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Ich hätt’ getanzt heut nacht, die ganze Nacht heut nacht

»O Robert«, sagte ich in dem Moment, in dem wir die Turnhalle der Schule betraten und sahen, wie wunderschön alles geschmückt worden war, »ich wünschte, Cary wäre mitgekommen. Er würde nicht so schlecht darüber reden, wenn er sehen könnte, wie sie diese Halle hergerichtet haben. Sie sieht aus wie ein richtiger Ballsaal!«

»Ich glaube, der Veranstaltungsort ist nicht der wirkliche Grund dafür, daß er nicht gekommen ist«, sagte Robert leise. Er lächelte mitfühlend, und seine Augen waren sanft und liebevoll. Ich nickte, denn ich wußte selbst, daß er recht hatte.

Direkt vor uns war für die vierköpfige Kapelle eine provisorische Bühne errichtet worden. Die Musiker spielten bereits, und auf der Tanzfläche drängten sich Scharen von Tänzern. Über uns waren kreuzweise Bahnen aus buntem Kreppapier gespannt, und dazwischen hingen Büschel von Luftballons in allen Farben, an denen Lametta befestigt war. Am hinteren Ende waren lange Tische mit roten, grünen und blauen Papiertischdecken für das Essen aufgebaut worden, und zu unserer Linken und an beiden Längsseiten der Turnhalle standen Stühle und Tische mit Papiertischdecken in denselben Farben. Auf einem großen Plakat an der linken Wand stand:

WILLKOMMEN

ZUM ALLJÄHRLICHEN FRÜHLINGSFEST.

Alle hatten sich fein herausgeputzt, und manche Mädchen trugen Kleider, die so elegant und teuer wirkten, daß ich sicher war, Mommy hätte das Gefühl gehabt, das Kleid, das sie für mich genäht hatte, sei unangemessen, obgleich ich es ganz wunderbar und sehr passend fand. Trotzdem war ich jetzt glücklich darüber, daß ich eingewilligt hatte, Mommys Halskette zu tragen. Viele Mädchen trugen Ohrringe, Ketten, Armbänder und Ringe an den meisten Fingern. Es wirkte wie ein Wettbewerb, bei dem festgestellt werden sollte, wer sich am protzigsten zurechtmachen konnte.

»Warum stürzen wir uns nicht ins Getümmel?« sagte Robert, nachdem wir meine Stola auf seinen Stuhl gelegt hatten und ich meine Handtasche abgestellt hatte.

Er führte mich auf die Tanzfläche, und wir machten die ersten Schritte. Sowie wir miteinander tanzten, hatte ich das Gefühl, alle sähen uns an. Als ich meinen Blick von Roberts Gesicht abwandte und mich umsah, stellte ich fest, daß sich einige der Mädchen aus meiner Klasse zu einem kleinen Grüppchen zusammendrängten und uns mit einem verzerrten Lächeln beobachteten. Ich spürte, wie mein Magen sich zusammenzog.

Die Musik war laut, der Rhythmus schnell. Ich hoffte nur, daß ich mich nicht lächerlich machte, aber Robert schien seine Freude zu haben. Er war ein sehr guter Tänzer, und ich begann mit meinen Armen und Hüften einige seiner Bewegungen nachzuahmen. Solange ich mich auf ihn konzentrierte und meinen Blick auf ihn heftete, fühlte ich mich sicher und geborgen. Er strahlte ein solches Selbstvertrauen aus, daß es für uns beide genügte.

Als zwischen zwei Tänzen eine Pause eingelegt wurde, blieben wir stehen, umarmten einander und lachten. Robert führte mich zur Punschschale. Auf dem Weg dorthin winkte er einigen Jungen zu, die er kannte, und sie winkten zurück und nickten beifällig.

»Heute abend werden wir unseren Spaß haben«, versprach er mir, und seine Augen funkelten vor Aufregung. »Wir werden tanzen, bis unsere Füße um Gnade flehen.«

»Habe ich mich auf der Tanzfläche einigermaßen gut gehalten?« fragte ich.

»Soll das ein Witz sein? Falls sie einen Tanzwettbewerb veranstalten sollten, machen wir mit«, sagte er.

»Robert Royce, das kommt gar nicht in Frage.« Allein schon der Gedanke an etwas Derartiges verschlug mir den Atem.

Wir tranken ein Glas Punsch und aßen Chips mit Käsetunke. Marsha Winslow und Adam Jackson, der Klassensprecher, schlossen sich uns an. Marsha war für die Organisation der Party zuständig. Sie war ein großgewachsenes, attraktives Mädchen mit einer leicht nasalen Stimme, die den Eindruck vermittelte, sie sähe auf den Rest der Welt herab. Sie hielt einen Block in der Hand.

»Entschuldigt bitte«, sagte sie, »aber wir haben keine Unterlagen darüber, daß ihr für eure Eintrittskarten bezahlt habt.«

»Was? Das kann doch nicht sein. Ich habe Betty Hargate das Geld gegeben«, sagte Robert.

»Betty hat dich auf ihrer Liste, aber Laura nicht«, erwiderte sie. »Das ist doch einfach lächerlich.«

»Willst du Marsha etwa lächerlich machen?« fragte Adam. »Du weißt genau, daß sie für all diese Arbeit nicht bezahlt wird, und ohne ihren aufopfernden Beitrag wäre es nicht möglich, daß alle anderen ihren Spaß haben. Sie erfüllt nur ihre Pflicht.«

»Ich wollte sie nicht lächerlich machen. Ich sage nur … wo steckt Betty? Da ist sie ja.« Robert deutete auf das Mädchen. »Wir rufen sie uns rüber«, schlug er vor.

»Eine gute Idee«, sagte Adam und winkte Betty zu, die bei Lorraine Rudolph stand. Die beiden kamen auf uns zugeeilt.

»Was ist los?« fragte Betty unwillig und stemmte einen Arm in die Hüften. Es war, als hätte man sie aufgefordert, sich in unliebsame Gesellschaft zu begeben.

