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Beste Freundinnen machen das Leben nicht immer leichter
ОглавлениеFreitag, 18. Juli -
2 Wochen bis Tag X
Nachdem Zasa endlich die Finger von meiner Liste nimmt, sieht das Ding wie folgt aus:
1. Ein Kleid finden, dass fast so beeindruckend ist wie Debbies Brautkleid
2. Ein Geschenk kaufen, das ihr die Tränen der Dankbarkeit in die Augen treibt
3. Einen Flug buchen
4. Mietwagen organisieren
5. Nochmal mit Mike reden und ihn anflehen mitzukommen
Einen richtigen, viel cooleren Ersatz für Mike finden und
nebenbei noch ein bisschen Spaß haben
6. Einen echt guten Friseur suchen
7. Ein überirdisches Paar Schuhe finden
8. Dringend zum Kosmetiker gehen
(sorry, Süße)
9. Zwei Kilo verlieren
(nochmal: Entschuldige)
10. Etwas für das Selbstbewusstsein tun!!!!!
Die vielen Ausrufezeichen sind so dick gezeichnet, dass ich mich frage, warum sie ausgerechnet diesen Punkt so sehr betonen musste.
Das sie fünf gestrichen hat gefällt mir gar nicht. Ich will und kann mit niemand anderem als Mike hingehen, oder gar alleine. Sollte ich es also nicht schaffen in zwei Wochen einen Mann aufzutreiben, der bereit ist etliche Kilometer zurückzulegen, nur um sich die Hochzeit meiner Schwester anzutun, wird mich die Angst ohne Mann im Nest aufzutauchen, in die vertrauten Arme treiben. Vor allem wegen der dunklen Vorahnung, dass meine Schwester mir sonst einen ihrer sehr langweiligen, trotteligen Dorfsingles an die Backe hängt, damit ich den Abend über nicht vollkommen begleitungslos wirke.
Nicht, dass ich mich nicht alleine als starke Powerfrau präsentieren könnte, aber meine Schwester hat etwas gegen Frauen, die ohne Mann auf Hochzeiten auftauchen. Denen will sie dann ganz dringend zum »Glück« verhelfen.
Meiner Meinung nach ist dieser Grundsatz vollständig schwachsinnig, was wohl daraus resultiert, dass ein solcher Gedanke ganz wunderbar zu meiner herzerwärmend hohlen Schwester passt.
Ach ja, wäre an der Stelle der Hinweis angebracht, dass meine Schwester Debbie eigentlich nur meine Halbschwester ist?
Wir haben nur denselben Vater und das Temperament und sämtliche Hirnzellen scheinen sich leider im Erbgut meines Vaters rezessiv zu verhalten. Debbie zumindest hat gar nichts mit mir gemeinsam. Schon gar nicht, was das Fassungsvermögen unserer Köpfe betrifft.
Ich lasse meine Augen ein weiteres Mal über die Liste gleiten und stelle fest, dass meine so genannte beste Freundin ein echtes Miststück sein kann, wenn sie es nur darauf anlegt. Seufzend lege ich die Liste bei Seite und starre schon wieder in Bernsteinaugen, die mich erwartungsvoll anblinzeln.
»Und? Wo fangen wir an?« Ich zucke die Schultern und widerstehe dem Drang Zasa aus unserem Wohnzimmer zu scheuchen. Stattdessen schwinge ich mich vom weißen Kunstleder Küchenstuhl, betrachte den rosa Plüsch nicht, der die Lehne so hübsch in Szene setzt, und schwebe daran vorbei zum Kühlschrank. Dort greife ich treffsicher nach der Flasche unseres guten alten Proseccos für Notfälle und lege vorsorglich zwei weitere Schätze aus Zasas Vorrat nach.
Das habe ich mir jetzt verdient, denn das hier ist definitiv ein Notfall!
Mit dem Gedanken pflücke ich schwungvoll den Korken heraus. Und ernte sofort ein schrilles Freudekreischen von Zasa. Manchmal hasse ich sie wirklich, aber genau dafür liebe ich sie leider auch.
»Also, trinken wir auf das Projekt Debbies Hochzeit!«, erklärt Zasa, sobald sie das Glas am silberfarbenen Designerstielchen hält. Das Kichern, das sich meine Kehle entlang schleicht, kann ich, trotz aller Anstrengung, nicht mehr runterschlucken.
Wir stoßen an und ich lasse mich durch das Prickeln auf meiner Zunge ablenken. Es ist wiedermal an der Zeit, heilfroh darüber zu sein, dass Zasas Eltern stinkreich sind, wir uns deshalb keine Sorgen darum machen müssen, wie viel Geld diese noble Prickelbrause kostet.
Aber wer seiner Tochter, mal schnell die eigene, vermietete Wohnung mitten an einem der teuersten Flecken von Paris freimachen kann, nur weil sie in diese Stadt will, wird sich wohl kaum Gedanken um den Preis einer Kiste Prosecco machen.
Das denke ich zumindest, während ich das Glas in einem Zug leere und uns beiden nachgieße. Die Blubberbrause verbreitet sofort ein angenehm warmes Gefühl in meinem Bauch, sodass ich mich ein bisschen leichter, fühle und ein Teil meines überschäumenden Ärgers verfliegt.
»Projekt Pimp My Jette!«, gebe ich zurück und kichere in meinen Prosecco.
»Oder besser, wir taufen die Aktion, wie einen Hollywood-Actionfilm!«, setzt Zasa noch einen drauf und lacht so sehr, dass sie das, was sie unbedingt loswerden will kaum noch über die Lippen bringt.
