besonders hervorheben, denn eine autoritäre Führung ist grundsätzlich nicht zu befürworten. Der Arabische Frühling nahm seinen Anfang im Dezember 2010 in Tunesien.

Der Gemüsehändler Mohammed Bouazizi begann aus Protest eine Selbstverbrennung, da ihn die Behörden in seinem schon ohnehin schon schweren Leben noch zusätzlich schikanierten.

Mohammed Bouaszizi starb am 04.01.2011 an den Folgen der Verbrennung in einem Krankenhaus. Diese Selbstverbrennung war der letzte Funke zur Eskalation und es kam zu großen Protesten.

Durch die stark gestiegenen Lebensmittelpreise, die hohe Arbeitslosigkeit, Korruption, Medienzensur und eine allgemein autokratische Herrschaft vom damaligen Staatsoberhaupt Zine El-Abidine Ben Ali war genug Nährboden vorhanden. Die Proteste zeigten Wirkung und Zine EL-Abidine Ben Ali flüchtete aus Tunesien, da er nicht mehr Herr der Lage werden konnte.

Nach seiner Flucht konnte er sein luxuriöses Leben in Saudi-Arabien weiterführen, wo er schließlich September 2019 starb. Eine Verurteilung konnte aufgrund seiner Flucht nicht stattfinden und der internationale Haftbefehl änderte nichts an diesem Zustand.

Jedoch konnte Tunesien unabhängig von Ben Alis Schicksal einen großen Triumph feiern, denn der Weg zu einer Demokratie war ermöglicht. Die Wahl zur verfassunggebenden Versammlung in Tunesien im Oktober 2011 gab der neuen demokratischen Macht ein rechtliches Fundament. Allerdings hatte auch das alles seinen Preis, denn während der Proteste starben 78 Zivilisten.

Hinzu kommt ein großer Schaden an diversen Gebäuden, die Wirtschaft musste über 1,5 Milliarden Euro an Verlusten verzeichnen. Traurigerweise muss man auch erwähnen, dass diese Zahlen sogar als absolut verhältnismäßig betrachtet werden können, da der Arabische Frühling als Ganzes eine viel blutigere Statistik ohne vergleichbares Ergebnis aufweist.

Tatsache bleibt aber, dass sich Tunesien heutzutage zu Recht eine Demokratie mit Aufholbedarf nennen kann, auch wenn immer noch Berichte über Folter und willkürliche Verhaftungen auftauchen…..

Dennoch hat sich zweifellos die Menschenrechtslage nach der Jasminrevolution 2011 zum Besseren gewandelt. Anmerken lässt sich noch der Fakt, dass in Tunesien kein intensives Einmischen von Drittstaaten zu erkennen war. Es war kein Geheimnis, dass Tunesien im Ganzen einen prowestlichen Kurs jeglicher innenpolitischen Entwicklung fortsetzen würde, denn die wirtschaftlichen Verbindungen mit der EU sind ausschlaggebend.

Hinzu kommt, dass Tunesien einer der größten Verbündeten der USA außerhalb der NATO ist. Angenommen, die Jasminrevolution stellte eine Bedrohung für den prowestlichen Kurs dar, dann würde höchstwahrscheinlich Zine EL-Abidine Ben Ali bis zu seinem Tod in Tunesien weiter herrschen und danach einen Nachfolger aus der Familie ernennen dürfen.

Eine fremde Macht müsste auch immense Ressourcen aufwenden, um das Bündnis zwischen Tunesien und dem Westen zu torpedieren. Der Aufwand und der gegenseitige Schaden hätten sich nicht gelohnt und schössen deutlich über die Verhältnismäßigkeit hinaus.

Dementsprechend hatte Tunesien die Möglichkeit, sich im weitgehenden Maßstab nach dem richtigen Volkswillen ohne größeres Leid zu bewegen.

Tunesien war der erste Dominostein, der den Arabischen Frühling in Gang setzte; jedoch konnte bei Weitem nicht jeder solch ein Happy End aufweisen. Im Grunde genommen waren die Ereignisse in Tunesien ein Impuls für andere Staaten im Nahen Osten, Veränderungen in Form von Protesten zu bewirken.

In Ägypten fing es im Januar 2011 auch mit Protesten an, allerdings deutlich blutiger und mit mehreren hundert toten Zivilisten. Die Gründe für die Proteste wiesen eine verblüffende Ähnlichkeit mit denen in Tunesien auf.