»Robert Royce behauptet«, sagte Marsha und verdrehte die Augen, »er hätte für Laura bezahlt, aber aus meinen Unterlagen geht das nicht hervor.«

»Ich habe dir letzten Dienstag in der Cafeteria das Geld gegeben«, beharrte Robert. »Erinnerst du dich nicht mehr?«

»Was ich eingenommen habe, ist schriftlich festgehalten worden«, sagte Betty in einem selbstgefälligen Singsang. »Ich habe es nicht nötig, das Geld für die Eintrittskarten zu stehlen.«

»Ich habe nicht gesagt, daß du es gestohlen hast«, rief Robert aus. Er war sichtlich frustriert.

»Nach deinem Namen habe ich nur eine Eintrittskarte abgehakt«, wiederholte Marsha. »Das heißt, du hast nur für eine Person bezahlt.«

»Ich kann es einfach nicht glauben«, sagte Robert.

»Bist du ganz sicher, daß du dir nicht nur eingebildet hast, du hättest für Laura bezahlt? Vielleicht warst du am letzten Dienstag noch nicht sicher, daß sie dich begleitet«, scherzte Lorraine mit einem verkniffenen Lächeln. Sie warf Adam einen Blick zu, ehe sie Robert wieder ansah.

»Natürlich bin ich sicher, daß ich für sie bezahlt habe«, sagte Robert nachdrücklich.

»Die Kasse stimmt«, sagte Marsha.

»Das heißt, wir haben nur das Geld für die Eintrittskarten, die wir ausgegeben haben«, fügte Adam hinzu.

»Mir ist klar, was das heißt«, sagte Robert.

»Hast du die Eintrittskarten, Robert?« flüsterte ich. Er dachte einen Moment lang nach. Dann nickte er mit einem zuversichtlichen Lächeln und zog sie aus der Innentasche seines Freizeitjacketts.

»Wenn ich nicht dafür bezahlt hätte, wie wäre ich dann an die Karten gekommen?« fragte er Marsha und hielt sie ihr vor die Nase.

Sie sah die Eintrittskarten an und warf dann noch einen Blick in ihre Unterlagen.

»Das verstehe ich nicht«, sagte sie.

»Vielleicht hat Betty ihm zwei Eintrittskarten gegeben, und er hat versprochen, ihr das Geld für die zweite Karte später zu geben«, warf Adam ein.

»Ja«, sagte Betty eilig. »Genauso war es.«

»Nein, so war es eben nicht, und das weißt du ganz genau«, beharrte Robert.

»Betty ist zu verantwortungsbewußt. Sie würde keine Eintrittskarten ausgeben, ohne das Geld dafür zu kassieren«, warf ich mit ruhiger Stimme ein. Alle unterbrachen sich und sahen mich einen Moment lang an. »Hier ist einfach nur jemandem ein kleiner Fehler unterlaufen.«

»Also …« Marsha sah Adam an.

»Ich glaube nicht, daß Robert versuchen würde, sich mit unrechten Mitteln eine Eintrittskarte zu verschaffen, was meint ihr?« fuhr ich fort.

»Ich hoffe nicht«, sprudelte Betty heraus.

»Wir klären es später«, sagte Marsha. »Im Moment vergeuden wir alle nur unsere Zeit, statt unseren Spaß zu haben.«

»Genau«, sagte Adam und hing sich bei ihr ein. »Auf die Tanzfläche mit Ihnen, Frau Vorsitzende.«

Die anderen lachten und schlossen sich den beiden an.

»Das war nicht nur eine Gemeinheit, sondern sie haben sich noch dazu reichlich dumm angestellt«, sagte Robert und sah finster hinter ihnen her.

»Vielleicht hat wirklich nur in Irrtum vorgelegen, Robert.«

Er sah weiterhin finster in die Richtung der anderen und wartete nur darauf, daß einer von ihnen es wagte, sich nach uns umzusehen.

»Das möchte ich bezweifeln«, sagte er. »Die gehören nicht zu der Sorte, denen ein echter und ehrlicher Fehler unterläuft.«

»Wir wollen uns von ihnen nicht den Abend verderben lassen, Robert«, sagte ich und nahm seine Hand. Er entspannte sich, lächelte mich an und nickte.

»Richtig. Wollen wir?« fragte er, ehe er mir das Punschglas abnahm und es auf einen der Tische zurückstellte.

Wir kehrten wieder auf die Tanzfläche zurück. Es dauerte nicht lange, bis wir ganz in der Musik und in der Nähe des anderen aufgingen. Kurz darauf hatten wir den Zwischenfall mit den Eintrittskarten vergessen und tanzten, bis ich für mich in Anspruch nahm, daß meine Füße tatsächlich um Gnade flehten. Robert lachte und schlug vor, es sei ohnehin an der Zeit, daß wir etwas aßen.

»Vermutlich haben wir jetzt großen Appetit.«

Wir stellten uns an und füllten unsere Teller. Einige der Mädchen aus meinem Englischkurs machten mir Komplimente, wie gut ich tanzen könnte, und Mädchen, die mit Partnern zu der Tanzveranstaltung erschienen waren, drängten sich um Robert und äußerten sich auch zu seiner Begabung auf der Tanzfläche.

Theresa Patterson war mit etlichen befreundeten Bravas erschienen. Sie blieben unter sich, aber Theresa lächelte mich freundlich und strahlend an, als ich ihr zuwinkte.

Als ich die zahllosen Speisen auf dem Büfett sah, mußte ich widerwillig einräumen, daß Betty und Marsha eine wunderbare Party geplant hatten. Natürlich gab es gedämpfte Muscheln und alle Arten von Hühnergerichten, darunter auch pikant gewürzte Brathähnchen, und ansonsten konnte man sich von farbigen Nudeln, Salaten, Obstschalen und portugiesischen Brotlaiben und Brötchen bedienen. Der Tisch mit den köstlichen Nachspeisen würde gewiß als erster leer sein.

Als wir zu unserer Zufriedenheit feststellten, daß wir uns von allem einen Happen genommen hatten, um die verschiedenen Gerichte zu kosten, setzten Robert und ich uns mit einigen seiner Freunde und den Mädchen zusammen, die sie für den heutigen Abend eingeladen hatten. Soviel Spaß hatte ich noch nie gehabt, und als Robert sich vorbeugte, um mir schnell einen Kuß auf die Wange zu drücken, errötete ich und sagte ihm, wie sehr ich den Abend genoß.