»Das High-Heel-Project!«, brüllen wir gleichzeitig, stoßen kichernd darauf an und schmieden Pläne für unsere Shoppingtour. Dabei leeren wir die erste Flasche Prosecco, schon ergibt ein Wort das andere und wir vernichten noch eine Flasche, zwei … drei.
Vielleicht sogar etwas mehr, das weiß ich nicht mehr genau. Jedenfalls liegen wir plötzlich Schulter an Schulter – wie auch immer das passieren konnte, erschließt sich mir nicht – im pinken Fransenwust des Wohnzimmerteppichs und philosophieren vor uns hin.
»Weißt du, Mike war der Beste!«, sinniere ich und Zasa winkt grob ab.
»Quatsch … Du kriegst je…«, ein winziger Schluckauf unterbricht sie mitten im Wort. »Jederzeit einen anderen, besseren Mann!«, führt sie ihren Satz zu Ende.
»Einen viel Besseren!«
Ich glaube das nicht, betrachte dabei die weiße Decke, an der sich die kunstvollen Ornamente gemächlich im Kreis drehen, und hebe mein Glas, um darauf anzustoßen, dass es zumindest die Hoffnung gibt, dass Zasa recht haben könnte.
»Prost!«, nuschele ich, bereits den Glasrand an den Lippen.
»Prost!«, donnert Zasa. Ich hebe den Stil nach oben, bemerke, wie das dünne Glas sich unter meinen Fingern etwas zu weit aufrichtet, und kippe mir die Hälfte vom Prosecco in den Ausschnitt.
»So was von!«, murmelt Zasa.
»Einen viiel bessssseren, gaanz best…stimmt!«, lalle ich und spüre noch, wie sich der Raum aus den Angeln hebt, während mir die Augen zufallen.
Samstag 19. Juli-
Noch 13 Tage bis zur Abreise
Zasa drückt mir die dritte riesige Tasse in die Hand, über deren Rand schwarzer Kaffee auf die weiße Tischplatte schwappt. Allein beim Gedanken an noch mehr Koffein dreht sich mir der Magen um. Deshalb stelle ich die Tasse ab, stütze meinen Kopf in die Hände, was das Hämmern darin nicht unbedingt leiser macht und schließe die Augen, um zumindest das Licht auszusperren.
»Hey Jette! Nicht schlafen, wir gehen shoppen!«, säuselt Zasa und ich hasse sie dafür, dass sie nicht halb so erledigt scheint wie ich. Insbesondere, weil ich meinen Zustand nicht mit einem »ich-bin-zu-alt-für-große-Besäufnisse-Spruch« abhaken kann, solange sie so superfit aussieht. Das gefällt mir überhaupt nicht und daran ist nur Zasa schuld.
Vorsichtig blinzele ich gegen das Morgenlicht an und stelle fest, dass ich Vampire manchmal gut verstehen kann. Tageslicht und so. Bäh!
»Na komm schon, gehen wir.« Zasa springt von ihrem Stuhl, zieht mich auf die Füße und streift sich gleichzeitig ihre wie aus dem Nichts herbeigezauberten High Heels über die Füße.
Ihr Tempo ist, wie immer schwindelerregend, was sie trotz des Wissens beibehält, dass ich das heute nicht gebrauchen kann. Aber darauf nimmt jemand wie Zasa selten Rücksicht. Widerwillig schleppe ich mich zum Schuhschrank, greife nach meinen roten Turnschuhen und werde sofort von der beste-Freundinnen-Modepolizei verhaftet.
»Das geht nicht! Du kannst unmöglich in Sportschuhen ein geniales Abendkleid kaufen gehen!« Ich seufze.
»Warum denn nicht?« Sie sieht mich an, als hätte ich gerade erklärt, dass ich nackt auf die Straße gehen will und das ich absolut nicht verstehen könnte, wie man so etwas für peinlich halten kann.
»Weil das nicht geht. Punkt!«, erwidert sie trotzig.
»Kriege ich dann kein Foto von Heidi, oder wie?«, gifte ich und ernte einen weiteren verständnislosen Blick, der mir so gut gefällt, dass ich beschließe, sie nicht darüber aufzuklären, dass wir seit neustem Empfang für deutsches Fernsehen haben.
»Ich trage Turnschuhe, die sind total in! Und wir gehen shoppen!«, setzte ich gespielt fröhlich an und lasse mich von der nun wieder stürmischen, ekelhaft gut gelaunten Zasa in die Metro schleifen. Die bringt uns auf direktem Weg in das Gewimmel der Rue Rivoli. Zasa scheucht mich mehrfach durch die halbe Einkaufsmeile, auf der ich regelmäßig beinahe über fotografierende Touristen stolpere, bis Zasa mich begeistert in einen überfüllten Laden zerrt, in dem sie Abendmode vermutet. Prompt werde ich mit einer riesigen Auswahl knallbunter Dinger in die Umkleide gesperrt.
»Zasa!«, jammere ich und halte ein knallgelbes Tüllmonster hoch, dem nur noch das Plastikblümchen am Ausschnitt fehlt, um sich für den Award des »absolut hässlichsten Abendkleides ever« zu qualifizieren. Ein Teenager-Abschlussballtraum im Farbton »toter Kanarienvogel«. Ich greife das Ding vorsichtig an der Spitze vom Bügel, mit Daumen und Zeigefinger, hole Schwung und befördere es über den Vorhang der Kabine. Draußen schimpft Zasa durch den Stoff.
»Du kannst doch so nicht mit den schönen Kleidern umgehen, Jette! Das hier ist doch ein Traum!«, erklärt sie offenbar dem Tüllmonster, als könnte es tatsächlich beleidigt sein, dass es mir nicht gefällt.
