Читать книгу Haus der Tränen - V.C. Andrews - Страница 7
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Unsanft geweckt
Ich wachte auf, als ich es klopfen hörte, war mir aber nicht sicher, ob jemand an unserer Tür war. Zu jeder Tages- und Nachtzeit pochten Leute gegen die Wände dieser Wohnung. Das Klopfen wurde heftiger, wütender, und dann hörte ich die Stimme meines Onkels Reuben.
»Raven, verdammt noch mal, wach auf. Raven!«
Er knallte so fest gegen die Tür, dass ich glaubte, seine Faust sei durch das Holz gedrungen. Ich griff nach meinem Morgenmantel und stand rasch auf.
»Mama!«, rief ich. Ich rieb mir den Schlaf aus den Augen und lauschte. Ich glaubte, gehört zu haben, wie sie nach Hause kam, aber in meiner Erinnerung vermischten sich die Nächte, sodass ich mir nicht ganz sicher war. »Mama?« Onkel Reuben trommelte erneut gegen die Tür, dass der ganze Rahmen erbebte. Ich lief zu Mamas Schlafzimmer und schaute hinein. Sie war nicht da.
»Raven! Wach auf!«
»Ich komme«, rief ich und eilte zur Tür. Als ich aufschloss, stieß er sie so rasch auf, dass er mich beinahe umstieß.
»Was ist los?«, fragte ich.
Der Flur wurde von einer kleinen nackten Birne erleuchtet, die die dreckigen, schattigen Wände in das Braun feuchter Papiertüten verwandelte. Hinter Onkel Reuben war gerade genug Licht, um die Umrisse seines ein Meter siebenundachtzig großen, stämmigen Körpers hervortreten zu lassen. Wie ein Raubvogel lauerte er in der Tür. Die Stille, die eintrat, nachdem er so dringend Einlass begehrt hatte, ängstigte mich noch mehr. Er schien nach Luft zu schnappen, als sei er die Treppe hinaufgerannt.
»Was willst du?«, rief ich.
»Pack deine Sachen zusammen«, befahl er. »Du musst mit mir kommen.«
»Was? Warum?« Ich trat einen Schritt zurück und schlang die Arme um mich. Schon bei hellem Tageslicht wäre ich nicht gerne mit ihm irgendwo hingegangen, ganz zu schweigen bei Nacht.
»Mach Licht an«, kommandierte er.
Ich fand den Schalter und machte in der Küche Licht. Diese Beleuchtung enthüllte sein aufgedunsenes, verschwitztes, rotes Gesicht, seine Wangenknochen sahen aus, als sei er von einem Ekzem befallen. Mit seinen dunklen Augen schaute er sich hektisch um. Er trug nur ein dreckiges T-Shirt und verschmierte Jeans. Obwohl er jetzt in der Straßenbauverwaltung arbeitete, hatte er immer noch den muskulösen Körperbau eines Straßenbauarbeiters. Sein dunkelbraunes Haar war militärisch kurz geschnitten, dadurch wirkten seine Ohren wie die Flügel an einem Helm des Merkur. Ich wunderte mich immer darüber, dass Mama und Onkel Reuben Geschwister waren. Die einzige Ähnlichkeit zwischen den beiden waren ihre Augen.
»Warum bist du hier?«, fragte ich.
»Nicht weil ich es möchte, glaub mir«, erwiderte er und ging zum Spülbecken, um sich ein Glas Wasser einzuschütten. »Deine Mutter ist im Gefängnis«, fügte er hinzu.
»Was?«
Ich musste warten, bis er das Wasser in großen Schlucken heruntergestürzt hatte. Dann stellte er das Glas in das Becken, als erwartete er, das Hausmädchen würde hinter ihm aufräumen, und wandte sich mir zu. Einen Moment lang saugte er meinen Anblick in sich auf. Unter seinem Blick hatte ich das Gefühl, als sei ein eiskalter Wind unter meinen Morgenmantel geschlüpft. Ich zitterte sogar.