»Du weißt gar nicht, wie sehr mich das freut«, sagte er. »Ich habe mir Sorgen gemacht, als sich Cary so abfällig zu dieser Veranstaltung geäußert hat. Ich dachte schon, er könnte …«

»Was könnte er?«

»Er könnte es dir ausreden«, gestand Robert.

»Das wäre ihm niemals gelungen. Wir mögen zwar Zwillinge sein, aber ich habe trotzdem meinen eigenen Willen, Robert.«

»Das ist gut«, sagte er lächelnd.

»Das solltest du inzwischen begriffen haben, und wenn du es immer noch nicht weißt, dann wird es dir bald klarwerden«, versprach ich ihm. Sogar ich selbst wunderte mich darüber, wie verführerisch die Worte herauskamen. Seine Augen wurden groß, und er lächelte mich an. Ich wandte mich eilig ab, da ich fürchtete, ich würde knallrot anlaufen und keinem am Tisch würde es entgehen.

Nachdem wir gegessen hatten, wurde langsamere Musik gespielt, und die Lichter wurden heruntergedreht. Diese Form von Tanz gefiel mir besser, weil ich den Kopf an Roberts Schulter lehnen und seine Arme um mich spüren konnte. Wir wiegten uns zum Rhythmus, und keiner von uns beiden wollte die Stimmung des Augenblicks durch Worte verderben. Gelegentlich fühlte ich seine Lippen auf meiner Stirn und meinem Haar. Mein Herz pochte so heftig, daß ich sicher war, er könnte es an seinen Rippen spüren.

»Ich bin ja so froh, daß du mit mir tanzen gegangen bist, Laura«, flüsterte er.

»Ich auch«, sagte ich.

»Vielleicht … könnten wir etwas eher aufbrechen und an der Küste entlangfahren. Es ist eine wunderbare Nacht«, sagte er.

»Ja, gern, Robert.«

Wir glitten durch die Schatten und das Licht. Der Schein der runden Lampions blendete mich, und eine Zeitlang war es, als seien Robert und ich allein miteinander. Alle anderen verblichen im Hintergrund.

Dieser Eindruck verflog jedoch augenblicklich, als ich Janet Parkers durchdringendes kaltes Lachen direkt hinter uns hörte. Ich drehte mich um und sah sie mit Adam Jackson, Marsha, Betty und Lorraine dastehen. Brad Laughton und Grant Simpson hatten sich ihnen jetzt auch angeschlossen. Warum tanzten sie nicht, fragte ich mich erstaunt. Waren sie etwa nur hergekommen, um andere zu beobachten und sich über sie lustig zu machen? Sie sahen unbeirrt in unsere Richtung und lachten.

»Was haben sie denn jetzt schon wieder?« murrte Robert.

»Das ist mir egal«, sagte ich, aber er konnte es nicht lassen, das Grüppchen anzusehen. Schließlich füllten sich seine Augen zunehmend mit Wut.

»Es hat etwas mit uns zu tun«, sagte er mit scharfer Stimme und blieb still stehen.

»Vergiß sie, Robert.«

»Ich wüßte gern, was sie so verdammt komisch finden«, sagte er und nahm mich an der Hand. Er zog mich über die Tanzfläche und ging auf das Grüppchen zu. Sie traten zur Seite, um uns Platz zu machen, doch Robert baute sich vor ihnen auf.

»Warum weiht ihr uns nicht in eure kleinen Scherze ein«, sagte er mit scharfer Stimme.

»Wie bitte?« sagte Adam selbstgefällig und mit einem hämischen Grinsen. »Du möchtest einen Witz hören?«

Sie lachten alle.

»Was ist bloß los mit euch?« bohrte Robert weiter. Ich bemühte mich, ihn weiterzuziehen, aber er war entschlossen zu sagen, was er zu sagen hatte. »Versucht ihr etwa, uns den Spaß zu verderben? Wenn euch nichts Besseres einfällt, womit ihr euch beschäftigen könnt, dann tut ihr mir leid.«

»Soll das ein Witz sein?« sagte Adam, den es überraschte, daß jemand wagte, seine Handlungen zu hinterfragen.

»Also, was ist?«

»Wir haben uns nur gefragt, warum Lauras Bruder nicht gekommen ist. Konnte er sich die Eintrittskarte nicht leisten?« sagte Lorraine.

»Robert hätte ihm eine kaufen können, genauso, wie er die Eintrittskarte für Laura gekauft hat«, schlug Adam vor.

»Das ist überhaupt nicht komisch«, sagte Robert und ging einen Schritt auf ihn zu. Adam wich einen Schritt zurück und hob die Hände.

»He, immer mit der Ruhe. Du wolltest doch einen Witz hören, oder nicht?«

»Das ist kein Witz. Du bist ein Witz«, warf Robert ihm an den Kopf.

»Mann, Kumpel«, sagte Brad. Roberts finsterer Blick ließ auch ihn einen Schritt zurückweichen. Trotz ihrer teuren Kleidung und des kostbaren Schmucks kamen sie mir alle unglaublich seicht und feige vor.

»Komm schon, Robert«, sagte ich. »Wir wollen unsere Zeit nicht noch länger an sie vergeuden.«

»Wir fragen uns nur, was mit deinem Bruder los ist«, sagte Janet, »weil Grant gerade draußen war, um eine Zigarette zu rauchen, und er hat gesagt, er hätte ihn auf dem Parkplatz herumlungern sehen.«

»Was?«

»Es stimmt alles. Er steht dort draußen in der Kälte und träumt davon, mit seiner Schwester hier drin zu sein«, platzte Brad heraus.

Roberts Arm schoß so schnell nach vorn, daß ich seine Bewegung gar nicht wahrnahm, bis ich sah, wie seine Faust auf Brads Brust traf und ihn rückwärts taumeln ließ. Er verlor das Gleichgewicht und landete mit einem dumpfen Aufprall auf dem Fußboden der Turnhalle. Einige der Umstehenden begannen zu lachen. Er wurde rot, aber sowie er aufgesprungen war, blieb er auf Distanz.

