Читать книгу Final Game - Valuta Tomas - Страница 4
Round 1
ОглавлениеDas Gefühl schweben zu können, hat Sam ganz und gar eingenommen. Neve kann es sehen, sie kann es am Gesichtsausdruck ihrer Frau erkennen. Daran, dass sie nicht imstande ist die Augen zu öffnen. Es ist nur ein zaghaftes flattern der Lider.
Um die getrockneten Lippen zu befeuchten, gleitet Sams Zunge über ihren leicht geöffneten Mund.
Neves Augen wandern von Sams pulsierender Halsschlagader über ihren bewegenden Brustkorb. Ihre Hingabe an Aufmerksamkeit hat deren Brustwarzen vor einiger Zeit aufrichten lassen. Eine leichte Briese ist Neve behilflich und lässt Sams Brustwarzen vollends härter werden.
Auch wenn sie kaum zu sehen sind, lächelt Neve bei dem Anblick von den kleinen und wenigen Schwangerschaftsstreifen die ihre Frau von der Schwangerschaft zurückbehielt. Sam hasst diese hässlichen Dinger, das weiß Neve. Dennoch ist es für sie selbst, der schönste Beweis für das wertvollste Wunder dieser Welt.
Seit Jean auf der Welt ist, hat Neve eine weitere Lieblingsstelle an Sams Körper entdeckt. Der Bauchnabel muss sich damit abfinden, dass Neve die Schwangerschaftsstreifen ebenso verwöhnt. Unbewusst will die ältere Frau Sam davon überzeugen, dass sie ebenso zu ihr gehören wie alles andere. Dass sie wunderschön und Zeuge eines wachsenden Lebens sind. Bis heute ist es Neve nicht gelungen Sam von ihren Gedanken zu überzeugen. Manchmal kann diese junge Frau dickköpfiger sein, als der stärkste Stier.
Fasziniert von dem Anblick und immer wieder aufs Neue neugierig, beugt sich Neve etwas vor. Gebannt blickt sie auf ihre Hand, die sich in einem gleichmäßigen Rhythmus vor und zurückbewegt. Sie beobachtet die Finger, die vor Lust glänzend in Sam eintauchen und gleich darauf wieder zum Vorschein kommen.
Begierig blickt sie zwischen dem Gesicht ihrer Frau und ihrer Hand hin und her. Sie kann sich einfach nicht entscheiden welcher Anblick köstlicher für sie ist.
Sam zu sehen und zu wissen, dass sie ihre Frau nach all diesen Jahren noch immer auf ihren gemeinsamen Gipfel der Lust treiben kann, ist für sie schon fast unglaublich.
Sams rechtes Bein hat sie zwischen ihre eigenen geschlungen, nur um Sam in der Position zu haben, in der sie ihre Frau haben will.
Neve liegt seitlich an Sam entlang und hat einen faszinierenden Anblick auf ihren ganzen Körper. Mit dem Arm unter Neves Achsel geschoben, könnte Sam jederzeit die Position ändern und die Führung übernehmen. Aber dazu ist die Südländerin gar nicht fähig. Zu sehr hat ihre Frau sie gefangengenommen.
Neves Augen blicken an Sams linkem Bein entlang. Fast im selben Rhythmus wie ihre Hand, schwabt Süsswasser gegen Sams Fuß, während es gleichzeitig Neves Waden umspült. Dieser gleichmäßige Rhythmus wiegt beide Frauen auf einer besonderen Ebene der Sicherheit.
Mit einem Mal hebt Sam ihre linke Hand und legt sie auf die Hand ihrer Frau. Gleichzeitig stellt sie das freie Bein auf und breitet es weiter aus.
Lächelnd blickt Neve zu ihr zurück. Sie kennt diese Aufforderung ihrer Frau. Sie kennt alles von ihr. Jede kleinste Handlung ist ihr so vertraut, wie ihre eigenen. Und genau aus diesem Grund beendet sie den bisherigen Rhythmus. Stattdessen taucht sie tiefer in ihre Frau, die sie mit dem anheben ihres Beckens sehnsüchtig erwartet. Der Fuß des aufgestellten Beins schiebt sich in den weichen Sand. Die Hand die auf Neves liegt, verlässt diesen Platz und krallt sich ebenfalls in den Sand.
Neve braucht ihre Finger nur noch ein paar Sekunden in Sam zu bewegen. Auf diese Weise mit ihrer Frau verbunden zu sein und sie so tief zu spüren, lässt Neve vor Ehrfurcht und gleichzeitiger Liebe noch immer erschauern.
Während ihre Finger tief und vorsichtig in Sam tanzen, beugt sie sich hinab und bedeckt zuerst Sams Schlüsselbein mit Küssen. Danach ihren Hals. Das atmen ihrer Frau wird schwerer und stockender.
Mit einem Mal schlingt Sam beide Arme um Neve. Mit aller Kraft die sie in diesem Augenblick aufbringen kann, klammert sie sich an ihre Frau, während diese spüren kann, wie sich Sams Muskeln um ihre Finger legen und sie festhalten.
Es gab bis heute nicht einen einzigen Akt zwischen ihnen, wo Neve Zweifel daran hatte, Sam wäre nicht zum Orgasmus gekommen. Nicht ein Mal hat ihre Frau ihr etwas vorgemacht. Immer konnte sie spüren und auch schmecken, dass sie Sam tatsächlich diese Lust bereitete.
Sams Hand krallt sich in Neves Rücken fest. Der Sand in ihrer Hand rieselt dort prickelnd entlang. Ihr Mund lässt ein langgezogenes Stöhnen frei. Neves Lippen küssen Sams Hals. Ihre Zunge gleitet über die aufgeheizte Haut.