Ich verdrehe die Augen und widme mich dem nächsten Kleid, diesmal grün oder auch liebevoll »überfahrener Frosch«, selbst vom Farbverlauf her erinnert das Design stark an kleine Tiere auf Autobahnen in der Froschwandersession. Da in der Mitte sieht sogar etwas ganz gelblich aus so wie ... Ich verdränge den Gedanken, weil sich mein Magen noch immer gegen allzu bildhaftes Denken wehrt.
Jedenfalls lautet das Fazit zu diesem Kleid: Igitt!
Dann folgt ein Barbietraumkleid, bei dem es immerhin dazu reicht, dass ich es anprobiere und mit entsetztem Gesicht und anklagenden Blick aus der Kabine trete. Ich schwöre: Hätte ich lange Hasenohren, würden sie mir augenblicklich bis über die Knie hängen.
Da ich die aber nicht habe, muss ich versuchen Zasa mimisch klar zu machen, dass das Kleid ein Albtraum ist – ein sehr schlimmer, sehr langer mit sehr vielen haarigen Monstern gespickter Albtraum!
Die Verkäuferin verschwingt sich sofort in Begeisterungsstürme. Vermutlich, weil ich mich zumindest in eins ihrer grässlichen Kleider hineingezwängt habe.
»Das ist wunderschön!«, flötet sie.
Die Augen meiner treuen Freundin allerdings ruhen glücklicherweise weder auf dem fluffigen Rock noch auf dem viel zu tiefen Ausschnitt.
»Das finde ich schrecklich«, sagt sie, so überzeugt, dass ich glaube, sie spräche meine Gedanken aus, wofür ich ihr echt dankbar bin, als ich den Blick der Verkäuferin sehe.
Um jegliche Diskussion zu vermeiden, verschwinde ich sofort wieder in der Kabine und steige in das nächste Ding. Ein feuerwehrrotes Schlauchkleid, dass es gerade so schafft, meinen Hintern zu bedecken.
Ich verlasse die Kabine und wünsche mir, meine beiden Berater mit Blicken töten zu können.
»Es ist ein Traum!«, behauptet die dunkle Schönheit, die offensichtlich auf Provision hässliche Fetzen an strohblöde Kundinnen verkauft.
»Es ist grässlich. Wenn, dann mit einem fetten Alb davor!«, mäkelt Zasa und ich versuche, mich einzuklinken.
»Also ich finde ...«, setze ich an, sowohl Zasa als auch die Verkäuferin winken ab.
Anscheinend tut meine Meinung nichts zur Sache.
Wunderbar!
Was interessiert es mich auch, wie das Ding aussieht?
Ich soll ja nur damit rumlaufen!
Perfekt!
»He! Hallo, das ist mein Kleid und ich will darin einen Abend besser aussehen als meine KLEINE Schwester, die BRAUT!!!!« Ich brülle die beiden schlimmsten Worte in dem Satz so laut, dass weder meine Freundin noch die Verkäuferin sich gegen mein Gekreische wehren können und zusammenzucken.
Schön! Das war genau der Sinn der Sache.
Ich möchte nicht, dass sie mir ein Kleid aussuchen, in dem sie mich sehen wollen, nur, weil die eine Kohle verdienen und die andere mir einen Kerl für die Kiste organisieren will.
Nicht, dass ich etwas dagegen hätte, nur ist es eben so, dass ich absolut nichts davon halte in einem grausamen Kleid in unserem Kaff aufzutauchen. Allein der Gedanke, dass mein Sandastenskumpel mich in der Barbiemönströsität oder einem engen, extrem knappen Schlauchkleid sehen könnte, drehen sich meine Zehennägel bis zu den Haarspitzen.
Nein, insbesondere das rote »ich-brauche-dringend-einen-Kerl-Modell« ist völlig ausgeschlossen, so leid es mir tut und so wahr das Problem in Zasas Augen sein mag.
»Das Ding geht gar nicht!«, erkläre ich und fange an mich aus dem Fetzen zu pellen, ohne die Kabinentür richtig zu schließen, was die empörte Verkäuferin sogleich für mich erledigt.
»Was willst du denn tragen?«, fragt Zasa, nachdem ich den Karnevals-Feuerfrau-Kostüm-Verschnitt und das Barbie-Revival aus der Kabine gefeuert habe.
So ungern ich es zugebe, es macht mir zumindest Spaß Kleider über die Türe zu werfen. Bei dem Gedanken verkneife ich mir ein Kichern und wünsche mir fast noch eins dieser Dinger in greifbarer Nähe zu haben, um es flott über den Buchen-Birken-was-auch-immer-Fake befördern zu können.
»Etwas Elegantes, Schönes«, sage ich.
Etwas, dass mich auf Anhieb zur sexyiest-Women-alive kürt, ohne, dass ich es sagen muss, denke ich und wundere mich über den eigenen Antrieb in meiner öden Heimat besonders gut aussehen und vor allem möglichst gut ankommen zu wollen.
»Dann Champs Elysee, nein, Boulevard Haussmann, auch nein, noch besser: La Fayette!«, beschließt Zasa vollkommen überzeugt und ich frage mich kurz, wer da bitte mein Bankkonto gefragt hat. Mir fliegt das Geld nicht zu, sodass ich für den einmal-tragen-Fummel ein Vermögen hinblättern kann. So wie ich Zasa kenne, wird sie sich allerdings kaum davon überzeugen lassen, dass ich kein Designerkleid brauche, solange sie den Fetzen nicht an mir gesehen hat.
Ich meine: Klar trage ich gerne teure Kleider und der Designer gehört quasi zur Pariser Basic Ausstattung, aber ein Abendkleid aus der Galerie La Fayette ist immer noch etwas anderes als ein einfaches, klassisches Armani Kostüm, das ich immerhin jeden Tag zur Arbeit tragen kann, wenn ich denn will.