»Das war ziemlich grob«, rief Betty aus. »Da, wo du herkommst, mag es ja an der Tagesordnung sein, aber auf unseren Parties ist so etwas nicht erlaubt.« Ihre Augen wurden groß, und sie stöhnte. »Oh, nein! Mr. Rosner kommt schon über die Tanzfläche auf uns zu. Wenn es hier wüst zugeht oder Dummheiten geschehen, wird er die Party vorzeitig abbrechen, und ich habe so hart daran gearbeitet, daß es ein voller Erfolg wird!« jammerte sie, und ihre Lippen verzerrten sich.

»Was geht hier vor?« erkundigte sich Mr. Rosner mit den Armen in den Hüften. Er sah von Brad zu Robert und musterte dann die anderen.

»Es war nur ein alberner Scherz, Mr. Rosner«, sagte Adam, der sich geschickt vor ihm aufgebaut hatte. »Es ist nichts weiter. Hier läuft alles reibungslos.«

Mr. Rosner sah alle der Reihe nach an und nickte, obwohl er keineswegs zufrieden war.

»Ich möchte keine Keilereien sehen, und ich will auch keinen Radau hören«, warnte er.

»Dazu wird es nicht kommen«, sagte Adam. »Ich garantiere Ihnen dafür, Sir. Als Klassensprecher übernehme ich die volle Verantwortung.«

»Das steht für mich fest, Mr. Jackson«, sagte Mr. Rosner. Als sein Blick auf mich fiel, beruhigte er sich. »Ihr seid alle sehr hübsch zurechtgemacht«, sagte er, »und bis zu diesem Moment ist es eine sehr nette Veranstaltung gewesen. Ich hoffe, wir können auch weiterhin stolz auf euch sein.«

»Danke, Mr. Rosner«, sagte Lorraine mit einem zuckersüßen Lächeln. Ich sah, wie ihre Mundwinkel zuckten, als er ging.

»Das war ziemlich brenzlig«, sagte Adam und sah Robert wütend an.

»Es war nicht seine Schuld«, sagte ich.

»Nein, soviel steht fest«, sagte Betty. »Im Grunde genommen tut er uns allen leid.«

»Was soll denn das schon wieder heißen?« erkundigte sich Robert barsch.

»Komm schon, Robert«, flehte ich verzweifelt, denn ich wollte unter allen Umständen mit Robert verschwinden, ehe sie ihre widerlichen Gerüchte breitwalzen konnten.

»Nein, ich will wissen, was das heißen soll«, beharrte er.

»Warum gehst du nicht raus und fragst ihren Bruder?« scherzte Janet, und alle Umstehenden lächelten.

»Sollen wir tanzen?« fragte Adam Marsha und hielt ihr die Hand hin.

»Mir ist alles recht, solange ich nicht in dieser inzestuösen Atmosphäre bleiben muß«, sagte sie, und alle lachten, als sich das Grüppchen auflöste. Sie gingen getrennte Wege und ließen uns allein dort stehen.

»Diese verzogenen, reichen …«

»Es ist schon gut, Robert. Schenk ihnen keine Beachtung.«

Er nickte und sah mich dann an.

»Glaubst du, daß Grant die Wahrheit gesagt hat? Glaubst du, daß Cary sich dort draußen rumtreibt?«

»Ich hoffe nicht«, sagte ich. »Ich bin sicher, er hat es sich nur ausgedacht, um uns den Spaß zu verderben.«

Robert zwang sich zu einem Lächeln.

»Wenn du jetzt Lust auf diese Spazierfahrt hast«, sagte er schließlich, »dann ist mir das nur zu recht. Hier drinnen wird die Luft immer dicker.«

»Ja, gern«, antwortete ich und hoffte nur, daß es mir gelungen war, einen fröhlichen Tonfall anzuschlagen.

Er war sofort milder gestimmt. »Prima. Ich will ganz sichergehen, daß du vor zwölf zu Hause bist«, sagte er. »Es wäre mir gar nicht lieb, wenn dein Vater wütend auf mich würde.«

»Die meiste Zeit knurrt Daddy nur, aber er beißt nicht«, sagte ich.

»Ich mache mir keine Sorgen, er könnte mich beißen. Mir macht Sorgen, er könnte mir verbieten, dich zu sehen«, sagte Robert und nahm meine Hand.

Wir sahen einander in die Augen, und ich spürte, wie ein Gefühl von Wärme in meinem Bauch einsetzte und auf mein Herz übergriff. Ich sehnte mich danach, mit Robert zusammenzusein, und ich fragte mich, ob es wohl möglich war, sich noch mehr danach zu sehnen, in der Nähe eines anderen Menschen zu sein. Nein, ich glaubte es nicht. Das war bestimmt Liebe, und da es gleich auf den ersten Blick passiert war, mußte es wohl wahre Liebe sein. Hieß das etwa, daß es in den Sternen geschrieben stand, wie bei Romeo und Julia? Mir sollte es recht sein, solange wir nicht dasselbe Schicksal erlitten, dachte ich.

Wir verließen die Turnhalle und schauten uns nur ein einziges Mal um. Betty und Adam sahen uns nach und lachten. Dieser Umstand erfüllte mich mit Grauen, denn es war, als wüßten sie etwas, was ich nicht wußte.

Einige Schüler drängten sich draußen im Dunkeln zusammen und rauchten, aber von Cary war nirgends etwas zu sehen. Ich stieß den Atem aus, den ich lange angehalten hatte, und dann lief ich eilig um die Schule herum zum Parkplatz. Wir stiegen in Roberts Wagen und sahen einander an. Wir waren beide nervös und aufgeregt. Robert holte tief Atem und ließ den Wagen an. Dann drehte er sich zu mir um.

»Ist es dir wirklich recht?« fragte er behutsam.

»Ja, Robert.« Ich rutschte rüber, um ihm näher zu sein, und er lächelte.

Wir fuhren langsam vom Parkplatz. Einmal sah ich über meine Schulter und glaubte zu erkennen, wie sich ein Schatten von einem Wagen löste. Im nächsten Moment verschwand der Schatten in der Dunkelheit und war nicht mehr zu sehen.

»Ist dir etwas aufgefallen?«

»Nein«, sagte ich und schüttelte den Kopf. Dann drehte ich mich wieder um.

