Читать книгу Die Unausstehlichen & ich - Freunde halten das Universum zusammen - Vanessa Walder - Страница 7

ENDE DER WELT

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Du hast mich gefragt, ob’s schrecklich war, als mich deine Eltern ins Internat gesteckt haben und mit dir in die Schweiz sind. Ja und nein. Ich weiß, warum du fragst. Weil du versucht hast, es dir vorzustellen. Weil du nachts in deinem Bett gelegen hast und in meine Haut schlüpfen wolltest, stimmt’s? Und das war schrecklich für dich. Aber für mich war’s nicht das erste Mal, dass sie mich von zu Hause weggeholt haben. Mann, es war nicht mal das fünfte oder das achte Mal. Ich bin ein Heimkind, ein Pflegekind, ein Kind mit besonderen Bedürfnissen, ein Sonderfall. Ich bin die ganzen Sachen, die Erwachsene sagen, wenn sie nicht Freak oder Creep oder Psycho sagen dürfen. Ich bin’s gewohnt, dass sie mich rumschieben. Außerdem bin ich jetzt schon elf. Das erste Mal, da war ich acht. Und mit acht war’s das Ende der Welt.

Als sie mich das erste Mal geholt haben, hab ich gar nich kapiert, was los is. Keiner hat’s so richtig kapiert. Da stehen zwei Frauen vom Jugendamt und meine Mama muss einen Koffer für mich packen. Den roten, der aussieht wie ein Marienkäfer. Den hatte ich gerade erst geschenkt bekommen für den Ausflug an die Ostsee, den wir dann nie gemacht haben.

„Wie viele Unterhöschen soll ich denn einpacken?“, fragt meine Mama die Frauen.

Ich steh da und schäm mich, dass sie Unterhöschen sagt. Ich will nicht, dass die Jugendamtsfrauen wissen, dass ich überhaupt Unterhöschen hab. Geht die einen an! Aber die zucken nur mit den Schultern. Eine hat so ein Clipboard, marschiert damit durch die Wohnung und kritzelt Notizen. Die andere Tante steht in der Tür zu meinem Kinderzimmer und beobachtet meine Mama, als würd die jeden Moment in Flammen aufgehen und dann müsste die Tante sie löschen.

Und meine Mama lächelt. Auf die Art wie Erwachsene lächeln, wenn sie nich weinen wollen. Sie sagt mir, dass das ein Abenteuer wird und ich bestimmt ganz viele neue Freunde kennenlerne. Und in ’n paar Tagen bringen mich die freundlichen Damen wieder nach Hause, sagt sie. Mit dieser Stimme, die Erwachsene haben, wenn sie nicht schreien wollen. Sie hätte schreien sollen. Sie hätte die Jugendamtstanten umrennen und mit mir nach Mexiko durchbrennen sollen. Aber sie hat nicht gewusst, was abgeht. So wirklich verstanden hat das keiner, weil’s ja keiner gewollt hat, dass das passiert. Nicht mein Vater, nicht meine Mutter, nicht meine Oma, nicht die Frauen vom Jugendamt. Niemand hat böse Absichten gehabt oder einen superfiesen Plan. Keiner hat überhaupt irgendwas geplant. Und das ist immer das Aller schlimmste, Mann. Wenn dich wer so richtig vernichten will, wenn er sich vornimmt, dich zu zerstören, dann kannst du dich hinsetzen und planen, was du dagegen machst. Du kannst dir angucken, was die andere Seite bisher gemacht hat und was sie wahrscheinlich als Nächstes machen wird, und du kannst denen ’n Strich durch die Rechnung machen. Wie beim Schach. Oder bei einer Gleichung in Mathe. Wenn du willst, dass sich das Ergebnis ändert, musst du vor dem = was umstellen. Problem is, wenn einer einfach wild mit seinen Figuren rumzieht und überhaupt keinen Plan und kein Ziel hat, dann kannst du gar nichts machen. Dann steckst du in ’ner Kanone und die Lunte brennt.