Der damalige, seit 30 Jahren autoritär regierende Präsident Husni Mubarak konnte letztlich zum Rücktritt gezwungen werden und eine Verurteilung fand ebenfalls statt. Am Anfang war eine lebenslange Haftstrafe vorgesehen, dann nur eine dreijährige Haftstrafe wegen Veruntreuung und Korruption, zwischendurch wurde sie dann abgelehnt und am Ende doch noch ausgesprochen…..

Mubarak wurde nach diesem Hin und Her zwar zu einer Haftstrafe verurteilt, kam jedoch 2017 unter Auflagen wieder frei .

Sein Leben endete am 25.02.2020. Der Rücktritt Mubaraks führte jedoch nicht zu den erhofften Veränderungen. Mohammed Mursi war der Nachfolger, der bei den ersten freien ägyptischen Präsidentenwahlen im Juni 2012 als Präsident hervorging. Seine Amtszeit konnte sich ein Jahr halten, denn die Unzufriedenheit mit seiner Politik führte schnell zu neuen Protesten, die wiederum Gewalt und Chaos mit sich brachten.

Im Juli 2013 putschte erneut das Militär gegen Mursi, danach wurde er zu mehreren lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Jedoch endete auch sein Leben am 17.06.2019, wohlgemerkt kurz nach einer gerichtlichen Anhörung. Es kam zu einer Staatskrise in Ägypten zwischen 2013 und 2014, während der tauschende Menschen durch die damit verbundenen Unruhen starben.

Zu einer gewissen Stabilität kam es, als der hochrangige Militär Abdel Fatah El-Sisi im Sommer 2014 Präsident von Ägypten wurde. Beachtenswert ist dabei, dass er sich beim gewaltsamen Staatsstreich von 2013 mithilfe der Streitkräfte quasi selbst an die Macht brachte.

Dabei hält sich die Stabilität bedingt durch einen autoritären bis diktatorischen Führungsstil. Die ganze Ironie ist, dass die Revolution von 2011, die Militärputsche sowie die Staatskrise 2013/14 mit tausenden von Toten nur zum vorherigen Zustand geführt haben.

Ägypten ist von seinem Führungsstil her genau wieder das geworden, was es schon vor der Revolution 2011 war. Dementsprechend ist das Land drei Jahre lang im Kreis gegangen und am Ende war das Resultat nur ein neuer Herrscher mit altem Führungsstil. Der Arabische Frühling begrenzte sich bei einigen Staaten auf ein Signal, dass große Unzufriedenheit vorhanden ist und auch Taten seitens der Menschen folgen können. Die Proteste in Algerien fanden zwar auch statt und es kam teilweise zu großen

Auseinandersetzungen, andere wiederum wurden von der Staatsgewalt im Keim erstickt und bei einigen kam es zu heftigen Schlachten zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten. Die Unruhen in Algerien dauerten zeitweise mit Unterbrechungen etwa zwei Jahre und verloren 2012 an Intensität, bis 2019 die Proteste erneut angeheizt wurden. Der Grund dafür war das der damalige Präsident Abd al-Aziz Bouteflika, der seit 1999 regierte und eine fünfte Amtszeit antreten wollte.

Allerdings waren die Proteste eindeutig gegen dieses Vorhaben gerichtet, da auch seine wichtigste Stütze, das Militär, für die Demonstranten Verständnis zeigte. So sah sich Abd al-Aziz Bouteflika gezwungen, im April 2019 aus der Politik austreten. Möglicherweise ein weiser und cleverer Schritt, denn er kann sein Leben in aller Pracht weiterführen, im Gegensatz zu anderen ehemaligen Machthabern im Nahen Osten.

Das Ganze mag davon zeugen, dass das politische System in Algerien zwar unbestreitbarerweise deutliche Defizite aufwies, allerdings von einem blutrünstigen Regime weit entfernt war und bei massiven Einsprüchen der Bevölkerung nachgegeben hat.