Wir fuhren eine Zeitlang schweigend auf der Straße, die zur Spitze des Kaps führte.

»Ich kenne den Künstler, der am Ende dieser Straße wohnt«, sagte ich, als wir an einer Sandpiste vorbeikamen. »Er heißt Kenneth Childs. Er ist der Sohn von Richter Childs.«

»Ich habe von ihm gehört«, sagte Robert. »Ich glaube sogar tatsächlich, daß wir eines seiner Gemälde im Hotel hängen haben. Es war schon da, als wir das Anwesen gekauft haben.«

»Das wäre naheliegend. Er ist einer unserer berühmtesten Künstler. Ein netter Mann, aber er lebt sehr zurückgezogen. Manche Menschen bezeichnen ihn als Einsiedler.«

»Ich würde ihn gern kennenlernen. Sein Gemälde im Hotel gefällt mir gut«, sagte Robert und legte mir einen Arm um die Schultern, als er langsamer fuhr.

»Ich habe kürzlich ein paar Erkundungsfahrten in diese Richtung vorgenommen«, sagte er.

»Ach? Und aus welchem Grund?« fragte ich kokett.

»Nur, um mir die Gegend genauer anzusehen«, behauptete er mit einem schelmischen Lächeln.

Wenige Momente später bog er auf einen schmalen Dünenpfad ein und schaltete die Scheinwerfer aus, ehe er die allerletzten Meter fuhr. Von beiden Seiten und von hinten waren wir von Dunkelheit umschlossen, aber vor uns lag das Meer unter einer funkelnden Sternendecke und dem Mondlicht, das bis ans Ende der Welt führte. Cary und ich hatten viele Male in der Dunkelheit gesessen und in die Weite des Alls mit den zahllosen funkelnden Sternen aufgeblickt, aber nie hatte mein Herz bei diesen Gelegenheiten so heftig gepocht wie in jener Nacht, als ich an Roberts Schulter lehnte und seinen Atem erst auf meinem Haar und dann auf meiner Stirn fühlte, ehe seine Lippen zart meine Ohren berührten, meine Wangen und meine Augen. Ich drehte mich zu ihm um, damit er seinen Mund auf meine Lippen legen konnte, und wir küßten uns lange und zärtlich.

»Laura«, sagte er und strich mir über das Haar. Er schmiegte seine Wange an meine und flüsterte mir ins Ohr. »Als ich dich in der Schule das erstemal gesehen habe, hatte ich das Gefühl, als hätte sich mir dein Gesicht sofort unauslöschlich eingeprägt. An jenem ersten Tag habe ich überall nach dir Ausschau gehalten, und wenn ich zwischen zwei Unterrichtsstunden von einem Klassenzimmer zum anderen gegangen bin und dich nicht gesehen habe, dann war mir vor Enttäuschung ganz elend zumute.«

»Du bist mir auch aufgefallen, aber ich hatte nicht den Eindruck, daß du mich übermäßig beachtet hast.«

»Das lag nur daran, daß ich zu schüchtern war, um dich anzusprechen. Ich dachte, du bräuchtest mir nur einmal wirklich ins Gesicht zu sehen, und schon wüßtest du, daß ich mich Hals über Kopf in dich verknallt habe. Ich hatte Angst, du konntest mich auslachen.«

»Das täte ich nie.«

»Jetzt weiß ich das selbst«, sagte er und legte seine Fingerspitzen auf meine Lippen. »Aber ich konnte es nicht wissen, solange ich nicht mit dir geredet und gesehen hatte, wie wunderbar du wirklich bist. Ich bin wie in einem Tagtraum durch die Gegend gelaufen, sogar zu Hause. Ich kann mich noch erinnern, daß ich schnurstracks auf die geschlossene Küchentür zugegangen bin und mir den Kopf angestoßen habe. Mein Vater hat geglaubt, ich hätte Rauschgift genommen oder so was. Und dann hat meine Mutter mich angesehen und gesagt: ›Er hat ein Mädchen kennengelernt. Ich wüßte nichts anderes, was einen Jungen in seinem Alter in einen ungeschickten, geistesabwesenden Trottel verwandeln kann.‹«

»Das hat sie gesagt?«

»Meine Mutter hat viel Sinn für Humor«, sagte Robert. »Ich kann es kaum erwarten, daß du sie kennenlernst.«

»Stellst du ihr all deine Freundinnen vor?« fragte ich. Er lächelte.

»Ich habe nicht viele Freundinnen gehabt, und eine Freundin wie dich hatte ich noch nie«, erwiderte er. »Ehe du mir begegnet bist, war ich in Mädchen vernarrt wie ein Schuljunge, aber wenn ich dich ansehe, Laura, dann weiß ich, daß es diesmal ernst ist. Ich hoffe, du empfindest dasselbe.«

»Ja, Robert«, sagte ich, »es geht mir genauso, es geht mir wirklich genauso«, fügte ich hinzu, und wir küßten uns wieder. Diesmal endete der Kuß damit, daß seine Lippen auf meinen Hals hinunterglitten. Ich schloß die Augen und schmiegte meinen Kopf an seine Schulter. Seine Hände bewegten sich über meinen Körper, und schließlich glitten seine Finger über dem Stoff meines Kleides zu meinen Brüsten. Im ersten Moment hob ich instinktiv die Hände, um ihn davon abzuhalten, doch das Prickeln war so angenehm und wärmte mich so wunderbar, daß ich ihn weitermachen ließ.

Robert nahm sowohl mein Zögern wahr als auch meine schnelle Kapitulation. Daher küßte er mich jetzt heftiger, leidenschaftlicher und noch länger. Seine Lippen bewegten sich schnell auf meinen, ehe sie wieder auf meinen Hals glitten, während seine Hände meine Brüste hochhoben und seine Daumen meine aufgestellten Brustwarzen streichelten.

Ein leises Stöhnen kam über meine Lippen, und ich spürte, wie Robert mich behutsam gegen die Sitzpolster stieß. Er beugte sich über mich, und seine Finger fanden den Reißverschluß meines Kleides. Behutsam zog er es auf meinem Rücken hinunter. Ich hob die Arme, und er half mir, das Oberteil meines Kleides bis zur Taille hinunterzuziehen. Meine Augen waren geschlossen, während seine Finger sich vortasteten, bis sie den Verschluß meines BHs gefunden hatten. Einen langen, köstlichen Moment glaubte ich mit pochendem Herzen, die Vorfreude brächte mich um, und als seine Lippen sich auf meine Brüste senkten, glaubte ich, vor Lust zu sterben.

