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3.
Ich verstecke mich vor Mama
ОглавлениеIn dem Jahr, in dem ich die Schule abschloß, war der Sommer so furchtsam genaht wie ein Reh mit einer Blesse, aber kaum mehr als eine Woche nach dem Zeremoniell wurde die Hitze drückender, als ich es je erlebt hatte. Mama sagte, sie könnte sich an kein schlimmeres Klima erinnern, und Daddy sagte, sie hätte endlich bekommen, was sie wollte: Sie hätte ihm die Hölle auf Erden beschert. Zeitweilig ließ die Schwüle die Luft so schwer werden, daß mein Haar feucht war und mein Kleid wie eine zweite Hautschicht an meinem Körper klebte.
Die gesamte Natur schien im selben Maß niedergeschlagen zu sein. Sämtliche Tiere beschränkten ihre Ausflüge auf das Notwendigste. Die Alligatoren gruben sich tiefer in den Schlamm, die Brassen schienen nur widerstrebend aus dem Wasser zu springen, selbst dann, wenn es darum ging, sich an den dichten Schwärmen konfuser Insekten zu laben. Ein Teil des Problems bestand darin, daß wir kaum eine Brise hatten, die vom Golf kam. Die Luft stand so still, daß Laub verwelkt und auf den Himmel gemalt wirkte, und die Vögel wirkten ausgestopft und auf Äste geklebt.
Das Geschäft mit den Touristen, das normalerweise schon nicht gerade blühte, ebbte in den Sommermonaten vollständig ab. Eine Schlange konnte sich auf unserer Straße im Schatten zusammenrollen und sich in Sicherheit wiegen. Die Fahrzeuge, die vom Morgen bis zum Abend vorbeifuhren, konnten wir an den Fingern abzählen. Mama klagte täglich wieder darüber, wie schlimm die Dinge standen, aber Daddy tat die Probleme weiterhin ab, als seien sie Staub auf seinen Stiefeln. Mama hatte kleine Einnahmen und ließ sich ihre Dienste als Traiteur mit Nahrungsmitteln entgelten. Zweimal wurde sie wegen schlimmer Schlangenbisse hinzugerufen, dreimal wegen Insektenstichen. Mehr Hautausschläge denn je brachen aus, die Hitze ließ viele Menschen vor Erschöpfung zusammenbrechen, und schließlich kam dann auch noch Mrs. Toomley hinzu, die in ein seltsames Koma verfiel, in dem sie fast einen Monat lang blieb.
Daddy hatte zwar keine Arbeit oder so gut wie keine, aber als endlich jemand kam, der Leute für Arbeiten außerhalb der Stadt verpflichtete, und als dieser Mann ihm und einigen anderen Männern Arbeit in Baton Rouge anboten, nahm er sie nur widerstrebend an und klagte darüber, das hieße, er sei fast sechs Wochen lang fort. Mama sagte zu ihm, fast so lange sei er zwischendurch ohnehin immer wieder verschwunden, wenn er trinken und spielen ging, was also sei der Unterschied? Jetzt könnte er uns wenigstens Geld nach Hause schicken.
Obwohl sie ihn so hart anpackte, sah ich Traurigkeit in ihren Augen, als der Zeitpunkt gekommen war, zu dem er in seinen Lastwagen stieg und sich den anderen anschloß, um nach Baton Rouge zu reisen. Sie machte ihm ein üppiges Sandwich, das mit Austern, Krabben, Tomatenscheiben und kleingeschnittenen Salatblättern belegt war, dazu ihre pikante Sauce.
»Ein solches Sandwich hast du mir schon lange nicht mehr zubereitet, Catherine«, sagte er zu ihr.
»Du hast auch schon seit einer ganzen Weile keinen ordentlichen Job mehr angenommen, Jack Landry«, erwiderte sie darauf. Er schüttelte den Kopf und wandte einen Moment lang schuldbewußt die Augen ab. Sie nahmen gerade auf der Veranda Abschied voneinander. Ich stand direkt hinter dem Fliegengitter. Ich haßte es, wenn sie miteinander stritten, und ich hoffte nur, wenn ich mich unauffällig im Hintergrund hielt, würden sie sanft miteinander umgehen.
»Bist du auch ganz sicher, daß du ohne mich zurechtkommst, Frau?« fragte er sie.
»Das sollte man meinen. Ich habe jede Menge Übung darin gehabt«, erwiderte sie. Mama konnte steinhart sein, wenn sie es für notwendig hielt.
»Komm mir jetzt bloß nicht damit«, klagte er. »Ich breche gerade auf und werde dich wochenlang nicht zu sehen bekommen. Gib mir eine Verschnaufpause, Frau. Du mußt mich Luft schnappen lassen, ehe du meinen Kopf wieder unter Wasser tauchst, hast du gehört?«
Ja, das habe ich gehört«, sagte sie, und ein winziges Lächeln spielte um ihre Lippen. Ihre Augen funkelten. Seine Wehklagen amüsierten sie. Ich weiß nicht, warum er sich überhaupt bemühte, ihr etwas vorzumachen. Mama konnte die Wahrheit durch Louisianamoos lesen, das eine Meile hoch gestapelt war, aber gerade Daddy war so durchsichtig wie eine Fensterscheibe.
»Also«, sagte er und zog seinen Stiefel über die Bodendielen der Veranda. »Also ...« Er sah mich an, und dann beugte er sich vor und drückte Mama einen spitzen Kuß auf die Wange, wie ein Küken. »Paß auf dich auf. Und du, Gabrielle, du wirst mehr Zeit mit deiner Mama verbringen als mit den Tieren, hast du mich gehört?«
»Ja, Daddy.«
»Mach dir um mich keine Sorgen, Jack. Wirf nur diesmal nicht das Handtuch«, warnte sie ihn.
»Pah, weshalb treibe ich mich überhaupt noch hier herum? Ich muß jetzt gehen.« Er eilte davon und stieg in seinen Lastwagen, und als er auf die Straße einbog, winkte er noch einmal. Ich stand neben Mama und winkte ihm nach.
»Es scheint mir ungerecht, daß er so weit von hier fortgehen muß, um Arbeit zu finden, Mama.«
»Er findet keine Arbeit. Er hat das Glück gehabt, daß die Arbeit ihn gesucht hat. Wenn dieser Mensch Ehrgeiz besäße, würde er sich hier ein eigenes Geschäft aufbauen, wie es die meisten anderen tun. Aber wer auch immer das Gumbo zusammengemischt hat, das sich Jack Landry nennt, hat diese Zutat vergessen«, klagte sie. »Und jetzt laß uns sehen, ob wir im Haus einen kühlen Winkel finden.«
Die Sonne sah hinter einem dünnen Wolkenschleier aus wie ein rostiger Ball. Die Wolken rührten sich nicht von der Stelle. Ich rechnete fast damit, auch die Uhr sei stehengeblieben, da die Zeiger bei dieser Hitze zu erschöpft waren, um die Anstrengung zu unternehmen, uns zu sagen, wie spät es war.
»Das ist eine gute Idee, Mama«, sagte ich. Sie starrte mich einen Moment lang an und legte den Kopf ein wenig nach rechts, wie sie es oft tat, wenn etwas, was jemand sagte oder tat, einen leisen Argwohn bei ihr erregte.
