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RAUS AUS DEM CASINO, REIN IN DEN STURM
ОглавлениеIch war sehr jung. Eine unbeschreibliche Art von Leichtigkeit umgab mich. Ein Gefühl, das ich aber zu der Zeit gar nicht so wahrnahm. Erst später begriff ich, wie ich damals auf weichen Wolken tanzte. Meine Mutter nannte mich ein Chamäleon, da ich im Stundentakt meine Haarfarbe wechselte. Mal waren sie rosa wie die Schlieren beim Untergang der Sonne, mal blau wie der Ozean.
Es ist Juni und ich laufe durch die Tropen in Mexiko. Die feuchte Luft fließt durch mich hindurch. Zwischen Mangrovenwäldern und hohen Kokospalmen befindet sich eine Bambushütte. Am Rand steht ein alter silbergrauer VW-Bus. Davor kocht ein Mann am offenen Feuer. Es riecht nach gegrillter Ananas und aus den Boxen klingt weiche Reggaemusik. Ich bestelle Horchata. Ein traditionelles mexikanisches Getränk aus Zimt und Reis, das ich liebe, seit ich ein kleines Kind war. Ich atme ein und beobachte, wie die Schwere von mir fällt. Zum ersten Mal merke ich, was die monatelange Therapie gebracht hat. Ich spüre ein Am-Leben-Sein, von dem ich glaubte, es existierte nicht mehr.
Hinter mir liegen wöchentliche Gespräche mit der Psychologin im zweiten Stock, nächtliche Gespräche mit meinem besten Freund und eine einmonatige Social-Media-Pause. Langsam lerne ich wieder, was es bedeutet, für mich zu leben und nicht als passive Beobachterin das Leben anderer für mein eigenes zu halten.
Doch die Erkenntnis allein reicht nicht. Wir leben in einer Welt, die ohne soziale Medien kaum noch vorstellbar ist. Von wo sollen wir uns Inspiration holen, für Mode, Ernährung, Politik und Lebensfragen? Von Zeitungen, Magazinen oder dem Fernsehen? Das glauben wir uns doch selbst nicht.
Dr. Jean M. Twenge schreibt: »Sollte man auf Grundlage dieser (Studien) Ratschläge für ein glückliches Leben geben, wären diese sehr eindeutig: Legt das Smartphone weg.«11 Aber wir wissen alle, dass das kaum möglich ist. Eine Freundin verabschiedete sich für ein halbes Jahr von Instagram und lud es sich dann wieder runter, weil sie vergeblich eine Wohnung suchte. In unserer Generation werden WGs fast ausschließlich über Instagram gegründet. Ich selbst lebe in so einer durch zufällige Freundschaftsverknüpfungen entstandenen Insta-Wohngemeinschaft.
Offline- und Onlineleben sind kaum noch trennbar. In der Cloud sind wir nicht komplett wir, aber irgendwie auch schon. Der Offlineweg ist für den ein oder anderen ein Weg zum Glücklichsein. Aber für viele von uns eben auch nicht. Wir müssen einen gesunden Umgang erlernen. Und das ist ein Kampf, der jeden Tag aufs Neue stattfindet. Befriedigung durch Likes und Scrollen ist so einfach, doch wirklich glücklich macht das niemanden.
Also wie funktioniert das wirklich? Ich habe die letzten Jahre so viel Zeit mit Grübeln verbracht. Wie kann ich einen gesunden Umgang mit Social Media hinbekommen? Und wie gesagt, ich denke, ich habe da auch noch viel vor mir, doch es gibt ein paar Dinge, die ich gelernt habe.
In Zeiten, in denen ich in meinem Alltag glücklich war, hat sich das Social-Media-Thema meistens von allein erledigt. Mit ein bisschen zu viel Nostalgie schaue ich auf die Zeit zurück, in der ich, viel zu kurz, bei der New York Times war. Ich wachte auf zwischen Rettungswagen, Sirenen und der Sonne, die über den Hudson River und die Ausläufer der Upper East Side auf mich schien. Fünf bis zehn Minuten kurz checken, was in Deutschland bei meinen Freunden passiert ist, während ich noch geschlafen habe. Duschen, umziehen, Frühstück im Keller oder aus der Mikrowelle. Mehr Zeit ist nicht drin. Die silberne Subway fährt so tief, dass es kein Netz gibt. Ich höre Musik, lese ein Buch oder unterhalte mich mit meinen Freunden. Die Gespräche im sechsten Stock an der Lexington Avenue haben etwas Greifbares. Neues zu lernen, kann so begeisternd sein. In der Mittagspause rennen wir ein bisschen verwirrt durch die Hochhäuser in Midtown. Jemand macht Fotos von mir, während wir über die Straße gehen. Die Schnelligkeit beruhigt meinen Kopf. Alles ist so unfassbar klar. Zurück im Klassenzimmer sind noch 15 Minuten Zeit. Ich poste schnell ein Bild, es ist 18 Uhr in Deutschland, perfekte Postingzeit. Nach dem Unterricht sitze ich mit Freunden im Central Park, fahre an die Lower East Side, um in bunten, queeren Cafés Gedichte zu schreiben. Es wird kalt und dunkel und ich komme in unserem Dormgebäude an. Wir gehen ins Zimmer, legen Handtücher unter den Türschlitz und rauchen Joints und Mentholzigaretten mit Blick auf die East Side. Donnerstag bis Sonntag rennen wir mit High Heels durch die eisigen Februarnächte. Fake-IDs und Glasaufzüge bringen uns ins fünfzigste Stockwerk, wo Realitäten verschwimmen. Es gibt so endlos viel zu tun, zu erleben.
