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Round 16

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Erschrocken schießt Sam hoch. Verschlafen blickt sie um sich. Das Wohnzimmer liegt dunkel vor ihr. Schritte sind zu hören. Sie kommen von oben. Desorientiert schaut sie zuerst in die falsche Richtung und sieht den Flatscreen von Laura und Jessica an der Wand hängen.

Nach dem Abendessen spielte sie noch etwas mit Jean und Dylan, bis sie sich erschöpft auf die Couch setzte. Sie muss eingeschlafen sein, denn das Haus Campbell ist dunkel und still. Bis auf die Geräusche von eben kann Sam nichts hören.

Leise steht sie von der Couch auf und schleicht die Treppe hinauf. Zielsicher steuert sie auf das Kinderzimmer zu. Das Kinderzimmer das in diesem Haus Precious und Jean gehört. Die beiden sind hier ebenso zuhause, wie Damon und Dylan bei Sam und Neve. Jeder kennt jeden Winkel des anderen Hauses und bewegt sich durch und durch vertraut in den vier Wänden. Jedes Haus ist wie ein zweites Zuhause.

Erleichtert blickt Sam zwischen ihren schlafenden Kindern hin und her. Precious auf der rechten, Jean auf der linken Raumseite.

Sie schaut zu Jean ins Bett. Auf dem Rücken liegend und die Hände nah am Gesicht, liegt ihr Kopf auf der rechten Seite. Ihr Mund ist wie immer mit ihrem Lieblingsschnuller gefüllt, der nur hin und wieder wackelt. Verliebt in ihren eigenen Hosenscheißer beugt sich Sam in das Bettchen und streicht ihrer Tochter sanft über den Kopf. Sie weiß, dass sie nicht eine Sekunde ohne den Windelscheißer existieren könnte. Allerdings kann sie das auch ohne Neve nicht.

Alleine dieser Gedanke bringt Sam dazu, zu Precious hinüberzuschauen. Leise wandert sie zur anderen Raumseite und beobachtet die Maus einige Zeit beim Schlafen. Der Zwerg musste schon so vieles in ihrem jungen Leben mitmachen. Wenn sie jetzt auch noch ihre Mutter verlieren sollte, weiß Sam, wird sie den Halt verlieren. Precious würde trotz Sams Fürsorge abstürzen und irgendwo landen, wo sie keiner sehen will. Sam hat also die Aufgabe Precious ebenso vor allem zu schützen, wie sie es ihrer leiblichen Tochter gegenüber verpflichtet ist. Sie weiß nur nicht wo sie die Kraft dafür hernehmen soll.

Irgendwie verzweifelt seufzt Sam, als sie mit einem letzten Blick zu den Kids das Zimmer verlässt.

Jessicas Augen schauen Sam wachsam an, als die junge Frau in das Schlafzimmer ihrer Freundinnen schielt. Sie wollte nur schauen ob sie schlafen. Aber Jessica scheint kurz zuvor die Geräusche verursacht zu haben, die Sam weckten. Denn kaum hat sie einen Laut an der Tür gehört, hob sie den Kopf. Laura, die in ihren Armen vor ihr liegt, geht achtlos ihren Träumen nach.

»Was ist los?«, flüstert Jessica fürsorglich.

»Hat das Krankenhaus angerufen?« Besorgt dreht sie sich soweit zum Nachttisch um wie Laura es ihr ermöglicht und schaut zum Telefon.

»Nein, es ist alles in Ordnung«, flüstert Sam und betritt das Schlafzimmer. Erschöpft setzt sie sich auf die Bettkante. Kraftlos lässt sie den Kopf hängen.

»Danke, dass ihr euch um die Kinder gekümmert habt. Ich muss wohl eingeschlafen sein.« Sams Stimme ist kaum zu vernehmen.

Vorsichtig hebt Jessica Lauras Kopf an und zieht ihren Arm drunter weg. Sie setzt sich aufrechter hin und streicht Sam beruhigend über den Rücken.

»Kann man so sagen«, lacht sie leise.

»Du saßt auf der Couch und bist irgendwann einfach ganz langsam zur Seite gekippt. Wie ein Welpe der im stehen schläft.« Jessicas leises Lachen heitert Sam für einen kurzen Augenblick auf. Wenigstens schafft es die junge Frau noch ihre Freunde bei Laune zu halten, auch wenn es ungewollt ist.

Als wenn sie Kraft tanken will, holt Sam tief Luft. Nervös fährt sie sich mit einer Hand durch die Haare.

»Ich hole die Kids morgen früh ab. Versuche du etwas zu schlafen.« Gerade als Sam aufstehen will, hält Jessica sie fest.