»Ich will noch ein Kind mit dir«, hört sie sich selbst zwischen den Küssen flüstern. Gleichzeitig schwächt Sams Stöhnen etwas ab. Momente verstreichen stillschweigend, bis Neve ein kaum hörbares aber ernstes »Nein« von Sam vernehmen kann. Flüsternd, irgendwie schüchtern.
Sie beugt sich auf. Verwundert schaut sie in das erschöpfte Gesicht ihrer Frau. Sam öffnet erst nach einigen Sekunden die Augen. Mit festem Blick schaut sie Neve an. Bestätigend zu ihrer Aussage schüttelt sie den Kopf.
»Nein«, wiederholt sie leise. Gleich darauf füllen sich ihre Augen mit Tränen.
»Neve, du stirbst. Verlange nicht von mir, dass ich in einem Arm unser Kind halte, während du in meinem anderen Arm stirbst.«
Erschrocken reißt Neve die Augen auf. Die vertraute Dunkelheit im Schlafzimmer legt sich augenblicklich wie ein erdrückender Schleier auf sie. Von der Wucht der Gefühle, die in diesem Traum auftauchten regelrecht erschlagen, holt sie tief Luft. Sie spürt ihr Herz bis zum Hals schlagen. Ein gewisser Grad an Panik erwacht in ihr. Mit einem Mal wird sie innerlich so nervös und aufgelöst, dass sie die Augen schließt und schwer schluckt. Mit aller Kraft konzentriert sie sich auf ihre Atmung, die in diesem Augenblick einen kleinen Marathon absolviert. Ihr Kiefer beginnt zu zittern, Tränen schießen in ihre Augen. Schlagartig öffnet sie diese wieder. Panisch wandert ihr Blick durch das Schlafzimmer. Sie dreht sich auf den Rücken und blickt zu Sam hinüber. Die liegt mit dem Rücken zu ihr auf der Seite und schläft den Schlaf der Gerechten. Irgendwie erleichtert atmet Neve ein weiteres Mal tief durch. Sie blickt zum Nachttisch zurück. Die Uhr zeigt ihr an, dass sie in einer halben Stunde aufstehen muss. Sich jetzt nochmal auf die Seite drehen und die Augen schließen wäre sinnlos. Sie wüsste eh nicht, ob sie das nach diesem Traum überhaupt könnte. Denn, wie sie augenblicklich feststellen muss, hat der Traum ihr nicht nur eine Welle von unangenehmer Angst mitgegeben, sondern auch ein ansehnlicher Schwall Erregung.
Neve spürt, dass es zwischen ihren Beinen brennt und kribbelt. Die Erregung und das noch vorhandene Gefühl der Angst vermengen sich zu einem Gefühl, welches sie nicht richtig einstufen kann. Es macht sie unfassbar nervös.
Sie blickt wieder zu Sam zurück und atmet noch einmal tief ein und aus.
»Es war nur ein Traum«, beruhigt sie sich selbst. Sie weiß, sollte sie mit dem Wunsch eines weiteren Kindes an Sam herantreten, würde Sam nicht Nein sagen. Ihre Frau würde zustimmen und sie könnten sich darüber freuen ihre Familie weiter wachsen zu lassen. Es wäre nur fraglich wie sie das machen wollen. Neve ist mittlerweile Mitte fünfzig. Eine Schwangerschaft wäre also viel zu gefährlich, für beide. Sam robbt ihr zwar mit elf Jahren Verspätung hinterher, aber auch für sie wäre eine weitere Schwangerschaft nicht von Vorteil. Zumal sie wahrscheinlich wieder eine mittlere Krise wegen der Veränderung ihres Körpers bekommen würde.
Neve will nicht weiter darüber nachdenken, was ihr der Traum für Zeichen gegeben hat. Sie will in erster Linie nur ein Bedürfnis beseitigen. Von daher robbt sie fast bewegungslos zu Sam hinüber. Vorsichtig legt sie ihre Hand auf Sams Hüfte. Angespannt blickt sie zu ihrem Gesicht hoch. Nichts, ihre Frau hat diese vorsichtige Berührung nicht mitbekommen, also weiter. Fast bewegungslos schiebt sie ihre Hand unter die Decke. Umständlich fummelt Neve am Gummizug der Schlafanzughose herum. Sie weiß bis heute nicht, weshalb Sam seit Monaten im Schlafanzug schlafen geht. Sie ist schon ewig nicht mehr splitterfasernackt aus dem Bad gekommen und so ins Bett gekrochen wie Gott sie schuf. Jedes Mal wenn Neve sie darauf ansprach, zuckte sie nur mit den Schultern und brabbelte etwas davon, dass ihr nachts kalt wäre. Die ausstrahlende Hitze, die Neve in diesem Augenblick allerdings entgegenströmt, erzählt definitiv etwas anderes.
Leichtfüßig wandern Neves Finger über Sams Unterleib, bis sie die ersten Haare spüren kann. Lächelnd zwirbelt sie einige Momente an den Haaren herum, bis sie sich ein Stück weiter traut. Kaum tasten sich ihre Finger zwischen Sams Beine, zuckt ihre Frau. Gleich darauf schiebt Sam ihr Becken etwas vor. Weg von ihrer Frau. Neve grinst. Es stört sie nicht. Wenn sie von vorne nicht an ihre Frau herankommt, wird sie einen anderen Weg nehmen.