In dieser Zeit waren mein Umgang mit und meine Beziehung zu den sozialen Medien sehr bewusst und gesund. Ich habe mich, ganz automatisch, auf den Moment und das, was vor mir liegt, konzentriert. Aber das Leben ist nicht immer ein perfekter Fiebertraum in New York. Deswegen hier meine fünf Tipps für einen sinnvollen Umgang mit Social Media:
1 Zeiten wie diese haben mir gezeigt, dass es nicht immer die sozialen Medien sind, die mich traurig machen, sondern die Wahrnehmung meiner Lebensrealität. In den Lockdownphasen der Coronazeit war ich nur am Handy und habe meine Home-Office-Arbeit prokrastiniert. Ich habe mir schließlich die Frage gestellt: Wie kann ich in meinem jetzigen Leben aktiver und zufriedener sein? Auch wenn es während globaler Krisen schwer ist, ein aktives Leben zu führen, habe ich etwas gelernt: Ich muss mein Leben selbstbestimmt leben.
2 Außerdem haben mir Phasen wie New York, das Abitur oder eine längere Reise nach Bali gezeigt, dass Zeit eine große Rolle spielt. Immer wenn ich aufgrund von äußeren Umständen wie kein Netz oder zu viel zum Lernen gezwungen war, weniger auf Social Media zu chillen, war ich allgemein zufriedener. Dazu sagt Dr. Jean M. Twenge: »Das Risiko erhöht sich ab einer Zeit von zwei oder mehr Stunden pro Tag und steigt danach weiter an, wobei ein sehr hoher Benutzungsgrad (fünf oder mehr Stunden) mit einem beträchtlich höheren Risiko für Selbstmord und Traurigkeit verbunden ist.«12 Mir hilft es, meinen Terminkalender vollzumachen. Univorlesungen, Zeit im Café, um ungestört zu lernen, Ballett und Sportkurse, Zeit mit Freunden. Sich Dinge suchen, die einem Spaß machen und trotzdem Raum zur Selbstentfaltung lassen.
3 Im Durchschnitt gehen wir alle 18 Minuten ans Handy, dieses ständige On-off-Verhalten kann auch nicht gut sein. Wenn du lernen möchtest, zu Hause arbeitest oder mit Freunden unterwegs bist, leg dein Handy in einen anderen Raum oder einfach weit weg von dir. Ich schalte dann auch immer Apps an, die mein Handy blockieren, und lege es dann in meinen Kleiderschrank.
4 Mach immer mal wieder einen Digital Detox. Einfach alle Apps löschen, auf denen du zu viel Zeit verbringst, klingt so easy. Da bin ich selbst ziemlich schlecht darin. Ich finde immer einen Grund, warum ich mir die App doch wieder runterladen sollte. Aber natürlich ist es wichtig, regelmäßig Abstand von dem Ganzen zu nehmen.
5 Finde heraus, was dir ein gutes Gefühl gibt. Das Handy eine Stunde vor dem Schlafengehen ausmachen? In der Früh erst mal analog in den Tag starten? Und wenn es dann doch ein kompletter TikTok-Binge-Tag ist, dann ist er es eben! Wenn das Ganze aber eine zu große Belastung wird und du das Gefühl hast, es allein nicht mehr zu schaffen, dann such dir bitte Hilfe! Einen Therapieplatz für Sucht, Depressionen oder Angststörungen zu bekommen, kann schwierig sein. Sich selbst Probleme einzugestehen, die Unterstützung von Eltern oder auch einfach die Auseinandersetzung mit dem Gesundheitssystem können eine Belastung sein. Doch es lohnt sich. Ich habe gelernt, dass es mehr gibt, als im Bett zu liegen und sich von Nieselregen betröpfeln zu lassen. Doch von Tag zu Tag lerne ich dazu. Ich stehe zum ersten Mal wieder auf, gehe raus aus dem Casino vor die Tür. Und setze mich dem Sturm aus.