Andererseits werde ich wahrscheinlich sowieso kein Designer- Abendkleid finden, dass meiner Vorstellung entspricht und dann habe ich immerhin den Laden hier verlassen dürfen. Also werde ich wohl gute Mine zum bösen Spiel machen.
»Ja, lass es krachen, Zasa! Ich will aussehen wie eine Göttin!«, verkünde ich, als ich in Jeans und T-Shirt aber dennoch entschlossen die Kabine verlasse.
Ich nehme sie an der Hand, auch wenn das sonst so gar nicht meiner Art entspricht, bewundere das angewidert faszinierte Gesicht der Verkäuferin und – ja, ich Biest – genieße es.
Am liebsten würde ich Zasa einen offensichtlichen Kuss auf den Mund drücken und lasse es nur bleiben, weil sie es seltsam finden würde.
»Das Ding war Horror«, merke ich an und ernte schallendes Gelächter, als wir durch die Magnetschleusen gehen und direkt über die Straße auf die nächstgelegene Metrostation zu steuern. Der Verkehr ist wie gewohnt höllisch, und ich bin froh, dass Zasa noch nie versucht hat, bei ihren Eltern ein Auto zu erschnorren. Für die fünf Minuten, die wir mit der Metro brauchen, würden wir vermutlich eine Stunde im Stau stehen.
»Und wenn man das dem Kleid nicht angesehen hat, dann immerhin deinem Gesicht!«, kichert Zasa noch immer, als wir an der Galerie La Fayette aus der Metro steigen. Ich rolle die Augen.
»Steck mich bitte, bitte nicht nochmal in ein Ding!«, bettele ich, während wir die Treppen hinaufsteigen. Allerdings weiß ich sofort, dass diese Bitte ungehört bleibt.
Bevor ich mich darüber beschweren kann, dass sich dieses etwas von einem Kleid einen ganzen Abend an meinem und nicht an Zasas Körper befinden würde, zerrt Zasa schon wieder an meiner Hand. Ich hasse dieses Gezerre und das weiß sie mindestens genau so gut wie ich.
»He!«, protestiere ich und ernte einen knappen, nichtssagenden Blick von Zasa und ein verächtliches Naserümpfen.
Manchmal hasse ich sie, habe ich das schon gesagt?
»Da, da, da!«, quietscht sie einfach, als wäre das eine Antwort und plötzlich ist alles verachtende aus ihrem Blick gewichen. Sie strahlt, sieht unglaublich schön aus, wie sie da auf dieses riesige Schaufenster zu steuert, hinter dem offenbar die Erfüllung all ihrer Wünsche steht.
Ich seufze, solche Anfälle kenne ich von Zasa bereits. Meistens sind sie damit zu beheben, dass man ihr das Kleidungsstück, den Schuh, die Handtasche was auch immer, anzieht bzw. umhängt. Von da an gibt es zwei mögliche Szenarien: sie greift entweder verzückt grinsend nach ihrer dauerüberlasteten Visa, oder es steigen langsam klitzekleine Tränchen in ihre Augen. Weil das Kleid nicht passt, der Schuh nicht über den Fuß geht, oder, genau so schlimm, vom Fuß fällt, wenn sie läuft.
Ich rolle also die Augen, folge aber Zasas verträumtem Blick, um zu sehen, was dieses Mal das Objekt der Begierde ist und ... ich werde buchstäblich vom Blitz getroffen.
Im Schaufenster ist ein Kleid zu sehen und nicht einfach nur irgendein Kleid. Nein, es ist das schönste, aufregendste, heißeste und eleganteste Kleidungsstück, das ich mir vorstellen kann. Es ist nachtschwarz. Die Ärmel bestehen aus einem durchsichtigen Gebilde, das nur als leichte Schattierung auf der weißen Plastikhaut der Schaufensterpuppe zu erkennen ist. An den Seiten zieht sich das durchscheinende Etwas bis zu den Hüften, wo der ausladende Rock aus schwarzer Spitze beginnt. Schwarze, schimmernde Perlen setzen die Höhepunkte der Spitzenmuster in Szene, und nach oben, gerade so, dass es die Stellen verdeckt, die man auf keinen Fall offenlassen darf, sind zwei flammenähnliche Ausläufer des Rockstoffs angebracht.
Kurz gesagt: Es ist gewagt, düster, dramatisch, geheimnisvoll und unglaublich schön.
»Ich muss da rein!«, sage ich. Beziehungsweise habe ich das vor. Alles, was ich herausbringe, ist ein halbes Stottern, das nur sehr entfernt wie ein Wort klingt.
»Es ist wunderschön!«, haucht Zasa neben mir und ich nicke, ohne den Blick von dem Weltwunder im Schaufenster zu lösen.
Dann spüre ich eine Hand an meinem Ellbogen, die mich ganz vorsichtig und dennoch nachdrücklich durch die gläserne Eingangstür der Galerie La Fayette zieht. Drinnen begrüßt mich das übliche Wuseln der Parfüm- und Make-up-Verkäufer sowie der feine Hauch verschiedener Luxusdüfte, der von jedem Stand ganz speziell verströmt wird, ohne sich in der Mitte zu etwas Unerträglichem zu mischen. Allein die lebhafte Stimmung in dem Salon entspannt mich. Bevor wir unter die golden schillernde Kuppel treten können, die jedes Mal wie magisch meinen Blick anzieht, fühle ich mich leicht und zufrieden. Von unten her betrachte ich die Balkone, die wie schüchterne Halbmonde in die Pracht der verzierten Decke hineinragen.
»Hast du das Label gesehen?«, frage ich Zasa und versuche zeitgleich mir die Lage sämtlicher Shops ins Gedächtnis zu rufen. Das wirre Gewimmel der Menschen beraubt mich meiner Konzentration.