Mit einem frechen Grinsen auf den Lippen wandert Neves Hand über Sams Becken nach hinten zu ihrem Po. Dieser ist noch immer so stramm und straff wie der einer siebzehnjährigen. Wie ihre Frau das macht, ist Neve bis heute ein Rätsel. Sams Arsch entspricht noch immer einem Apfel der Qualitätsklasse I. Das erleichtert ihr den direkten Weg zwischen Sams Beine.
Kaum berührt sie Sams Weiblichkeit mit den Fingerspitzen, entweicht ihr ein kurzes Stöhnen. Es fühlt sich so unfassbar vertraut und wunderschön an, dass sie niemals genug davon kriegen könnte. Sie kann sich einfach nicht vorstellen, jemals in ihrem Leben eine andere Frau im Intimbereich zu berühren, als ihre geliebte Frau. Sie kennt jeden einzelnen Millimeter und dennoch fühlt es sich immer wieder so unfassbar aufregend und neu für sie an.
Voller Vorfreude auf einen wundervollen Morgen, gleitet Neves Hand fordernder zwischen Sams Beine. Die greift allerdings plötzlich nach hinten, packt Neves Hand und zerrt sie störrisch aus der Hose heraus.
»Lass das«, brummt sie und schiebt ihr Becken ein ganzes Stück weiter vor. Überrascht schaut Neve zu ihr hoch. Nachdenklich legt sich ihre Stirn in Falten. Dann lächelt sie. Sam schläft, sie weiß sicherlich gar nicht was Neve vorhatte. Und falls doch, hat sie es wahrscheinlich falsch interpretiert. Im Schlaf verwechselt man gerne mal ein paar Dinge. Von daher schiebt Neve ihre Hand unter das Oberteil und wandert verspielt zu Sams Brüsten hoch. Gerade als sie diese berühren will, schiebt Sam ihre Hand erneut weg.
»Hör auf«, grunzt sie verschlafen. Verdattert zieht Neve den Kopf zurück. Ok, Sam scheint wach zu sein und zu wissen was sie macht.
Neve nimmt die andere Hand hoch, schiebt Sams Haare zur Seite und haucht ihr einen Kuss auf den Hals.
»Wir haben seit Monaten nicht mehr miteinander geschlafen«, flüstert sie in der Hoffnung, Sam somit umstimmen zu können.
»Und? Ich habe nun mal keine Lust«, zickt Sam bockig. Neve grinst. Sie kuschelt sich an ihre Frau und haucht ihr einen Kuss auf die Wange.
»Kommst du allmählich in die Wechseljahre, oder wie?«, kichert sie leise. Blitzschnell dreht Sam ihren Kopf nach hinten und schaut ihre Frau an. Auch wenn die Südländerin eigentlich noch schläft und ihre Augen so klein sind, wie die eines neugeborenen Kitten, schafft sie es dennoch ihnen diesen beißenden, durchdringenden und wütenden Ausdruck zu verleihen. Neve muss bei diesem Anblick tatsächlich schwer schlucken.
»Ok, du hast gewonnen«, stammelt sie eingeschüchtert. Sofort zieht sie ihre Hand aus Sams Oberteil und rutscht von ihr weg. Anstatt sich weiter mit ihrer Frau auseinanderzusetzen, dreht sich Sam wieder auf die Seite, kuschelt sich bequemer in das Kissen und beginnt nach wenigen Momenten wieder gleichmäßiger zu atmen.
Erstaunt zieht Neve eine Augenbraue hoch. Wie von einem Zug überrollt, schaut sie ihre Frau verdattert an. Was war das denn jetzt? So ein Verhalten kennt sie überhaupt nicht von ihrer Frau. Ist Sam eventuell wirklich in die Wechseljahre gekommen und keine von ihnen hat es so richtig mitbekommen? Zeit wäre es allmählich. Dem Gesetz der Natur nach, müsste Sam mittlerweile tatsächlich mit einem durchgeknalltem Spiel ihrer Hormone rechnen. Aber äußert sich das wirklich gleich so? Na gut, was heißt das schon? Sie und Neve haben wahrhaftig seit Monaten nicht mehr miteinander geschlafen. Genau genommen hat es fast ein Jahr nach Jeans Geburt begonnen. Es begann also schon irgendwie schleichend. Falls hier grade wirklich von den Wechseljahren gesprochen wird.
Nachdenklich blickt Neve zu Sam zurück. Bisher strotzte ihre Frau allem was für eine Frau in ihrem Alter eigentlich üblich ist. Sie kann über keine schmerzenden Knochen klagen. Über PMS kann sie sich auch noch nicht beschweren. Die grauen Haare haben sich nicht wirklich nennenswert vermehrt. Ganz zu schweigen von irgendwelchen Falten. Während Neve mit tiefen Furchen und unzähligen Grand Canyons im Gesicht durch die Welt stolpert, muss man bei Sam schon zweimal hinschauen bis man den Ansatz einer Falte auch nur erahnen könnte.
Wenn das aber alles fast spurlos an Sam vorbeigegangen ist, weshalb dann dieser plötzliche Einbruch ihres Liebeslebens? Neve und Sam waren seit jeher immer scharf aufeinander. Manchmal konnten sie sich selbst kaum zügeln. Aber plötzlich schlief alles ein. Neve nahm das vorerst gar nicht so bewusst wahr, weil beide beruflich und privat zu sehr eingespannt waren, als dass ihnen diese Veränderung bewusst gewesen wäre. Wenn Neve jetzt aber so darüber nachdenkt, fällt es schon irgendwie auf. Wenn die ältere Frau versuchte ihre Frau zu verführen, blockte diese ab. Es kamen die typischen Aussagen einer Frau wie Kopfschmerzen, Menstruation oder Müdigkeit. Selbst mit einem riesigen Gedankensalat bremste Sam ihre Frau in ihren Verführungsversuchen aus. Von Sam selbst kam eigentlich gar nichts mehr. Den letzten richtig ausgiebigen Sex hatten die beiden damals, als Neve Sam im Loft beim tanzen erwischte. Das war das letzte Mal, dass sie sich so richtig Zeit füreinander genommen haben. Danach waren es nur noch irgendwelche Nummern um die Lust zu befriedigen. Mehr nicht, leider.