»Es sind schon fast zwei Wochen vergangen, seit du deinen Schulabschluß gemacht hast, und etwa um dieselbe Zeit ist der Sommer gewaltig über uns hereingebrochen, und trotzdem bist du noch nicht ein einziges Mal zu deinem Teich rausgestakt, um zu schwimmen, Gabrielle. Wie kommt das?«
»Ich weiß es nicht«, sagte ich eilig, zu eilig. Mama heftete ihren forschenden Blick fester auf mich. »Dir hat dort draußen etwas einen Schrecken eingejagt, etwas, wovon du mir nichts erzählt hast, Gabrielle. Es hat doch nicht etwa eines deiner geliebten Tiere versucht, dich genüßlich zu verspeisen, oder doch?«
»Nein, Mama.« Ich versuchte zu lachen, doch mein Gesicht wollte sich beim besten Willen nicht zu einem Lächeln verziehen.
»Ich kenne dich, Gabrielle. Ich weiß genau, wann du gelacht hast und wann du geweint hast. Ich weiß, wann du dich innerlich derart glücklich fühlst, daß dein Gesicht zu einer zweiten Sonne wird, und ich weiß auch, wann du so traurig bist, daß Wolken vor deine Augen ziehen. Ich habe dich gestillt und dich in Windeln gewickelt, dich genährt und dein Hinterteil gesäubert. Verschließe niemals deine Geheimnisse vor mir, mein Schatz, denn ich habe den Schlüssel, und ich werde eines Tages ohnehin dahinterkommen, was mit dir los ist.«
»Mir fehlt nichts, Mama. Bitte«, flehte ich. Es war mir verhaßt, ihr gegenüber unaufrichtig zu sein. Mama schüttelte den Kopf. »Es ist ja doch nur eine Frage der Zeit«, sagte sie voraus, doch sie erbarmte sich, und ich konnte sie dazu bringen, über andere Dinge zu reden, während sie an Artikeln arbeitete, die wir an unserem Straßenstand verkaufen würden.
Wir hatten weit mehr, als wir brauchten, für unseren Touristenstand, doch wir arbeiteten an Hüten und Körben und webten Decken, damit sie zum Verkauf bereitstanden, sowie der Sommer vorüber war und die Touristen wieder ins Bayou strömten. Tage vergingen, und meistens unterschied sich einer kaum vom anderen. Nachdem eine Woche vergangen war, wartete Mama täglich auf einen Scheck von Daddy, doch es kam nichts. Sie murmelte Verwünschungen vor sich hin und wandte sich anderen Beschäftigungen zu, doch ich wußte, daß es an ihr fraß wie die Termiten an einem toten Baum. Sie brauchte kein Wort zu sagen, und ich wußte doch, daß wir an ihren geheimen Vorräten zehrten.
Und dann tauchte eines Nachmittags, etwa zehn Tage nach Daddys Abreise, ein brandneues Modell eines Automobils vor unserem Haus auf, und zwei große, stämmige Männer, von denen einer eine schmale Narbe auf dem Kinn hatte und dem anderen anscheinend ein Stück vom rechten Ohr fehlte, stampften über unsere Veranda und pochten fest an die Haustür. Ich saß im Wohnzimmer und blätterte eine Ausgabe von Life durch, die Mrs. Dancer Mama geschenkt hatte, als Mama hingegangen war, um ihre Magenkrämpfe zu behandeln. Mama war in der Küche und lief eilig zur Tür. Ich stand auf und folgte ihr.
»Ja?« fragte sie.
»Sie sind die Landrys?«
»Ja, das sind wir«, sagte Mama. Instinktiv trat sie einen Schritt zurück und stieß mich ebenfalls weiter nach hinten. »Was wollen Sie?«
»Wir wollen Jack sprechen, Ihren Mann. Ist er da?«
»Nein. Jack ist in Baton Rouge und arbeitet dort auf einer Baustelle.«
»Er ist nicht hier gewesen?« fragte der Mann mit dem lädierten Ohr barsch.
»Nein, das habe ich doch schon gesagt«, erwiderte Mama. »Ich habe nicht die Angewohnheit, Lügen zu erzählen.«
Sie lachten beide in einer Form, die mein Blut gefrieren ließ.
»Sie sind mit Jack Landry verheiratet, und Sie wollen uns weismachen, daß Sie keine Lügen erzählen?« sagte der Mann mit der Narbe. Seine dünnen Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Lächeln.
»Richtig«, fauchte Mama ihn an. Ihr Nacken wurde steif, und sie trat vor, und jede Zaghaftigkeit war aus ihren Augen gewichen. Sie sah die beiden Männer fest an. »Also, was wollen Sie von meinem Mann?«
»Wir wollen, daß er seine Schulden zahlt«, sagte der andere Mann.
»Welche Schulden?«
»Spielschulden. Sagen Sie ihm, Spike und Longstreet seien hier gewesen und kämen wieder. Sorgen Sie dafür, daß er diese Nachricht erhält. Hier ist unsere Visitenkarte«, fügte er hinzu und holte ein Schnappmesser heraus, um unser Fliegengitter aufzuschlitzen. Ich spürte, wie das Blut aus meinem Gesicht wich. Ich schrie laut auf, und Mama schnappte nach Luft und legte schnell einen Arm um mich. Die beiden Männer standen da und starrten uns so an, daß es mir eiskalt über den Rücken lief.
»Verschwinden Sie von meiner Veranda! Verschwinden Sie von meinem Grundstück, haben Sie gehört? Wenn Sie nicht augenblicklich gehen, rufe ich die Polizei.«
Sie lachten und ließen sich Zeit. Wir beobachteten beide mit pochendem Herzen, wie sie in ihren Wagen stiegen und fortfuhren.
»Was für einen Ärger hat dieser Mann denn jetzt schon wieder auf unsere Häupter niedergebracht?« jammerte Mama.
»Vielleicht sollten wir in die Stadt gehen und die Polizei unterrichten, Mama.«
»Die würden nichts unternehmen. Sie wissen, in welchem Ruf dein Vater steht. Ich werde jetzt Nadel und Faden holen und das Fliegengitter flicken«, sagte sie, »ehe wir scharenweise Moskitos im Haus haben.«
Wir bemühten uns beide, nicht über die zwei Männer zu reden, aber jedesmal, wenn wir hörten, wie ein Wagen vorbeifuhr, blickten wir furchtsam und erwartungsvoll auf und seufzten dann und stießen den angehaltenen Atem aus, wenn der Wagen nicht vor unserer Hütte anhielt. Die Hitze und die hohe Luftfeuchtigkeit erschwerten das Einschlafen ohnehin schon, aber da jetzt zu alledem auch noch die Furcht vor unserer Tür lauerte, wälzten wir uns im Bett herum und warfen uns von einer Seite auf die andere und lauschten angespannt, wenn wir irgendein ungewohntes Geräusch in der Nacht hörten, insbesondere, wenn es sich dabei um Automobile handelte.