»Nein!« Ich beobachte, wie meiner besten Freundin die Gesichtszüge entgleiten. Da wir uns aber bereits den Weg durch die Parfümeure gebahnt haben, beschließen wir, dass es nicht so schwer sein kann, den richtigen Designer aufzutreiben.
Wir irren uns.
Stundenlang watscheln wir durch die gesamte Galerie. Während Zasa so aussieht, als würde sie barfuß einen Strandspaziergang machen, habe ich bereits in den flachen Tretern das Gefühl, dass meine Füße allmählich taub werden. Am Ende weiß ich nicht mal, wie oft ich durch welchen Glastunnel gegangen bin und wie oft wir die Etagen gewechselt haben.
Und dann endlich taucht etwas vor uns auf, das wirkt, als könne es die restliche Kollektion desselben Designers sein.
Nachdenklich betrachte ich die Auslage und weiß sofort, dass es keine gute Idee ist, hier nach einem Abendkleid zu suchen.
Marke: Unbezahlbar.
Zasa ist bereits losgezogen, um nach einer Verkäuferin zu suchen, die mir den Traum von einem Kleid beschafft. Grundsätzlich nicht verkehrt und dennoch wird das zur Ursache für ein fürchterlich flaues Gefühl: zu wissen, dass ich dieses Kunstwerk anprobieren, es großartig finden und nicht bezahlen können werde.
Ich spüre schon, wie mir die Tränen in die Augen steigen, und blinzele sie ärgerlich weg. Eigentlich bin ich nämlich kein verheultes kleines Mädchen, nicht, wenn ich nicht verkatert bin, nachträglich doch noch unter Koffeinentzug leide und zudem den Schock über die Hochzeit meiner Schwester verwinden muss.
Kurz: Es handelt sich um eine Verkettung unglücklicher Umstände!
Langsam wende ich mich dem Ausgang zu und beschließe nun erst einmal in der nächsten Cafébar haltzumachen, um zumindest eines der Probleme zu lösen, die mich emotional destabilisieren, werde aber noch vor dem eigentlichen Fluchtversuch von Zasa aufgehalten.
»Da ist sie!«, erklärt meine beste Freundin der todschicken Verkäuferin, die sie mit sich herumschleppt. Eine Frau Anfang dreißig, schätze ich, elegant geschnittene, halblange, platinblonde Haare und die Ausstrahlung einer Hollywoodschönheit, die sich perfekt in ihren dunklen Augen widerspiegelt. Sie schenkt mir ein umwerfend einstudiertes Lächeln, wirkt in ihrer schwarz-weißen Bekleidungskombination, die aus so vielen wilden Schichten besteht, dass ich kaum ausmachen kann, was sie eigentlich alles trägt, so sicher und wie der Maßstab aller modischen Entscheidungen. Nicht nur das Kleid aus dem Schaufenster ist also faszinierend.
Die Frau lächelt mich an und wartet wohl darauf, dass ich reagiere.
»Hallo«, sage ich etwas plump. Sie jedoch scheint keine Sekunde in ihrer professionell trainierten Freundlichkeit zu wanken.
»Guten Tag! Willkommen in unserem wunderschönen Shop für traumhafte Bekleidung. Mein Name ist Juliette und ich stehe Ihnen heute bei Ihrem Besuch zur Seite. Ihre Freundin meinte, dass Sie sich für das Kleid aus dem Schaufenster interessieren?«, fragt sie, ganz Verkäuferin. Ich denke kurz darüber nach, ihr zu sagen, dass sich das für mich so eben erledigt hat, weil ich es doch nicht so schön finde, wie vermutet. Nur bringe ich das nicht übers Herz.
Diese strahlende Frau abweisen? Das kann ich nicht.
Also nicke ich brav und füge mich abermals meinem Schicksal.
»Dann hole ich ihnen gerade eins in ... Größe zwei?« Ihr Blick gleitet an mir entlang und ich warte nur darauf, dass sie sich korrigiert und mindestens eine Vier anbietet, die ich nicht brauche, nur damit ich sie gemein finden kann.
»Es wird fantastisch an ihnen aussehen!«, erklärt sie lächelnd.
»Der durchscheinende Teil oben kommt bei so hellen Hauttypen viel besser zur Geltung, als bei dunklen Mädchen. Sie werden nahezu zerbrechlich darin aussehen, überirdisch!«, schwärmt die Verkäuferin und Zasas verträumter Gesichtsausdruck spricht Bände.
»Sofort wieder da!«, flötet Juilette und verschwindet, als hätte sie sich in Luft aufgelöst.
»Was war das?«, frage ich und schüttele langsam den Kopf um das hypnotische Säuseln dieser an Perfektion grenzenden Frau aus meinem Kopf zu vertreiben.
»Das war die Verkäuferin!«, erklärt Zasa und wirft mir einen Blick zu, der sich ziemlich einfach mit folgendem Gedanken unterlegen lässt: Bist du so blind, oder so durch den Wind, dass du nicht mal zugehört hast, als sie sich vorstellte.
Am liebsten würde ich ihr sagen: Beides. Insbesondere, weil sie diese anderen Gefühle, diese hypnotische Schwingung nicht wahrnehmen kann, die für mich so offensichtlich in der Luft liegt. Das ist nun mal Zasa, sie lässt sich gerne manipulieren und merkt es im Regelfall nicht einmal.
»Ist sie nicht toll?«, fragt Zasa völlig begeistert und ich warte nur noch darauf, dass sie beginnt, von einem Bein auf’s andere zu hüpfen, um ihre Ungeduld abzubauen.