Während Neve so darüber nachdenkt, fällt ihr auch auf, dass Sam seit Monaten nicht mehr nackt in ihrer Gegenwart aufgetaucht ist. Es ist schon fast wie damals, als diese Geschichte mit Niklas passierte. Sam versteckt sich vor Neve. Nur warum? Es ist nichts Gravierendes passiert, dass Sam eine triftige Begründung für ihr Verhalten hätte.
Nachdenklich blickt Neve zu Sam zurück.
»Ist alles in Ordnung mit dir?«, flüstert sie leise. Keine Antwort.
Wenn Sam keine Lust hat mit Neve zu schlafen, könnte es natürlich auch heißen, dass sie ihre Lust auf andere Weise befriedigt. Das Thema hatten sie doch aber schon. Sam versicherte ihr immer wieder, dass sie niemals eine andere Frau haben will, als sie. Was ist aber passiert? Eventuell vielleicht doch eine andere Frau?
Bei dem Gedanken daran, versetzt es Neve einen Stich ins Herz. Sie schluckt schwer. Ihr Körper beginnt überall zu kribbeln, als sie mit diesen Gedanken auf Sams Hinterkopf blickt.
»Hast du eine andere?«, presst sie leise zwischen ihre Lippen. Sollte Sam tatsächlich eine Liebhaberin haben, muss Neve es wissen. Sie muss es einfach wissen. Dann kann sie wenigstens damit arbeiten. Irgendwie.
Mit einer harten Bewegung reißt Sam plötzlich die Decke von sich herunter.
»Hör mit dieser verdammten Scheiße auf«, keift sie wütend. Sie steht aus dem Bett auf, betritt das Bad und knallt die Tür lautstark hinter sich zu. Erschrocken zuckt Neve zusammen. Ok, so sollte der Morgen nicht beginnen.
***
Mit aller Kraft ballt Neve eine Hand zur Faust. Ihre Augen liegen brennend auf dem Kaffeevollautomaten. Brauchte das Ding schon immer so lange um einen einfachen Kaffee zu machen?
Nervös trommelt sie mit der anderen Hand auf der Arbeitsplatte herum. Dann reißt sie sich herum, stampft in den Flur und rupft die Schublade der Kommode fast heraus. Hektisch schiebt sie Ersatzschlüssel, Kinokarten, Kugelschreiber, kleine Blöcke und sonstige lästige Gegenstände herum bis sie fündig wird. Mit einem Feuerzeug und einer Schachtel Zigaretten ausgestattet, trampelt sie in die Küche zurück und zieht die Kaffeetasse unter dem Automaten weg.
Draußen auf der Veranda setzt sie sich auf die Stufen, stellt den Kaffee ab und zündet sich eine Zigarette an. Gleich der erste Zug wird mit einem ausgestreckten Mittelfinger ihrer Lunge quittiert. Ihr ist es egal. Es ist Ewigkeiten her, dass sie geraucht hat. Sie brauchte dieses Zeug nicht. Nie gab es eine Situation der sie nicht Herr war und unter Kontrolle hatte. Aber jetzt, jetzt braucht sie einfach eine Zigarette. Sie hat das Gefühl ihre Nerven würden blank liegen. Sie fühlt sich erschöpft und zugleich aufgekratzt. Sams Verhalten macht sie nervös. Irgendetwas stimmt nicht. Nur was? Eigentlich bringt sie kaum etwas so schnell aus der Fassung, dass sie sich tatsächlich hilflos fühlt. Aber Sams Verhalten von vorhin lassen ihre Alarmglocken läuten.
Neve legt das Feuerzeug zur Seite und zieht noch einmal an der Zigarette. Auch dieser Zug wird hustend aufgenommen.
Ihr Blick fällt auf die Hand, die bis eben noch das Feuerzeug hielt. Langsam hebt sie diese bis vor die Augen. Sie dreht sie und schaut sich den Handrücken genau an. Sie betrachtet die Finger und den Ringfinger mit dem Zeichen dieser unerklärlichen Liebe Sam gegenüber.
Neves Augen wandern über die Hand, bis sie schmunzelt. Ihr Blick tanzt über alte und faltige Haut. Nichts sitzt mehr so wie sie es eigentlich gewohnt ist. Altersflecken belagern ihre Haut, die wie ein ledriger Lappen über ihren Knochen hängt. Da cremt sie sich jeden Abend vor dem zu Bett gehen die Hände ein, kann die Zeit und deren Fortschritt dennoch nicht aufhalten.
»Kein Wunder, dass sich Sam jüngere Frauen sucht. Das ist doch nicht mehr schön«, murmelt sie enttäuscht über sich selbst und betrachtet ihre leicht sehnige Hand noch immer eingehend.
»Du sollst damit aufhören.« Sams keifende Stimme lässt Neve zusammenfahren. Erschrocken dreht sie sich um. Ihre Frau steht mit geballten Fäusten und vor Wut kochend in der Verandatür. Ihr Blick verweilt flüchtig auf der Zigarette in Neves Hand, dann schaut sie ihre Frau wütend an. Wenn Blicke töten könnten, würde Neve wie ein steifes Stofftier zur Seite umkippen.
