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Der schrecklichste Tag im Jahr trägt den Vornamen meiner Schwester

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Freitag, 18. Juli -

noch 2 Wochen

Ich reibe mir hektisch über das schmerzende, rot glühende Ohr und verfluche die unangenehme Form meines Telefonhörers. Vorwurfsvoll strafe ich das schnurlose Gerät mit einem bösen Blick und warte darauf, dass es sich in einen Haufen verschmortes, pinkfarbenes Plastik verwandelt. Ich wollte sowieso schon lange etwas in der Wohnung haben, dass nicht pink ist – außer meinem Zimmer natürlich. Aber meine Bitten werden nicht erhört und das Telefon bleibt weiterhin ein Barbie-und-Ken-Modell, das jeden über zwölfjährigen Telefondesigner zur Weißglut treiben muss.

In Gedanken pinne ich in fetten schwarzen Buchstaben das Wort Verräter quer darüber. Das Ding scheint nämlich bei Weitem nicht nur Tonsignale zu übertragen, immerhin hat Debbie – das Biest – tatsächlich bemerkt, dass ich ihr nur mit einem halben Ohr zugehört habe. Erst recht, nachdem sie mir den Termin nannte.

Ich war so schockiert, von der geringen Zeitspanne von der Einladung bis zum Termin der Hochzeit, dass ich den langen Wandkalender, der sonst an der Küchentür hängt, von seinem Nägelchen riss und immer wieder von Blatt zu Blatt blätterte, um mir zu versichern, dass ich mich nicht im Jahr vertat.

Zwei Wochen! Das ist unmöglich.

Habe ich schon erwähnt, dass meine Schwester ein Biest ist?

Sie heiratet in zwei Wochen und sagt mir das erst heute!

Heute lädt sie mich ein!

Wie soll ich so schnell noch Urlaub kriegen?

Wie soll ich denn jetzt noch an einen günstigen Flug kommen?

Wie soll ich mich ausreichend auf den Besuch in meiner Heimat vorbereiten?

Das ist grässlich!

Alleine, um mich an den Gedanken zu gewöhnen, dass ich unser Dorf betreten muss, brauche ich zwei Wochen!

Das Schlimmste ist aber die Tatsache, dass ich nichts anzuziehen habe!

Außerdem muss ich daran denken, mir ein Auto zu mieten, damit ich notfalls flüchten kann, um ein Geschenk für meine Schwester zu organisieren. Allein bei den vielen Gedanken schwirrt mir der Kopf, deshalb greife ich nach einem Zettel und schreibe.

1. Ein Kleid finden, dass fast so beeindruckend ist wie Debbies Brautkleid

2. Ein Geschenk kaufen, das ihr die Tränen der Dankbarkeit in die Augen

treibt

3. Einen Flug buchen

4. Mietwagen organisieren

5. Nochmal mit Mike reden und ihn anflehen mitzukommen

Ich nicke zufrieden und grade, als ich mich dem wichtigsten Punkt auf der Liste widmen will, klingelt es an der Haustür. Ich seufze. Eine Sekunde lang denke ich darüber nach, den Störenfried einfach zu ignorieren, beschließe allerdings, dass das nicht sehr nett wäre. Immerhin wohne ich nicht alleine hier, was unter anderem bedeuten könnte, dass der Klingler gar nicht zu mir will.

Seufzend lege ich die Liste zur Seite, hieve mich umständlich vom Esszimmerstuhl und durchquere den winzigen (rosafarbenen) Flur.

Ich reiße die Tür auf. Vor mir steht eine unerhört hübsche Frau, ganz in Pink gekleidet, modisch, übertrieben und minimal extravagant. Zweifelnd betrachte ich den schrägen Schnitt ihres neuen Kleides und zwinge mich, den schrillen Hut weniger kritisch zu mustern. Ihrer Schönheit tut das Outfit allerdings keinen Abbruch. Dunkles Haar umrahmt den strahlenden Teint, als wäre es extra dazu gewachsen, jede außenrum geschehende farbliche Katastrophe zu neutralisieren. Ich erkenne die feinen Gesichtszüge, den ultraschlanken Modelkörper und die ebenmäßigste Haut, die ich jemals gesehen habe. Das ist Zasa, meine beste Freundin und Mitbewohnerin.

Erleichtert schiebe ich die Tür weiter auf und frage mich, warum ich eigentlich so froh darüber bin, dass es »nur« Zasa ist, die mal wieder ihren Haustürschlüssel vergessen hat.

Wer sonst sollte denn kommen wollen?

»Salut, mon Amour!«, trällert Zasa und küsst mich rechts, links und wieder rechts.