»Supertoll«, sage ich mit todernster Miene und hoffe auf diese Weise das Kleinkindverhalten meiner Freundin einzudämmen. Das Bild einer Dreijährigen mit Zasas Schlafzimmerblick erscheint vor meinem inneren Auge, doch statt Stofftieren hält sie Schuhe in der Hand.
Stimmt! Wahrscheinlich war ihr Spielzeug schon immer zu Bekleidung umfunktionierbar.
»Da bin ich wieder! Mit dem Prachtstück!«, flötet Juliette und stakst auf ihren fünfzehnzentimeterhohen Stilettos (wie unpraktisch, wenn man den ganzen Tag stehen muss!) ein elegantes kleines Treppchen hinab. Dabei hält sie das Kleid wie einen Schild vor sich. Es ist wirklich wunderschön.
»Es ist unglaublich!«, keucht Zasa und ich verdrehe die Augen.
»Ja ja. Ich würde es dann gerne anprobieren, okay?«, sage ich als spräche ich mit zwei Bankräubern, die versuchen, mich zur Geisel zu nehmen.
Nur gut, dass die Verkäuferinnen in Designershops wenigstens keine Waffen bei sich tragen.
»Selbstverständlich!« Juliette strahlt und schwebt an mir vorbei auf die riesigen Umkleiden zu. Erstaunt betrachte ich den Raum hinter dem Vorhang und frage mich, in welcher Ecke ich wohl mein Kinderzimmer am dekorativsten Unterbringen könnte. Das würde hier nämlich mindestens einmal hineinpassen.
»Wir vertreiben auch Roben für große Bälle!«, sagt Juliette stolz und ich frage mich, was genau sie damit aussagen will. Ich möchte gut aussehen und so, aber es ist keine Option auf der Hochzeit meiner Schwester in einem blutroten, edelsteinbesetzten Kleid mit zwei Meter Schleppe, a la Oscarverleihung aufzutauchen.
Meine Stiefmutter würde mich erschlagen, weil ihre kleine liebe Debbie wie ein Schlosshund heulen würde. Und ich bin ganz sicher, dass der künftige Göttergatte schon vor dem ersten Tränchen Taschentücher bereithalten, den Stylisten notfallmäßig nochmal herbestellen und ihr während der Wartezeit beruhigend die Schultern massieren würde.
Die Vorstellung zeichnet mir ein boshaftes Lächeln ins Gesicht. Das wäre zumindest eine kleine, wenn auch gemeine Rache dafür, dass sie mir damals meinen Freund ausgespannt hat. Es ist nicht so, dass ich nachtragend wäre. Ich hätte es ihr womöglich sogar verziehen, wenn sie es nicht immer und immer wieder getan hätte! JEder meiner Freunde hat sich irgendwann von mir getrennt, um mit meiner Schwester zusammen zu sein.
Jaja, die jüngere Tochter des Hauses hatte schon von Anfang an einen Joker.
Sie hat deinen Pudding gegessen?
Die arme Debbie hat es doch so schwer, also lass sie bitte in Ruhe.
Ich schnaube, noch bei dem Gedanken daran und bin tatsächlich sogar ein bisschen bedrückt. Zumindest so lange, bis ich das wahnsinnigste Kleid Allerzeiten am Körper trage.
Ich bewundere mich selbst im Spiegel, bevor ich den Schritt nach draußen wage und sofort in bewundernden Ahs und Ohs untergehe. Eine Sekunde lang warte ich ernsthaft darauf, dass ein Boulevardfotograf anfängt zu knipsen.
»Es steht Ihnen unglaublich gut!«, seufzt Juliette und ich bin fast sicher, dass ich da, in ihren Augen, ein kleines Tränchen ausmachen kann.
Bei Zasa ist das Suchen nicht notwendig. Ihr rollt die Rührungsträne über die Wange und hinterlässt erstaunlicherweise keine Rille im Make-up, was mich dazu bringt, mich zum gefühlt hundertsten Mal zufragen, wie sie das immer hinbekommt.
Wieder drehe ich mich zum Spiegel um und bin ... hin und weg.
Das Kleid lässt mich aussehen wie eine Göttin, gleichzeitig wirke ich zerbrechlich und bin vollkommen weiblich. Unter der Spitze blitzt meine Haut hervor, so hell, als sei sie aus Porzellan und das satte Schwarz bildet einen wunderschönen Kontrast dazu.
Wow! Ich sehe aus wie eine ziemlich sexy Version, einer alten Schauspielerin aus einem Schwarz-Weiß-Film.
»Es ist unglaublich!«, hauche ich. Juliette und Zasa nicken aufgeregt.
»Damit wirst du sie vom Stühlchen hauen!«, stellt meine beste Freundin fest und, ich gebe es meistens nur ungerne zu, aber sie hat recht. »Wenn du so neben ihr stehst, kann Debbie echt einpacken!«, ereifert sie sich. Das Bild, das – vermute ich zumindest – in Zasas Kopf entsteht, sehe ich vor mir …
Debbie war zwar immer die nette Kleine, allerdings noch nie die Schlankste. In ihren hochpubertären Phasen war jedes Zooflusspferd elegant im Vergleich zu ihr, was die Aufmerksamkeit meiner »Eltern« noch weiter auf dieses kleine verwöhnte, fette Gör richtete.
Das die junge Jette wesentlich bessere Schulnoten mitbrachte, regelmäßig zum Sport ging (Was sich die ältere Jette nicht mehr vorstellen kann) und beim Schultheater stets die Hauptrolle spielte, interessierte da wenig. Meine Stiefmutter und mein Vater hielten nichts von Kultur und kamen nie zu den Aufführungen … Zumindest bis Debbie alle meine Rollen stahl. Dann erschienen sie sogar zu Generalproben, bemalten Bühnenbilder …
Ich verdränge den Gedanken. Der Hass auf Debbie ist jetzt völlig unangebracht, wahrscheinlich kriege ich Pickel, wenn ich mich zu lange meinen negativen Gedanken hingebe.