»Du rauchst, nur weil wir keinen Sex mehr haben? Macht dich das wirklich so fertig?« Sams Stimme zerreißt es fast vor Wut. Was ist nur in diese Frau gefahren? Weshalb scheint sie so maßlos wütend zu sein?
Bevor Neve aber antworten kann, dreht sich Sam um und verschwindet im Haus. Mit einer schnellen Bewegung wirft die ältere Frau die Zigarette in den Garten und eilt ihrer Frau hinterher. Im Flur bleibt sie verwundert stehen. Mit dem Rücken zu ihr, steht Sam regungslos vor ihr. Der Kopf ist leicht gesenkt, die Hände noch immer zu Fäusten geballt.
»Soll ich dir zeigen, weshalb wir nicht mehr miteinander schlafen? Willst du wirklich den Grund dafür wissen?« Neve schluckt. Will sie den Grund wirklich wissen? Will sie der Wahrheit in die Augen blicken?
Sam schaut über ihre Schulter hinweg nach hinten und hebt die Hände.
»Es ist jedenfalls nicht, weil ich irgendwelche jüngere Frauen vögel. Ich habe dir schon tausend Mal gesagt, dass es für mich nur noch dich gibt.« Sams Stimme sprüht vor Aggressivität. Ihre Hände werkeln währenddessen am Oberteil des Schlafanzuges herum. Nachdem alle Knöpfe geöffnet sind, schiebt sie das Kleidungsstück von den Schultern und dreht sich um. Kaum steht sie ihrer Frau halbnackt gegenüber, greift sie an den Hosenbund und schiebt auch das letzte Kleidungsstück ihren Körper entlang.
»Das ist der Grund. Das und nichts anderes«, zischt Sam, kaum, dass die Hose den Boden berührt.
Als sie anfing sich dem Oberteil zu entledigen, dachte Neve für einen kurzen Augenblick, dass Sam eine Verletzung hat von der sie nichts weiß und sie hässlich entstellt. Aber wenn sie jetzt Sams Körper betrachtet kann sie nichts Auffälliges sehen.
»Sieh mich an, Neve. Sieh mich an.« Neve schluckt. Was ist mit Sam nur los?
»Das … das mache ich«, stottert sie verunsichert. Ihre Augen gleiten ein weiteres Mal Sams nackten Körper entlang. Sie weiß nicht worauf sie ihr Augenmerk richten soll. Nichts an Sam ist auffällig was ihre Aufmerksamkeit erregen könnte. Ihre Frau sieht aus wie eh und je.
»Ich bin hässlich, Neve. Seit Jeans Geburt ist mein Körper nicht mehr das was er einmal war. Ich hasse ihn! Ich hasse ihn mehr als ich es in Worte fassen könnte!« Was? Neves Augen weiten sich erschrocken. Verwundert über diese völlig irrsinnige Aussage, starrt Neve ihre Frau an. Deren wütender Gesichtsausdruck deutet an, dass sie zur Hochform aufläuft.
»Ich habe während der Schwangerschaft über fünfzehn Kilo zugenommen und bin bis heute nur zwölf davon losgeworden.« Bestätigend greift sie sich in die Seite. Das bisschen Fleisch was sie zwischen ihre Finger quetscht kann doch nicht ihr Ernst sein, oder?
»Ich habe unzählige Cremes und Öle ausprobiert, nur damit meine Haut nicht reißt, aber nichts half. Mein Bauch sieht mit den Schwangerschaftsstreifen wie ein fettes Zebra aus.« Neve glaubt ihren Ohren nicht zu trauen. Bitte was? Fettes Zebra? Sam hat insgesamt sechs Streifen auf ihrem Bauch. Ihr Bindegewebe ist so unfassbar gut, dass man diese Streifen kaum sieht. Nur wenn man ganz genau hinsieht, erkennt man sie. Und damit übertreibt Neve noch nicht einmal. Sams Schwangerschaftsstreifen sind wirklich kaum zu erkennen. Sie sind dünne Fäden. Sam scheint das aber völlig anders zu sehen.
»Ich hatte so sehr gehofft und tatsächlich gebetet, dass mir das nicht passiert, aber ich habe mich sogar geweitet. Ich wollte so bleiben wie ich war, damit du weiterhin so mit mir schlafen kannst wie du es gewohnt warst.« Sams Stimme bricht. Tränen schießen in ihre Augen.
»Aber nein, ich musste mich ja unbedingt weiten. Wenn du in mich eindringst benutzt du mittlerweile von Anfang an zwei Finger anstatt einen. Wenn du nur einen benutzen würdest, wäre es, als wenn ein Irischer Wolfshund einen Chihuahua vögelt. Mehr als Luft rammelt der da nicht. Und dasselbe hast du mit mir. Ich wollte dir das nie antun. Ich wollte so bleiben wie ich war. Ich wollte dir für immer gefallen und dir einen wunderschönen Körper bieten. Aber es ist alles im Arsch. Nichts ist mehr so wie es einmal war. Und dafür hasse ich meinen Körper.«
Neve kann nicht so schnell reagieren, wie Sam sich bückt, die Hose hochzieht und das Oberteil vom Boden aufhebt.