»Warum ist Mama im Gefängnis?«
»Sie wurde mit einem Drogendealer zusammen verhaftet. Diesmal ist sie in richtig großen Schwierigkeiten«, sagte er. »In der Zwischenzeit musst du bei uns wohnen, vielleicht sogar für immer«, ergänzte er und spuckte in das Spülbecken.
»Bei euch wohnen?« Mir blieb das Herz stehen.
»Glaub mir, ich bin auch nicht glücklich darüber. Sie hat mich angerufen, damit ich dich abhole«, fuhr er zögernd fort. Es war, als sträubte sich sein Mund dagegen, die Worte hervorzubringen. Er schaute sich in unserer kleinen Wohnung um. »Was für ein Saustall! Wie kann man denn hier leben?«
Bevor ich antworten konnte, wirbelte er zu mir herum. »Pack deine Sachen zusammen. Ich will keinen Moment länger als nötig hier bleiben.«
»Wie lange wird sie im Gefängnis bleiben?«, fragte ich, während mir die Tränen unter den Augenlidern brannten.
»Ich weiß es nicht. Vielleicht für Jahre«, sagte er ohne eine Gefühlsregung. »Sie war noch auf Bewährung von der letzten Sache. Es ist spät. In ein paar Stunden muss ich aufstehen und zur Arbeit gehen. Los jetzt«, befahl er.
»Warum kann ich nicht einfach hier bleiben?«, stöhnte ich.
»Aus dem einfachen Grund, dass das Gericht es nicht gestatten würde. Ich dachte, du wärst so schlau. Wenn du nicht mit mir kommst, stecken sie dich in ein Heim«, fügte er hinzu.
Einen Augenblick lang erwog ich diese Alternative. Bei völlig Fremden wäre ich besser dran als bei ihm.
»Und außerdem habe ich es deiner Mutter versprochen.« Er studierte mein Gesicht eingehend und lächelte kalt. »Ich weiß, was du jetzt denkst. Ich war auch überrascht, dass sie sich überhaupt Gedanken darüber machte.«
Mir blieb die Luft weg, und im Hals steckte ein Kloß. Ich musste mich abwenden, damit er nicht sah, wie mir die Tränen über die Wangen rannen. Ich lief ins Schlafzimmer und öffnete die Kommodenschubladen, um meine Sachen herauszunehmen. Mein einziger Koffer war klein und musste mit Gürteln zugebunden werden. Ich fand ihn hinten im Schrank und begann ihn zu packen.
Onkel Reuben kam herein und schaute sich im Schlafzimmer um. »Hier stinkt’s«, stellte er fest.
Ich packte weiter. Ich wusste nicht, wie lange ich tatsächlich bei ihm und Tante Clara bleiben würde, aber ich wollte auf jeden Fall genug Socken und Unterhöschen dabei haben. »Du brauchst nicht alles«, meinte er, als ich in den Schrank griff, um weitere Sachen herauszuholen. »Ich will keine Küchenschaben in meinem Haus. Nimm nur das Nötigste mit.«
»Ich habe nur das Nötigste, einige T-Shirts und Jeans und zwei Kleider. Und in meinen Sachen sind keine Küchenschaben.«
Er grunzte. Ich habe Onkel Reuben noch nie gemocht. Er steckte voller Vorurteile, beispielsweise warf er Mama immer wieder vor, ihre Probleme hätten damit begonnen, dass sie sich mit einem Kubaner einließ. Er hielt sich gerne für etwas Besseres als uns, weil er befördert worden war und zur Arbeit einen Anzug trug.
Ich hatte einen Cousin, William, der neun Jahre alt war, und eine vierzehnjährige Cousine, Jennifer. William war ein sanfter, stiller Junge, der wie ich gerne allein war. Er sprach sehr wenig, und einmal hörte ich, wie Tante Clara erzählte, dass man ihn in der Schule für beinahe autistisch hielt. Jennifer war hochnäsig. Sie hatte eine Art, den Kopf zurückzuwerfen und durch die Nase zu sprechen, dass jeder das Gefühl hatte, sie hielt sich für etwas Besseres. Einmal – ich war fünf Jahre alt – frustrierte mich ihr Verhalten dermaßen, dass ich ihr auf den Fuß trat und beinahe einen Zeh brach.