Die beiden abscheulichen Männer kehrten nicht zurück, aber vier Tage später, als Mama und ich gerade einen Salat zum Mittagessen aßen, hörten wir eine Hupe, und als wir aufblickten, sahen wir Daddys Lastwagen über den Pfad holpern und vor dem Haus anhalten. Er trank einen Schluck aus einem Krug, den er neben sich auf dem Sitz stehen hatte, und dann warf er den Krug aus dem Fenster. Beim Aussteigen fiel er regelrecht aus dem Führerhäuschen. Wankend schaffte er es auf die Veranda, auf der wir beide mit weit aufgerissenen Augen standen. »Was steht ihr beide da und starrt mich an, als hättet ihr einen Geist gesehen?« fragte er unwirsch und blieb so abrupt stehen, daß er beinah umgefallen wäre. »Ich bin es doch nur, Jack Landry, und ich bin wieder zu Hause. Freut ihr euch denn nicht halb tot, mich wiederzusehen?« fragte er und lachte.
»Was hast du hier zu suchen, Jack, und dann auch noch mit schwarzgebranntem Whiskey aufgetankt?« fragte Mama, die die Arme in die Hüften gestemmt hatte.
»Die Arbeit hat eher aufgehört, als ich es erwartet habe«, erwiderte er, doch er kam nicht gegen sein Schwanken an. Er schloß die Augen, und ein albernes Lächeln trat auf seine Lippen.
»Mit anderen Worten heißt das wohl, daß man dich wieder einmal auf die Straße gesetzt hat?« fragte Mama und wackelte wütend mit dem Kopf.
»Sagen wir es doch einfach so: Der Vorarbeiter und ich hatten eine Meinungsverschiedenheit, die sich durch keinen Kompromiß mehr regeln ließ.«
»Du bist so betrunken wie ein Stinktier zur Arbeit erschienen«, schloß Mama.
»Das«, sagte Daddy und fuchtelte mit seinen langen Fingern durch die Luft wie der Dirigent eines großen Orchesters, »ist eine schmutzige, hundsgemeine Lüge.«
»Ich wette, du hast auch keinen Penny in der Tasche«, fuhr Mama fort.
»Tja, also ...«
»Und du hast nicht einen einzigen Dollar nach Hause geschickt, Jack.«
»Ihr habt nichts mit der Post bekommen?« fragte er mit großen Augen.
Mama schüttelte den Kopf. »Wenn du zur Hölle fährst, dann wird sogar der Teufel noch ein oder zwei Tricks von dir lernen.«
»Catherine, ich schwöre auf einem Packen ...«
»Sag es nicht. Das ist Blasphemie«, warnte sie ihn. Er schluckte schwer und nickte.
»Jedenfalls habe ich Geld in einen Umschlag gesteckt. Bestimmt haben ihn diese Leute gestohlen, die für die Post arbeiten. Die öffnen die Umschläge mit einer Kerze, Gabrielle, und dann versiegeln sie sie mit Wachs«, sagte er.
»O Daddy«, sagte ich kopfschüttelnd.
»Seht mich bloß nicht an wie zwei Eulen, ihr beide.« Er wollte lachen, doch Mama trat zur Seite und zeigte auf den Schlitz in dem Fliegengitter, den sie zugenäht hatte.
»Siehst du das, Jack? Deine Freunde sind zu Besuch gekommen und haben das Fliegengitter aufgeschlitzt, als sie dich nicht gefunden haben.«
»Freunde?«
»Mr. Spike und Mr. Longstreet.«
»Sie waren hier?« Sein Gesicht wurde so weiß wie Papier, und er drehte eine Pirouette, als erwartete er, daß sie jeden Moment hinter einem Baum herauskamen. »Was hast du ihnen erzählt?«
»Daß du in Baton Rouge arbeitest. Natürlich habe ich nicht gewußt, daß ich ihnen damit eine Lüge auftische.«
»Wann sind sie hier gewesen?«
»Vor ein paar Tagen, Jack. Was schuldest du ihnen?«
»Nur eine kleine Summe. Das werde ich begleichen«, sagte er.
»Wieviel verstehst du unter einer kleinen Summe, Jack?« bohrte sie.
»Ich habe keine Zeit, mich mit dir zu unterhalten, Frau«, sagte er. »Ich muß nach oben gehen und mich von der Reise erholen.«
Er zog sich am Geländer hinauf und riß dabei fast einen Balken aus. Dann ging er ins Haus, wankte die Treppe hinauf und ließ eine Wolke sauren Whiskeygestanks hinter sich zurück.
»Ich wette, er wird der erste Leichnam sein, den die Würmer verabscheuen«, sagte Mama und ließ sich auf ihren Schaukelstuhl plumpsen. Es machte mich krank, sie so niedergeschlagen und deprimiert zu sehen. Ich glaubte, Mamas Niedergeschlagenheit, die Hitze und meine eigene Trostlosigkeit seien daran schuld, als mir mein Magen am darauffolgenden Abend übel mitspielte. Mama glaubte, ich hätte mir eine Art Sommerruhr zugezogen. Sie gab mir einen ihrer Kräutertrunks und sagte, ich solle mich früh zu Bett legen.
Aber am nächsten Morgen war mir immer noch genauso übel, und ich mußte mich übergeben. Mama machte sich Sorgen, aber sowie ich erst einmal aufgehört hatte, mich zu übergeben, ging es mir gleich viel besser. Meine Kopfschmerzen ließen nach, und meine Übelkeit verflog.
»Vermutlich hat deine Medizin gewirkt, Mama«, sagte ich zu ihr. Sie nickte, aber sie wirkte nachdenklich und keineswegs überzeugt. Fast eine Woche lang war mir nicht mehr übel, aber ich fühlte mich ständig matt und erschöpft, und einmal schlief ich sogar in Mamas Schaukelstuhl ein.
»Diese Hitze«, sagte Mama, da sie das für die Ursache hielt. Ich bemühte mich, mir Kühlung zu verschaffen; ich wickelte mir ein nasses Handtuch um den Nacken und trank jede Menge Wasser, aber das änderte nichts daran, daß ich weiterhin ständig müde war.
Eines Nachmittags sah Mama, daß ich vom Außenabort zurückkam.
»Wie oft bist du heute schon auf der Toilette gewesen, Gabrielle?« fragte sie.
»Ein paarmal. Ich habe nur Pipi gemacht, Mama. Mein Magen ist wieder in Ordnung.«
Sie starrte mich dennoch argwöhnisch an.
Und dann wachte ich am folgenden Morgen wieder mit dieser Übelkeit auf. Ich mußte mich wieder einmal übergeben.
Mama kam zu mir, legte mir ein nasses Handtuch auf die Stirn und setzte sich dann auf mein Bett und starrte mich an. Ohne ein Wort zu sagen zog sie die Decke zurück und sah meine Brüste an.
»Hast du Schmerzen dort?« fragte sie. Ich erwiderte nichts darauf. »Sie tun dir doch weh, oder nicht?«
»Ein wenig.«
»Du wirst mir jetzt die Wahrheit sagen, und zwar auf der Stelle, Gabrielle Landry. Ist deine Periode ausgeblieben?«
»Sie hat sich schon öfter verspätet, Mama.«
»Wie lange ist sie schon überfällig, Gabrielle?« drang sie in mich.
»Ein paar Wochen«, gestand ich.
Sie verstummte. Schließlich wandte sie den Blick ab, holte tief Atem und drehte sich dann langsam wieder zu mir um, und ihre Augen waren traurig und doch streng. Ihre Lippen waren so fest zusammengekniffen, daß jede Farbe aus ihnen gewichen war, doch auf ihren Wangen und auf ihrem Hals breitete sich eine gewisse Röte aus. Sie sog langsam Luft ein und blickte auf, ehe sie mich wieder ansah. Ich konnte mich nicht erinnern, je erlebt zu haben, daß Mama mich derart betrübt angesehen hatte.
