Читать книгу Der Zirkel des Narzissten - Valerija Konstantinova Skripnicenko - Страница 9

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Kapitel 2

Es war genau 23:57 Uhr und ich stand mit meinem Auto in Hamburg. Natürlich inklusive meines kleinen pelzigen Freunds auf dem Beifahrersitz. Irgendwo im Nirgendwo auf einem, von Gott verlassenen, Firmengelände. Es war eine heiße Sommernacht und ich ließ den Tag Revue passieren. Gefühlt zum hundertsten Mal hörte ich ein und dasselbe Lied von Whitney Houston -It´s not Right but it´s ok- und war komplett in meinen Gedanken versunken. Ich rauchte meine Zigarette, aschte aus dem Fenster und trank mein Redbull aus der Dose, als plötzlich eine riesige, schwarze Bestie mit leuchtenden Augen und großen weißen Zähnen, fletschend und sabbernd, an meiner Fahrertür stand und mich fixierte. Herkules, mein kleiner Pekinese, schreckte aus seinem Tiefschlaf auf und war rasend vor Wut. Er war etwas zu selbstbewusst, verzogen, dominant und wollte mich mit seinem Leben verteidigen.

Vor Schreck zuckte ich zusammen, schrie laut auf und schmiss die Dose aus dem Fenster. Ausversehen traf sie den Hund am Kopf und ich rechnete mit dem Schlimmsten. Schnell wollte ich die Scheibe hochfahren, als ich einen glatzköpfigen, schwarz gekleideten, sehr unheimlich aussehenden Typen auf mich zukommen sah. Nicht nur, dass er aus dem dunklen Nichts schreiend auf mich zu kam, sondern auch sein Auftreten ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Es hätte auch der Sicherheitsdienst dieses Geländes sein können und mich als Eindringling zur Rechenschaft ziehen wollen, für unbefugtes Betreten bzw. Befahren des Grundstücks. Es hätte aber auch einer von den vielen z.B. Schlägern vom Kiez sein können, der sich gestört fühlte. Denn eigentlich machte er nicht den Eindruck eines Ordnungshüters.

Er kam schnellen Schrittes auf mich zu, brüllte und fuchtelte mit den Armen umher. In der einen Hand eine dicke klimpernde Hundekette und in der anderen Hand eine Taschenlampe. Durch das Gebelle im Auto konnte ich nicht hören, was er schrie und versuchte, meinen Hund mit gutem Zureden zu beruhigen.

Sein sechsjähriger Rottweiler – Pitbull Rüde hielt auf seinen Befehl die Klappe und setzte sich, ohne den Blick von mir abzuwenden. Mit der Taschenlampe leuchtete mir der Typ ins Auto und ich konnte nicht einfach losfahren, denn ich saß da wie gelähmt.

Kennst du das? Wenn du willst, aber nicht kannst?

So saß ich da hinter meinem Lenkrad und krallte mich fest. Starrte in das Licht der Taschenlampe und hörte das hysterische Bellen meines kleinen unbeeindruckten Hundes neben mir.

"Wer seid ihr und was wollt ihr?" Begrüßte er uns brüllend wie ein Feldwebel, der Glatzkopf mit den stahlblauen Augen, dem aggressiven Blick und der tiefen Stimme.

Mit verheultem Gesicht und verschmierten Make - Up antwortete ich:

"Warten!"

"Worauf`?", er.

"Auf den Bus!", ich.

Ich zitterte zwar wie Espenlaub, aber meine große und vorlaute Klappe konnte sich dumme Antworten noch nie verkneifen, auch, wenn mir das schon oft Ärger eingehandelt hatte.

Hercules bellte und fletschte und es war kaum ein Dialog möglich aus dem Autofenster heraus, doch aussteigen wollte ich auch nicht. Erstens war er kein Typ, dem man in der Nacht gern begegnete und zweitens wusste ich nicht Mal genau, wo ich war. Dazu kam seine fletschende Hyäne, die mich fixierte.