»Du willst doch jetzt nicht etwa nach Hause, oder? Sam, du weißt wo das Gästezimmer ist und du weißt ganz genau, dass du solange bleiben kannst wie du willst. Du brauchst jetzt nicht in das leere Haus. Du würdest da nur durchdrehen und wahrscheinlich deinen Kopf gegen sämtliche Wände schlagen.« Dem letzten Satz gibt Jessica einen lachenden Unterton, damit er nicht ganz so bitter wirkt, wie er klingt. Es scheint auch zu wirken. Sam lacht.

Froh darüber Sam zum Lachen gebracht zu haben, gleitet Jessicas Hand noch immer über ihren Rücken. Es tut ihrer Freundin gut, es beruhigt sie. Dennoch können beide das Unvermeidliche nicht aufhalten. Sams Gedanken schweifen zu ihrer Frau ins Krankenhaus. Ungewollte Tränen treten in ihre Augen. Das Weinen bricht unaufgefordert aus ihr heraus. Hilflos vergräbt Sam ihr Gesicht in den Händen. Innerlich zerbrochen schüttelt sie den Kopf.

»Ich ertrage den Gedanken einfach nicht, Jessica. Ich versuche es so sehr, aber ich kann ohne Neve nicht sein. Die Kinder … .« Der Rest erstickt in Sams Tränen. Beschützend zieht Jessica Sam an sich heran, legt die Arme um sie, hält sie fest und wiegt sie in Sicherheit. Hilfesuchend und weinend klammert sich Sam wie ein kleines Kind an Jessica heran.

Nichtsahnend dreht sich Laura verschlafen im Bett um. Sie sieht die beiden Freundinnen, bleibt aber sonst regungslos.

»Es tut mir leid, Jessica. Es tut mir alles so leid«, weint Sam in ihren Armen.

»Egal was du meinst, Sam, es ist … .« Jessica will ihre Freundin eigentlich von ihren verworrenen Gedanken abbringen, aber die Südländerin scheint wieder mal ihren eigenen Weg zu gehen.

»Es tut mir leid, dass du all die Jahre mit meinem Hass dir gegenüber leben musstest. Es tut mir leid, dass ich Neve nicht geglaubt habe, weil sie sich mit dir sicher war. Es tut mir auch leid, dass ich dich im Krankenhaus so angegriffen habe. Ich war völlig überfordert und verstand nicht weshalb Neve diese Entscheidung traf. Es hatte absolut nichts mit dir zu tun.«

»Sam.« Jessica hebt Sams Gesicht und schaut ihr direkt in die Augen.

»Danke«, bremst die junge Frau sie plötzlich aus. Verwirrt schaut Jessica sie an.

»Wofür?«

»Für deine Kraft. Für deine Zuversicht. Für deine Stärke und dafür, dass du für Neve die Verantwortung übernommen hast, weil ich es nicht kann.« Beschwichtigend lächelt Jessica. Für sie ist das alles eine Selbstverständlichkeit. Es geht hierbei schließlich nicht nur um Neve. Es geht um so vieles mehr und da macht sie keine Abstriche.

Dankbar und voller Vertrauen betrachtet Sam Jessicas Gesicht, bis sie ihr sanft über die Wange streicht.

»Du bist wirklich unglaublich, weißt du das eigentlich?« Schlagartig verändert sich Jessicas Mimik. Bevor ihr aber sämtliche Gesichtszüge entgleiten, lehnt sich Sam zu ihr hinüber und küsst sie vorsichtig. Sie drückt mit diesem Kuss ihr Vertrauen und ihre Dankbarkeit aus. Sie will Jessica das Gefühl von bedingungsloser Zuversicht und uneingeschränktem Glauben in ihre Fähigkeiten geben. Sie will, dass Jessica weiß, dass sie ihr ebenso vertraut wie Laura oder Neve. Dass es keine Mauern mehr zwischen ihnen gibt. Weder jetzt, noch in Zukunft.

Von daher löst sie sich von Jessica, schaut ihr in die Augen und küsst sie erneut.

***

Brummend fuchtelt Jessica am nächsten Morgen in ihrem Gesicht herum. Das stupsen auf ihrer Nasenspitze hört auf, geht nach ein paar Sekunden aber weiter. Erneut wischt Jessica mürrisch herum. Das stupsen wird energischer.

»Man«, grummelt die ältere Frau und öffnet die Augen. Das Erste was sie sehen kann, ist Sams schlafendes Gesicht. Jessicas Augen werden von ganz alleine riesig. Hinter Sam schaut Laura sie wach und mit einem funkelnden Schalk in den Augen an. Diese macht dann nur noch eine weisende Kopfbewegung zur Tür.