Das mit uns war anders. Mit dir und mir. Ich mein, echt jetzt, ich versteh deine Eltern irgendwo. Zuallererst mal wollten die überhaupt kein Pflegekind. Du wolltest einen Bruder oder eine Schwester. Also haben sie das für dich gemacht. Aber sie waren immer supernett zu mir, okay? Ich kann echt nix sagen gegen Ralf und Leah. Ich hab ein eigenes Zimmer gehabt, ein neues Handy, teure Klamotten. Und sie haben zugehört, wenn ich was gesagt hab. So richtig. Mir in die Augen geschaut dabei. Überleg mal – wie viele Erwachsene machen das? Eben. Du hast echt Glück mit den beiden. Ohne.

Wir waren’s, die dauernd gebaut haben, Noah. Ha! Schon klar, dass du den Brief jetzt in die Ecke knallst. Is okay. Deshalb is es besser, dass ich dir schreibe, weil da kannst du nicht einfach aufstehen und abhauen. Der Brief liegt noch da, wenn du wieder runterkommst. Niemand schafft es, einen Brief nicht zu Ende zu lesen. Ich mein, du weißt nicht, was ich dir sagen will, richtig? Solang bist du am Haken, sorry.

Ich hab’s erst auch nicht so gesehen, aber unsere supergeilen Einfälle … Für deine Eltern waren die nicht so cool. Denk mal nach – wie oft waren sie wegen uns beim Direktor? Wie oft haben sich die Nachbarn in Berlin wegen uns beschwert? Den Leuten im Haus gegenüber haben wir die Balkontür eingeschlagen, als wir in unserm Wohnzimmer Tennis gespielt haben. Dem Herrn Ehrwald unter uns ist der Gläserschrank umgekippt bei unserem Volleyball-Turnier auf der Wii. Den Kerrics im Erdgeschoss hast du auf die Türmatte gekotzt: Currywurst und Zuckerwatte! Ich hab’s noch bis in den ersten Stock geschafft, aber dann hat’s der Kaktus von der Frau Novak abgekriegt. Dass wir uns den Kinderwagen von den Altmeisters geliehen haben, um damit vom Teufelsberg abzufahren? – Grand Theft Kinderwagen. Nich grad nice. Gut, wir hätten nicht gedacht, dass ein Kinderwagen über tausend Euro kostet! Da hätten wir auch gleich ’n Auto klauen können. Aber trotzdem. Wir haben das alles gemacht, Noah. Da hat uns keiner an den Karren gepisst.

Das Einzige, was Quatsch war: dass wir den Ehrwalds in die Blumenkisten gepinkelt hätten. Da haben sogar wir die Grenze gezogen. Plus – die wären schwer zu treffen gewesen vom Balkon aus …

Aber der Punkt is, Noah – wir, du und ich, haben in den acht Monaten, die ich bei euch gewohnt hab, mehr gebaut, als die meisten Leute in ihrem ganzen Leben. Und dann hat dein Vater gehört, dass er mit der Firma in die Schweiz muss. Wär schwer gewesen, da ein Pflegekind mitzunehmen. Gerade mich. Du weißt nicht, was da alles dranhängt. Warum hätte er das machen sollen? Zusammen sind wir Hannibal Lecter und Chucky, die Mörderpuppe. Da haben sie halt gedacht, es wär besser für den Rest der Welt, wenn man uns getrennt verwahrt …


Als sie’s mir gesagt haben, war ich echt am . Ich mein, ich weiß ja, wie’s läuft. Is nicht, als wären die ganzen Pflege- und Heimkids, mit denen ich in den letzten fünf Jahren mal zusammengewohnt hab, meine Brieffreunde. So ’n bisschen hab ich gedacht, du kommst da in eine neue Schule, in der Schweiz, findest neue Freunde und irgendwann bist du dann so „Enni wer?“, wenn ich mal texte.

Doch dann hat mir der Psychoonkel in Saaks erzählt, dass du von zu Hause abgehauen bist. Im ersten Moment war ich total happy, dass du mich nicht vergessen hast, dass du das für mich machst! Die haben mir gesagt, dass du bei der Polizei angerufen hast, um zu fragen, in welches Heim sie mich gesteckt haben. Das wollten sie dir nicht sagen. Aber Polizist Dirk hat deinen Eltern geraten, sie sollen dich mit mir reden lassen. Haben sie aber nicht. Und dann bist du abgehauen. Ich hab gewusst, dass du mich suchst. Das war schön. Nur ist mir irgendwann eingefallen, dass du nicht so gut bist mit Plänen. Und dass du zwölf Jahre alt bist. Gut, es is Sommer und du wirst nicht erfrieren. Auf der anderen Seite hast du keine Ahnung, wo ich bin. Sogar wenn du’s wüsstest: Du bist in Luzern in der Schweiz, ich bin in Saaks am der Welt. Und ins Internat kommt man auch nicht einfach so rein.