Die Woge der Erregung bäumte sich gegen meine Vernunft und mein gesundes Urteilsvermögen auf. Ich hätte ihm sagen sollen, daß er langsamer vorgehen sollte, das war mir klar, doch ich hatte das Gefühl zu treiben, auf einer Woge der Leidenschaft sanft dahinzugleiten, einer Woge, die mich zu weit hinaustrieb. »Warte«, hörte ich mich schließlich sagen. »Es geht alles zu schnell, Robert. Ich fürchte mich.«

Er zog seinen Oberkörper hoch, und ich sah ihn über mir, mit geschlossenen Augen. Er holte tief Atem und bekam die unbändige Leidenschaft in den Griff, die auch ihn weiter hinauszog.

»Du hast recht, Laura«, sagte er. »Ich konnte es einfach nicht lassen.«

»Ich weiß, daß viele Mädchen dich jetzt nicht zurückhalten würden, Robert. Ich kann es verstehen, wenn du wütend auf mich bist.«

»Nein«, sagte er lächelnd. »Ganz im Gegenteil. Ich möchte, daß wir beide etwas Besonderes sind, etwas ganz Besonderes. Wir werden uns Zeit lassen mit unserer Liebe. Ich will, daß unsere Beziehung Bestand hat, Laura. Ich liebe dich wirklich.«

Ich nickte.

»Ich liebe dich auch, Robert.« Ich streckte die Arme wieder nach ihm aus, aber er schüttelte den Kopf und zog mir den BH über die Brüste.

»Wenn wir jetzt nicht aufhören, kommt der Punkt, an dem ich nicht mehr aufhören kann, Laura«, gestand er. Er lehnte sich an die Wagentür, und ich setzte mich auf und brachte meine Kleidung wieder in Ordnung. Mit dem Reißverschluß des Kleides mußte er mir helfen.

Dann saßen wir in einer engen Umarmung still da und lauschten unseren Herzen, die sich wieder beruhigten. Ab und zu küßten wir uns zärtlich und sprachen leise über die Sterne, unsere Liebe, unsere Träume. Plötzlich sah Robert auf seine Armbanduhr.

»Himmel, ich habe gar nicht gemerkt, wieviel Zeit wir hier verbracht haben. Wir sollten jetzt lieber losfahren. Sonst kommst du noch zu spät nach Hause.«

Er ließ den Motor an und legte den Rückwärtsgang ein. Wir horten, wie sich die Reifen drehten, aber der Wagen rührte sich nicht von der Stelle.

»Was zum …«

Er gab Gas, und die Reifen quietschten und wirbelten noch mehr Sand auf, der gegen die Unterseite des Wagens geschleudert wurde, aber wir standen immer noch still. Er legte den ersten Gang ein und gab Gas, dann wieder den Rückwärtsgang, aber auch das klappte nicht.

»Oh, nein«, stöhnte er. Er streckte die Hand aus, öffnete das Handschuhfach und holte eine Taschenlampe heraus. Dann stieg er aus und richtete den Lichtstrahl auf die hinteren Reifen. »Die Reifen haben sich tief in den Sand gegraben. Mir war nicht klar, wie nachgiebig der Untergrund hier ist.«

»Robert, was tun wir jetzt?«

»Ich muß ein Telefon finden, von dort aus muß ich einen Abschleppdienst anrufen. Es tut mir leid. Ich habe alles vermasselt. Wir können es unmöglich erklären …«

Plötzlich hellte das Licht von Scheinwerfern den Himmel auf. Robert hielt sich eine Hand über die Augen, damit er etwas sehen konnte.

»Was zum Teufel … wer …?«

»Wer ist es, Robert?« fragte ich voller Entsetzen.

»Ich kann ihn noch nicht erkennen, aber … ich glaube, es ist Cary!« sagte er im nächsten Moment.

Ich drehte mich um. Diese Gestalt, die sich als Silhouette abzeichnete, hätte ich überall erkannt. Es war Cary, der über den Dünenpfad auf uns zukam. Die Scheinwerfer seines Lastwagens fielen von hinten auf ihn.

»Cary!« rief ich aus, sowie er nahe genug gekommen war.

»Wie ich sehe, hast du dich in Schwierigkeiten gebracht«, sagte Cary. Er stemmte die Arme in die Hüften und schaute auf die Räder des Wagens hinunter.

»Ja, mir war nicht klar …«

»Das kommt daher, daß du nicht von hier bist«, sagte Cary geringschätzig. »Du glaubst wohl, du hättest es hier nicht mit Sand, sondern mit Lehm zu tun. Das ist nicht einer dieser Feldwege, auf denen du mit deinen Freundinnen geparkt hast.«

»Das ist nicht wahr«, protestierte Robert, aber Cary beachtete ihn nicht weiter und wandte sich an mich.

»Das war eine Dummheit, Laura«, sagte er zu mir. »Ich hätte dich für vernünftiger gehalten.«

»Was hast du hier zu suchen, Cary? Wie hast du uns gefunden?«

»Ich habe gesehen, wie ihr die Veranstaltung verlassen habt, und ich dachte, er bringt dich nach Hause. Als ihr immer weiter auf die Landspitze zugefahren seid … du kannst von Glück sagen, daß ich beschlossen habe, noch ein Weilchen hinter euch herzufahren.«

Ein Weilchen, dachte ich. Wir waren lange hier draußen gewesen. Was hatte er in all der Zeit getan?

Er wandte sich wieder an Robert. »Ich werde mit meinem Lastwagen zurückstoßen. Er hat eine Kette hinten dran. Wir befestigen sie an der Achse und ziehen dich raus. Steig ein, und leg den Leerlauf ein«, ordnete er an. Robert stieg eilig wieder in den Wagen. »Und sieh nach, daß die Handbremse nicht gezogen ist«, warnte ihn Cary, ehe er zu seinem Lastwagen zurücklief.