Entgeistert blickt Jessica zu Sam zurück. Die Südländerin schläft tief und fest und bemerkt nicht, wie die beiden Frauen fast bewegungslos zuerst das Bett und danach das Schlafzimmer verlassen. Kaum zieht Laura die Tür leise hinter sich zu, schlägt sich Jessica die Hände vor den Mund. Fassungslos starrt sie ihre Frau mit großen Augen an.

»Scheiße, was habe ich getan?«, nuschelt sie in ihre Hände. Sie wird tatsächlich blass im Gesicht. Lächelnd schüttelt Laura den Kopf.

»Nichts Falsches, keine Sorge, Schatz.« Erschüttert reißt sich Jessica die Hände vom Mund.

»Verdammt Laura, ich habe mit Sam geschlafen.«

»Ja und das sah unglaublich lecker aus«, grinst Laura, die daraufhin sofort einen entrüsteten Schlag gegen die Schulter bekommt.

»Hör mit dieser Scheiße auf und nimm mich ernst«, faucht Jessica gereizt.

»Das mache ich«, prustet Laura provokant. Kaum verengen sich Jessicas Augen, zieht Laura sie in ihre Arme.

»Schatz, es ist alles in Ordnung. Sam wird ein schlechtes Gewissen kriegen, ja, aber mehr auch nicht. Ihr habt nichts Falsches gemacht. Und um ehrlich zu sein, habe ich Sam seit Wochen nicht mehr so entspannt gesehen, wie letzte Nacht. Es wird ihr gutgetan haben. Sie konnte sich endlich mal wieder fallen lassen und musste nicht nachdenken oder sich Sorgen machen.« Auch wenn sie Lauras Aussage nicht so recht glauben kann, klammert sich Jessica verzweifelt in ihre Arme.

»Wie konnte das nur passieren?«, jammert sie hilflos.

»Wenn ich mich recht erinnere, hat Sam dich geküsst und … .« Wütend zwickt Jessica ihrer Frau in die Seite, die daraufhin zu kichern beginnt.

»Bring ihr später einfach einen Kaffee ans Bett und schon sieht die Welt wieder anders aus«, beschwichtigt Laura die vergangene Nacht. Gleich darauf stupst sie ihrer Frau auf den Kopf.

»Du kümmerst dich um die Mädels und ich gehe zu den Jungs. Wir haben Full House. Damon schicke ich auch gleich mit Marley raus.« Bockig schnauft Jessica, weil sie nach dieser Erkenntnis eigentlich nicht gleich wieder so eiskalt in den Alltag reingeschmissen werden wollte. Aber mit vier Kindern und einem Hund im Haushalt wird ihr wohl nichts anderes übrigbleiben.

***

Auf Zehenspitzen und mit einer Tasse Kaffee ausgestattet schleicht Jessica zwei Stunden später in das Schlafzimmer. Sam hat sich bis jetzt noch nicht blicken lassen. Sie scheint den Schlaf wahrhaftig zu brauchen.

Zaghaft setzt sich Jessica auf die Bettkante und blickt über Sams Körper, der sich wie ein Embryo zusammengekringelt hat.

Zurückhaltend hebt sie eine Hand. Sie braucht ein paar Sekunden bis sie sich dazu aufraffen kann Sam über den Arm zu streichen. Ihre Hand gleitet vorsichtig rauf und runter.

»Sam«, flüstert sie leise. Es dauert etwas bis Sam die Augen öffnet. Verschlafen blickt sie zu Jessica hinüber. Ihr Kopf beginnt zu rattern. Nachdenklich schaut sie ihre Freundin an. Sie hebt die Decke hoch und blickt drunter. Schnaufend dreht sie sich auf den Rücken, holt tief Luft und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen.

»Wir beide haben letzte Nacht also wirklich … ?«

»Ja.« Jessica hatte schon lange nicht mehr so einen dicken Kloß im Hals.

»Ich fürchte schon.« Sam lässt die Hände fallen. Stumm blickt sie an die Zimmerdecke. Gleichzeitig gleitet ihre Hand suchend über die Matratze. Als sie Jessicas Hand ertasten kann, greift sie danach und schlingt ihre Finger in die ihrer Freundin. Überrascht und auch etwas benommen blinzelt Jessica zu den beiden Händen hinunter.