»Wie ist es dazu gekommen, Gabrielle?« fragte sie leise. »Wer hat dich geschwängert?«
Ich schüttelte den Kopf, und die Tränen brannten unter meinen Lidern. »Ich bin nicht schwanger, Mama. Ganz bestimmt nicht.«
»Oh, doch, mein Schätzchen, du bist schwanger. So schwanger, wie man nur irgend sein kann. So etwas wie beinah schwanger gibt es nicht. Wann ist es passiert? Ich habe dich mit keinem Jungen hier gesehen, und ich kann mich auch nicht daran erinnern, daß du ausgegangen wärest, es sei denn ...« ihre Augen wurden groß. »In den Sumpf. Du hast dich mit jemandem getroffen, Gabrielle?«
»Nein, Mama.«
»Jetzt ist es an der Zeit für die ganze Wahrheit, Gabrielle. Keine Halbsätze mehr.«
»O Mama!« rief ich aus und schlug mir die Hände vor das Gesicht. »Mama!«
»Was zum Teufel geht hier vor?« klagte Daddy. Er blieb in seiner zerrissenen Unterhose in meiner Tür stehen. »Findet ein Mann denn niemals seine Ruhe?«
»Sei still, Jack. Siehst du denn nicht, daß Gabrielle etwas zugestoßen ist?«
»Was? Ich meine ...« Er rieb sich mit den rauhen Handflächen die Wangen und fuhr sich mit den langen Fingern durchs Haar.
»Was ist passiert?«
»Gabrielle ist schwanger«, sagte sie.
»Was? Wann ... Wer ... Wie ist das passiert?« fragte er.
»Das versuche ich gerade herauszufinden. Wenn du es fertig
brächtest, deinen Mund zu halten ...«
Ich schluchzte so heftig, daß meine Schultern bebten. Mama legte eine Hand auf meinen Kopf und streichelte mein Haar.
»Ganz ruhig, Schätzchen. Mach dir keine Sorgen, ich werde dir
helfen. Was ist passiert?«
»Er ...«
»Sprich weiter, Schätzchen. Spuck einfach alles aus«, sagte Mama. »Wenn du einen bitteren und abscheulichen Nachgeschmack los werden willst, dann tust du das am besten schnell«, versicherte sie mir.
Ich holte tief Atem und kämpfte gegen mein Schluchzen an. Dann hob ich den Kopf und zog die Hände vom Gesicht.
»Er ist im Kanu über mich hergefallen, Mama. Ich konnte mich nicht wehren. Ich habe es versucht, aber es hat nichts genutzt.«
»Schon gut, Gabrielle. Das macht doch nichts.«
»Was?« sagte Daddy und trat näher. »Wer war das? Wer ist über dich hergefallen? Ich werde ihn ...«
»Sei still, Jack. Sonst jagst du ihr nur Angst ein.«
»Also ... niemand kann ungestraft ...«
»Gabrielle, ist es dort passiert, wo du oft schwimmen gegangen bist?«
»Ja, Mama.«
»Wer war es, Schätzchen? Wer hat dir das angetan? Jemand, den wir kennen?«
Ich nickte. Mama nahm meine Hände in ihre.
»Diese jungen Gecken, diese nichtsnutzigen Kerle, diese Tunichtgute ...«, faselte Daddy vor sich hin.
»Es war Monsieur Tate«, platzte ich heraus, und Daddy hielt abrupt den Mund. Sein Unterkiefer fiel herunter.
»Octavius Tate!«
»Mon Dieu«, sagte Mama.
»Octavius Tate hat das getan?« wütete Daddy. Er stand mit weit aufgerissenen Augen da, und sein Gesicht war vor Wut knallrot angelaufen. Dann jagte er sowohl Mama als auch mir einen Schrecken damit ein, daß er fest genug mit der Faust gegen die Wand schlug, um ein Loch hineinzuschlagen.
»Jack!«
»Gabrielle, du wirst sofort aus diesem Bett aufstehen, hast du gehört? Du wirst jetzt augenblicklich aufstehen und dich anziehen«, ordnete Daddy an und stieß mit dem rechten Zeigefinger in die Luft.
»Jack«, rief Mama aus. »Was hast du vor?«
»Sieh du nur zu, daß sie sich anzieht. Ich bin der Mann in diesem Haus. Sorg du dafür, daß sie sich anzieht!«
»Sie wird sich nicht ...«
»Es ist schon gut, Mama«, sagte ich. »Ich kann aufstehen.« Nie hatte ich Daddy derart wutentbrannt erlebt. Es war beim besten Willen nicht zu sagen, was er tun würde, wenn er seinen Willen nicht bekam.
»Aber was heckt er jetzt wieder aus?« rief Mama. Sie sah mich an. »Mein armes Kleines. Warum hast du mir all das nicht schon längst erzählt?«
»Es ist direkt vor meiner Abschlußfeier passiert, Mama. Damals wollte ich dir nicht auch noch damit kommen, und außerdem ... außerdem war ich nicht sicher, ob es nicht zum Teil auch meine Schuld war.«
»Deine Schuld? Weshalb denn das?«
»Weil ich ... ohne Kleider schwimme«, sagte ich.
»Das gibt einem Mann noch lange nicht das Recht zu tun, was er getan hat«, sagte Mama.
»Sieh zu, daß sie aufsteht und sich anzieht!« schrie Daddy aus dem Nebenzimmer.
»Ich denke gar nicht daran«, erwiderte Mama.
»Nein, Mama. Ich werde tun, was Daddy will. Ich habe alles nur noch schlimmer gemacht, dadurch, daß ich dir nichts davon gesagt habe.« Ich erhob mich und begann, mich anzuziehen; dabei zitterten meine Hände, und meine Beine waren wacklig, und ich fühlte mich, als ginge ich unter und müßte in einem Teich aus hoffnungsloser Verzweiflung versinken, und im Augenblick dachte ich noch nicht einmal daran, daß ein Baby in mir wuchs.
»Wohin bringst du sie, Jack?« fragte Mama schroff. Nachdem ich mich angezogen hatte, nahm Daddy mich an der Hand und führte mich aus dem Haus. Er zerrte mich regelrecht hinter sich her zu seinem Lastwagen. Mama folgte uns auf die Stufen der Veranda.
»Steig ein«, befahl er mir und drehte sich dann zu ihr um. »Du schweigst jetzt, Frau«, sagte er zu Mama. »Das hier ist Männersache.«
»Jack Landry ...«
»Nein. Wenn du sie nicht durch die Gegend stromern lassen würdest, wäre es wahrscheinlich gar nicht erst dazu gekommen«, warf er ihr vor.