»Sam … .« Neve macht einen Schritt in ihre Richtung, aber Sam reißt sich herum und rennt weinend die Treppe hinauf. Oben rennt sie Precious fast über den Haufen. Mit Jean umständlich im Arm, schaut Precious ihrer Mutter verwundert hinterher. Verdattert blickt sie nach unten und erfasst Neve. Die steht am unteren Ende der Treppe und blickt ihrer Frau verzweifelt hinterher. Als sie ihre Kinder dort oben stehen sieht, verdrängt sie die Sorgen um ihre Frau. Mit einem Ohr hört sie die Badezimmertür im Schlafzimmer zuschlagen. Alle anderen Sinne richtet sie auf ihre Kids.
»Guten Morgen«, lächelt sie gequält. Sie drückt Precious einen Kuss auf den Kopf, kaum dass sie mit Jean unten ankommt.
»Was ist mit Mommy? Warum weint sie? Habt ihr euch gestritten?« Wie kann man so kurz nach dem aufstehen schon so viele Fragen auf Lager haben?
Precious lehnt sich etwas zurück und blickt skeptisch zu Neve hinauf.
»Mummy, du stinkst. Hast du etwa geraucht?« Jetzt kriegt man es sogar schon von den eigenen Kindern volle Breitseite.
Leicht genervt schnauft Neve laut aus und nickt.
»Ja und es war ein Fehler. Tut mir leid«, pustet sie entkräftet. Kann der Tag eigentlich noch besser beginnen?
»Hast du Jean etwa ganz alleine aus dem Bett geholt?« Erstaunt streicht Neve dem Zwerg über den Kopf.
»Mamaaa«, jault Precious genervt. Seit einiger Zeit versucht sich die kleine Maus an den verschiedensten Varianten dieser Betitelungen. Selbst Sam bekommt oft genug ein kurzes Mum an den Kopf geworfen.
»Ich bin schon fast zwölf Jahre alt und nicht mehr so klein wie ihr immer denkt. Natürlich habe ich Jean alleine aus dem Bett geholt.« Neve schmunzelt bei dem trotzigen Unterton ihrer Tochter.
»Sicher, wie konnte ich nur daran zweifeln?« Precious schaut Neve nachdenklich an. Ihre Augen verengen sich.
»Geht es dir nicht gut? Du bist weiß im Gesicht.« Erstaunt blickt Neve zu ihrer Tochter hinunter.
»Echt?« Schon seit ein paar Minuten fühlt sie sich etwas mulmig. Sie hatte allerdings keine Ahnung, dass man dies scheinbar so offen sehen kann. Sagen wollte sie nichts.
Als wenn Precious mit ihrer Aussage die Achterbahn in Bewegung gesetzt hätte, wird Neve im nächsten Augenblick schwindelig.
»Ok«, stöhnt sie und hält sich den Kopf.
»Mummy?« Besorgt behält Precious ihre Mutter im Auge, bis die ihre Hand vom Kopf nimmt und auf die Brust legt. Direkt auf das Herz. Mit der anderen krallt sie sich an den Handlauf der Treppe. Langsam wankt sie zwei Schritte zurück. Ihr Blick wird von Sekunde zu Sekunde glasiger. Sie beginnt angestrengt zu atmen.
»Mummy, was hast du?« Neve will antworten, aber bis auf ein kraftanstrengendes Keuchen kommt nichts Weiteres aus ihrem geöffneten Mund heraus. Die Hand die sich an der Brust befindet, krallt sich in das Shirt.
»Mum«, brüllt Precious im nächsten Augenblick die Treppe hinauf. Geistesgegenwärtig setzt sie Jean auf den Fußboden ab und rennt in die Küche. Als sie zurückkehrt hat sich Neve mittlerweile auf die Treppe gesetzt. Sie atmet noch immer schwer. Die Hand liegt unverändert auf der Brust, die Atmung ist gleichbleibend schwer.
»Mum«, schreit Precious ein zweites Mal und eilt zu ihrer Mutter.
»Hier, Mummy.« Precious' Stimme zittert, als sie Neve eine Hand hinhält auf deren Innenfläche eine Tablette liegt. Neve blickt auf die kleine Hand. Diese teilt sich mit einem Mal. Aus der einen Hand wird eine zweite, gleich darauf sogar eine dritte. Verwirrt über dieses Spektakel nimmt sie die Hand von ihrer Brust, um die Tablette an sich zu nehmen. Aber kaum verlässt ihre Hand die Brust, beginnt ihr Herz noch mehr zu schmerzen. Keuchend krallt sie sich in das Shirt zurück. Ihr Herz schlägt dreimal so schnell und schwer wie sonst. Es ist, als wenn Sam sie wieder auf einen höllischen Orgasmus-Trip geschickt hätte. Ihr Herz hämmert wie besessen gegen ihren Brustkorb. Schweiß tritt auf ihre Stirn.
»MUM!«, brüllt Precious ein letztes Mal, während Neve mit großen Augen auf Precious' wankende Hand blickt. Sie lässt den Handlauf der Treppe los, um dieses Mal mit dieser Hand die Tablette an sich zu nehmen. Aber auch jetzt will es nicht gelingen. Ihr Kopf spielt fangen mit ihr. Die Hand ihrer Tochter hüpft verzückt vor ihrer Nase herum. Sie wankt von einer Seite zur anderen, hebt und senkt sich. Keine Sekunde bleibt sie still, sodass Neve die Tablette an sich nehmen kann.
»Oh Gott«, hört sie Sam im nächsten Augenblick hinter sich.
»Mum, Mummy nimmt die Tablette nicht.«
»Gib sie ihr. Precious, gib ihr die Tablette in den Mund.« Noch während Sam ihrer Tochter diese Sätze entgegenwirft, stürzt sie die Treppe hinunter, wobei sie gleich zwei Stufen auf einmal nimmt.