»Laura wird es dir sicherlich schon gesagt haben, weil du dir bestimmt Vorwürfe machst. Es war aber kein Fehler, Jessica. Ich renne jetzt ein paar Tage mit einem schlechten Gewissen herum, aber das vergeht auch wieder.« Langsam dreht Sam den Kopf in Jessicas Richtung. Voller Vertrauen lächelt sie ihre Freundin an und flüstert »Danke«. Skeptisch schaut Jessica sie an.

»Irgendwie war es genau das was ich nach dieser ganzen Scheiße gebraucht habe. Es hat sich gut angefühlt und ich konnte mal aufhören zu denken.« Jessica schluckt schwer, obwohl ihr Herz vor Freude Luftsprünge macht.

»Dasselbe hat Laura auch gesagt«, lächelt sie verunsichert.

»Dann kann es doch nicht falsch gewesen sein, oder?«, lächelt Sam ungewöhnlich stark. Die Nacht scheint ihr wirklich gut getan zu haben. In Sams Augen ist wieder Zuversicht und Hoffnung zu erkennen.

Mit einem dankbaren Lächeln nimmt Sam den Kaffee entgegen, trinkt einen großen Schluck und reicht Jessica die Tasse zurück.

»Ich gehe duschen.« Mit diesem Satz krabbelt sie auch schon aus dem Bett, huscht durch die Schlafzimmertür und verschwindet im Gästezimmer. Jessica schaut ihr hinterher und könnte sich trotz Lauras und Sams Worten in den Arsch beißen. Sie wird es sich nicht so schnell verzeihen, dass sie ihrer besten Freundin für eine Nacht ihre Frau geklaut hat, während diese hilflos im Krankenhaus liegt und um ihr Leben kämpft.

***

Gegen Abend staunt Sam nicht schlecht, als ihr Jessica in der Haustür gegenübersteht.

»Hey, was machst du denn hier?« Sie macht einen Schritt zur Seite und lässt ihre Freundin eintreten. Die wühlt währenddessen in der Handtasche und reicht Sam Jeans Schnuller.

»Ach Gott, den habe ich verzweifelt gesucht. Jean steigt mir schon aufs Dach«, lacht Sam und nimmt den Schnuller dankbar entgegen.

»Möchtest du einen Kaffee?«

»Gerne.«

»Wo war denn der Schnuller?«, fragt Sam auf dem Weg in die Küche. Jessica folgt ihr und stellt die Handtasche auf dem Tresen ab.

»Neben ihrem Bett. Mir ist das heute Morgen gar nicht aufgefallen, als ich das Bett gemacht habe. Damon fand ihn und wollte ihn dir bringen. Weil ich aber eh noch etwas frische Luft schnappen wollte, habe ich noch einen kurzen Umweg gemacht.«

»Danke, das ist lieb von dir. Lange hätte Jean den Ersatzschnuller auch nicht akzeptiert.« Sams Lachen wirkt aufgesetzt. Sie bemüht sich so locker und entspannt wie immer zu sein. Dennoch hat sie nicht vergessen was letzte Nacht passiert ist. Jessica nun alleine hier zu haben, hat schon eine komische Wirkung auf sie. Sie fühlt sich nicht bedroht oder irgendetwas in der Art, nein. Allerdings kribbelt es in ihrem ganzen Körper vor lauter Aufregung. Irgendwie fühlt sie sich in Jessicas Gegenwart unsicher und nervös. Nur warum, kann sie nicht erklären. Sie weiß, dass letzte Nacht kein Fehler war, dennoch verdrängt sie jeglichen Gedanken daran. Sie will nicht darüber nachdenken. Denn wenn sie es täte, wüsste sie, würden Schuldgefühle in ihr aufkeimen. Und die braucht sie nicht haben, dessen ist sie sich sicher.

»Sam?« Erschrocken und aus ihren Gedanken gerissen, wirbelt Sam herum.

»Hm?« Sie weicht ein klein wenig zurück. Jessica steht direkt hinter ihr. Sie steht ihr unfassbar nah, verdammt nah. Brennende Hitze steigt in Sam auf. Ihre Augen wandern ziellos über Jessicas Gesicht, das sie besorgt anschaut.

»Ist alles in Ordnung? Du wirkst nervös!?« Sam schluckt. Das Denken fällt ihr im Augenblick unfassbar schwer. Wieso reagiert sie plötzlich so auf Jessicas Nähe? Was ist los mit ihr?

»A… alles in Ordnung«, stottert Sam unsicher und schaut auf Jessicas Lippen.

***

Atmend blickt Jessica zur Seite. Sie schaut in Sams erschöpftes Gesicht und kann in ihren Augen genau das Gefühl sehen, welches durch ihren eigenen Körper strömt.