»Jaja, Tach«, murre ich und ernte einen fragenden Gesichtsausdruck, bestehend aus einer angespannten Steilfalte auf ihrer hübschen Stirn und leicht gekräuselten Mundwinkeln. In ihren Augen liegt der übliche leichte Tadel, den ich alleine in der Art, wie sie den Kopf dreht, erkennen könnte. Zasa hasst es, wenn ich deutsch spreche, und wenn es nur die unmelodische Grußformel aus meiner norddeutschen Heimat ist.

»Was ist los, chérie?«, fragt sie und runzelt die Stirn ein wenig mehr. Es ärgert mich, dass Zasa selbst dann noch unglaublich gut aussieht, wenn sie Mienen zieht, die normale Menschen nahezu völlig entstellen. Und ganz besonders unfair daran ist, dass sie mir immer noch krampfhaft erzählt ich unscheinbares mittelblondes, mittelgroßes und sogar mittelblauäugiges Ding würde mindestens genauso gut aussehen wie sie.

Ich zucke die Schultern und versuche nur halb so entnervt/schockiert/traurig auszusehen, wie ich mich fühle, bin jedoch sicher, dass es mir nicht gerade gut gelingt.

»Meine kleine Schwester heiratet«, erkläre ich, weil ich weiß, dass es unmöglich ist, etwas vor Zasa geheim zu halten.

Sie sieht mich aus ihren unglaublich bernsteinfarbenen Augen an und verzieht den leuchtend roten Mund. Ich warte darauf, dass sie mir um den Hals fällt, versucht mich zu trösten und mir sagt, dass es ganz schrecklich ist. Innerlich bereite ich mich darauf vor die Arme zur Seite zu nehmen, damit sie mich nicht einquetscht, denn Zasa ist, trotz, dass sie die Figur eines Pariser Supermodels besitzt (okay, sie hat nicht nur die Figur von einem, sie ist auch eins), wesentlich stärker als ich. Diese Vorsichtsmaßnahme allerdings hätte ich mir sparen können. Meine beste Freundin hat gar nicht vor mich zu trösten, nein. Sie bedenkt mich mit einem breiten Grinsen und bricht in schallendes Gelächter aus.

»Ist es das, was dich so sehr bedrückt? Dass deine Schwester ihr Leben an einen Mann verschenkt, nur um einen Tag lang wie eine Prinzessin auszusehen?«, gluckst sie und ich warte seufzend darauf, dass sie sich beruhigt. Zasa und weiße Kleider sind keine besonders guten Freunde. Erst recht nicht, seit ihr Verlobter sie am Tag der Hochzeit versetzt hat, um sich samt seiner Sekräterin auf den Weg in die Karibik zu machen. Voll das Klischee!

»Nein. Nicht die Tatsache, dass sie glaubt, sich binden zu müssen, sondern viel mehr die Nebensächlichkeit, dass ich da hinfahren muss.«

Zasa wischt sich die Lachtränen aus den Augen, findet übernatürlich schnell ihre Fassung wieder und zieht fragend eine perfekt gezupfte Augenbraue hoch.

»Und?« Ich zucke die Schultern. Wahrscheinlich ist das sowieso albern, dass es mich so sehr mitnimmt.

»Dafür muss ich zurück nach Norddeutschland«, sage ich. Zu meiner Familie, ins Kaff, denke ich und bekomme bei dem Gedanken sofort das Gefühl eine feste, riesengroße Kugel im Magen zu haben. Kurz hoffe ich, dass das so bleibt, denn dann brauche ich mich wenigstens mit keiner Diät zu quälen, weil ich mangels Appetit ohnehin nichts essen mag.

Das ist noch ein Punkt für die Liste: Zwei, drei Kilo loswerden. Ganz unbedingt!

Ich kann nicht als dickes Mädchen aus Paris nach Hause kommen. Wenn unter meinem Kleid auch nur ein einziges angedeutetes Speckfältchen zu sehen ist, freut sich Debbie kringelig.

»Freu dich doch auf deine Heimat«, versucht Zasa mich aufzumuntern, klingt aber selbst alles andere als glücklich. Sie streicht sich diese eine dunkelbraune Strähne hinter’s Ohr, die sie immer nur aus dem Gesicht entfernt, wenn das, was sie denkt, von dem abweicht, was sie sagt.

Wunderbar, dann sind wir schon zwei!

»Auf was davon soll ich mich denn bitte freuen? Auf Schafe? Den Metzgermeister um die Ecke, der mich schon kennt, seit ich im Kinderwagen durch das Nest chauffiert wurde? Oder auf die stillosen Frauen in ihren Kittelschürzen, für die es das größte Glück auf Erden ist, sich von einem Vollidioten heiraten und schwängern zu lassen?«, gifte ich. Zasa kichert.