Als er endlich die Taschenlampe in eine andere Richtung hielt konnten sich meine Augen wieder etwas an die Dunkelheit gewöhnen. Erst dann konnte ich erkennen, dass er eine schwarze Alpha Bomberjacke trug und eine dicke goldene Halskette um den Hals. Die Glatze glänzte und er eine dicke lange Narbe im Gesicht, über der Wange hatte. Sein Gesicht war sehr markant und er sah brutal aus. An seinem Handgelenk war eine goldene, glänzende Uhr und er war stark parfümiert. Das war einer der Herrendüfte, die man so schnell nicht mehr vergaß. Er stand nun, kaugummikauend, vor meiner Fahrertür und stützte sich mit dem rechten Arm am Auto ab. Daneben saß sein braver sechzig Kilo Fiffi und ich wusste, er wartete auf eine Antwort, die er hören wollte.

Immer noch wie paralysiert saß ich auf meinem Sitz und krallte mich mit beiden Händen am Lenkrad fest, mit den Füßen auf den Pedalen und zitternden Knien. Erst nachdem er seine Taschenlampe ganz ausschaltete konnte ich ihm in die Augen sehen. Unsere Blicke trafen sich in der dunklen Nacht im Schein der Laternenlichter ringsum auf dem Gelände. Es war unheimlich, denn sein Blick war mystisch.

Er hypnotisierte mich mit seinen Augen.

Gedanklich sendete ich eine Bitte an den lieben Herr Gott, dass mein Hund und ich diese Begegnung unversehrt überstehen würden. Der Tag war schließlich schrecklich genug. Ich wollte nun nicht auch noch vergewaltigt und geköpft irgendwo im Gebüsch liegen, während mein pelziger Freund zerfetzt werden würde. Mit aller Macht versuchte ich mein Zittern zu kontrollieren, um bloß nicht zu zeigen, wieviel Angst ich hatte.

Er griff in seine Gürteltasche, holte etwas raus und ich sah mein Ende kommen. Mit Sicherheit eine Waffe, denn er hielt sie mir hin. Reflexartig schloss ich meine Augen.

"Eine rauchen?", bot er mir eine Zigarette an und hielt mir eine Marlboro Schachtel vor das Gesicht. Jede andere Frau würde jetzt den Motor starten und losfahren, aber ich blieb.

Mir fiel ein Stein vom Herzen und ich atmete tief durch. Dankend nahm ich eine Zigarette aus der Schachtel und ließ mir von ihm Feuer geben.

Das Eis war nicht gebrochen, doch stieg ich wie von Sinnen aus dem Auto. In der Hoffnung, der liebe Herr Gott hätte meine Gebete erhört und ich würde es überleben. Ich war zu orientierungslos, um zu fliehen. Das war eigentlich auch das Letzte, das ich an jenem Abend noch brauchte, um in Panik zu geraten und womöglich eine Hetzjagd mitten in der Nacht durch unbekannte Gebiete anzuzetteln.

Er stellte seinen Hund mit dem Namen Born vor, demonstrierte auch wie gut er ihn im Griff hatte, kettete ihn aber trotzdem an. Niemals sonst wäre ich so ein Risiko eingegangen, doch nahm ich Hercules ebenfalls aus dem Auto und ließ ihn schnuppern. Ein seltsamer Kerl und eine merkwürdige Situation, dennoch war ich wie gefesselt.

Er war mindestens zwei Meter groß und extrem breit gebaut, seine glänzende Glatze war ein absoluter Blickfang, doch musterte ich ihn von oben bis unten, als ich am Auto gelehnt vor ihm stand. Mir war ein Rätsel, wieso er bei dem heißen Wetter eine Bomberjacke trug, wenn auch offen. Darunter trug er ein weißes Muskelshirt und seine Muskeln waren nicht zu übersehen. Trotzdem konnte ich ein kleines goldenes Abzeichen auf seiner Gürteltasche erkennen und war fasziniert von der Größe seiner Schuhe.

Es fiel mir nicht leicht, mich zusammenzureißen und meine Angst nicht zu zeigen, aber es gelang mir sogar noch, cool zu wirken.