Deshalb wende ich mich wieder der Betrachtung des Kleides zu und finde es wieder unglaublich.
»Es ist toll«, gestehe ich und Juliette wirkt leicht beleidigt. Sie schiebt das Kinn ein winziges Stückchen vor und ich kann das Funkeln in ihren Augen sehen. Sie hat sich völlige Ekstase gewünscht und sich wahrscheinlich vorgestellt, dass sie mir dieses Kleid zeigt und ich sie mit Kreditkarten bewerfe, um es zu bekommen.
Da fällt mir ein, dass ich noch keinen Gedanken an den Preis verschwendet habe. Langsam gleiten meine Finger zum Schild, das dezent und ebenso schwarz wie der Stoff an einem dünnen Faden auf meinem Rücken hängt. Mein Blick fällt auf den Namen des Designers, Blanch et Noir Paris, ein Name, den ich erst vor kurzem in der Vogue entdeckt habe. Sie nannten das Label einen neuen Stern am Designerhimmel und einen winzigen Augenblick denke ich, dass ich die perfekte Verkörperung des Markennamens darstelle, wenn ich dieses Kleid trage. Schwarz und weiß.
Dann drehe die dunkle Pappe mit der silberfarbenen Aufschrift so, dass ich es im Spiegel lesen kann, stelle fest, dass die Zahlen gespiegelt erscheinen, und runzele die Stirn. Das, was ich glaube gelesen zu haben kann nicht stimmen. Ich versuche das Schild über die Schulter nach vorne zu ziehen und verrenke mir gleichzeitig den Hals um die kleinen schimmernden Zahlen entziffern zu können.
Drei Mal muss ich hinsehen, bis ich begreife, dass ich mich nicht getäuscht habe und, dass die horrende Summe, die ich im Spiegel gesehen habe, wirklich auf diesem Schildchen steht.
Ich schlucke.
So viel Geld für einmal Tragen?
Eigentlich dachte ich, dass mir das frühestens bei meinem garantiert niemals vorhandenen Brautkleid passiert.
»Ein echtes Schnäppchen, finden Sie nicht?«, ereifert sich Juliette und ich versuche dafür zu sorgen, dass meine Kinnlade dort bleibt, wo sie ist. Mir liegt eine ziemlich unfreundliche Gegenfrage auf der Zunge, die, ob Juliette ansonsten Kleider verkauft, die so teuer sind wie Kleinwagen. Zasas böser Blick bringt mich dann doch dazu, das kleine Teufelchen auf meiner Schulter wieder in seine höchst private Unterwelt zu verbannen.
Manchmal kann sie sich aufführen wie ein Zirkusdompteur neben dem Tiger. Okay, das sollte man vielleicht auch, wenn man sich neben mir aufhält.
»Und Sie brauchen Schuhe!«, bestimmt Juliette.
Ich werfe einen weiteren Blick in den Spiegel und stelle fest, dass ich genau weiß, was ich mir an die Füße schnallen möchte. Letzte Woche habe ich die perfekten Anwärter erst im Schaufenster entdeckt, ein Stück die Straße runter. Sandaletten in Nachtschwarz mit Nieten, was eigentlich nicht unbedingt meinem Stil entspricht, dieses spezielle Paar jedoch stört sich nicht daran. Sie sind wunderschön und endlos sexy. Die schicken High Heels und dieses Mordinstrument von einem Kleid wären genial um die bestickte und berüschte, tüllverkleidete Version meiner Stiefschwester ausstechen zu können.
Je provokanter, desto besser!
»Eigentlich weiß ich schon, welche ich tragen möchte«, erkläre ich. Allerdings spreche ich bereits nur noch mit Zasa, denn Juliette ist davon geschwebt und gleitet auf ihren Megahacken durch die Boutique um meinen Rock-Babe-Traum durch etwas anderes zu ersetzen. Insgeheim rechne ich mit Schleifchen und Strass und beschließe die Dinger auf keinen Fall anzuziehen, wenn sie aussehen wie die Ballschuhe einer Zwölfjährigen.
»Zu spät, ich glaube, sie stellt gerade den ganzen Laden auf den Kopf«, meint Zasa und wirkt dabei völlig entzückt, statt mein überbordendes Entsetzen zu teilen.
»Sie soll aber nicht alles durchwühlen, um mir Schleifchenschuhe auszusuchen, ich will sie mir selbst aussuchen. Das perfekte Paar habe ich schon gesehen!«, erkläre ich und spüre, dass mich die Situation nicht nur nervös, sondern wütend macht.
Zasa rollt die Augen.
»Entspann dich mal! Nur, weil Juliette Ideen hat, heißt das nicht, dass du sie auch umsetzen musst. Schau es dir einfach an und, wenn du nicht möchtest, dann nimmst du eben nur das Kleid, et fini!«, erklärt sie.
Das klingt so leicht, wenn Zasa es sagt. Mein Problem ist nur, dass ich es hasse Verkäufern etwas auszuschlagen, die sich so sehr anstrengen. Und bei der Mühe die Juliette sich macht, hätte sie glatt den Pariser-Klamotten-Oscar verdient.
Sie schwebt wieder herbei und hält einen Hauch von zarten schwarzen Riemchen in der Hand, die Stege, die sich in ein filigranes Muster winden, sind so dünn, dass ich glaube sie alleine damit zu zerstören, dass ich sie berühre. Ehrlich: Wäre es Glas gewesen, ich hätte nicht vorsichtiger sein können.