Mir war entsetzlich zumute, weil er Mama meinetwegen ausschimpfte, und ich begrub das Gesicht in den Händen. Was hatte ich bloß getan? Es war alles meine Schuld. Zuerst einmal hätte ich nicht so unbefangen und vertrauensselig sein dürfen, wenn ich in die Sümpfe hinausstakte, und dann kam noch dazu, daß ich niemals ein derart tiefes und finsteres Geheimnis vor Mama hätte bewahren dürfen. Sie wirkte so zerbrechlich und so niedergeschlagen, als sie jetzt auf der Veranda stand, und sie schien sehr enttäuscht zu sein. Ich wußte, daß sie sich Vorwürfe dafür machte, mich in dem Glauben erzogen zu haben, mir könnte nichts zustoßen, da mein Leben unter einem guten Stern stand. Es stimmte, daß ich immer das Gefühl gehabt hatte, nichts in der Natur könnte mir etwas Böses antun, aber ich hatte nie damit gerechnet, ein anderes menschliches Wesen könnte in die Heiligkeit meiner vollkommenen Welt eindringen, die mir so sehr am Herzen lag.
Daddy ließ den Wagen an und legte den ersten Gang ein. Er trat das Gaspedal durch und ließ Gras und Kieselsteine durch die Luft fliegen, als wir lossausten. Der Lastwagen machte einen solchen Satz, daß ich mir beinah den Kopf am Dach angeschlagen hätte. Daddy murrte wütend vor sich hin und schlug mit der Handfläche auf das Steuer. Ich hielt die Lider gesenkt. Plötzlich drehte er sich abrupt zu mir um.
»Du hast dich diesem Mann doch nicht etwa freiwillig hingegeben, Gabrielle?«
»Oh, nein, Daddy.«
»Du bist einfach nur in deinem Teich’ herumgeschwommen, und er ist über dich hergefallen?«
»Ja, Daddy.«
»Und du hast versucht davonzulaufen, aber er hat dich nicht laufen lassen?«
»Er hat mir meine Kleider weggenommen«, sagte ich.
»Dieser hundsgemeine ... reiche ...« Daddys Augen wurden so klein, daß ich glaubte, er könnte die Straße nicht mehr sehen. Die Reifen quietschten, als wir um eine Kurve bogen. »Wohin fahren wir, Daddy?«
»Du wirst jetzt Ruhe geben, bis ich dich auffordere, den Mund aufzumachen, verstanden, Gabrielle?«
»Ja, Daddy.«
Kurz darauf fuhren wir über den Kies vor der Konservenfabrik der Tates. Daddy trat auf die Bremse, und die Räder schlitterten und ruckten.
»Komm mit«, sagte er und öffnete die Tür.
Ich stieg langsam aus. Daddy kam um den Lastwagen herum und nahm mich an der linken Hand. Er schleifte mich zum Büro und zog so fest an dem Türknopf, daß die Tür nahezu aus den Angeln fiel. Margot Purcel, Mr. Tates Sekretärin, blickte von ihrem Schreibtisch auf. Sie tippte gerade eine Rechnung, doch als ihr Blick auf Daddy fiel, wurden ihre Augen groß, und Entsetzen spiegelte sich in ihrem Gesicht wider.
»Wo steckt er?« fragte Daddy schroff?«
»Sir?«
»Verschonen Sie mich mit Ihrem Getue. Wo steckt Tate?«
»Mr. Tate telefoniert gerade in seinem Büro«, sagte sie. »Darf ich ihm mitteilen, weshalb Sie ihn sprechen wollen?«
Sie wollte sich gerade erheben.
Daddy bedachte sie mit einem finsteren Blick und zerrte mich zu der Verbindungstür.
»Sir!«
Daddy machte die Tür auf und stieß mich vor sich her in das Büro. Dann knallte er die Tür hinter uns zu.
Octavius Tate saß hinter einem großen, dunklen Schreibtisch aus Walnußholz. Er trug ein eierschalfarbenes Hemd und eine Krawatte, und sein Jackett hing über der Lehne seines Stuhls. Der Ventilator in der Ecke surrte und sorgte dafür, daß ein angenehmer Lufthauch durch das Büro wehte. Die Jalousien auf der Ostseite waren gegen die späte Morgensonne zugezogen, doch auf der Westseite waren die Jalousien geöffnet, und wir konnten sehen, wie die Lieferwagen beladen wurden und die Männer ihre Arbeiten verrichteten.
Mr. Tate telefonierte gerade, doch er sagte zu demjenigen, mit dem er sprach, er würde ihn zurückrufen, ehe er den Hörer lautlos auf die Gabel legte. Dann lehnte er sich zurück.
»Was ist?« erkundigte er sich so seelenruhig, daß ich mich einen Moment lang fragte, ob ich den ganzen Vorfall tatsächlich nur geträumt hatte.
»Sie wissen genau, was los ist«, sagte Daddy.
Mr. Tate richtete den Blick auf mich, doch ich tat, was Daddy mir vorgeschrieben hatte. Ich senkte die Lider.
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden, Landry. Ich habe viel zu tun. Es ist nicht Ihr Recht, unangemeldet in mein Büro hereinzuplatzen. Wenn Sie nicht auf der Stelle wieder kehrtmachen und mein Büro verlassen, werde ich ...«
Daddy trat vor seinen Schreibtisch und schlug mit der flachen Hand darauf. Dann beugte er sich vor, bis sein Gesicht keine dreißig Zentimeter von Mr. Tates Gesicht entfernt war.
»Vor Ihnen steht meine Tochter, und sie ist schwanger von Ihnen. Sie haben sie im Sumpf vergewaltigt, Tate.«
»Was? Also ... hören Sie ... jetzt hören Sie mir erst mal zu«, stammelte Mr. Tate. »Ich habe nichts dergleichen getan.«
Daddy richtete sich auf und lächelte verschlagen.
»Es ist allgemein bekannt, daß meine Tochter nicht lügt.« Er trat zur Seite. »Das ist der Mann, der sich auf dich gestürzt hat, Gabrielle?« fragte er mich.
Ich hob langsam den Kopf und sah Mr. Tate an. Er verzog die Lippen und starrte mich an.
»Ja«, sagte ich leise.
»Also, was ist?« sagte Daddy.
»Ich gebe nichts darauf, was sie behauptet. Das ist doch einfach lächerlich.«
»Dafür werden Sie mir bezahlen, Tate. Ich kann es Ihnen leichtmachen, aber ich es kann es Ihnen auch schwermachen. Jedenfalls werden Sie mir dafür bezahlen.«
Mr. Tate schluckte schwer, und dann sammelte er seine Kräfte. Er nahm den Hörer wieder ab. »Wenn Sie nicht innerhalb von zehn Sekunden dieses Büro verlassen, werde ich die Polizei anrufen und Sie verhaften lassen«, drohte er.
»Meinetwegen«, sagte Daddy. »Sie wollen es sich anscheinend schwermachen.«
Er machte auf dem Absatz kehrt, nahm mich an der Hand und riß die Tür des Büros auf. Ohne sie hinter uns wieder zu schließen, führte er mich ab. Margot Purcel stand auf und warf einen Blick auf die Verbindungstür, als wir an ihr vorbeiliefen und ihr Vorzimmer verließen.
»Steig in den Lastwagen«, sagte Daddy.
»Wohin fahren wir denn jetzt, Daddy?«
»Steig ein. Ich weiß, wie man mit dergleichen Pack umgeht«, sagte er.
Zehn Minuten später bogen wir auf die lange Zufahrt zur Villa der Tates ein, die aufgrund der gewaltigen, moosbewachsenen Eichen, Weiden, Zypressen und Magnolien, von denen sie umgeben war, The Shadows genannt wurde, da diese fast den ganzen Tag über lange, kühle Schatten auf das Haus warfen. Bisher hatte ich diese Villa nur von der Straße aus gesehen. Unsere Familie wurde nie zu den berühmten Parties eingeladen, die die Tates dort veranstalteten, und ebensowenig wurde Mama jemals hinbestellt, um Monsieur oder Madame Tate zu behandeln.