Hercules beruhigte sich sehr schnell und schloss nahezu Freundschaft mit Born. So kannte ich meinen Hund gar nicht, doch Born hatte die Lage absolut im Griff und war friedlich.

Aus einer Zigarette wurden in der Nacht ein paar mehr, denn wir gingen einige Runden auf dem großen Gelände spazieren. Saßen lange auf einer zur Hälfte abgerissen Mauerwand der Ruine des alten Gebäudes und der Gesprächsstoff nahm kein Ende. Das Gefühl in seiner Nähe war undefinierbar, denn einerseits war er unheimlich und andererseits charismatisch. Ich konnte ihn absolut nicht einschätzen. Wir redeten über belangloses Zeug und Hunde, das Hamburger Nachtleben und die verschiedenen Stadtteile. Die dreckigen Gossen und die Bonzenviertel.

Er erzählte mir, dass er mit Born des Öfteren nachts auf diesem Gelände unterwegs sei, um den Kopf frei zu kriegen. Da er Born nicht überall laufen lassen konnte und ihm dort bislang noch niemand begegnete.

Um ehrlich zu sein war es nicht besonders glaubwürdig, denn er sah nicht wie jemand aus, der einen freien Kopf brauchte und Ärger vermied.

Seine tiefe Stimme und die Art, wie er redete und gestikulierte fingen an, mir allmählig zu gefallen. Er war nicht nur besonders männlich und selbstsicher, sondern auch humorvoll und authentisch.

Ich vergaß die Zeit und alles um mich herum. Er machte freche Sprüche und legte sich nicht ins Zeug, mir zu gefallen, indem er mir imponierte oder Komplimente machte. Der erste Eindruck änderte sich zunehmend in Sympathie, weil es mir einige Male so vorkam, als hätte ich ein Déjàvu. Ich genoss seine Gesellschaft, war aber gleichzeitig sehr vorsichtig und auf alles gefasst.

Langsam wurde es hell und die Vögel zwitscherten bereits, als er gegen halb sechs auf die Uhr schaute. Er kam aus der Gegend und erwähnte ein Schnellrestaurant ganz in der Nähe.

Ich war hungrig und müde, mir war kalt und ich war froh über seinen Vorschlag, noch frühstücken zu gehen. Ich hatte nämlich nichts gesagt, weil ich insgeheim befürchtete, ihn nie wieder zu sehen und wollte diese Nacht nicht ruinieren. Die Chemie stimmte, zwar nicht auf Anhieb, aber im Laufe der Nacht baute sich eine fragwürdige Vertrautheit auf. In einigen Momenten fühlte es sich an, als würden wir uns ewig kennen, während die anderen in mir neue Gefühle weckten. So spürte ich für kurze Zeit - Stille in mir.

Langsam machten wir uns auf zu meinem Auto.

Die Hunde liefen wieder nebeneinanderher und ich staunte von der Seite über seine Größe.

Ich fühlte mich daneben so mickrig.

Zurück an meinem Auto fragte er mich, für wen ich unterwegs sei und schaute dabei auf das Kennzeichen meines Sportwagens. Ich verstand zuerst die Frage nicht und wollte mit einer schlagfertigen Antwort kontern, aber dann kapierte ich, dass er mich für eine Prostituierte hielt. Für ihn war klar, dass jemand wie ich nur jemand aus dem Milieu sein konnte und das nicht nur aufgrund des Sportwagens. Natürlich fühlte ich mich nicht gerade geschmeichelt und sah es nicht als Kompliment, aber enttäuscht war ich auch nicht. Wie sollte das auch sonst aussehen? Eine zwanzigjährige, langhaarige Blondine im schwarzen tief ausgeschnittenem Trägertop, enge zerrissene hoch gekrempelte Jeans, Stiletto Pumps mit Pfennigabsatz in einem Porsche Carrera 911 mit einem kleinen zotteligen Hund, verheult - auf einem verlassenen Firmengelände.

Hallelujah.