»Ich kann es einfach nicht glauben … dein Bruder«, murmelte Robert. Wir drehten uns um und sahen zu, wie Cary den Lastwagen wendete und im Rückwärtsgang auf uns zukam. Mit der Kette in der Hand stieg er aus und kroch unter Roberts Wagen. »Wie kommt er bloß dazu, uns nachzufahren?« flüsterte Robert.

»Es ist ein Glück für uns, daß er es getan hat«, erwiderte ich, denn im Moment wollte ich keinen weiteren Gedanken an seine Frage verschwenden.

»Es ist soweit«, rief Cary. »Mach dich bereit.«

Er stieg wieder in den Lastwagen und fuhr langsam los. Wir spürten, wie die Kette Roberts Wagen einen Ruck gab und die eingesunkenen Reifen sich aus dem Sand befreiten. Der Wagen holperte über den Dünenpfad, bis wir festeren Boden unter uns hatten. Cary hielt an und kam zurück, um die Kette von der Achse zu lösen.

Robert stieg aus.

»Vielen Dank«, sagte er unbeholfen.

»Ich habe es nicht für dich getan. Ich habe es für Laura getan«, erwiderte Cary. Er kam um den Wagen herum und blieb auf meiner Seite neben dem Fenster stehen. »Du kommst jetzt besser mit mir nach Hause, Laura«, sagte er.

»Ich fahre sie nach Hause«, sagte Robert.

»Es sieht so aus, als sei sie in meinem Wagen sicherer«, sagte Cary, und sogar in der Dunkelheit konnte ich erkennen, daß Robert knallrot anlief.

»Wenn ich mich nicht von Robert nach Hause fahren lasse, wird sich Daddy fragen, was das zu bedeuten hat, Cary.«

»Na und?«

»Du wirst ihm doch nichts davon erzählen?« sagte ich flehentlich.

»Nein, natürlich nicht«, beteuerte er mir schleunigst. »In Ordnung, aber es ist schon spät«, warnte er mich. Er sah Robert an. »Und ich habe keine Lust, mich noch länger hier rumzutreiben, damit ich dich noch einmal aus der Klemme befreien kann.«

Er stolzierte zu seinem Laster und fuhr los. Robert stieg wieder in seinen Wagen und bog auf die Straße ein.

»Warum ist er uns gefolgt, Laura?«

»Vermutlich war ihm langweilig«, sagte ich. Es war eine lahme Ausrede, aber mir fiel nichts anderes ein, was ich hätte sagen können.

»Ist er die ganze Zeit hiergewesen und hat direkt hinter uns in seinem Lastwagen gesessen? Und uns beobachtet? Und nachspioniert?«

Ich wollte etwas sagen, schüttelte jedoch statt dessen nur den Kopf.

»Diese Idioten auf der Party haben also tatsächlich recht gehabt. Er hat sich wirklich auf dem Parkplatz herumgetrieben. Du mußt ihm helfen, Laura. Du mußt ihm dabei helfen zu begreifen, daß du nicht bis in alle Ewigkeit seine kleine Schwester sein kannst«, sagte Robert.

»Ich weiß, Robert. Bitte, laß uns im Moment nicht darüber reden«, flehte ich. Schon allein der Gedanke an Carys seltsame Besessenheit, wenn es um Robert und mich ging, ließ mir die Tränen in die Augen treten und schnürte mir die Kehle zu.

»In Ordnung«, sagte er, und wir schwiegen beide bedrückt, bis das Haus meiner Eltern in Sicht kam. »Das, was passiert ist, tut mir leid«, sagte Robert, nachdem er in unserer Auffahrt geparkt hatte. »Cary hat mich zu Recht dafür ausgescholten. Ich hoffe nur, es hat dir nicht den ganzen Abend verdorben.«

»Nein, ganz bestimmt nicht. Es hat mir sehr viel Spaß gemacht, Robert. Wirklich.«

»Mir auch«, sagte er. »Ich rufe dich morgen an. Ist dir das recht?«

»Ich rufe lieber bei dir an. Das ist besser«, sagte ich.

»Ja, sicher, wenn du es so haben willst.« Er wirkte besorgt.

»Ich rufe dich ganz gewiß an. Ich verspreche es dir«, sagte ich. Er lächelte und gab mir einen Kuß, ehe ich aus seinem Wagen sprang. »Ich danke dir für diesen wunderbaren Abend, Robert.«

»Gute Nacht, Laura.«

Ich schloß die Tür und warf einen Blick auf Carys Lastwagen. Cary war bereits ins Haus gegangen. Bei meinem Eintreten stellte ich fest, daß Daddy aufgeblieben war, um auf mich zu warten. Er saß im Wohnzimmer und las. Jetzt blickte er von seinem Buch auf. Ich hielt den Atem an und fragte mich, ob Cary doch noch beschlossen hatte, ihm etwas von dem Zwischenfall zu erzählen.

»Hattest du einen schönen Abend?« fragte Daddy.

»Ja, Daddy. Es war sehr nett.«

»Und alle haben sich gut benommen?«

»Ja, Daddy.«

Er nickte und senkte dann die Stimme.

»Dein Bruder ist erst kurz vor dir nach Hause gekommen. Ich glaube, er hat eine Freundin, die er vor uns geheimhält. Habe ich recht?« fragte er eilig, und es gelang ihm nicht, den Hoffnungsschimmer aus seinem Tonfall zu verbannen.

Ich spürte, wie jedes Blut aus meinem Gesicht wich, als ich den Kopf schüttelte. Es war mir ein Greuel, Daddy zu belügen.

»Ich weiß es nicht, Daddy. Mir hat er nie etwas von einem Mädchen erzählt«, sagte ich.

Daddy starrte mich einen Moment lang an und zuckte dann die Achseln.

»Nun gut«, sagte er. »Er wird es uns schon sagen, wenn er die Zeit für reif hält. Ich hoffe nur, es ist niemand, von dem er glaubt, wir könnten uns ihrer schämen. Daddy sah mich weiterhin fragend an.

Ich grub die Zähne in meine Unterlippe und schüttelte den Kopf.

»Ich weiß von nichts, Daddy.« Wie sehr ich doch wünschte, es wäre wahr, daß Cary eine Freundin gefunden hatte, dachte ich betrübt.