»Ich …«, sie räuspert sich schwer »gehe eben duschen.« Regungslos beobachtet Sam sie dabei, wie sie das Bett verlässt und im Badezimmer des Gästezimmers verschwindet. Kaum fällt die Tür ins Schloss, dreht sich Sam schnaubend auf den Rücken. Tränen steigen in ihr auf.

»Fuck!« Sie ballt die Hände zu Fäusten und presst diese gegen die Schläfen.

»Was zur Hölle machst du da?« Wie eine Furie springt sie auf und beginnt das Bett abzuziehen.

»Das …«, verunsichert schaut Jessica einige Minuten später um sich »darf nicht noch einmal passieren, Sam. Dieses Mal war es wirklich falsch.«

»Ich weiß«, schnaubt die Südländerin wütend. Flüchtig schielt sie zu ihrer Freundin hinüber, die vor lauter Scham den Kopf tief gesenkt hat.

»Behalte das bitte für dich. Einen Streit mit Laura kann im Moment keiner von uns gebrauchen.« Jessicas Kopf schnellt hoch. Überrascht schaut sie Sam an.

»Sam, das … ich kann Laura nicht anlügen. Sie ist meine Frau, mein Leben.«

»Ich weiß.« Mit einem Schlag überfallen Sam wahnsinnige Kopfschmerzen. Sie presst die Handballen gegen die Schläfen.

»Entschuldige bitte. Mach was du für richtig hältst. Ich kann im Moment nicht mehr klar denken. Es ist grade einfach alles zu viel für mich.«

»Das ist doch vollkommen verständlich«, flüstert Jessica besorgt. Als wenn eine riesige Schlucht zwischen den beiden Freundinnen bestehen würde, steht Sam auf der einen Seite des Bettes, Jessica auf der anderen. Weil sie Sam aber nicht alleine lassen will, geht Jessica dort drum herum.

»Sam, das was du im Augenblick durchmachst, ist nicht leicht zu verarbeiten.« Um Sam in ihrem Gefühlschaos nicht alleine zu lassen, will Jessica sie vorsichtig am Arm berühren. Sam macht aber hektisch einen Schritt zur Seite und hebt die Hände.

»Nicht, bitte«, wehrt sie Jessica ab. Sie könnte es im Augenblick nicht ertragen, wenn Jessica sie berühren würde. Sie weiß, dass sie sich in dieser Berührung verlieren würde und dann wäre die Arbeit mit dem Bett abziehen umsonst gewesen.

Beschämt macht Jessica einen Schritt zurück.

»Entschuldigung.« Sam presst erneut die Handballen gegen die Schläfen.

»Ist schon gut.« Murmelnd kneift sie die Augen zusammen.

»Ich gehe jetzt besser.« Jessica versinkt fast in ihrer eigenen Stimme. Sam nickt wortlos.

»Wir sehen uns morgen im Krankenhaus?«, fragt Jessica leise nach, als sie bei der Tür ankommt. Sam nickt kommentarlos. Wenige Sekunden später wird es still im Haus.

***

Nervös trommelt Sam mit den Fingern auf dem Lenkrad herum. An einer roten Ampel stehend, blickt sie zu Jean nach hinten, die froh darüber ist wieder ihren Lieblingsschnuller im Mund zu haben. Ihre Augen strahlen richtig.

Auf dem Weg ins Krankenhaus hat Sam Precious bei der Schule abgesetzt. Als sie losfahren wollte, rief Laura an. Brennende Hitze und unfassbare Panik stiegen in Sam auf, als sie den Namen ihrer besten Freundin auf dem Display lesen konnte. Zitternd nahm sie das Gespräch an. Ihr rasender Puls legte sich aber wieder, als Laura ihr mitteilte, dass sie ins Krankenhaus fahren würde und nicht Jessica. Dylan hätte sich eine kleine Erkältung eingefangen und Jessica würde bei ihm zuhause bleiben. Deswegen müsste Sam mit Laura im Krankenhaus Vorlieb nehmen. Das war das geringere Problem. Sam wusste nur nicht, ob Jessica ihrer Frau doch etwas von dem Ausrutscher erzählt hatte. Sie würde also mit größter Wahrscheinlichkeit ungeschützt in ein offenes Messer rennen. Hat sie denn aber etwas anderes verdient?

Unsicher ob sie sich dieser Konfrontation wirklich stellen will, blickt Sam ein weiteres Mal zu Jean nach hinten. Nervös knabbert sie auf der Unterlippe herum. Ein Gedanke schießt ihr durch den Kopf, den sie aber sofort vehement von sich drängt. Stattdessen konzentriert sie sich auf den Straßenverkehr und fährt die Straßen entlang, bis sie vor Lauras und Jessicas Haus hält. Verwirrt schaut sich Sam um. Sie wollte ins Krankenhaus. Sie wollte zu ihrer Frau. Wieso steht sie jetzt also hier vor diesem Haus? Was zur Hölle macht sie hier?