Die ganze Nacht über stellte er mir keine Fragen und nun setzte er mich so einer Situation aus, in der ich mich eigentlich beleidigt hätte fühlen müssen. Wäre da nicht meine ausgedehnte Schmerzgrenze. Natürlich hätte es mir egal sein können, was er über mich dachte, doch war ich darauf gedrillt, mich für alles zu rechtfertigen. Blitzschnell bastelte ich in meinem Kopf eine Kurzgeschichte zusammen, um nicht ehrlich zu sein aber auch nicht lügen zu müssen. Ich erzählte ihm von einem Streit mit meinem Verlobten und dass ich einfach fluchtartig aus dem Haus sei, um nicht komplett durchzudrehen. Mich dorthin verfahren und angehalten hätte, um mich zu sammeln. Ich keineswegs das bin, wofür er mich hielt und mein Verlobter ein Geschäftsmann sei und kein Zuhälter.

In meinen Gedanken wäre mir aber ein Zuhälter lieber gewesen.

Ich schaute Joe in die Augen und bei dem Wort “Geschäftsmann” holte er tief Luft. Ob ich es mir nur eingebildet hatte oder es ein Wunschgedanke war, doch kam es mir so vor, als wäre er ein wenig enttäuscht gewesen.

Gentlemanlike öffnete er die Fahrertür meines Sportwagens, damit ich mich setzen konnte. Ich setzte Hercules rein, der direkt auf den Beifahrersitz sprang und anschließend setzte ich mich. Joe schaute mir noch tief in die Augen, als er die Tür schloss und drehte sich dann demonstrativ um. Er verschwand mit Born hinter der Ruine, um seinen Wagen zu holen, den er dort geparkt hatte und ich schaute ihm noch hinterher. Ich beobachtete seinen Gang. An irgendjemanden oder irgendwas erinnerte mich das, ich konnte es nur nicht einordnen. Ich genoss den Anblick und schmunzelte, denn es sah aus, als wäre er einmal wie Charlie Chaplin aufgesprungen.

Natürlich wollte ich mich zumindest noch einmal abpudern bevor er wieder kam und schaute in meiner Handtasche nach Deo, Puder und Lipgloss. Ich schaute auch auf mein Handy, das dort die ganze Nacht über drin lag.

Wenn Joe ein Serienkiller gewesen wäre, hätte ich nicht einmal Hilfe rufen können.

67 SMS und 108 Anrufe in Abwesenheit

Von” Ich liebe dich bitte verzeih mir” bis über “Du dumme Hure, ich bring dich um” zurück zu “Ich kann ohne dich nicht leben,” und “Wenn ich dich in die Finger kriege” war so ziemlich alles dabei. Mir war klar, dass mich diese Nacht ein weiteres Stück meiner Seele kosten würde, aber es war mir egal.

Mit dem, was ich in der Handtasche und im Handschuhfach fand machte ich mich, so gut ich konnte frisch.

Mit einem feuchten Taschentuch wischte ich mir den verlaufene Mascara unter den Augen weg, puderte mein Gesicht und das Dekolleté, sprühte Deo und Parfüm auf, legte Lipgloss auf und tuschte die Wimpern nach.

Ich sah im Gesicht die ganze Nacht lang aus wie ein Waschbär und er hatte es nicht einmal kommentiert.

In einem schwarzen, getunten fünfer BMW mit breiten Reifen und schwarzen Felgen kam er dann auch schon angefahren. Schnell schmiss ich das Handy und meinen Kram in die Handtasche und warf diese in den Fußraum vor den Beifahrersitz. Er machte eine kurze Lichthupe und ich startete den Motor, wendete den Wagen und fuhr ihm hinterher.

Auf dem Weg zum Schnellrestaurant dachte ich darüber nach, ob ich das Richtige tat. Ich war schließlich verlobt mit einem Mann, nach dem die Frauen verrückt waren. Hatte ich vielleicht Mal wieder alles dramatisiert und mit dieser Nacht vielleicht sogar das Beziehungsaus provoziert?