Daddy schaute auf die Uhr auf dem Kaminsims. »Der junge Mr. Royce hat dich jedenfalls rechtzeitig nach Hause gebracht. Das ist gut.« Er seufzte tief und streckte sich. »Aber es ist schon spät, und ich sollte jetzt besser auch schlafen gehen«, fügte er mit einem Gähnen hinzu. »Vergiß nicht, daß wir morgen alle zum Brunch bei Großmama Olivia und Großpapa Samuel eingeladen sind.«

»Nein, ganz bestimmt nicht. Gute Nacht, Daddy«, sagte ich und war froh, seinen fragenden Blicken zu entkommen.

Ich eilte die Treppe hinauf. Als ich auf dem Treppenabsatz stehenblieb, sah ich, daß die Tür zu Carys Zimmer geschlossen war. Ich ging schnell in mein eigenes Zimmer und schloß die Tür hinter mir. Dann lehnte ich mich von innen an die Tür und holte tief Atem. Erst in dem Moment entspannte ich mich und nahm meine Erleichterung bewußt wahr.

Es widerstrebte mir, mein Partykleid jetzt schon auszuziehen, und daher setzte ich mich vollständig angekleidet auf mein Bett, saß eine Zeitlang da und dachte an den märchenhaften Abend, den Robert und ich gemeinsam verbracht hatten. Was für ein Abend, sagte ich mir, und dann kehrte meine Erinnerung an Roberts Küsse, seine Umarmungen und seine Berührungen zurück, hüllte mich ein und ließ mich mit offenen Augen träumen. Seufzend ließ ich mich zurücksinken, schloß die Augen und dachte an seine Hände auf meinen Brüsten, an seine Lippen und das Prickeln, das sie ausgelöst hatten. Während ich an ihn dachte, glitten meine Hände auf die Stellen meines Körpers, auf denen seine Hände gelegen hatten. Ich begann mich auszuziehen. Wenige Momente später war ich nackt, stand vor meinem Spiegel, betrachtete verträumt mein Spiegelbild und malte mir Robert an meiner Seite aus. Endlich brach schlagartig die Ermattung über mich herein, und ich ging ins Bad, um abzuschminken.

Es tat gut, unter die Decke zu kriechen und mich zusammenzurollen.

Trotz allem fand ich, es sei ein wunderbarer Abend gewesen. Die Nacht war wirklich wunderschön. Ich streckte eine Hand nach der kleinen Lampe auf meinem Nachttisch aus, schaltete das Licht aus und ließ den Kopf auf das Kissen sinken. Das Geräusch quietschender Bodendielen über mir ließ mich sofort die Augen aufreißen und verscheuchte meine süßen Gedanken. Ich hielt den Atem an und lauschte. Es war Cary, denn ich hörte, wie er die Tür zum Dachboden öffnete, die Leiter herunterließ und so leise wie möglich nach unten stieg.

Er war die ganze Zeit dort oben gewesen, und vielleicht hatte er mich durch dieses Loch in der Decke beobachtet, sagte ich mir. Ich spürte, wie mein Körper vor Verlegenheit zu glühen begann, als das Blut dicht unter meiner Haut rauschte. Wieviel hatte er gesehen? Wir waren sieben oder acht Jahre alt gewesen, als wir aufgehört hatten, gemeinsam zu baden und uns gleichzeitig im Badezimmer aufzuhalten, und als sich bei mir ein erster Ansatz von Brüsten zeigte, hatte ich begonnen, noch mehr auf meiner Intimsphäre zu beharren. Carys neugierige Blicke waren mir peinlich gewesen. Nicht lange darauf hatte ich aufgehört, in seiner Gegenwart in Unterwäsche herumzulaufen. Selbst damals hatte es mir Unbehagen eingeflößt, wie er mich ansah und verstohlen meinen Körper betrachtete, der in der Wandlung begriffen war.

Ich stand auf und ging zur Tür, öffnete sie einen Spalt weit und lugte hinaus, als er die Leiter gerade nach oben schob. Im ersten Moment wollte ich die Tür weiter öffnen, doch dann zögerte ich. Wenn ich ihn darauf ansprach, brachte ich mich damit in noch größere Verlegenheit, dachte ich. Es war schon spät, sagte ich mir. Jetzt war nicht der rechte Zeitpunkt für eine solche Auseinandersetzung.

Ich schloß beinah lautlos die Tür und wartete, bis ich hörte, wie er sein Zimmer betrat. Dann ging ich wieder ins Bett, lag mit offenen Augen da und versuchte krampfhaft, die Überlegungen zu verscheuchen, die mich bedrückten, damit ich nur noch an Robert und unseren wunderbaren gemeinsamen Abend denken konnte.

Aber als ich mich auf die Seite drehte und die Augen schloß, sah ich nur Carys zorniges Gesicht vor mir, als er hinter uns aus der Dunkelheit aufgetaucht war, im Licht der Scheinwerfer seines Lastwagens. Wie eine gespenstische Silhouette hatte er sich dagegen abgezeichnet. Endlich schlief ich ein, aber nur um festzustellen, daß Cary in meinen Alpträumen vorkam, gemeinsam mit den verzerrten Gesichtern meiner Mitschüler, die flüsterten, höhnten, lachten und mich dem tosenden Meer entgegentrieben. Der Traum war äußerst intensiv. Ich erwachte schweißgebadet, nachdem in meinem Traum die erste Welle über mich hinweggespült war. Mein Herz pochte rasend. Ich setzte mich schnell auf und mußte mir eine Hand aufs Herz pressen und mehrfach tief Atem holen. Schließlich stand ich dann auf und ging ins Bad, um mir kaltes Wasser ins Gesicht zu spritzen.

Wenn einer von uns beiden einen Alptraum hatte, redeten Cary und ich am nächsten Morgen immer darüber. Das war für uns beide eine Möglichkeit, die Dämonen aus unserem Herzen zu vertreiben und einander zu trösten. Zum erstenmal konnte ich ihm meinen Traum nicht erzählen. Diesmal mußte ich einen Weg finden, die Dämonen selbst zu vertreiben.

Stärker als der Sturm

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