Vom Saakser Bahnhof musst du erstmal zur Talstation von der Seilbahn. Und dann mit der Gondel den Berg hoch. Nochmal fast tausend Meter. Klar, es gibt einen anderen Weg, hinten rum durch den Fenrisforst. Nur lauern da ganze Rudel von Wölfen!

Mir haben sie damals erklärt, dass das eine extra-spezial super geile Elite-Schule mit Halbinternat ist. Halbinternat heißt, dass die meisten Schüler hier nur für den Unterricht herkommen, aber ein paar Auserwählte haben das Riesenglück, dass sie hier auch wohnen dürfen. Sechsundzwanzig sind es gerade. Rate mal, wie krass geil ich das gefunden hab! Ich will abhauen und die stecken mich in ein Internat mittendrin im Nirgendwo, wo du nur mit der Gondel wieder wegkommst! Für mich war von Anfang an klar: Das is ’ne Alpen-Klapse, ’n Psycho-Schuppen, ’n Knast für.

Bloß, als ich dann hier war … Da hat plötzlich nichts mehr gestimmt. Die Möbel im Internat sehen aus wie in den Boutiquen in Berlin. Riesige Kronleuchter an den Decken, offene Kamine in den Aufenthaltsräumen. Tablets für jeden Schüler. Die Rechner für den Informatikunterricht werden jedes Jahr gegen neue Modelle ausgetauscht. Ich mein – , Noah, das machen die nicht mal in der Firma von deinem Papa!


Das Internat war mal ein ganz nobles Hotel. Gibt sogar noch ’n Helikopter-Landeplatz auf der anderen Seite vom See. Hier haben Leute Urlaub gemacht, die auf keinen Fall gestört werden wollten. Stars, Politiker, Milliardäre … Rothschilds, Rockefellers, Röhnheims – die Leute, denen die Welt gehört. In der Bibliothek hängen alte Schwarz-Weiß-Fotos, auf denen sie in die Kameras lächeln, während sie unter den Weiden am See Picknick machen oder ausreiten, Tennis spielen und Ruderboot fahren, mit Strohhüten im Sommer und Pelzmänteln im Winter. Manche Gesichter kommen mir bekannt vor, was komisch ist, weil die Fotos uralt sind. Aber das Internat sieht aus, als würde es nur darauf warten, dass seine alten Gäste zurückkommen. Oder vielleicht gehen die Enkel und Urenkel von denen jetzt hier zur Schule … Teuer genug ist es. Alter, das Schulgeld sind 3.800 Euro im Monat! , die lassen sich’s echt was kosten, ihre Kinder los zu sein, was? Problem is: Ich koste genauso viel. Und das zahlen weder meine noch deine Eltern. Ich hab keine Ahnung, wer das bezahlt. Die Halbach sagt, ich hab ein Stipendium. Und außer mir bloß noch ein anderer Schüler. Also irgendwer zahlt fast viertausend Euro dafür, dass ich hier bin. Raffst du das? Ich nicht.



Es wird noch besser: Das Saakser Internat existiert gar nicht. Wenn du’s googelst, findest du nur das alte Hotel und die Gondelbahn. Kein Wort von einer Schule. Es gibt keine Homepage. Nur die Leute, die hier arbeiten, hab ich im Netz gefunden. Die waren alle mal voll die Bosse, vorher. Der Psycho-Onkel Dr. Dr. Marvin Mergen war Leiter der Psychiatrie an der Berliner Charité. Die Köchin Louisa Krevic hat ein eigenes Restaurant in München gehabt, so ein schickes Ding mit nix aufm Teller, für dünne Leute mit dicken Brieftaschen. Die Leiterin Frau Halbach war mal Managerin bei einer Bank und dann bei irgendeiner Stiftung … und dann ist sie einfach von der Bildfläche verschwunden, als hätte sie wer ausradiert. Das gilt für alle. Unseren Hausmeister Ahmet Armut findest du gar nicht. Der war irgendwas beim Militär. Keine Ahnung, für welches Land. Auf einem Foto hab ich ihn in Uniform gesehen – mit tausend Orden und mit Augen, die sich in die Kamera bohren, als könnten sie ein Loch durchschießen. Einer von den Typen, bei denen du besser in Deckung gehst. Weil du weißt, sonst fliegt dir die um die Ohren.