Erschrocken schießt sie im Sitz hoch, als sie sehen kann, wie sich die Haustür öffnet. Selbst auf diese Entfernung kann sie Jessicas fragendes Gesicht richtig einschätzen. Sie fragt sie was sie hier will. Das fragt sie sich ja selbst, findet aber keine Antwort.

Nervosität steigt in Sam auf, als Jessica auf ihren Wagen zuläuft.

»Was machst du hier? Ist etwas passiert? Hat Laura dich nicht angerufen?« Jessicas besorgte Fragen nageln Sam in ihrem Sitz regelrecht fest. Sie fühlt sich überfallen und überfordert. Statt zu antworten, starrt sie Jessica mit großen Augen an.

***

Das schlechte Gewissen beginnt an Sam zu nagen. Sie weiß, dass es falsch war … schon wieder. Aber irgendwie kann sie sich im Augenblick nicht dagegen wehren. Je mehr sie versucht sich von Jessica zu lösen, umso unerklärlicher fühlt sie sich zu ihr hingezogen. Erst wenn sie Jessica spüren kann, fühlt sie sich erleichtert und von jeglicher erdrückenden Last befreit. So lange, bis der Verstand wieder einsetzt und das Gewissen erwacht.

Tag für Tag finden sich die beiden Frauen in einem der Betten wieder, die im Hause Stewart-Sanchez oder Campbell stehen. Tag für Tag liegen sie sich in den Armen und wissen, dass es das Schlimmste ist, was sie machen können. Und doch kann keine von ihnen etwas dagegen tun. Beide wissen was sie damit anrichten und dennoch treffen sie sich täglich … heimlich.

***

Drei Wochen nutzen die Frauen die Zeit um gemeinsam zu bluten und zu leiden. Sam begann irgendwann wieder mit der Arbeit. Sie konnte einfach nicht mehr zuhause bleiben, nur den Haushalt machen, sich um die Kids kümmern und Laura hintergehen. Sie musste raus. Sie musste etwas machen, außer an Neves Bett zu sitzen und darauf zu warten, dass ein Spenderherz eintrifft. Auch wenn sie somit wertvolle Zeit mit ihrer Frau verliert, spürt Sam, dass es ihr guttut. Dass sie wieder besser am Leben und Alltag teilhaben kann – dass sie wieder anfangen kann zu denken. Neve liegt im Krankenhaus, ja, aber sie lebt. Das ist für Sam Grund genug, um sie nicht aufzugeben - um arbeiten und leben zu können.

Allerdings entschied sie sich dazu, Matt in der Werkstatt etwas unter die Arme zu greifen. Niemals hätte sie es geschafft, bei der derzeitigen Situation in der Immobilienfirma professionell genug auftreten und Verkaufsgespräche führen zu können.

Precious geht wieder wie gewohnt zur Schule und Jean robbt ihrem Vater unter seinem Schreibtisch zwischen den Beinen entlang. Jeder hat also seine Aufgabe und seinen Alltag. Jeder hat seine eigene persönliche Sicherheit mit der man den Tag leichter überstehen kann.

»Ey«, keift sie wütend, kaum dass ihr jemand gegen das Bein tritt. Schnaubend rollt sie auf dem Rollbrett unter dem Auto hervor und nimmt die Kopfhörer aus den Ohren. Funkelnd blickt sie zu Matt hoch, der Jean im Arm hat.

»Bist du bescheuert? Was soll die Scheiße?«, keift sie ihn an. Eine einzige Bewegung von Matt folgt und Sams Herz setzt ganze zwei Schläge aus.

»Das Ding piept seit Minuten!«, keift ihr Boss zurück und streckt Sam den Pager des Krankenhauses entgegen. Mit großen Augen starrt Sam entgeistert auf das Display. Dort wird die Nummer des Krankenhauses angezeigt. Sie hat den Pager auf ihren Werkzeugwagen gelegt, damit sie sich nicht eventuell drauflegt, oder ihn sonst irgendwie kaputt macht.

Schlagartig erinnert sich Sam an das was damals die Krankenschwester zu Jessica sagte, als sie ihr den Pager überreichte. Sobald das Ding losgehen sollte, wäre ein Spenderherz für Neve gefunden, was unverzüglich eingesetzt wird. Wenn also der Pager tatsächlich Alarm schlägt, bedeutet das … .