Als wir die lange Auffahrt hinauffuhren, pochte mein Herz dreimal so schnell, und ich rollte mich zu einer noch engeren Kugel zusammen, da mir davor graute, was Daddy wohl als nächstes vorhatte. Daddys zerbeulter Lastwagen holperte über den Kies und wirbelte Staubwolken hinter uns auf. Das Anwesen war derart gepflegt, daß ich das Gefühl hatte, wir schleuderten Schlammbrocken auf einen neuen Teppich.
Sämtliche Eichen waren mit Blumenbeeten umgeben, in denen Azaleen und Kamelien wuchsen. Die Auffahrt war beidseits mit den prächtigsten Blumen gesäumt. Rechts sah ich zum Wasserlauf hin die anscheinend endlosen Gemüsegärten und die Obstbäume. Ein kleiner, stämmiger Schwarzer mit schneeweißem Haar und eine große, schlanke Schwarze, die das Ebenholzhaar aufgesteckt hatte, brachten die Ernte ein. Sie schauten einen Moment lang in unsere Richtung und wandten sich dann wieder ihrer Arbeit zu.
Ich drehte mich zu dem Haus um.
Vor uns erhob sich das zweieinhalbstöckige Gebäude mit einer majestätischen Zuversicht, die von seiner Pracht und seinem Luxus zeugte. Es hatte einen Vorbau aus klassizistischen Säulen, die sich vom Boden aus erhoben und das Dachgebälk trugen. Es gab Galerien im oberen und im unteren Stockwerk und Treppen, mit geschlossenen Läden zu beiden Seiten. Als wir uns dem Haupteingang zuwandten, sah ich auf der Seite, die zum Bayou führte, eine zurückversetzte Veranda mit Backsteinbögen darunter und gedrehten dorischen Säulen darüber. Farne und Palmwedel wuchsen an den Ziegeln hinauf und schlängelten sich um sie herum. Auf dem Dach über der oberen Galerie der Fassade ragten drei Giebel auf, in die jeweils vier Reihen von Sprossenfenstern eingelassen waren. Auf der Rückseite des Gebäudes erhob sich der Schornstein.
»Was tun wir hier, Daddy?« fragte ich. Daddy schaltete den Motor aus und schaute einen Moment lang finster das Haus an. »Ich weiß Bescheid über die Tates«, sagte er. »Octavius war mittellos, bis er Gladys White geheiratet hat. In dieser Familie hat sie die Hosen an. Steig aus«, sagte er.
Ich stieg zögernd aus dem Wagen. Aus der Nähe schüchterte mich das Haus nur um so mehr ein. Die Schatten des späten Vormittags verwoben sich und tauchten die Fassade in ein so dichtes Dukel, daß ich mir vorkam, als verließen wir eine Welt und begäben uns in eine andere, als wir auf die große Tür mit den Glasscheiben zugingen. Von dem verschnörkelten Gußeisenspalier über uns hingen üppige Dolden purpurner Glyzinien herab. Über der Tür hing an Lederriemen ein halbes Dutzend silberner Glöckchen.
Daddy schlug sie fest aneinander und ließ sie dann gegen die Tür fallen. Wenige Momente später öffnete ein großer, spindeldürrer Mann mit einem mandelfarbenen Teint, einer Halbglatze, einer langen, dünnen Nase und sehr schmalen Lippen die Tür. Er trug die Livree eines Butlers, doch seine Krawatte war gelöst, und offensichtlich kaute er gerade den Mund leer. Er schluckte das Essen schnell herunter und zog die hellbraunen Augenbrauen hoch. Sie hoben sich in der Mitte an, als seien sie mit einem unsichtbaren Haken in seiner runzeligen Stirn befestigt.
»Ja?« sagte er und konnte seine Mißbilligung nicht verhehlen, als er Daddys Aufmachung sah, dessen Haar wüst zerzaust war; zudem hing ihm das Hemd aus der derben Hose, die auf den Knien nahezu durchgescheuert war.
»Ich will Madame Tate sprechen«, sagte Daddy.
»Ach, wirklich? Und wer wünscht Madame zu sprechen?« fragte der Butler. Er zog den Kopf beim Sprechen ein wenig zurück, und daher waren seine Nasenlöcher deutlich sichtbar. Auf der Nasenspitze hatte er eine winzige Kerbe, die dennoch nicht zu übersehen war. Sein Tonfall war nasal, und er zog die Mundwinkel herunter, nachdem er mit Daddy gesprochen hatte.
»Jack Landry und seine Tochter Gabrielle«, sagte Daddy. »Und ich habe nicht die Absicht, mich abweisen zu lassen« fügte er hinzu.
»Ach, nein? Und welchen Anlaß hat Ihr Besuch, Monsieur?«
»Das ist eine Privatangelegenheit.«
»Ach, wirklich?«
»Ja, allerdings, das kann man wohl sagen. Was ist? Holen Sie sie, oder muß ich sie selbst holen?« fragte Daddy.
Die Augen des Butlers wurden groß, und dann zog er die Augenbrauen noch höher hinauf.
»Einen Moment, bitte«, sagte er und schloß die Tür.
»Dieses snobistische, reiche ... dreckige ...«, murmelte Daddy vor sich hin. Er sah sich um und nickte. »Die glauben, ihnen gehört alles und jeder, und sie können tun und lassen, was ihnen beliebt. Aber die haben Jack Landry noch nicht kennengelernt«, sagte er.
»Ich finde, wir sollten jetzt wieder nach Hause fahren, Daddy«, sagte ich leise.
»Nach Hause? Wir fahren nirgends hin, solange ich keine Genugtuung bekommen habe«, äußerte er. Er riß wieder an den Glöckchen. Im nächsten Moment öffnete der Butler die Tür, doch diesmal stand Gladys Tate neben ihm.
Sie war eine furchteinflößende Erscheinung, als sie mit zurückgezogenen Schultern vor uns aufragte, das Rückgrat so steif wie ein Besenstil. Ihre Augen glühten vor Entrüstung. Sie erweckte den Eindruck, als sei sie bei etwas sehr Wichtigem gestört worden oder doch zumindest so, als wollte sie gerade das Haus verlassen, weil sie einen wichtigen Termin hatte. Sie trug ein dunkelblaues Kleid mit Tupfen und einem dünnen Schal. Um die Taille hatte sie sich einen passenden gepunkteten Gürtel geschlungen, der in der Taille mit einer riesigen Schleife zugebunden war.
Als ich ihr jetzt so dicht gegenüberstand, erkannte ich, was für eine umwerfende Schönheit sie war, aber auch, wie hart diese eiskalten braunen Augen sein konnten. Mit stählernem Gesicht trat sie vor.
»Wie können Sie es wagen, mich in der Form herzuzitieren? Was wollen Sie überhaupt?« Sie warf einen Blick auf mich, und ich glaubte, diese bösen Augen könnten Glas schneiden.
»Ich habe eine geschäftliche Angelegenheit mit Ihnen zu besprechen«, sagte Daddy unerschrocken.
