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Robert Sloss.
Das drahtlose Jahrhundert
Das Ende von Raum und Zeit

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Monarchen, Kanzler, Diplomaten, Bankiers, Beamte und Direktoren werden ihre Geschäfte erledigen und ihre Unterschriften geben können, wo immer sie sind. Direktoren einer und derselben Gesellschaft werden ganz ruhig eine legale Versammlung abhalten können, wenn der Eine auf der Spitze des Himalaya ist, und der Andere in einer Oase der afrikanischen Wüste, der Dritte in irgend einem Badeort und der Vierte sich gerade auf einer Luftreise befindet. Sie werden sich sehen, miteinander sprechen, werden ihre Akten austauschen und werden sie unterschreiben, gleichsam, als wären sie zusammen an einem Orte. Nirgends, wo man auch ist, ist man allein. Ueberall ist man in Verbindung mit allem und jedem. Jeder kann jeden sehen, den er will, sich mit jedem unterhalten, mit jedem Whist, Skat und Poker, mit jedem Schach und Dame spielen und wäre der Betreffende auch tausend Meilen von ihm entfernt. Er kann jedes Vergnügen und jede Zerstreuung, wie sie sich jeder andere Mensch gönnen kann, auch mitmachen. Er kann die Tänzerinnen des Königs von Siam ebensogut in Paris in seinem Studierzimmer sehen, wie er während der Fahrt im Bahncoupé einer Vorstellung der großen Oper von Monte Carlo beiwohnen kann. Es gibt nichts, was er sich nicht zu leisten vermag. Er kann die Berühmtheiten seiner Zeit alle mit Augen sehen, er kann, wenn sie sich darauf einlassen, mit ihnen sprechen. Ja, vielleicht wird auch noch der Apparat erfunden, durch den man ihnen die Hand drücken und ihren Händedruck empfinden kann.

Auch das Reisen wird im drahtlosen Jahrhundert eine fabelhafte Umgestaltung erfahren. Es wird mit einer riesigen Schnelligkeit auch eine großartige Sicherheit verbinden. Schon jetzt haben die „drahtlosen Techniker“ den Aerophor nicht nur erfunden, sondern auch derart vervollkommnet, daß ein automatischer Signalapparat dem Lokomotivführer selbsttätig anzeigt, wenn ein anderer Zug auf demselben Schienenstrang läuft und sich in einer Entfernung von nur zwei englischen Meilen befindet. Natürlich gibt der Apparat auch die Richtung an, in der dieser Zug sich bewegt. Dadurch sind die Lokomotivführer der beiderseitigen Züge imstande, die Fahrt zu verlangsamen oder zu halten oder eventuell auf ein anderes Gleise zu führen. In jedem Falle aber ist ein Zusammenstoß ganz unmöglich. Derselbe Apparat warnt den Seemann bei schwerem Nebel und kündigt ihm die Nähe eines andern, seinen Kurs kreuzenden, oder in seinem Kurs auf ihn zufahrenden Schiffes an. Und jedes andere, in einer gewissen Entfernung befindliche Schiffahrtshindernis, wird ihm ebenso sicher durch den Apparat signalisiert, und er wird ihm auch die genaue Entfernung angeben können, in der es sich befindet. Ja, man hat den Apparat sogar derart konstruiert, daß er beim Signalisieren der Gefahr sofort im Maschinenraum nicht nur das Haltesignal gibt, sondern auch die Maschinen selber automatisch zum Stillstand bringt.