Ich packte zu Ende und zog mir eine Jeans und einen Sweater über. Onkel Reuben stand da und beobachtete, wie ich an ihm vorbei ins Badezimmer ging, um mich umzuziehen. Als ich herauskam, hielt er meinen Koffer in der Hand und wartete an der Tür.
»Komm jetzt«, drängte er. »Hier habe ich das Gefühl, ich könnte mir eine Krankheit fangen.«
Er, Tante Clara, meine Cousine und mein Cousin lebten in einem hübschen zweigeschossigen Haus. Mama und ich besuchten sie nicht oft, aber ich war immer neidisch auf ihren Garten, die schönen Möbel und die sauberen Toiletten. William und Jennifer hatten jeweils ein eigenes Zimmer. Das Haus lag in einem kleineren Ort, weit entfernt vom Stadtzentrum, sodass ich eine andere Schule besuchen musste.
»Wo soll ich denn bleiben?«, fragte ich Onkel Reuben, als ich in meine Turnschuhe schlüpfte.
»Clara macht ihr Nähzimmer für dich fertig. Dort ist ein Ausziehbett. Dann sehen wir weiter«, sagte er. »Los jetzt.«
»Soll ich alles so lassen?«, fragte ich und sah mich in der Wohnung um.
»Was lässt du denn da schon zurück? Altes Geschirr, Secondhand-Möbel und Ratten? Ich würde mir nicht einmal die Mühe machen abzuschließen«, murmelte er und ging hinunter.
Ich blieb in der Tür stehen. Er hatte Recht. Es war nicht mehr als ein Loch, schäbig, verwohnt, sogar vergammelt an einigen Stellen und voller Entschuldigungen, aber es war mein Zuhause gewesen. So lange hatten diese Wände meine kleine Welt bedeutet. Immer hatte ich davon geträumt, sie zu verlassen, aber jetzt, als es so weit war, hatte ich Angst davor und war traurig.
»Raven!«, brüllte Onkel Reuben vom Fuß der Treppe.
»Ruhe da draußen!«, schrie jemand. »Die Leute versuchen zu schlafen.«
Rasch schloss ich die Tür und eilte hinter ihm her. Wir traten auf die leere Straße. Es war noch dunkel. Der Rest der Welt schlief. Er warf meinen Koffer in den Kofferraum seines Autos und stieg schnell ein. Ich folgte seinem Beispiel und starrte verschlafen aus dem Fenster heraus auf das Mietshaus. Nur eine der drei Glühbirnen über dem Eingang funktionierte. Schatten verbargen die abgesplitterte und verblasste Farbe und die zerbrochenen Kellerfenster.
»Du hast Glück, dass ich nahe genug wohne, um herzukommen und dich abzuholen«, sagte er, »sonst wärst du jetzt auf dem Weg in irgendein Waisenhaus.«
»Ich bin doch keine Waise«, protestierte ich.
»Nein. Du bist schlimmer dran«, sagte er. »Waisen haben keine Mutter wie deine.«
»Wie kannst du nur so über deine Schwester reden?«, fuhr ich ihn an. Ganz gleich, wie schlecht Mama war, ich konnte nicht einfach hier sitzen und zuhören, wie er sie schlecht machte.
»Immer mit der Ruhe«, sagte er. »Dies ist nicht das erste Mal, dass ich sie aus einer schwierigen Situation rette oder Kaution für sie stelle, oder? Aber diesmal hat es sie wirklich voll erwischt, und das ist gut so. Es muss endlich einmal ein Ende haben. Sie ist ein hoffnungsloser Fall.« Er wandte sich mir zu. »Und ich warne dich von Anfang an«, fauchte er mich an und drohte mir mit seinem langen, dicken, rechten Zeigefinger. »Ich will nicht, dass du meine Kinder verführst, hörst du? Das erste Mal, das du mein Haus in Verruf bringst, wird auch das letzte Mal sein. Das versichere ich dir.«
Ich rollte mich so weit von ihm entfernt wie möglich zusammen und schloss die Augen. Das ist ein Albtraum, dachte ich, nur ein schlechter Traum. Jeden Moment wache ich auf und liege auf dem Ausziehbett in unserem Wohnzimmer. Vielleicht höre ich, wie Mama in die Wohnung stolpert. Plötzlich erschien mir das gar nicht mehr so schlimm. Meist schweigend fuhren wir den Rest der Strecke. Gelegentlich murmelte er eine Obszönität oder schimpfte darüber, von seiner betrunkenen, nichtsnutzigen Schwester aus dem Tiefschlaf gerissen worden zu sein.