Fassungslos starrt Sam zu Matt hoch. Ihr Blick wechselt zwischen dem kleinen Display und dem Vater ihrer Tochter hin und her.

»Sam, was zur Hölle machst du hier noch? Setz deinen verdammten Arsch in Bewegung und sieh zu, dass du Land gewinnst«, schmeißt Matt seinem treusten Hund entgegen, die nicht glauben kann, welche Tragweite dieses kleine Gerät hat.

***

»Sam?« Sams Kopf schnellt herum. Wie vor sechs Wochen stolpert Jessica aus dem Fahrstuhl. Sam kann gar nicht so schnell reagieren, wie sich Jessicas Arme um ihren bebenden Körper legen. Wie ein kleines Kind schlingt Sam ihre eigenen um die farbige Frau und beginnt zu weinen. Sie weiß gar nicht so recht warum sie weint. Ihrer Frau wird geholfen. Neve hat die Chance auf ein neues Leben. Das wäre eher ein Grund der Freude und des Jubels, aber doch nicht für Tränen.

»Sie wird im Augenblick operiert. Ihr wird das neue Herz eingesetzt«, schluchzt Sam wimmernd in Jessicas Armen. Weil Laura wegen eines Meetings im Büro festsitzt und Matt auf die Kinder aufpassen muss, machte sich die ältere Frau auf den Weg um Sam beizustehen.

»Jessica, wenn … .« Ein Kopfschütteln hält die junge Frau von jedem weiteren Wort ab.

»Hör auf, Sam. Neve wird auch diese OP überstehen und uns allen beweisen wie hart sie ist. Das wird sie sich nicht entgehen lassen. Du weißt doch, dass sie nur ungerne die Kontrolle abgibt. Also wird sie auch das unter Kontrolle haben.« In Jessicas Armen versunken, lacht Sam kurz. Wie Recht ihre Freundin doch hat. Wie zuversichtlich sie doch ist. Wie mutig und stark sie doch ist.

Jessica schaut flüchtig in das leere Zimmer, das allen Hunden in den letzten Wochen so vertraut geworden ist. Die Leere ist ein gutes Indiz dafür, dass Neve tatsächlich geholfen wird.

»Lass uns hinsetzen. Es wird sicherlich noch einige Zeit dauern«, unterbreitet Jessica ihrer Freundin ein Angebot, auf das Sam gar nicht reagiert. Sie kann auch gar nicht reagieren. Zu sehr ist sie mit ihren Gedanken, Sorgen und Ängsten beschäftigt. Weil Jessica genau diese wirren Gefühle von Sam aufnehmen kann, lotst sie die junge Frau in Neves Zimmer, schiebt beide Stühle eng zusammen und setzt sich.

Keine von beiden denkt auch nur eine Sekunde daran, dass sie sich erst heute Morgen noch in den Armen lagen und sich von ihrem jeweiligen Orgasmus erholten. Jetzt ist auch nicht die Zeit um darüber nachzudenken. Jetzt geht es um Neve und um sonst niemanden. Kein Mensch der Welt hat Vorrang. Keiner außer Neve.

Zwei Stunden verbringt Sam regungslos in Jessicas Armen, bis es auf dem Flur der Intensivstation etwas unruhig wird. Sofort schießt Sam angespannt hoch. Konzentriert lauscht sie den Geräuschen. Mehrere Schritte, Räder die rollen, ruhige Stimmen, dann der erlösende Augenblick, als die Zimmertür bis zum Anschlag geöffnet wird. Das erste was Sam sehen kann, ist eine Schwester die rückwärts das Zimmer betritt und danach ein Bett. Nervös und fast außer sich vor Aufregung springt Sam vom Stuhl auf. Der behandelnde Arzt betritt das Zimmer und richtet sein Augenmerk auf die beiden Frauen, die die Schwestern starr dabei beobachten, wie sie Neves Bett an die alte Stelle schieben und festsetzen. Sie wuseln noch zu sehr herum, als dass Sam etwas sehen könnte. Sie muss sogar zum Fenster ausweichen, um dem Personal Platz zu machen.

»Misses Stewart-Sanchez«, begrüßt der Schenkelkitzler die junge Frau und reicht ihr die Hand. Benommen greift Sam nach dieser, blickt aber noch immer zu ihrer Frau ans Bett. Jessicas Hand an ihrem Rücken stützt sie und gibt ihr Sicherheit.

»Die Transplantation ist ohne Komplikationen verlaufen. Ihre Frau hat wirklich hervorragend mitgearbeitet. Ich gehe davon aus, dass keine weiteren Hindernisse auftreten werden.« Zuversichtlich schaut er zu Neve zurück. Erst jetzt erlangt Sam den ersten Blick auf ihre Frau. Tränen der Freude und Erleichterung steigen in ihr auf. Ihre ganze Körperhaltung sinkt kraftlos in sich zusammen. Jessica stützt sie vorsichtig.

