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Martin

Wenige Augenblicke zuvor, mitten auf offener See, unter einem strahlendblauen Himmel dümpelte ein kleines Fischerboot friedlich in der Dünung. Ein Junge von etwa fünfzehn Jahren verstaute gerade seinen Fang im Laderaum. Sichtlich zufrieden zog er ein Smartphone aus einer Seitentasche seiner ausgeblichenen Hose und begann eine Nachricht zu tippen.

„Hallo, wie geht es euch? Ich habe mehrere Kilo Fisch erbeutet. Sofort nach meiner Ankunft in Vina del Mar werde ich sie auf dem Markt verkaufen. Schick mir die Einkaufsliste. Von meinem Erlös werde ich alle Besorgungen machen und es wird zu Hause ein richtiges Gelage geben“, schrieb Martin auf dem Mobiltelefon an seine Mutter, die gleich antwortete. „Glückwünsche. Ich bin stolz auf dich. Wir freuen uns auf das Abendessen mit dir, mein Junge. Deine Schwester hat schon die vierzigste Seite ihrer Geschichte über die Meere geschrieben. Die Lebensmittelliste sende ich dir gleich hinterher. Pass auf dich…“

Die Nachricht endete abrupt mitten im Satz und der junge starrte verwirrt auf das Display. Gleichzeitig fiel ihm die plötzliche Dunkelheit ringsherum auf. Die Sonne war hinter einer stahlgrauen, bleischweren Wolkenschicht verschwunden.

Ein vibrierender, lauter Krach schmetterte dröhnend über das Wasser. Eine unheimlich wirkende, pechschwarze Wand schob sich über den Horizont. Unheildrohend verschlang sie in ihrer Düsternis die kleinsten restlichen Lichtecken. Martin erschrak. Er stand auf, stopfte sein Handy wieder in die Hosentasche und sicherte hastig seine Ladung. Ehe er sich versah, fegte ein pfeifender Wind über das Boot. Schwindelerregend hohe Wellen stürmten schaumbekrönt auf das Schiff zu. Sie öffneten sich gleichsam wie geifernde, zähnefletschende Riesenmäuler längst vergessener Meeressaurier aus der Urzeit, urplötzlich aus einem äonenlangen Schlaf erwacht. In wilder Raserei wüteten die Wogen rücksichtslos, unbarmherzig und verwandelten die See in ein noch nie dagewesenes, alles Verschlingendes Chaos. Martin bohrte seine Finger in das Holzdeck und hetzte kriechend unter der unaufhörlich auf ihn einprasselnden Gischt in die Kabine. Er hatte gerade die Tür verriegelt, als eine weitere mächtige Wasserwand über das Boot schwappte und das Deck für eine Minute flutete. Das Wasser spritzte mit Wucht gegen die Scheiben. Das wütende, aufgewühlte Meer warf das Boot hin und her wie eine kleine Nussschale, die hilflos der Urgewalt einer entfesselten Natur ausgeliefert war. Martin saß auf dem Boden und hielt sich an dem Bein des festgeschraubten Stuhles fest. Noch nie hatte er sich so einsam und schutzlos gefühlt. Er presste die Lippen zusammen, wusste nicht wie ihm geschah und starb tausend Tode, als das Boot auf dem Kamm einer Riesenwelle ritt. Unter ihm gähnte ein wirbelnder, düsterer, pulsierender, nasser Schlund. Graue und schwarze Wasserspiralen wanden sich in einem irren Strudel herum. Alles ging viel zu schnell. Seine Glieder erstarrten vor Schreck. Ein heiserer Hilfeschrei entrang sich seiner Kehle. Es schien als wäre sein Schicksal besiegelt, denn hier alleine auf dem offenen Meer durfte er nicht auf Rettung hoffen. Er würde spurlos von der Erdoberfläche verschwinden, ohne sich von seiner Mutter und seiner jüngeren Schwester verabschieden zu können. Diese Vorstellung entsetzte ihn mehr als alles andere. Er war schließlich nicht freiwillig hier, sondern lediglich, um die Familie zu ernähren. Und nun strafte ihn das Schicksal auf grausame Art und Weise. Er rieb sich mit dem Handrücken die vom Salzwasser brennenden Augen. Eben hatte sein Boot den Kamm des Wasserbergs erklommen, da kippte es auch schon krachend und knirschend über die Kante in das tiefe Wellental dahinter. Der Rumpf ächzte und stöhnte wie ein klagendes Lebewesen im Todeskampf. Bug und Kabine tauchten unter Wasser. Undurchdringliche Finsternis umgab ihm. Martin kniff die Lider seiner Augen fest zu und sah in stummer Ergebenheit seinem sicheren Ende entgegen. Seine Hände verkrampften sich wie Schraubstöcke um seinen improvisierten Haltegriff, um einen Sturz auf die Scheiben zu vermeiden. Nach schier endlosen Sekunden kämpfte sich sein tapferes Boot mühsam wieder an die Oberfläche wie ein geschlagener Boxer, der sich im Ring aufrappelt. Nachdem ihm gerade noch der sichere Tod gedroht hatte, glomm ein zarter Funke der Hoffnung in seinem Herzen auf, als sich das trübe Tageslicht wieder zögernd durch die salzverkrusteten Fenster in die Kabine tastete. Bevor er allerdings die Chance hatte, sich über seine wundersame Rettung zu freuen, wurde er erneut des tobenden Meeres ringsherum gewahr. Sein Schädel dröhnte. Das ständige Sausen und Heulen, Knarren und Krachen der Holzplanken lähmte seinen Verstand. Ein Brecher, hoch wie ein Felsen rollte auf das Heck des Bootes zu. Unter dem Druck der vernichtenden Riesenwelle würde sein kleines Schiff augenblicklich zerschmettert werden. Daran war nicht zu zweifeln. Martin hieb wütend gegen die Planken. Wie konnten diese Urgewalten nur so grausam mit ihm spielen. Warum war er mit knapper Not dem sicheren Untergang um Haaresbreite entronnen nur um abermals von einer dieser Monsterwellen an die Schwelle des Todes geworfen zu werden? Er hob seinen Kopf, und nahm einen weiteren Wasserberg wahr, der von der anderen Seite auf den Brecher einstürmte. Der Aufprall beider Wogen gegeneinander schob sein Boot erstaunlicherweise aus der unmittelbaren Gefahrenzone. Martin blickte sich um. Auf einmal legte sich der höllische Wind. Die in Rage geratenen meterhohen Wogen zügelten rasch ihre Gewalt und flachten ab. Bald beruhigte sich die Urgewalt des Ozeans vollständig. Martin lugte aus dem Fenster. War diese eintretende Windstille ein Trugschluss oder hatte sich der Sturm wirklich gelegt? Abwartend kniete er auf dem Deck und spähte zum diesigen Horizont. Hängende Wolkenfetzen und Nebelschwaden bewegten sich ziellos wie unheimliche Meeresgeister über der Wasseroberfläche und trübten seine Sicht nach vorne. Doch ein einziger Gedanke berauschte seine Sinne. Er lebte noch und dabei entkrampfte sich sein Körper allmählich.


Hüter des Klimas

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