»Es muss doch eine Möglichkeit geben, sich von seinen Verwandten loszusagen, vor Gericht zu erklären, dass man nichts mehr mit ihnen zu tun hat, damit sie nicht mehr hinter dir her sind und dein Leben ruinieren«, knurrte er. Ich versuchte ihn zu ignorieren, wieder einzuschlafen.
Als wir in die Auffahrt einbogen, öffnete ich die Augen. Unten brannten Lichter. Er stieg aus und öffnete den Kofferraum. Als er meinen Koffer herausholte, riss er ihn beinahe auseinander. Ich schlich hinter ihm her zur Eingangstür. Bevor wir dort waren, öffnete Tante Clara.
Tante Clara war mir ein Rätsel. Zwei Menschen konnten nicht verschiedener sein als sie und Onkel Reuben. Sie war klein, zierlich, zerbrechlich und sprach leise. Ihr Gesicht war normalerweise voller Mitgefühl oder Besorgnis. So weit ich mich erinnern konnte, schaute sie nie auf uns herab oder sagte etwas Abfälliges über uns, ganz gleich, was Mama tat. Mama mochte sie und meinte oft, dass sie Clara noch mehr bedauerte als sich selbst.
»Mit meinem Bruder zu leben ist eine noch größere Last«, erklärte sie.
Tante Clara hatte hellbraunes Haar, das um die Ohren herum immer ordentlich geschnitten war. Sie verwendete nur wenig Make-up, aber gewöhnlich wirkte ihr Gesicht strahlend und heiter, besonders wegen ihrer dunkelblauen warmen Augen und dem sanften Lächeln auf ihren schmalen Lippen. Sie war nur ein paar Zentimeter größer als ich, doch wenn sie neben Onkel Reuben stand, wirkte sie wie eines seiner Kinder.
Sie wartete auf uns, die ineinandergekrampften Hände zwischen ihre kleinen Brüste gepresst.
»Du armer Schatz«, sagte sie. »Komm herein.«
»Armer Schatz ist genau richtig«, sagte Onkel Reuben. »Du hättest dieses Loch einmal sehen sollen. Wie kann eine erwachsene Frau dort leben wollen und ihr Kind dort aufwachsen lassen?«
»Also, sie ist doch jetzt dort heraus, Reuben.«
»Ja, richtig«, bestätigte er. »Ich gehe jetzt wieder ins Bett. Manche Leute müssen für ihren Lebensunterhalt arbeiten«, murrte er und ging durch das Haus die schmale Treppe hinauf. Das Geländer erbebte unter seinem Griff, als er sich die Stufen hinaufzog. Meinen Koffer hatte er auf den Boden fallen lassen.
»Hättest du gerne eine Tasse warme Milch, Raven?«, fragte Tante Clara.
»Nein, danke«, antwortete ich.
»Sicher bist du auch müde. Das ist eine üble Sache für uns alle. Komm mit. Ich habe dir das Nähzimmer fertig gemacht.«
Das Nähzimmer lag unten, direkt neben dem Wohnzimmer. Es war kein großer Raum, aber hübsch, mit einer Blumentapete, einem hellgrauen Teppich, dem Tisch mit der Nähmaschine, einem Holzstuhl mit gepolsterter Rückenlehne und dem Ausziehsofa. Das große Fenster mit den weißen Baumwollgardinen zeigte in Richtung Osten. Am Morgen würde Sonnenlicht das Zimmer erhellen. An den Wänden hingen gerahmte Stickereibilder, die Tante Clara angefertigt hatte. Es waren Szenen mit Bauernhäusern und Tieren und eine mit einer Frau und einem jungen Mädchen, die an einem Bach saßen.