Zudem muss man Algeriens Neutralität in der Außenpolitik hervorheben, da die Strategie grundsätzlich auf Vermittlung und gegen Krieg in diversen Situationen ausgelegt war. Einen noch viel sanfteren Verlauf kann Marokko vorweisen. So kam es zwar auch dort teilweise zu gewalttätigen Protesten, allerdings in deutlich milderer Form im Vergleich zu anderen arabischen Staaten. Der König Muhammad VI. stimmte letzten Endes für eine Verfassungsreform, bei der er weitgehend viele seiner Rechte verlor. Die Judikative und Exekutive sollten deutlich voneinander getrennt und unabhängig ausgebaut werden. Dies alles mag bei Marokko wenig überraschen, denn dieses Land wies auch schon davor eine gewisse Demokratisierung auf, König Muhammad VI. galt bereits als Reformer und die Proteste waren grundsätzlich nicht gegen seine Person gerichtet. Marokkos Außenpolitik stand auch nie zur Diskussion und so ist Marokko ein treuer Wirtschaftspartner der EU und einer der engsten Verbündeten der USA als Nicht-NATO-Staat.

Deshalb drohte Marokko allein schon unter dieser Tatsache genau wie bei Tunesien kein Abrutschen ins totale Chaos, denn die verbündeten Mächte hätten allem Anschein nach immer im Fall der Fälle geholfen – auch zum Nachteil der Protestierenden, wenn diese eine Gefahr für die Außenpolitik Marokkos dargestellt hätten.

So zeichnete sich ein ähnlich milderes Bild in Jordanien, Dschibuti, Oman, Irak, Mauretanien, Kuwait und den palästinensischen Autonomiegebieten ab, in denen auf einige Forderungen der Demonstranten eingegangen wurde.

Zwar kam es nach einiger Zeit zu neuen Protesten, allerdings zeigte das herrschende System eine gewisse bis sehr deutliche Kompromissbereitschaft.

In Bezug auf Jemen muss noch dessen besonders komplizierte Lage berücksichtigt werden, da dort auch ohne den Arabischen Frühling großes Konfliktpotenzial lauert und teilweise schon lodert. So zieht sich der Huthi-Konflikt schon 16 Jahre hin und ein Ende scheint nicht in Sicht zu sein. Sogar der Sudan lässt sich zu den oben genannten Fällen auflisten, wobei im April 2019 ein Militärputsch den Präsidenten für abgesetzt erklärte. Es kam erneut zu einem Machtkampf mit dutzenden von Toten, bei dem jedoch der Militärrat und die Opposition auf einen gemeinsamen Nenner kommen konnten und gemeinsam eine Regierung bildeten.

Im Vergleich zu den noch folgenden Staaten hielt sich auch hier die Gewalt im Großen und Ganzen weitestgehend zurück. Es lohnte sich für keine große fremde Macht, diese Länder ins Chaos zu stürzen, denn dieses Vorhaben wäre für das eigene Interesse nicht rentabel gewesen.

Damit kann man tatsächlich davon ausgehen, dass bei diesen Ländern ein richtiger Volkswille ohne großartige Beeinflussung aus dem Ausland vorhanden war. Bemerkenswert bleibt die Tatsache, dass in Saudi-Arabien während des Arabischen Frühlings Demonstrationen stattfanden, vorausgesetzt, man weiß über das Demonstrationsverbot in jenem Land.

Wie zu erwarten war, brachten es die Proteste dort nicht sehr weit, denn das Regime scheute sich nicht davor, die Demonstranten mit aller Härte zu neutralisieren. Saudi-Arabien gilt als ein sehr unfreies Land, das unter anderem Homosexuelle hinrichtet, diverse Musik bzw. Kunst verbietet sowie bestraft.

Außerdem werden Truppen auf fremden Boden wie in den Jemen entsandt oder auch in den Bahrain geschickt, um da ebenfalls die Regierung gegen die Proteste des Arabischen Frühlings zu unterstützen. So wurde auch der Protest in Bahrain durch saudische Unterstützung mit aller Härte niedergeschlagen. Im Ganzen führt Saudi-Arabien eine Politik, die dem westlichen Verständnis zuwiderläuft.

Die Kritik seitens der USA, Deutschland und anderer westlicher Staaten hält sich weitestgehend zurück.

Anscheinend ist das geopolitische Interesse in diesem Fall viel zu groß, weshalb hier keine Möglichkeit vorhanden zu sein scheint, um sich für die Menschenrechte in jenem Land einzusetzen.