Okay, und jetzt kommt der spannende Teil: Aus irgendeinem Grund hat die Halbach eine Schülerakte in ihrer Privatwohnung, eingeschlossen in einer Schublade: die von Dante Dahlem. Ich weiß das, weil ich sie da gesehen hab, als ich den Pass von ihrer Tochter Alba geklaut hab. Ja, ja, schon gut! Ich wollte halt zu dir und du brauchst halt einen Pass, um aus der EU in die Schweiz zu kommen. In Dantes Akte waren Kontoauszüge. Eine Kanzlei Nienberg, Lausch & Partner blecht jeden Monat die 3.800 Euro Schulgeld für Dante. Na und?, denkst du jetzt. Geht uns doch einen dreck an. Dann gehört Dantes Eltern halt eine Kanzlei. Aber das stimmt nicht. Dantes Mutter hat kein Geld. Sein Stiefvater ist der totale Loser, der noch nie mehr als ein paar Monate am Stück gearbeitet hat. Seinen echten Vater kennt Dante nicht mal. Er hat nur so ’ne halbe Erinnerung an einen Mann im Anzug, der ihm als Kind mal beim Spielen zugesehen und sich danach nie mehr gemeldet hat.

Dabei solltest du hören, wie die Halbach mit Dante redet! Ich mein, der is zwölf und sie ist die Leiterin von Saaks! Es liegt auch nicht nur daran, dass Dante so ist, wie er ist. Ja, er ist schön und die Leute starren ihn an. Und seine Stimme klingt, als würde er seit zwanzig Jahren saufen und rauchen. Rau und trotzdem samtig. Wie die Wildlederjacke von deiner Mama. Aber das isses nicht. Hat auch null damit zu tun, dass er im Rollstuhl sitzt. Keiner hat Mitleid mit Dante Dahlem. Um Mitleid zu haben, musst du dich größer fühlen als der andere. Niemand fühlt sich größer als Dante. Es liegt auch nicht daran, dass er mehr sieht und hört und mitkriegt als andere. So was kriegt die Halbach nämlich nicht mit. Dafür sieht und hört sie selbst nicht genug. Es ist was anderes.

Weißt du noch – Rene? In Berlin? Das ganze Schuljahr haben wir uns gefragt, warum die Lehrer mit ihm reden, als wenn ersupersmart wär. Oder total megareich. Als könnte er was für sie tun. Oder ihnen was tun. Und dann stellt sich raus, dass Renes Mama fürs Bildungsministerium arbeitet. Die haben nie wirklich mit Rene geredet, die ganzen Lehrer und der Direktor. Die haben durch ihn durch mit seiner Mutter geredet. So ähnlich ist es mit Dante. Aber ich weiß nicht, mit wem sie durch ihn durch reden. Und er weiß es auch nicht.

Das ist einer der Gründe, warum ich ihn hassen wollte, als ich ihn zum ersten Mal gesehen hab. Weil da dieses Gefühl war: dass nicht ich ihm begegne, sondern er mir. Dass es seine Geschichte ist und ich nur ein Teil davon bin. Vielleicht nicht mal ein ganzes Kapitel. Ich mag dieses Gefühl nicht. Bisher hab ich’s nur von der anderen Seite gekannt.

Im ersten Heim, in dem ich war, hab ich in einem Stockbett geschlafen. Und unten war Tasha. War keine Entscheidung, dass sie unten liegt, sondern pure Physik. Sie war zehn Jahre alt und siebzig Kilo schwer. Immer, wenn wer glaubt, Dicksein hat mit Essen zu tun, denk ich an Tasha. Das war kein Fett, das sie mit sich rumgetragen hat. Das waren ganz andere Sachen. Alle grausamen Witze. Jedes Kichern hinter ihrem Rücken. Die Blicke … Und das, was als Erstes passiert ist, der Auslöser. Als sie noch klein war. Das, was zu groß und zu viel war, um es zu verdauen. Was auch immer es war.