Man wird künftig ganz wundervoll reisen, sei es auf dem Meer, oder unter dem Meer, sei es auf der Erde oder unter der Erde oder über der Erde in unserem neuen eroberten Reiche der Luft. Wer aber trotz alledem nicht wird reisen wollen, der wird, wie gesagt, ganz bequem in seinem eigenen Zimmer die ganze Welt bereisen können. Es wird keine Zeit und keine Entfernung mehr geben, und einer Katastrophe, wie der jüngsten von Messina und Kalabrien werden wir alle beiwohnen können, sicher in unserem Hause sitzend, wo immer dieses auch steht. Wir werden einfach auf drahtlosem Wege uns mit der Unglücksstätte verbinden lassen, und wer an dem Anblick allein nicht genug hat, sondern die Sensation furchtbarster Art ganz wird auskosten wollen, der wird, wenn er will, auch das Angstgewimmer der Leute, das Verröcheln der Sterbenden und die Schreie der Hungrigen und die Flüche der Irrsinnigen hören. Jedes Ereignis werden wir so mitmachen können. Die ganze Erde wird nur ein einziger Ort sein, in dem wir wohnen. Kein Raum wird uns mehr trennen, wir werden überall sein, nur dadurch schon, daß wir überhaupt da sind. – Auch dieses Bild, das ich eben ausgemalt habe, ist keineswegs eines, das wir erst in hundert Jahren erreichen werden. Nein. Der Apparat, der das vermag, ist auch schon erfunden und wurde erst im vergangenen Dezember einem jungen New Yorker Erfinder, Rothschild, patentiert. Und im Grunde ist es eigentlich nichts weiter, als die geniale Kombination von Kinematograph, Telautograph, Telephon und wie die großartigen Vorläufer-Erfindungen desselben alle heißen.

Auch im politischen Leben wird die drahtlose Telegraphie eine außerordentliche Rolle spielen. Der Wahlvorgang zum Beispiel wird vollständig zentralisiert werden können, und Wahlen werden einfach bloß noch in den Reichshauptstädten vorgenommen werden. Jeder wird imstande sein, seine Stimme von dort abzugeben, wo er sich grade befindet und jeder Wähler wird einfach durch Vergleichen mit den Wahllisten identifiziert werden, die nicht nur den Namen und Stand des Wählers enthalten werden, sondern auch dessen Photographie. Von den höchsten Gletschern, von den Feldern und Sümpfen der Marschen aus wird man seine Stimme abgeben können, und das Staatsoberhaupt wird Gelegenheit haben, sich, wenn er will und auf welche Weise immer er dies zu tun beabsichtigt, von der Stimmung im Volke ein wahrheitsgetreues Bild zu schaffen, denn kein Kaiser und kein Präsident wird mehr auf den Bericht irgend eines Schranzen angewiesen sein, sondern wird selbst, in seinem Schlosse sitzend, jeder Volksversammlung, jeder Volksdemonstration beiwohnen können und wird sich mit jedem in Verbindung zu setzen vermögen, von dem er wahrheitsgetreuen Aufschluß zu erhalten glaubt. Die Stimme der Wahrheit wird bis in die abgeschlossensten Paläste hineindringen und dort nicht mehr ungehört verhallen können.

Auch im Gerichtssaale wird die drahtlose Telegraphie eine gewaltige Rolle spielen. Zeugen werden nicht mehr von weit her herbeigeschafft werden müssen, sondern sie werden einfach vor Gericht erscheinen, während sie ruhig zu Hause bleiben oder ihren Geschäften nachgehen. Die Kosten des Gerichtsverfahrens werden dadurch wesentlich billiger werden; die Zeitverschwendung wird nicht mehr ins Gewicht fallen wie jetzt, und niemand wird im Gerichtsgebäude stundenlang warten müssen. Ein Anruf wird genügen, und jeder Zeuge, und sei er selbst am Nordpol, wird im Augenblick zur Stelle sein. Konfrontationen werden auf dieselbe Weise zustande kommen. Der Mörder in Chikago wird auf drahtlosem Wege dem Kronzeugen, der sich vielleicht in Sibirien befindet, gegenüber gestellt werden. Beide Zeugen werden einander Aug in Auge gegenüber stehen, und hier wie dort wird man der ganzen Gerichtsverhandlung folgen und an ihr teilnehmen können. Das einzig störende wird eben der Zeitunterschied sein, so daß einige Zeugen mitten in der Nacht werden aussagen müssen, wenn sie an einer Verhandlung teilnehmen, in der der lokale Zeitunterschied ein so bedeutender ist.

Die Welt in hundert Jahren

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