Die vollkommene Demonstration für die Vollendung der Designkunst gleitet in meine ausgestreckten Hände. Sie landen sanft auf meiner Handfläche und ich bin sicher, dass sie gleich anfangen mit den Flügeln zu flattern, so leicht sehen sie aus.
Sie sind schön, ja, wirklich, nur die anderen fand ich noch schöner – die, die immer noch im Schaufenster stehen.
»Danke Juliette, für Ihre Mühe. Diese besonderen Stücke sind ein Traum. Nur habe ich bereits mein paar Schuhe. Meine Großtante hat sie mir gekauft. Es waren meine allerersten Designerschuhe und sie würde sich freuen, wenn ich sie zu so einem Anlass trage«, fantasiere ich und setzte einen bemitleidenswerten Gesichtsausdruck auf. Nur um einen bösen Blick von Zasa und einen leicht wässrigen von Juliette zu ernten.
»Das verstehe ich!«, erklärt sie und ich glaube, dass sie sich gleich ein kleines Tränchen aus dem Augenwinkel wischen wird, weil ich eine so rührende Geschichte erfunden habe.
Oh nein, das wäre die Krönung zum heutigen Shoppingtag. Etwas, dass ich gar nicht brauche: Eine Verkäuferin mittels meiner Fantasie zum Weinen zu bringen.
»Muss das denn immer sein?«, zischt Zasa lautlos, die Worte erkenne ich nur an dem dynamischen, trotzigen Zug, der um ihre Lippen spielt. Eigentlich sagt sie immer dasselbe, wenn sie mich unmöglich findet.
»Ja es muss!«, signalisiere ich zurück und bereite mich darauf vor Juliette auch noch schonend zu erklären, dass ich das Kleid wundervoll finde, es mir jedoch schlicht nicht leisten kann. Der Flug nach Norddeutschland und alles andere, was ich für diese fürchterliche Hochzeit kaufen muss, wird mein Erspartes sowieso auffressen, da brauche ich kein Kleid, das einen stadtgroßen Krater in mein Budget reißt.
»Aber das Kleid ist ein Traum«, fällt mir Zasa in den Rücken.
Was tue ich jetzt? Ich kann unmöglich einfach zustimmen.
Komm schon, Jette, denk nach.
Du musst irgendwas tun!
»Es ist sehr hübsch«, relativiere ich und ernte einen Blick von Juliette, bei dem es mich nicht wundern würde, wenn auf der Stelle rote Laserstrahlen daraus hervor schössen. So, wie bei diesem Typen von X-Men – dem, mit der schicken Sonnenbrille.
»Es ist einzigartig!«, setzt sie sofort zum Gegenschlag an. Ich wünsche mir nichts mehr, als das sie aufhört, mich zu diesem überteuerten Stück Stoff nötigen zu wollen. Sicher, es ist ein ganz besonderes Exemplar der Gattung, nur kann ich es mir trotzdem nicht leisten.
»Du wirst sie glatt aus den Socken hauen!«, bekräftigt Zasa und ich würde sie am liebsten Ohrfeigen. Dann fällt mein Blick wieder in den Spiegel.
Sie haben recht. Ich bin in diesem Kleid wirklich schön. Es sieht aus, als sei es extra für mich gefertigt worden. Jeder Millimeter davon scheint einzig und alleine auf Jette gewartet zu haben.
Das Nachtschwarz lässt meine Haare noch heller Leuchten und meine Augen wirken unglaublich präsent. Gezwungen wende ich mich von der schimmernden Silberfläche ab und Juliette zu. In diesem Moment fasse ich einen irrwitzigen Entschluss.
»Ich nehme es!«, sage ich. Juliette strahlt, Zasa grinst wie ein Honigkuchenpferd und ich stelle Hochrechnungen an.
Da ich noch das eine oder andere Kilo abnehmen will, wollte ich sowieso irgendwas unternehmen. Mir fällt wieder ein, dass Zasa es sogar nachträglich auf meine Liste geschrieben hat, und bin etwas beleidigt. Deshalb wird als allererste Sparmaßnahme weniger gegessen!
Vielleicht werde ich Schuhe aus dem riesigen Fundus meines Schuhschranks tragen müssen, obwohl mir dieser Gedanke gar nicht gefällt.
»Dann müssen wir es noch ein winziges Bisschen anpassen!«, erklärt Juliette und ich frage mich, was es da anzupassen gibt. Doch als Juliette mit geübten Griffen Nadeln in den Stoff steckt, sieht es plötzlich aus, als hätte der Designer dieses Kleid nur für mich entworfen.
»Das gehört selbstverständlich zum Service«, erklärt Juliette, als sie die letzte Nadel feststeckt.
»Und geliefert wird es auch.« Ich lasse sie den Termin notieren, zu dem ich das Kleid unbedingt brauche, und schäle mich mit Zasas Hilfe vorsichtig aus dem Traum in Schwarz.
Dann trete ich in meinen eigenen Klamotten an die Kasse, an der Juliette schon freudestrahlend auf mich wartet.
Zögerlich zücke ich meinen Stapel Kreditkarten, versuche zu ergründen, auf welcher noch, wie viel Limit verfügbar ist, und überlege gleichzeitig, wie viele dieser Kleider Juliette täglich verkaufen muss, damit sich der Laden rentiert.
Bei dem Preis schätze ich mal: Eins.
»Okay Juliette, das muss ich leider ein wenig aufteilen, ist das in Ordnung?«, frage ich vorsichtig. Juliette bleibt bei ihrem professionellen Lächeln.
»Selbstverständlich.«
Langsam breite ich die Karten vor ihr aus.
»Okay, dann fünfhundert auf die hier, sechs hier und den Rest bitte gleichmäßig auf die Drei hier verteilen!«, bitte ich. Kurz darauf ertönt das satte klicken der Plastikkarten im Lesegerät.