Zitternd und völlig überfordert schiebt Precious die Tablette zwischen Neves Lippen. Bereitwillig nimmt Neve diese kleine Hilfe an, bis Sam neben ihr auftaucht. Hektisch nimmt sie Precious die Wasserflasche aus der Hand und nickt ihr zu.
»Das hast du super gemacht, Precious. Danke.« Ohne auf die Aussage ihrer Mutter zu achten, geht Precious ein paar Schritte zurück. Besorgt und auch verängstigt schaut sie Sam dabei zu, wie sie Neve die Flasche Wasser an die Lippen setzt. Erst nach einigen Momenten nimmt Neve den Kopf zurück und trinkt mehrere Schlucke.
Um sich irgendwo festzuhalten, hebt Precious Jean vom Boden und starrt wieder zu ihren Müttern zurück.
»Es tut so weh«, keucht Neve angestrengt und krallt sich noch immer in das Shirt. Sams besorgter Blick ruht auf Neves Hand, die schützend auf ihrem Herzen liegt.
»Ich rufe einen Krankenwagen.« Kaum dass Sam auf die Beine gesprungen ist, packt Neve sie mit der anderen Hand und hält sie fest. Angestrengt schüttelt sie den Kopf.
»Nicht, es geht gleich wieder. Lass die Tablette wirken«, keucht sie schwer. Nur widerwillig begibt sich Sam zu ihrer Frau hinunter, die sich mehr und mehr darauf konzentriert richtig zu atmen.
»Ich werde einen Termin bei deinem Arzt machen. Es muss doch in solchen Situationen irgendetwas geben was schneller wirkt, als diese Tabletten. Eine Spritze vielleicht«, murmelt Sam nachdenklich, während Neves Atmung mit jedem Herzschlag langsamer und ruhiger wird.
Einige Zeit später lässt Neve den Handlauf der Treppe los, nimmt die andere Hand von der Brust und stützt sich auf den Stufen ab. Sie beginnt geregelter zu atmen.
»Das liegt sicherlich an dieser verdammten Zigarette«, brummt Sam noch immer nachdenklich. Sie sucht den Auslöser für die Krampfattacke, die die ganze Familie so früh am Morgen in Schach hält.
Besorgt blickt sie zu Precious zurück. Die hat Jean soweit zu ihrem Gesicht hochgeschoben wie sie kann, nur um sich vor der Situation zu verstecken. Ihre Augen liegen dennoch schimmernd und verunsichert auf ihrer Mutter.
Sam streckt eine Hand nach ihr aus, während ihre andere auf Neves Schulter liegt.
»Alles ok?«, fragt sie ihre Tochter ruhig. Mit großen Augen schaut Precious Sam an. Erst nach einigen Sekunden nickt sie. Tapfer lächelt Sam sie an.
»Du hast super toll reagiert, Precious. Du warst eine große Hilfe, danke.« Anstatt zu antworten, schluckt Precious und nickt ein weiteres Mal wortlos.
Auch wenn es Neve einiges an Kraft kostet, blickt sie voller Stärke zu Precious. Gequält lächelt sie. Anstatt sich ebenfalls zu bedanken, zwinkert sie ihrer Tochter zu. Diese kleine Geste hat sich relativ schnell zwischen den beiden herauskristallisiert. Beide wissen was damit gemeint ist und wie es jeder für sich aufzunehmen hat. Manchmal bedarf es keiner Worte, sondern lediglich einer einfachen kleinen Geste.
Sam blickt zu Neve. Besorgt nimmt sie ihr ein paar Haare zurück.
»Geht’s wieder?« Neve holt tief Luft, setzt ein schweres Lächeln auf und nickt.
»Ja, danke.« Sam schüttelt den Kopf. Neve weiß, dass sie sich bei solchen Attacken für keine Hilfe zu bedanken hat. Für sie ist es eine Selbstverständlichkeit ihrer Frau in jeder Situation zu helfen.
Langsam steht sie vom Boden auf und nimmt Precious Jean aus dem Arm. Ihre Tochter hat sich während der ganzen Zeit kein einziges Mal zu Wort gemeldet, sondern alles stillschweigend beobachtet. Aber kaum, dass sie in Sams Armen ist, strahlt sie ihre Mutter an und schlingt sich um ihren Hals.
Im Gegensatz zu Precious, ist Jean ein unfassbar ruhiges Kind. Manchmal müssen Neve und Sam genauer hinsehen um festzustellen, ob Jean mit offenen Augen schläft oder nicht. Oftmals wandern nur ihre Augen ganz langsam hin und her und nehmen alles um sich herum auf.
Während Precious alles mit ihren Händen anschauen muss und zigtausend Fragen stellt, betrachtet Jean ihr Umfeld ruhig und wissbegierig.
Hin und wieder lachen Sam und Neve bei einem Glas Wein über ihre Kids und fragen sich, ob sie nicht »normale« Kinder haben können. Welche die gleichzeitig aufgeweckt und quirlig sind, aber dennoch ruhig und besonnen. Nein, sie müssen ja unbedingt zwei grundlegende Gegensätze haben, die tatsächlich nicht unterschiedlicher sein können. Und dennoch passen die beiden Kids wie zwei fehlende Puzzleteile in diese Familie, die sie somit vervollständigt.
Sam blickt noch einmal zu ihrer Frau zurück, die mittlerweile etwas aufrechter auf den Stufen sitzt und wieder normal atmet. Nur der Schweiß steht ihr noch auf der Stirn.
»Geht’s? Kann ich dich alleine lassen? Ich muss Jean die Windeln wechseln.« Neve nickt. Sicher schaut sie zu ihrer Frau hoch.