Das mag auch wenig verwundern, wenn man bedenkt, welches Potenzial Saudi-Arabien mit seinem Erdölvorkommen aufweist und welchen Einfluss es auf den Ölpreis und somit auf das Weltgeschehen ausüben kann. Außerdem ist das Land ein großer Kunde deutscher Waffenbauer. Nach der brutalen und hinterlistigen Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul wurden die Waffenlieferungen jedoch vorläufig gestoppt. Allerdings werde ich den Gedanken nicht los, dass diese Maßnahme nur ein symbolischer Akt war, denn bei solch einer Tat wäre das Ausbleiben einer Reaktion sehr schädlich für die eigene Glaubwürdigkeit gewesen.

Man kann jedoch davon ausgehen, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis die Bundesrepublik Deutschland ihre Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien fortsetzt, denn Geld regiert bekannterweise die Welt.

Saudi-Arabien genießt eben einen besonderen Platz im westlichen Wertesystem, unabhängig davon, dass dieser Staat gegen alle Prinzipen ist, auf denen der Westen

angeblich basieren soll. Der Arabische Frühling war vom Grundsatz her der Wunsch nach einem gerechteren Leben; deshalb ist dieses Vorhaben in keiner Weise zu verurteilen. Viele Staaten ließen Reformen zu, vorausgesetzt, diese Veränderungen beeinflussten nicht die Außenpolitik des Landes im erheblichen Maße.

Weiterhin stellt sich die Frage, warum der Arabische Frühling an dem Ort, in dem er am meisten notwendig war, gnadenlos im Keim erstickt wurde und diese Tatsache von der westlichen Wertegemeinschaft einfach hingenommen wurde. Verständlicherweise handelt es sich hier um eine rhetorische Frage, denn der Punkt mit den eigenen wirtschaftlichen sowie militärischen Interessen erklärt natürlich dieses Verhalten.

Im Großen und Ganzen kann man den arabischen Staaten eine gewisse Freiheit zuschreiben, denn trotz anfänglichen Zögerns und Gegensteuerns haben viele Länder letztlich den Protesten Gehör geschenkt und gaben in gewisser Hinsicht nach.

Zwar haben die Proteste im wahrsten Sinne des Wortes ihre Opfer gefordert, bei einigen mehr und bei anderen weniger, aber diese Ungleichheit ist nun mal überall auf der Welt vorhanden.

Der Westen zögert auch nicht, bei gewalttätigen Demonstranten Knüppel und Wasserwerfer einzusetzen, denn die Gewaltbereitschaft der Protestierenden soll dieses Vorgehen rechtfertigen.

Im westlichen Verständnis dürfen alle Staaten, die als Verbündete oder Freunde gelten, so handeln. Setzen hingegen sogenannte Schurkenstaaten oder ähnliche solche Mitteln gegen gewaltbereite Demonstranten ein, lässt sich im Westen nur Kritik am angeblichen Regime finden. Im schlimmsten Fall wird sogar gegen den jeweiligen Staat militärisch vorgegangen.

Dabei muss es sich aber um einen bereits schwachen, angeschlagenen Staat handeln, bei dem es etwas zu holen gibt. Dieses Schicksal musste Libyen im Arabischen Frühling erleiden, das sich aufgrund seiner politischen Position für den Westen schon lange als störend erwies.

Bemerkenswert ist, dass Libyen grundsätzlich als deutlich freier einzustufen ist als z. B. Saudi-Arabien. Der Arabische Frühling schwächte das Land erheblich und dementsprechend ergab sich eine gute Chance für den Westen, da mitzumischen. Dass dadurch viel mehr Leid verursacht wurde, spielte für den Westen keine Rolle. Paradoxerweise wurden wieder einmal übliche Argumente wie Gerechtigkeit, Menschenrechte usw. als Begründung für den Militäreinsatz angeführt.

Damit haben wir wieder ein weiteres Beispiel für abartige Scheinheiligkeit, bei dem ich mich frage, wann endlich das Karma für solch ein Verhalten zuschlagen wird.

Die Mainstream-Medien berichten natürlich wieder einmal nicht, dass der Westen bei einer einzigen Angelegenheit wie dem Arabischen Frühling mehrere Verhaltensweisen auslebt. Die Superlative der Heuchelei des Westens während des Arabischen Frühlings ist definitiv in Libyen zu erkennen. Dort nahm der Arabische Frühling im Februar 2011 seinen Lauf. Es wurde mit aller Härte gegen die Proteste vorgegangen, was dem Westen in dem Fall natürlich nicht genehm war. Der damalige über 30 Jahre herrschende Machthaber Muammar al-Gaddafi galt grundsätzlich als Feind des Westens; dementsprechend war sein Schicksal besiegelt.