»Für die Geschäfte ist mein Mann zuständig.«
»Ich spreche nicht von diesen Geschäften. Es handelt sich um eine Privatangelegenheit«, beharrte Daddy.
»Also, wirklich, Monsieur, ich glaube nicht ...«
»Früher oder später werden Sie mit mir sprechen müssen, Madame. Ich kann Ihnen nur raten, es gleich zu tun«, sagte Daddy. Ihr Blick wandte sich jetzt wieder mir zu. Ich konnte spüren, wie die Neugier sie erfaßte, und ihr Gesicht wurde freundlicher.
»In Ordnung, Summers«, sagte sie zu dem Butler. »Ich werde mich mit diesen Leuten unterhalten.« Sie sprach »Leute« so aus, als seien Heuschrecken etwas Besseres als wir. »Die erste Tür rechts«, ordnete sie an, und wir betraten das Haus.
Ich war noch nie in einem so großen Haus gewesen und gaffte unwillkürlich alles an: die Eingangshalle aus zartviolettem Marmor, die phantastischen Wandteppiche, auf denen große Plantagengebäude und Anwesen und Szenen aus dem Bürgerkrieg dargestellt waren. Links vor uns tat sich ein quadratisches Treppenhaus aus poliertem Mahagoni auf, und an den hohen Decken über uns hingen Kronleuchter mit tropfenförmigem Kristallglas und schimmernden Messinghalterungen. Hinter der Eingangshalle schien sich das Haus endlos weit zu erstrecken. Ich sah Podeste mit Skulpturen, und jeder verfügbare Platz, der nicht von Wandbehängen geziert wurde, war mit Kunstwerken geschmückt. Auf mich wirkte das Ganze weniger wie ein privates Wohnhaus, sondern eher wie ein Regierungsgebäude oder ein Museum.
Wir betraten den ersten Raum rechts von der Eingangshalle. Unsere Füße versanken in einem weichen beigen Teppich. Das Zimmer hatte honigfarbene Rupfentapeten und war mit hellem Holz und französischen Stühlen mit beigen Lederpolstern möbliert, die einen zarten Stich ins Rosa aufwiesen. Alles wirkte so sauber, so schmuck und so neu, daß ich es nicht wagte, etwas davon zu berühren. Gladys Tate blieb mitten im Zimmer stehen und wandte sich zu Daddy um. Sie musterte ihn von Kopf bis Fuß. Er trug seine alten Stiefel, die mit Schlamm bespritzt waren. Ich hatte den Eindruck, als versuchte sie zu entscheiden, wo er den geringsten Schaden anrichten könnte. Schließlich wies sie mit einer Kopfbewegung auf einen kleinen Stuhl, der rechts von ihr stand.
»Ich gestehe Ihnen fünf Minuten zu«, sagte sie.
Daddy murrte und setzte sich. Es sah aus, als würde der Stuhl zerbrechen, sowie er sich zurücklehnte. Gladys Tate setzte sich auf das kleine Sofa und lehnte den Rücken steif an das Polster. Sie sah erst mich und dann Daddy an.
»Also, was ist?«
»Ihr Mann hat meine Tochter vergewaltigt und sie geschwängert«, sagte er, ohne zu zögern.
Ich hielt den Atem an und wagte nicht zu schlucken. Gladys Tates Gesichtsausdruck blieb unverändert, doch es war, als seien die Schatten, die auf die Fassade des prächtigen Hauses fielen, irgendwie durch die Mauern gedrungen und verdunkelten jetzt ihr Gesicht.
»Ich vermute«, sagte sie nach einer lastenden Stille, »Sie haben Beweise für diese verblüffende Unterstellung.«
»Der Beweis dafür ist meine Tochter. Sie wird Ihnen genau schildern, wie es gewesen ist. Sie lügt nicht.«
»Ich verstehe.« Sie fixierte mich mit ihren versteinerten Augen.
»Wo ist es zu diesem angeblichen Vorfall gekommen?«
»Im Sumpf, Madame«, sagte ich leise.
»Im Sumpf?«
»In den Wasserläufen. Er ist zum Fischen rausgefahren, als er sie in ihrem Teich vorgefunden hat, dort, wo sie häufig schwimmen geht«, sagte Daddy.
Gladys Tate starrte ihn an, als dauerte es eine Zeitlang, bis Daddys Worte zu ihr durchdrangen, und dann wandte sie sich wieder an mich.
»Du weißt, wer mein Mann ist?«
»Ja, Madame.«
»Du sagst, er hätte dich beim Schwimmen angetroffen?«
»Genaugenommen habe ich mich zu dem Zeitpunkt auf dem Felsen gesonnt. Als ich die Augen aufgeschlagen habe, war er da. Ich war ...«
»Nackt?«
»Ja, Madame.«
Sie nickte. Dann lächelte sie Daddy an.
»Wissen Sie eigentlich, was es bedeutet, ungerechtfertigte Anschuldigungen vorzubringen, vor allem, wenn es sich um Unterstellungen einer so ernsten Natur handelt?«
»Sie sind nicht ungerechtfertigt«, sagte Daddy.
»Ich verstehe. Und zu welchem Zweck haben Sie Ihre Tochter hierhergebracht?«
»Zu welchem Zweck? Er hat sie geschwängert. Das wird ihn einiges kosten.«
»Ach, dann sind Sie also weniger auf Gerechtigkeit, sondern viel mehr auf Geld aus, so ist es doch?« fragte sie, und ein sarkastisches Lächeln spielte auf ihren Lippen.
»Das ist doch nur gerecht«, gab Daddy zurück.
»Haben Sie schon mit meinem Mann gesprochen?«
»Ja, und er will sich nicht dazu bekennen. Aber das wird er noch tun«, drohte Daddy. »Sehen Sie sie nur an«, sagte er und wies energisch auf mich. »Sehen Sie sich nur an, was er meinem kleinen Mädchen angetan hat. Wie soll sie jemals einen anständigen Mann finden, wenn sie ihren Bauch einen halben Meter vor sich herumträgt? Und all das nur, weil Ihr Mann seinen Spaß mit ihr gehabt hat!«
Gladys Tate starrte mich jetzt wieder an. »Du bist doch das Mädchen, das auf der Abschlußfeier von der Bühne gerannt ist, oder nicht?« fragte sie.
»Ja, Madame.«
»Und Sie«, sagte sie und wandte sich dabei an Daddy, »sind der Mann, der diese lächerliche Szene gemacht hat.«
»Das hat nichts damit zu tun.«
Sie starrte mich wieder an. Diese Pausen, in denen alle schwiegen, ließen Schauer über meinen Rücken laufen, doch Daddy schien sich nichts daraus zu machen, falls er das Schweigen überhaupt wahrnahm. Schließlich seufzte sie dann und schüttelte den Kopf.
»Ich wünsche, Ihre Tochter allein zu sprechen«, sagte sie.
»Was? Warum denn das?«
»Falls Sie es wünschen, daß ich Ihnen weiterhin meine Aufmerksamkeit oder meine Zeit widme, dann tun Sie jetzt, was ich verlange«, sagte sie entschieden. Daddy dachte einen Moment lang nach. Es war nicht schwer zu sehen, daß ihr Entschluß feststand, und er erkannte, daß es das Beste war, sich ihr zu fügen.