Eigentlich hat sie Natasha geheißen. Die anderen haben Wal-Tasha zu ihr gesagt. Sie hat geschnarcht, deshalb wollte keiner mit ihr im Zimmer schlafen. Aber ich war ja neu. Wenn du neu bist, hast du gar nix zu melden. Also lieg ich über ihr im Stockbett, starr an die Decke, versuch, möglichst leise zu sein beim Weinen … und hör sie unten schwer atmen. Das is gut. Ich bin froh, dass sie da ist. Aus zwei Gründen. Erstens ist keiner gern nachts allein an einem fremden Ort. Kannst du mir erzählen, was du willst. Schlafen ist immer Vertrauenssache. Ich mein – ! – du gibst dein Bewusstsein an der Garderobe ab! Kann jeder alles mit dir machen, wenn du die Augen zumachst und loslässt. Wenn du sie wieder aufmachst, kann alles passiert sein. Die ganze Welt kann eine andere sein.

Zweitens gibt es immer und überall Rollen zu verteilen. Genau wie in einem Theaterstück. Wenn du neu bist und klein, hast du extrem gute Chancen, dass du die Rolle „ultimativer Loser“ abgreifst. Ich mein – irgendwer muss es sein. Nur: Wenn’s ein Mädchen gibt, das Wal-Tasha heißt … Sorry, aber dann is die Rolle besetzt. Eine Sorge weniger für dich. Deshalb war’s auch nicht Mitleid, sondern Dankbarkeit, dass ich’s gemacht hab. In der ersten Nacht, da hab ich irgendwann leise gesagt:

„Gute Nacht, Tasha.“

Nicht Natasha. Weil du weißt nie, wen der Name ruft. Hier im Heim, da war sie Tasha. Aber ich hab eben auch nicht Wal-Tasha gesagt. Vielleicht ging’s vor allem darum, dass ich überhaupt was zu ihr gesagt hab?

Kurz war das Geräusch von ihrem Atem weg. Entweder sie hat gar nicht geschlafen oder sie hat auch nie wirklich tief und fest geschlafen. Nie ganz drauf vertraut, dass die Welt noch da is, wenn sie wieder aufwacht. Gesagt hat sie nichts.

Am nächsten Morgen war klar, dass sie’s gehört hat. Beim Frühstück war’s klar. Da stellt mir so’n Voll das Bein und ich klatsch der Länge nach hin, mitsamt dem Tablett voll Frühstücks . Ich hör ein Rauschen in den Ohren, seh alles wie durch rote Brillengläser … und dreh mich auf den Rücken, um zu sehen, wer’s war. Aber da brüllt der schon wie irre und blutet aus’m Rüssel. Wie’n Springbrunnen, Mann! Und die Nase hat so’n Knick in der Mitte. Dann setzt die Kettenreaktion ein: Der Typ neben dem kotzt unter’n Tisch. Ich mein – auch wenn du kein Problem mit Blut hast – is doch was anderes, wenn’s in dein Müsli spritzt. Danach springen andere auf und rennen raus. Die Betreuerinnen kommen angerauscht. Und mittendrin, die Ruhe in Person: Tasha.

Ich hab nicht gesehen, wie sie dem blöden Typ eins verpasst hat. Sie steht plötzlich über mir wie ein Schatten. Ein gigantischer, brutaler, treuer Schatten. Und streckt mir die Hand hin, um mir aufzuhelfen. Ich hab’s nicht mit Absicht gemacht; es war kein Plan dahinter, aber von da an war Tasha mein Bodyguard. Vier Monate lang. In der Zeit will sie nicht ein Mal irgendwas oder schlägt was vor oder bittet mich um was. Sie is einfach da, macht das, wofür ich zu klein, zu leicht, zu schwach bin. Als Ehrenmitglied im Team Enni, als Soldatin in meiner Armee. Tasha hat mir ihre Geschichte nie erzählt. Sie ist einfach Teil von meiner geworden.

So fühlt es sich an mit Dante. Und mit Saaks. Ich bin nur Teil ihrer Geschichte, nur einer von den vielen Namen, die hier innen an den Klotüren stehen und die nicht mehr abgehen: „Enni war hier!“.

Die Frage ist: – warum?


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