»Du weißt, wo das Badezimmer ist, genau am Ende des Flures«, sagte sie. »Ich wünschte, wir hätten noch ein Zimmer, aber …«
»Dieses hier ist prima, Tante Clara. Ich finde es schrecklich, dir dein Nähzimmer wegzunehmen.«
»Ach, das ist doch nicht schlimm. Die gleiche Arbeit kann ich auch anderswo erledigen. Zerbrich dir darüber nicht den Kopf, Kind. Morgen ruhst du dich erst einmal aus, und vielleicht gehen wir noch morgen zur Schule hinüber und melden dich an. Wir wollen doch nicht, dass du etwas versäumst.«
Nur ungern hätte ich ihr erzählt, wie viel ich bereits versäumt hatte.
»Hier ist eine neue Zahnbürste«, sagte sie und deutete auf den Tisch. »Die habe ich geschenkt bekommen, als ich letztes Mal beim Zahnarzt war.«
»Danke, Tante Clara.«
Sie schaute mich einen Augenblick an, schüttelte dann den Kopf und streichelte mir übers Haar.
»Das machen wir auch bei unseren Kindern«, murmelte sie, küsste mich auf die Stirn und ging nach oben.
Einen Augenblick lang stand ich da. Für Tante Clara war dieses Zimmer nichts Besonderes, aber mir erschien es besser als ein Luxushotel. Ihr Haus roch frisch und sauber, und es war so ruhig – kein Knarren der Treppe, keine Stimmen, die durch die Wände drangen, keine Schritte, die auf die Decke hämmerten.
Ich zog mich aus und schlüpfte unter die frische Zudecke. Das Ausziehsofa war fester als unseres und die Kissen weicher. Mir war so behaglich, und ich war so müde, dass ich für den Augenblick vergaß, dass Mama im Gefängnis war. Ich war zu müde, zu verängstigt und zu verwirrt, um überhaupt noch zu denken. Ich schloss die Augen.
Als ich merkte, dass jemand mich anschaute, öffnete ich sie wieder. Es war Morgen. Die Sonne schien durch das Fenster. Ich hatte vergessen, wo ich war, und setzte mich rasch auf. William stand dort und starrte mich an.
»Mama sagt, du wohnst jetzt bei uns«, sagte er langsam.
Ich rieb mir das Gesicht mit den Handballen und holte tief Luft, als alles wieder auf mich einstürzte.
»William, beweg dein Hinterteil sofort wieder hierher und frühstücke zu Ende«, rief Onkel Reuben.
William zögerte erst, eilte dann aber hinaus. Ich sank auf mein Kissen zurück und starrte an die Decke.
»Deine Mutter ist im Gefängnis«, hörte ich Jennifer an der Tür sagen.
Ich drehte mich um und starrte sie an. Ihr hellbraunes Haar war mit einem Band zurückgebunden. Sie war ein großes Mädchen mit breiten Knochen, die sie schwerer aussehen ließen, als sie tatsächlich war. Onkel Reubens Züge gewannen die Oberhand über Tante Claras. Daher war Jennifers Nase breiter und länger, auch ihr Mund war breiter. Sie hatte Tante Claras Augen, die aber in einem so großen Gesicht fehl am Platze wirkten. Auch ihre Taille war breit. Onkel Reuben behandelte sie jedoch, jedes Mal wenn ich sie sah, als sei sie eine atemberaubende Schönheit. Meiner Meinung nach stand es völlig außer Frage, dass er sie William vorzog. William war zu klein und zerbrechlich, glich zu sehr Tante Clara.
»Das sagt dein Vater«, erwiderte ich.
»Er würde doch nicht lügen, oder? Gott, wie peinlich. Und jetzt gehst du auch noch in meine Schule«, klagte sie.
»Ich will das nicht«, erwiderte ich.
»Erzähl bloß niemandem von deiner Mutter. Wir werden eine Geschichte erfinden«, entschied sie.
»Zum Beispiel?«, fragte ich misstrauisch.
Sie stand da, starrte mich an und dachte nach. »Ich hab’s«, strahlte sie. »Wir sagen, sie sei tot.«