»Scheint fürchterlich idyllisch zu sein, dein Zuhause!«, bemerkt sie grinsend und ich verdrehe die Augen. Sie weiß genau, dass ich um nichts auf der Welt wieder da hin zurück möchte. Mein Blick gleitet an Zasa vorbei aus dem Fenster und ich versuche, mit Hilfe des sonst so entspannenden Anblicks auf den Jardin du Luxembourg ein bisschen von meiner brodelnden Wut abzubauen.

Eigentlich weiß ich nicht mal, warum ich wütend bin!, versuche ich mir einzureden.

»Chérie, wenn du weiter so böse guckst, bekommst du Falten!«, mahnt Zasa und tätschelt mir fürsorglich die Wange. Ich schnaube zur Antwort.

Falten, pah!

Das ist im Moment wohl das geringste Problem.

»Dann fährst du eben ein paar Tage zu deiner Familie, tust so, als wäre alles wundervoll und gibst die kultivierte Pariserin, wie sie das erwarten. Und dann freust du dich, dass du wieder zu mir in die schönste Stadt der Welt zurückkommen darfst!«, sagt sie und macht eine theatralisch umschreibende Geste, die sowohl die gesamte Wohnung als auch das Fenster umfasst, durch das ich eben noch gestarrt habe.

»Ist ja auch scheißegal, dann fahr ich eben hin«, grummele ich. »Trotzdem finde ich es schlimm, dass meine kleine Schwester heiratet und ich den kompletten Abend von jedem minderbemittelten Einwohner dieses Dorf bemitleidet werde«, meckere ich und verschränke dabei die Arme vor der Brust wie ein trotziges Kleinkind.

»Mais Jette, Chérie, das stimmt nicht. Du wirst völlig außerirdisch wirken, so als würdest du gar nicht dort hingehören. Wie eine Erscheinung!« Sie hebt die Hände, als zeichne sie ein Bild in die Luft. »Und am Ende dieser traurigen Veranstaltung wird niemand mehr denken, dass es dir nicht besser geht als den langweiligen Hinterwäldlern. Niemand wird auf die Idee kommen, dass du einsam oder unglücklich in Paris sein könntest. Dafür sorge ich!«, bestimmt sie, reißt zur Untermalung einen Arm nach oben wie Superman.

Sie sieht mich an, was wohl bedeutet, dass sie auf meine Antwort wartet, und verharrt in der Heldenpose. Mein Blick gleitet von der Geste zu ihren pinkfarbenen Stilettos, dann zu ihrem perfekten Make-up und schließlich zu ihrer fragend hochgezogenen Augenbraue. Sie spitzt die Lippen und zieht eine Braue hoch, als wolle sie sagen: Glaubst du mir etwa nicht, dass ich Superwomen bin?

Damit bringt sich mich endgültig zum Lachen. »Ich habe darüber nachgedacht mich ein wenig auszustellen«, gestehe ich, verzichte jedoch darauf mich der äußerst spektakulär lustig aussehenden Heldenpose meiner etwas abgedrehten besten Freundin anzuschließen.

»Na also. Du brauchst ...«, setzt Zasa an und lässt endlich die Faust sinken. Ich falle ihr aufgeregt ins Wort.

»Ich hab schon eine Liste gemacht«, erkläre ich stolz und deute auf das Stück Papier, das noch auf dem Tisch liegt. Schnell wie der Blitz gleitet Zasa an mir vorbei, runzelt die Stirn, wobei sie wahnsinnig süß aussieht, und betrachtet meine Notizen.

»Da fehlt die Hälfte!«, schimpft Zasa energisch. Zur Antwort zucke ich mit den Schultern.

»Das müsstest du als die französische Ministerin für Listenführung doch wissen!« Meine Erwiderung ändert sich nicht. Insbesondere deshalb nicht, weil Zasa übertreibt. So häufig stelle ich gar keine Listen auf, nur To-do-Listen, Checklisten, Einkaufslisten ... Das Übliche. Gelegentlich will man einfach sicherstellen, dass man den Überblick behält, und wenn man sich da mit Zettel und Stift behelfen kann, dann macht man das.

Tun wir das nicht alle manchmal?

Na egal auch, Zasa hält wenig von meinem Sinn für geordnete Dinge. Sie streicht sich erneut die Haare zurück und schenkt mir ein strahlendes Lächeln.

»Reichst du mir gerade den Stift?«

Das Highheel-Project

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