Bei Mc Donalds auf dem Parkplatz angekommen parkten wir nebeneinander. Ich stieg aus dem Auto, während Joe in seinem Handschuhfach irgendwas suchte. Ich ging zu meinem Kofferraum, denn dort hatte ich hin und wieder eine Jacke oder einen Pullover verstaut, oft auch flache Schuhe, wenn ich mal mit dem Hund unterwegs war. Mich schüttelte es schon vor Hunger, Müdigkeit und Kälte. Doch hatte ich weder Ballerinas noch einen Pulli dabei, schaute enttäuscht in die Luft und zog eine Schnute. Aber war es für mich noch lange kein Grund, mich auf den Heimweg zu machen.

Kurz darauf stieg auch er aus seinem Wagen, holte einen riesigen Kapuzenpulli aus einer Reisetasche auf der Rückbank und eine große Hundedecke aus dem Kofferraum. Er hielt mir den Pullover hin und pfiff die Hunde hinter sich her und ging hinein. Mit meinen 47 KG und Konfektionsgröße 32/34 hätte ich zwölf Mal reingepasst und musste etwas schmunzeln. Überreden musste er mich aber nicht, dieses Zelt überzuwerfen.

“Ein bisschen eng, aber wenn ich die Luft anhalte geht’s.”, rief ich ihm hinterher. Er drehte sich um, verdrehte die Augen, schüttelte lachend den Kopf und kommentierte:

“Danke hätte gereicht.”

Dieser Pulli ging mir bis zu den Knien und die Ärmel musste ich mir fast bis zur Schulternaht aufkrempeln. Ich sah aus wie eine dreijährige in Papas Jacke. Eine sehr süße Geste von ihm, vor allem, weil ich es nicht erwartet hätte. Gott, fühlte es sich gut an. Es war so warm und kuschelig und roch so gut nach diesem intensiven Herrenduft, den ich schon die ganze Nacht in der Nase hatte. Wir bestellten einige Frühstücksmenüs und saßen noch bis ca. Acht Uhr einander gegenüber am Tisch in der Ecke des Lokals und redeten über Gott und die Welt. Die Hunde schliefen gemeinsam auf der Decke und sogar für Wasser hatte er gesorgt.

Ich wollte gar nicht sehen, wie ich aussah, um diese Uhrzeit, nach so einem nervenaufreibenden Tag und dieser langen Nacht, im hellen Licht. Wenn er schon sehr abgespannt aussah.

Irgendwann wussten wir, die Nacht war zu Ende und unsere Wege mussten sich trennen. Ganz selbstverständlich schrieb er mir seine Handynummer auf eine Serviette und schob sie mir zu.

"Nur für den Fall, dass du mal was brauchst.", zwinkerte er.

Gott sei Dank nicht laut ausgesprochen dachte ich mir,

“aber für welchen Preis”, steckte die Serviette trotzdem in die Hosentasche und war zeitgleich heilfroh, dass wir in Kontakt blieben. Am rechten Ringfinger jedoch trug er einen goldenen Ring, der auch als Symbol für eine Ehe hätte stehen können. Dieser fiel mir auf, doch versuchte ich dem keine Beachtung zu schenken.

Wäre das ok für mich gewesen, wenn er verheiratet gewesen wäre?

Schweren Herzens verabschiedete ich mich von ihm auf dem Parkplatz, setze den Hund in das Auto und zog noch wehmütiger den kuscheligen Pullover aus und reichte ihm ihn dankend.

Insgeheim hoffte ich, dass ich den behalten durfte, so als Pfand. Für ein Wiedersehen.

Auf dem Heimweg malte ich mir nicht nur das Szenario aus, was mich erwartete, sondern überlegte mir auch Ausreden. Ich fuhr besonders langsam, denn ich versuchte, alle Momente und Gefühle vergangener Nacht auf Lebenszeit in meinem Kopf zu speichern, um sie irgendwann einmal zu analysieren. Es war wie ein Rausch, der zu früh endete. Je näher ich dem Haus kam, in dem ich wohnte, desto langsamer fuhr ich. Einige Autofahrer hinter mir hupten, was mich aber nicht aus der Ruhe brachte.