Dort ist sie. Dort ist Neve. Regungslos wie in den letzten Wochen gewohnt, aber nur noch mit einer Atemmaske ausgestattet, anstatt mit einem widerlichen Tubus.

Sam will den ersten Schritt auf das Bett zumachen, wird aber verbal von dem Arzt aufgehalten. Eigentlich würde sie ihm ganz gerne den einen oder anderen Knochen brechen, damit er sie zu ihrer Frau lässt, aber sie beherrscht sich. Besonnen lauscht sie seinen Worten.

»Es wird noch ein paar Tage dauern, bis Ihre Frau wieder zu vollem Bewusstsein kommen wird.« Ein kurzer Blick zu Neve folgt.

»Wir werden nach und nach die Narkosemittel reduzieren. So kann sich der Körper Ihrer Frau daran gewöhnen wieder die Kontrolle über sämtliche Funktionen eigenständig zu übernehmen. Die Aufwachphase wird ein schwerer und anstrengender Prozess für den Körper, wenn er sich für mehrere Wochen im Koma befand. Während dieser Zeit kann es sein, dass Ihre Frau Wahnvorstellungen hat, desorientiert ist oder Schlaf- und Kreislaufprobleme bekommt. Für viele Angehörige ist es aber auch schwer zu verarbeiten, dass einige Patienten ihre Ehepartner oder Familienangehörige nicht wiedererkennen. In dieser Zeit sollten Sie Nerven beweisen und darauf vertrauen, dass Ihre Frau nach und nach wieder zu sich kommen wird. Es kann etwas dauern und für alle belastend sein.«

»Alles ist besser, als diese Ungewissheit der vergangenen Wochen«, haucht Sam benommen und lässt den Arzt rücksichtslos stehen, um an das Bett heranzutreten. Vorsichtig greift sie nach Neves Hand und hört Jessica noch mit dem Arzt reden. Dieser verlässt kurz darauf das Zimmer.

Als Jessica ebenfalls an das Bett tritt, sieht sie dabei zu, wie Sam sich über Neve beugt und ihr vorsichtig einen Kuss auf die Stirn haucht. Mit Tränen in den Augen und einem Freudetaumel der Gefühle, blickt Sam in das Gesicht ihrer Frau. Sie ist so erleichtert, dass Neve diesen erneuten und schweren Eingriff überstanden hat. Das was dann noch auf alle Beteiligten zukommen wird, ist nicht annähernd so grauenvoll und Kräftezerrend wie die vergangenen Wochen.

Jessica dreht sich um und schaut auf einen der Monitore die Neves Herzschlag und Puls anzeigen.

»Das sieht gut aus. Das Herz scheint stark zu sein«, murmelt sie ziellos in den Raum hinein.

»Ein anderes Herz hat Neve auch gar nicht verdient«, schmunzelt Sam. Sie umgreift Neves Hand mit beiden Händen, kniet sich neben das Bett und haucht mehrere Küsse auf die Hand ihrer Frau.

»Das Schlimmste hast du überstanden«, flüstert sie und blickt zuversichtlich in Neves Gesicht.

»Ich werde es Laura sagen. Wirst du es Neve sagen, oder soll ich das machen?« Diese Frage von Jessica erreicht Sam wie eine Abrissbirne. Sie zuckt. Erschrocken schaut sie zu ihrer Freundin hinüber. Sie kann die Unsicherheit und Verlegenheit von Jessica spüren und weiß, dass es für beide kein leichter Weg werden wird. Aber das sind sie ihren Frauen schuldig.

Sam schluckt, als sie den Kopf senkt und Neves Hand gegen ihre Stirn presst.

»Ich werde es ihr sagen sobald sie voll und ganz bei Bewusstsein ist und versteht was ich getan habe. Du wirst mit Laura genug zu tun haben. Sie wird uns beide umbringen. Zuerst dich und dann mich.«

»Ja, das wird sie.« Sam kann Jessica schlucken hören.

»Ich werde aber noch warten bis wieder etwas Alltag eingekehrt ist, damit wir uns alle von den vergangenen Monaten erholen können. Du wirst es also spätestens dann wissen, dass ich es ihr gesagt habe, wenn Laura ausholt und dich windelweich prügelt.«

»Ich habe auch nichts anderes verdient«, murmelt Sam in Neves Hand und küsst diese ein weiteres Mal.

Final Game

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