Seine Herrschaft kann man zwar zu Recht nach unserem Verhältnis als diktatorisch bezeichnen, jedoch galt dieses System bis zu der Revolution 2011 bei Weitem als berechenbar und wies eine Stabilität auf, die Libyen in den nächsten Jahrzehnten vergebens suchen wird.

Das Verhältnis zwischen Libyen unter Gaddafi und dem Westen war schon seit langer Zeit vorbelastet. So kam es ab den 80er Jahren zu militärischen Auseinandersetzungen, darunter auch Terroranschlägen, die teils umstritten Libyen zugeschrieben wurden, was viele Sanktionen für das Land als Folge hatte.

Gaddafi galt als Befürworter einer vereinten arabischen Welt sowie als Unterstützer der afrikanischen Staaten in ihrer generellen Entwicklung; die Afrikanische Union ist durch seine Bemühungen entstanden. Seine Methoden in der Menschenrechtslage waren zwar in vielen Bereichen sehr unkorrekt, allerdings ließ sich bei ihm grundsätzlich auch eine souveräne Politik finden, bei der die Menschen eine allgemeine Sicherheit hatten.

Er machte keine Geheimnisse aus seiner weitgehend antiamerikanischen sowie antiisraelischen Einstellung. Dementsprechend kam es auch, wie bereits erwähnt, in den 80er Jahren zu unterschiedlichen Auseinandersetzungen. Der Arabische Frühling offenbarte Gaddafis Schwächen. So verlor er bereits nach einigen Wochen weite östliche Teile Libyens an die Aufständischen und sein hartes Vorgehen gegen die Proteste verschärfte immer weiter die Gewalt. Diese nahm zwar ein böses Ausmaß an, aber es ist davon auszugehen, dass Gaddafi letzten Endes die Ordnung mit allen möglichen Mitteln wiederhergestellt hätte.

Da der Westen nicht gut auf ihn zu sprechen war, galt eine westliche Verurteilung als garantiert.

Die Menschenrechtsverletzungen sind dabei der perfekte Vorwand für ein militärisches Eingreifen. Das, was sich ein amerikanischer Verbündeter, wie z. B. Saudi-Arabien, in Bezug auf Menschenrechte erlauben kann, wird nicht verurteilt. Libyen hat jedoch in der Hinsicht, der westlichen Duldung von Menschenrechtsverletzungen, schlechte Karten. Deshalb war der internationale Militäreinsatz in Libyen 2011 alles andere als eine Überraschung. Erstaunlicherweise ist dieses Vorgehen durch die Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrates gerechtfertigt und galt damit als legal, im Gegensatz zum NATO-Einsatz in Jugoslawien 1999 oder dem Irakkrieg 2003.

Erwähnenswert bleibt auch, dass sich solche Mitglieder im UN-Sicherheitsrat wie Russland, China, Brasilien, Indien und Deutschland mit ihrer Stimme bei der Abstimmung zur Resolution 1973 enthielten.

Die Enthaltung Deutschlands kam unerwartet, da es damit der einzige westliche Staat war, der zumindest in der Abstimmung unparteiisch blieb.

Dass Russland und China in dieser Angelegenheit nicht einmal mit ihrer Gegenstimme aktiv wurden, ist mit einer gewissen Angst vor der großen Gruppe verbunden. Libyen galt anscheinend als zu unbedeutend für Russland und China, um es vor dem Westen zu verteidigen;

dabei war dieses Land grundsätzlich ein Partner. Die Enthaltung von Indien und Brasilien ist in diesem Fall wohl als die objektivste Entscheidung einzustufen.

Die USA, Frankreich, Großbritannien, Portugal, Bosnien und Herzegowina, Südafrika, Gabun, Nigeria, Kolumbien und der Libanon stimmten für die Resolution 1973. Es blieb nur bei Zustimmungen und Enthaltungen, keine einzige Gegenstimme war vorhanden.