»Ich warte vor der Tür«, sagte er, während er aufstand. »Und zwar nur für ein paar Minuten. Versuchen Sie bloß nicht, sie reinzulegen«, fügte er hinzu. Er sah mich an, und in sein Gesicht stand helle Wut geschrieben. »Ruf mich, wenn sie dir etwas tun will«, sagte er und verließ das Zimmer.
»Mach die Tür zu«, befahl mir Gladys Tate. Ich tat es. »Setz dich auf den Stuhl, auf dem dein Vater gesessen hat«, sagte sie. Dann lehnte sie sich vor. »Hast du meinen Mann vor diesem Vorfall im Sumpf jemals gesehen?«
»Ab und zu, Madame, aber wir haben nie miteinander gesprochen.«
»Ich verstehe. Und jetzt erzähl mir in deinen eigenen Worten, was deiner Meinung nach passiert ist.«
Ich begann langsam und erklärte ihr, daß ich oft in diesem Teich schwamm und an jenem speziellen Nachmittag eingeschlafen war, als ich mich gerade gesonnt hatte. Ich schilderte ihr, wie er sich ausgezogen hatte und auf den Felsen geklettert war. Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich nicht, bis ich ihr berichtete, was er mir über seine Ehe erzählt hatte. Daraufhin wurden ihre Augen kleiner, und ein weißer Strich zeichnete sich um ihre zusammengepreßten Lippen ab.
»Sprich weiter«, sagte sie. Ich schilderte ihr, wie er mich geneckt hatte, wie wir aus der Piragua gefallen waren und was daraufhin erfolgt war. Ich spürte, wie mir die Tränen über das Gesicht strömten, doch ich wischte sie nicht weg. Sie tropften von meinem Kinn.
Als ich meinen Bericht beendet hatte, lehnte sie sich zurück. Dann stand sie abrupt auf und ging zur Tür. Daddy hatte offensichtlich gelauscht, denn er fiel nahezu ins Zimmer, als sie die Tür öffnete.
»Und?« sagte er.
»Warten Sie hier auf mich«, sagte sie zu ihm.
»Warum?«
»Tun Sie, was ich Ihnen sage«, befahl sie, ohne zu zögern. Sogar Daddy, der in seiner Wut kaum an sich halten konnte, war entgeistert über ihr Durchsetzungsvermögen und ihre Entschlossenheit. Er trat ein und setzte sich auf das Sofa. »Ich werde dafür sorgen, daß Summers Ihnen kalte Getränke serviert«, sagte sie und ging.
»Was hat diese Frau bloß vor?« fragte Daddy mich. »Hast du ihr etwas erzählt, was ich nicht gehört habe?«
»Ich habe ihr genau geschildert, was passiert ist, Daddy.«
»Ich traue diesen Reichen nicht«, sagte er und sah auf die Tür. Kurz darauf erschien der Butler.
»Möchten Sie vielleicht ein Glas Limonade?« fragte er.
»Haben Sie nichts Stärkeres?«
»Wir haben alles, was Sie wünschen, Monsieur«, sagte er und schnitt eine Grimasse.
»Holen Sie mir ein kaltes Bier. Ohne Glas.«
»Gern, Monsieur. Mademoiselle?«
»Ich nehme gern ein Glas Limonade.«
Er nickte und ging.
»Vielleicht wollen sie uns vergiften«, sagte Daddy. »Deshalb habe ich das Bier in der Flasche bestellt.« Er zwinkerte mir zu. »Trink die Limonade lieber nicht.«
»O Daddy, so etwas täte sie doch nicht.«
Er lehnte sich zurück und trommelte mit seinen langen Fingern auf die Armlehne des Sofas.
»Sieh dir bloß dieses Haus an. Von dem, was allein dieses Zimmer gekostet hat, könnte ich ein Jahr lang leben. Vielleicht sogar noch länger.«
Der Butler brachte uns die Getränke. Daddy nippte vorsichtig an seinem Bier. Er schüttelte den Kopf, als ich meine Limonade trank, doch sie schmeckte gut und war erfrischend.
Kurze Zeit darauf hörten wir, wie die Haustür aufging, und es dauerte nicht lange, bis Octavius Tate erschien.
»Ich rufe die Polizei«, sagte er, doch als er sich umdrehte, stand Gladys Tate direkt hinter ihm, so unerschütterlich wie eine Statue.
»Du kommst jetzt rein und setzt dich hin, Octavius«, ordnete sie an.
»Gladys, du wirst diesen Dieben keinen Moment deiner Zeit widmen. Du bist ...«
»Setz dich, Octavius..
Kopfschüttelnd betrat er den Raum und setzte sich Daddy gegenüber. Er warf einen flüchtigen Blick auf mich und sah dann wieder seine Frau an. Sie schloß die Tür und blieb stehen.
»Also, was ist?« sagte er.
»Sieh dir dieses Mädchen an, Octavius. Los, mach schon.«
»Ich sehe sie doch an.«
»Wirst du ihr ins Gesicht sagen, daß du die ganze Geschichte ableugnest?« fragte sie herausfordernd.
Er schluckte schwer. »Gladys ...«
»Ich will die Wahrheit wissen, und ich will, daß du dich dazu bekennst. Sie hat mir Dinge erzählt, die du über uns gesagt hast, Octavius, intime Dinge, die sie von niemand anderem wissen könnte.«
»Ich ...«
»Du warst doch in diesem Sumpf fischen, oder etwa nicht, Octavius?« sagte sie und begann ihr gnadenloses Verhör.
»Ja, aber ...«
»Und du bist auf diesen Teich gestakt, oder etwa nicht? Du hast sie dort gesehen?«
»Das heißt noch lange nicht, daß ich getan habe, was sie behauptet.«
»Aber du hast es getan, nicht wahr?« beharrte sie.
»Ich ...«
»Du hast dich ausgezogen und bist auf den Felsen geklettert, um dich neben sie zu setzen? Was ist?«
»Sieh mal, sie hat mich dazu aufgefordert ...«
»Octavius, du hast mit diesem Mädchen geschlafen, nicht wahr?« fragte sie und ging auf ihn zu. In ihren weit aufgerissenen Augen stand Wut. Er schlug die Augen nieder. »Antworte mir und sag die Wahrheit! Du ziehst diesen gräßlichen Moment nur in die Länge und treibst das Messer noch tiefer in mein Herz.«
Er nickte zögernd und biß sich auf die Unterlippe. Dann blickte er abrupt auf.
»Ha!« sagte Daddy und schlug sich mit den Händen auf die Knie.
»Sie kann mit keinem Mittel beweisen, daß ihr Baby von mir ist«, sagte Octavius eilig. »Ein Mädchen von der Sorte ...«
»Lügt nicht«, sagte Gladys und nickte. Sie sah erst mich an und dann ihn, ehe sie tief Atem holte und den Blick einen Moment lang abwandte. Als sie sich wieder zu uns umdrehte, sah ich, daß Tränen in ihren Augen glitzerten, doch sie atmete hörbar ein und kämpfte gegen die Tränen an.
»Wieviel will er?« fragte Octavius und sah Daddy finster an.
»Es geht nicht nur darum, was er will«, erwiderte Gladys. Wir alle sahen sie an, doch Daddys Miene verriet das größte Erstaunen. »Es geht darum, was ich will«, sagte sie und gewann die Fassung soweit wieder, daß sie ihre verblüffende Forderung stellen konnte.