Ich fuhr auf den Hof und sah alle Autos ordentlich geparkt vor dem Haus. Die leise Hoffnung in mir, er wäre bereits aus dem Haus, zur Arbeit, starb.

Ich öffnete die Tür und ging ins Haus, als wäre nichts gewesen und wie befürchtet erwartete mich mein sogenannter "Verlobter", Kaffee trinkend im Esszimmer an dem großen Marmortisch mit den Worten: "Na, ausgefickt?"

Ich schaute ihn nur kurz an und drehte mich dann wieder zur Kommode, um in den darüber hängenden Spiegel zu schauen. Der Hund lief zu seinem Platz und ich hörte auf meine innere Stimme sie sagte:

“Bring es hinter dich”

Ich räusperte mich und antwortete mit lauter Stimme:

"JA!"

Der Streit am Vorabend, der sich über den Tag hinweg zusammenbraute, war der letzte Tropfen, der das Fass bei mir zum Überlaufen brachte. Ich konnte mir einfach nicht länger die Vergleiche mit seiner Ex Frau anhören. Ich verstand ohnehin nur Bahnhof, wenn er sauer war, denn er wechselte nicht nur die Themen, sondern auch seine Meinung. Zudem hatte ich Zuhause auch keine Ausweichmöglichkeiten, denn er folgte mir auf Schritt und Tritt und von Raum zu Raum. Er hörte dann auch einfach nicht auf, zu reden. Er wusste nie, wann Schluss war und beendete die Streitereien, wenn ihm danach war. Manchmal dauerte es sogar ganze Tage, oft auch einfach währenddessen. Dann beendete er einfach ein Gespräch und ließ mich stehen.

Ein falscher Ton von mir genügte meist und er beschuldigte mich, ihm sein Leben ruiniert zu haben. Einerseits beschimpfte er mich als dumm und ungebildet, anderseits war ich aber durchaus in der Lage, ihn, den erfolgreichen Geschäftsmann, an der Nase herumzuführen. Dann war er der Erfolgsheld, dem keiner in der Branche das Wasser reichen konnte, ließ sich aber wiederum von einer dummen und ungebildeten zwanzigjährigen das Leben ruinieren und das Ganze rückwirkend. In solchen Situationen wusste ich nie, wen ich dort eigentlich vor mir hatte.

Das hatte ich als Kind bei meiner Mutter schon nicht verstanden. Denn so oft, wie sie mir mit dem Kinderheim drohte oder mit meinem Vater, genauso oft aber weinte sie, dass sie außer mir niemanden mehr hätte, wenn ich mich bereit erklärte zu gehen. Ich konnte ihr einfach nichts recht machen. Sie fand in jedem Handschlag, den ich tat, einen Fehler. Meisten riss sie mir Dinge aus der Hand, um es selbst besser machen, fluchte aber dabei, dass ich nichts taugte.

Gregor kämpfte monatelang um mein Herz, um es mir dann mit den abartigsten Beleidigungen und Demütigungen aus meiner Brust zu reißen und mich dann wieder mit Tränen in den Augen und auf Knien um Entschuldigung zu bitten oder all das mit meinen Unzulänglichkeiten zu rechtfertigen. Ich konnte es einfach nicht verstehen und hatte darauf gehofft, dass bei mir der Groschen eines Tages fällt. Das habe ich mir so sehr gewünscht, denn ich liebte ihn abgöttisch. Immer wieder dachte ich an unsere Kennenlernzeit zurück und fragte mich, was bloß geschehen war und warum sich alles so schlagartig verändert hatte.

Ich wusste, dass er etwas schwierig war, doch wusste ich auch, dass er einen sehr stressigen Job hatte und immer unter enormen Druck stand. Da ging es immer um viel Geld mit bösen Leuten und mir war klar, dass er irgendwo Dampf ablassen musste. Doch oft schlug er einfach über die Strenge und ich war auch nicht immer unterwürfig, sondern wehrhaft und uneinsichtig.