Der Militäreinsatz des Westens verschob das Machtverhältnis in Libyen. Dabei wurden nicht selten auch die Aufständischen von westlichen Bomben und Raketen getroffen. Dass es sich bei den vielen Aufständischen um Rebellen mit einer sehr menschenverachtenden Verständnis handelte, fand beim Westen weitestgehend keine Beachtung. Anscheinend war das Verlangen, Gaddafi aus dem Weg zu räumen, zu dominant.

Der Einsatz fing am 19.03.2011 an und endete am 31.10.2011 mit dem Sturz von Gaddafi; daraufhin folgte die Machtübernahme durch den sogenannten Übergangsrat. Es ergibt sich im Ganzen ein sehr trauriges Bild, denn eine Koalition aus 16 Staaten, darunter Mächten wie den USA, Großbritannien und Frankreich, greifen ein bereits im Bürgerkrieg versunkenes Land mit gerade mal 6,5 Millionen Einwohnern an.

Dabei werden diverse Flugzeuge, Schiffe und weitere Waffensysteme eingesetzt und dieses Verhalten soll in irgendeiner Weise korrekt sein?! Dieses Bild steht objektiv gesehen in keinem Verhältnis und ist als ein gnadenloser Überfall im Sinne des Eigeninteresses an einer unbequemen Person zu bezeichnen.

Muammar al-Gaddafi starb am 21.10.2011. Es deuten sehr viele Indizien, unter anderem auch Videobeweise, auf eine Misshandlung sowie Körperverletzung durch die sogenannten Rebellen hin. Hier lässt sich nur zu gut erkennen, mit welchen Menschen der Westen grundsätzlich bereit ist zu kooperieren.

Der Sturz Gaddafis leitete keine Besserung für Libyen ein – im Gegenteil, die Lage verschlimmerte sich. Der Übergangsrat war nicht in der Lage, für Ordnung, geschweige denn für Recht zu sorgen. Dies resultierte in einem weiteren, seit 2014 andauernden Bürgerkrieg. Libyen gilt als faktisch durch zwei geteilt, in einen westlichen Teil mit der sogenannten offiziellen Regierung und einen östlichen Teil, der vom Warlord Chalifa Haftar beherrscht wird. Ferner trifft man in lokalen Bereichen auf viele weitere Gruppierungen wie den Islamischen Staat bzw. dessen Ableger oder allgemein Milizen mit diversen Weltanschauungen von liberal bis radikal.

Eine libysche Einheit ist nicht mehr vorhanden und scheint auch nicht mehr umsetzbar zu sein. So kommt es immer wieder zu Kämpfen, hauptsächlich zwischen dem Warlord Chalifa Haftar und der aktuellen Regierung unter Fayiz as-Sarradsch.

Trotz dieser undurchsichtigen Situation mischen bis zum heutigen Tag auch weitere Mächte wie die Türkei mit und versuchen, sich Vorteile in der Geopolitik zu verschaffen. Es lässt sich folgendes Ergebnis herleiten: Gaddafi wurde als Feind abgeschafft, somit wurde das damalige Endziel für den Westen erreicht.

Dabei spielte die katastrophale humanitäre Lage eine unbedeutende Rolle, denn diese hat sich nicht gebessert; eher ist das komplette Gegenteil zu erkennen. So ist aus Libyen ein instabiles und geteiltes Land geworden, was vor allem für Europa nicht von Vorteil ist, da die Flüchtlingsströme aus einem ruinierten Libyen die EU vor neue Herausforderungen stellten.

Die USA nahmen Europas Nachteile wie gewohnt in Kauf, um letztlich selbst davon zu profitieren, denn ein starkes Europa ist nicht im Interesse der USA. Traurig ist hierbei nur die Tatsache, dass sich die Europäische Union nicht traut, aktiv gegen die Vereinigten Staaten vorzugehen. Erbärmlich wird es dadurch, dass die EU die USA dabei unterstützt, sich selbst zu schaden.

Dementsprechend ist es sehr angebracht, am Verstand unserer Politiker sowie ihren Taten zu zweifeln. Bei Bedarf lässt es sich in Libyen problemlos mitmischen; so steht eine recht große Auswahl an Kriegsparteien zur Verfügung, um gegebenenfalls weitere geopolitische Interessen durchzusetzen wie die Kontrolle von Ölquellen, Einrichtung von Militärbasen usw.