»Natürlich, geh ruhig. Ich werde nur noch ein paar Minuten hier sitzen bleiben.«
»Ok. Du schreist wenn was ist, ja?« Nickend bestätigt die ältere Frau Sams Aussage, obwohl sie diese irgendwie witzig findet. Wie soll sie schreien, wenn sie vor Schmerzen kaum atmen kann?
»Magst du Mommy helfen?«, schickt sie Precious an die Seite ihrer Mutter. Ohne zu antworten, trottet die Maus Sam hinterher, die schon auf dem Weg nach oben ist.
Kaum dass sie alleine ist, schießen Neve Tränen in die Augen. Sie spürt, dass ihr Herz diese Prozedur nicht mehr allzu lange mitmachen wird. Dass sie diesem Körperteil mit der damaligen Stromattacke zu viel zugemutet hat. Irgendwann wird es also einfach versagen. Sicherlich ohne irgendein vorheriges Anzeichen. Wahrscheinlich wird es einfach von einem Schlag zum anderen aussetzen. Und dem Herzen ist es dann egal, ob Neve im Bett liegt und schläft, oder hinter dem Steuer sitzt und mit einem eventuellen Unfall unschuldige Menschen mit in den Tod reißt. Wenn das Herz keinen Bock mehr hat, zeigt es Neve einfach den Mittelfinger und verabschiedet sich.
Aber bis dahin, wird sie sich zusammenreißen und alles in ihrer Macht Stehende tun, um Sam von ihren schwachsinnigen Gedanken abzulenken.
Hässlich, fettes Zebra, Irischer Wolfshund, Chihuahua. All diese Worte kreisen in Neves Kopf herum. Sam findet sich also hässlich? Neve wird ihr schon zeigen wie hässlich sie ist.
Bestärkt in ihren Gedanken und Vorhaben, wischt sie sich hektisch die Tränen weg, schluckt und steht kraftstrotzend von der Treppe auf. Sie streckt sich, nimmt die Schultern zurück und stärkt ihren Brustkorb.
»Solange dieser Klumpen noch vor sich hintrommelt, werde ich mich davon nicht unterkriegen lassen«, spricht sie sich Mut zu und zeigt ihrem Herzen somit selbst den Mittelfinger.
Sie blickt flüchtig die Treppe hinauf und hört die Stimme ihrer Frau. Wie sie Precious das Windeln wechseln erklärt. Wie sie im nächsten Augenblick mit Jean spricht und diese gleich daraufhin zu lachen beginnt.
Für einen kurzen Moment schließt sie die Augen. Sofort hat sie Laura und Jessica vor Augen, wie sie mit Damon und Dylan ihren eigenen Alltag meistern. Dann sieht sie Matt und Jill. Die beiden haben ihre Affäre in der Zwischenzeit öffentlich gemacht und sind jetzt offiziell ein Paar.
Neve findet den Gedanken irgendwie witzig, dass Laura damals schon zweimal von Matt schwanger war und ihr Boss inzwischen vier Kinder mit vier Frauen hat, auch wenn diese Konstellation so eigentlich gar nicht gerechnet werden kann. Dennoch ist Jill bis zum heutigen Tag nicht schwanger geworden. Schwächelt Matt allmählich mit seiner Munition, oder verhüten die beiden etwa?
Bei dem Gedanken schmunzelt Neve mit geschlossenen Augen. Nein, das würde Matt sich nicht antun. Er hat damals auch ständig ungeschützt mit Laura geschlafen, weshalb sollte er sich jetzt bei Jill etwas anziehen? Nein, es muss einen anderen Grund geben. Nur welchen?
Witzig ist es aber auch, dass Matt seinen beiden besten Hunden jeweils ein Mädchen geschenkt hat, während Laura und Jessica mit zwei Jungs kämpfen. Wie unterschiedlich alles doch sein kann.
Jeans quiekendes Lachen reißt Neve aus den Gedanken. Sie öffnet die Augen, blickt erneut die Treppe hinauf und lächelt.
»Familie«, flüstert sie bei ihren vorangegangenen Gedanken und den gegenwärtigen Gefühlen all diesen Menschen gegenüber, die an ihrem Leben teilhaben. Die Hunde sind in all den Jahren mehr als nur ein Rudel geworden. Sie sind ein lebenswichtiger Teil ihrer Seele geworden. Ein Leben ohne die Hunde ist für Neve unvorstellbar geworden. Egal was irgendwelche Statistiken oder Akten über das Rudel und deren Menschen erzählen. Es entspricht nur zur Hälfte der Wahrheit. Die andere Hälfte des Rudels wird von Gesetzhütern, Richtern, Senatoren und all diesen hochrangigen Menschen gar nicht gesehen. Sicher, die Five Dogs sind noch immer kriminell aktiv. Sie klauen, zerstören, morden und verkaufen weiterhin Drogen und Waffen. Selbst Neve zieht sich noch immer alle Nase lang in die dunklen Gassen zurück. Aber was das Rudel tatsächlich ausmacht, das sieht kaum jemand.
Eigentlich ist es auch egal. Es ist egal was diese Sesselfurzer sehen und was nicht. Wichtig ist, dass Neve und all die anderen Hunde sehen was das Rudel zusammenhält. Was sie miteinander verbindet und welches Band zwischen ihnen besteht.
»Und dieses Band ist und bleibt unzerstörbar«, flüstert Neve voller Liebe dem Rudel gegenüber.
Mit einem tiefen Atemzug, welcher ihr Herz flüchtig schneller schlagen lässt, wendet sie sich von der Treppe ab und trottet in die Küche.