Wirklich unschuldig war ich nie. Doch wusste ich mich in manchen Situationen einfach nicht anders zu wehren, als zu beleidigen und Geschirr zu werfen. Das Schlimmste war dann aber die Scham. Ich schämte mich immer fürchterlich für meine hysterischen Wutanfälle, so dass ich anschließend bereit war, alles zu tun, um das wieder gut zu machen. Ich ließ allerdings auch keine Argumente gelten, wenn ich nicht hundertprozentig überzeugt war, daher schaukelten sich die Gemüter immer hoch.

Das größte Problem war, dass ich nie die richtigen Worte fand und er kein Ende und ich außerdem nie einen Zusammenhang in seinem Gerede fand.

So wie an jenem Abend. Er saß auf dem Sofa vor dem Fernseher, als ich die Spülmaschine ausräumte. Er rief mir aus dem Wohnzimmer irgendwas zu, das ich durch das Geklapper des Geschirrs akustisch nicht verstand. Ich fragte nach, womöglich im falschen Ton. Das wars. Ich war wieder respektlos, undankbar und zu dämlich, eine Spülmaschine auszuräumen. Hatte auch vor, ihn umzubringen. War verantwortlich für eins seiner geplatzten Geschäfte, war hässlich und talentfrei, faul und mir gehörte die Fresse drei Mal täglich poliert. Ich hatte seit einiger Zeit ohnehin schlechte Laune, denn ich war kraftlos. Ich war ausmergelt und hatte schwere Beine. Mir fiel jeder Handschlag schwer und an diesem Tag ganz besonders. Ich brachte meinen Sohn zu meiner Mutter für ein paar Tage, weil ich einfach Mal schlafen wollte. Den ganzen Tag plagten mich Kopfschmerzen und eigentlich wollte ich nur noch ins Bett, doch füllte sich mein müder Körper mit Adrenalin, als er mich wieder einmal beleidigte.

Beim Streit also brannten mir die Sicherungen durch und ich entschied einfach zu fahren bevor es wieder so schlimm wurde, dass ich Stunden brauchte, um mich zu beruhigen, um mir nicht im Affekt einfach die Pulsadern aufzuschneiden.

So also kam ich nach meinem Kurztrip wieder zurück. Er stand auf, stellte sein benutztes Geschirr, auf die Arbeitsfläche der angrenzenden, offenen stehenden Küche. Langsam kam er auf mich zu, mit beiden Händen in den Hosentaschen seiner Anzughose und während ich noch an der Kommode, an der Garderobe stand und meine Sachen ablegte, hob er seine Hand und schlug zu. So fest, dass sich mein ganzer Körper einmal um die eigene Achse drehte und ich das Gleichgewicht verlor und zu Boden fiel. Es tat mir aber nicht weh, schon lange nicht mehr. Zumindest physisch. Es klatschte laut und es war heftig, aber es tat nicht weh und mir liefen keine Tränen. Es fühlte sich an, als wäre ich betäubt. Ich wollte nur, dass er fertig wird und ins Büro fährt, damit ich schlafen konnte, denn ich war wirklich müde. Ich schaute zu ihm hoch und sah in seinen Augen Hass. Innerlich lachte ich ihn aus, weil er immer, wenn er zuschlug, so machtlos wirkte, obwohl er so wütend aussah.

Mit der Drohung: “Darüber reden wir später noch!”, stieg er über mich drüber, schnappte sich den Autoschlüssel vom Schlüsselbrett an der Wand und ging hinaus. Leise zog er die Haustür hinter sich zu.

Wow, na mit so viel Glück hatte ich gar nicht gerechnet. Ein Schlag. zwei Sätze und weg war er.

Erleichtert ihn in den nächsten Stunden nicht sehen zu müssen, stand ich auf und ging ins Badezimmer. Ich duschte heiß und spielte unter der Dusche mit meinem knackenden Unterkiefer. Ich dachte darüber nach, was mit mir nicht stimmte, warum er mich so behandelte. Seine Ex Frau trug er schließlich auf Händen und die kam nie wirklich über ihn hinweg. Vielleicht liebte er sie noch und ich konnte ihr einfach nicht das Wasser reichen? Aber wollte er denn wieder eine geldgierige Bitch, wie er sie manchmal nannte?