Denn der sogenannte Störenfried Gaddafi, der Libyen einigte, steht einem nicht mehr im Weg. Die Lage in Libyen bleibt bis ins Jahr 2021 instabil und gefährlich, und das trotz diverser Verhandlungen der einzelnen Akteure, die um die Macht kämpfen. Wie so oft sehen wir an Libyen, dass es mit dem Sturz Gaddafis einfacher ist, eine Sache zu zerstören. Der Wiederaufbau gestaltet sich als fast unmöglich. Dabei war das erste angebliche Ziel nicht der Wiederaufbau, sondern eine Verbesserung des Zustands.

Ich persönlich mag zwar viel im Leben philosophieren und viele Sachen da reininterpretieren, aber ich würde mich in keiner einzigen Angelegenheit so verlogen verhalten wie der Westen in der Geopolitik und dabei Dinge wie die Grundsätze der Vereinten Nationen missbrauchen, die eigentlich dazu gedacht sind, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Angenommen, ich tätigte die Angelegenheiten im Leben so wie der Westen in der Geopolitik; dann würde mich dieses Gefühl der unendlichen Leere, das ich einst kurz spüren musste, komplett verschlingen und wäre somit von Dauer.

Ein Mensch mit einem richtigen Gewissen wäre einfach nicht dazu in der Lage, sich dauerhaft so zu verhalten. Dementsprechend stellt sich mir die Frage, was für gewissenlose, machtgierige und seelenlose Personen sich überhaupt in der Weltpolitik befinden.

Das Enthalten der Stimme im UN-Sicherheitsrat ist im weiteren Sinne ein Schweigen, das grundsätzlich auch gut mit diversen Lebenssituationen zu vergleichen ist. So spiegelt es folgende Situation wider: Man wird Zeuge, wie eine Gruppe eine bereits bekannte und unbeliebte Person überfällt. Jedoch ist man aufgrund der Vielzahl der Angreifer verunsichert und mischt sich nicht in das Geschehen ein, obwohl man am liebsten helfen würde. Der Grund für die Enthaltung ist aber nur der, dass man sich vor den Konsequenzen der Gruppe fürchtet. So macht man im besten Fall die Enthaltung als kleinen Protest sichtbar, im schlimmsten Fall folgt man der Gruppe.

Ich bemerke schon seit geraumer Zeit, dass das blinde Folgen einer Gruppe tatsächlich zu Vorteilen führt. Allerdings sind diese Vorteile nicht so wertvoll, denn sie beziehen sich nur auf banale Dinge.

Das Gefühl der Selbsterfüllung ist für mich viel relevanter, denn es gibt einem Menschen richtige Freude. Wenn ich sogar mein inneres Bewusstsein komplett missachtet und mich dem jeweiligen Gruppensystem angepasst hätte, um dadurch Erfolg und Anerkennung im Leben zu bekommen, so wäre dieser Erfolg vom Ursprung her falsch, selbst wenn die erhoffte Zukunft einträfe.

Ich könnte mich fast mein ganzes Leben lang selbst täuschen, nämlich auf der Grundlage von überwiegend scheinheiligen Dingen und Erfolgen. Trotzdem wäre das innere Bewusstsein nicht mit Glück, sondern mit Trauer erfüllt.

Spätestens kurz vor meinem Tod würde dann diese Trauer alles im Bewusstsein überschatten.

Ich würde anfangen zu realisieren, dass ich mein ganzes Leben nicht so wie gewollt verbracht hätte. Das wiederum wäre eine sehr traurige Erkenntnis, da ich mit dieser Einsicht die Welt verlassen würde.

Bei den besonders schlechten Menschen kommt noch eine riesige Angst hinzu, selbst dann, wenn sie vom Glauben her Atheisten sind. Dementsprechend kann ich die westliche Welt von ihrer Ideologie her nicht verstehen. Angenommen, der Westen übernähme die komplette geopolitische Kontrolle auf der Welt; selbstverständlich wäre dieser Erfolg mit den üblichen heuchlerischen Methoden erzielt worden. Dabei wären überwiegend Ideale als Ausrede benutzt worden, gegen die der Westen dann quasi selbst wäre, bedingt durch sein widersprüchliches Verhalten. Schließlich würde man das wahre Monster erkennen, doch es könnte dann zu spät sein, um überhaupt noch etwas dagegen unternehmen zu können.

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