Frisch geduscht schlüpfte ich in meinen Satin Schlafanzug und rubbelte mir die Haare Handtuchtrocken. Putzte mir die Zähne und massierte mir sanft die teure Gesichtspflege in die Haut. Ich starrte in den Spiegel und versuchte, zu erkennen, wer ich war. Wo ich war, warum ich dort war und wieso ich überhaupt war. Diese Fragen begleiteten mich schon mein ganzes Leben, denn ich stand schon oft einfach neben mir. So, als würde meine Seele den Körper verlassen und auf die leere Hülle schauen.

Ich schnappte mir, wie gewohnt, mein Bettzeug und legte mich auf die riesige weiße Designer Couch vor den TV. Ich liebte die Gewissheit, mit meinem Hund allein zu sein. Ich schaute mir das kleine Knäuel an und sah ihn, vor meinem geistigen Auge, an der Seite von Born über eine Wiese laufen. witzigerweise orientierte Hercules sich die ganze Nacht an Born. Nie hörte er und schon gar nicht auf seinen Namen und nun liefen beide ohne Leine stundenlang nebeneinanderher. Auch Joe ging mir nicht aus dem Kopf. Ich ließ die Nacht Revue passieren und ging jede Minute der Nacht noch einmal durch. Ich stellte mir nicht die Frage, ob es richtig oder falsch war. Ich stellte mir die Frage, was ich hätte anders machen können.

Aber was war Joe eigentlich für ein Kerl? Wieso war er so kalt und nett gleichzeitig? War ich ein netter Zeitvertreib? Ja, bestimmt. Was sollte er sonst auch die ganze Nacht tun. Bestimmt wollte er mir etwas antun und hatte es sich zwischenzeitlich anders überlegt. Gott sei Dank ist Hercules und mir nicht passiert. War es die Müdigkeit, die mir wieder solche Streifen vor das geistige Auge schob? Der Schlag? Oder war ich tatsächlich psychisch krank und wollte es nur nicht wahrhaben? Vielleicht hatten alle recht und wollten wirklich nur das Beste für mich. Aber warum sollte ich meine Erkrankung heilen? Ich tat doch niemandem etwas Böses, ganz im Gegenteil. Ich schützte mich nur. Was war daran denn falsch? Was machte ich falsch, wie ruinierte ich deren Leben? Das habe ich schon als Kind nicht verstanden. Immer wollten mich alle um jeden Preis, aber dann war ich nicht gut genug, dabei war ich doch immer von vorneherein aufrichtig. Ich versuchte mit aller Macht in den Diskussionen meinen Standpunkt zu vertreten, aber ich traf nie die richtigen Worte. Lag es vielleicht daran, dass ich nicht so klug war, wie ich manchmal meinte? Das machte mich wahnsinnig.

Zu den vertrauten Stimmen der Sitcom im Fernsehen schlief ich fast ein, sprang aber noch einmal auf und konnte es mir nicht verkneifen, Joe noch eine Gute Nacht SMS zu schreiben. Eigentlich nur, damit auch er meine Handynummer hatte.

Aber wieso tat ich es? Ich war doch gerade noch froh, nicht tot im Gebüsch zu liegen.

"Irgendwie seid ihr beiden cool. LG", schrieb ich und bekam prompt eine Antwort.

"Ihr noch nicht, aber das wird schon. LG"

Ich hatte manchmal Gedankengänge, für die ich mich selbst schämte. Doch kam ich gegen die innere Zerrissenheit einfach nicht an. Ich hatte zu jeder Situation und jedem Menschen immer zwei Meinungen und konnte mich nie mit mir selbst einigen. Vor allem wenn es um Gefühle, Empfindungen und Wahrnehmungen ging.

Mit dem Rücken fest an die Couchlehne gedrückt, eingerollt in die Decke mit Hercules in der Bauchkuhle, schlief ich ein, bis ich aufschreckte und noch schnell den Verlauf mit Joe aus meinem Handy löschen musste.

Der Zirkel des Narzissten

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