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„Nicht ohne“

Replik von Stephan Lüttich auf Margareta Gruber OSF

Margareta Grubers Skizze einer kenotischen Theologie der Auferstehung ist ein Stück Nacht-Theologie par excellence. Dies gilt zuerst natürlich inhaltlich für das Wahrnehmen und Ernstnehmen der oszillierenden Ambivalenz des einen Paschamysteriums. Der Ostermorgen löscht den Karfreitag nicht aus. Gottverlassenheit am Kreuz und das sich Entziehen des Auferstandenen zeigen sich als gegensätzliche Pole derselben dunklen Gegenwart Gottes, in der er sich auch weiterhin verbergend offenbart – den neutestamentlichen Zeuginnen und Zeugen, den Mystikerinnen und Mystikern, aber auch den Menschen, die heute versuchen, den Glauben unter den Bedingungen der Gegenwart zu leben.

Dies gilt aber ebenso für die eher assoziative, von künstlerischen Ausdrucksformen angeregte Herangehensweise. Das kompositorische Werk Mark Andres inspiriert eine nicht streng gegliederte, sondern eher kreisende, immer wieder bildhaft verweisende Annäherung an die biblischen Texte. Dieses erfahrungsorientierte, „imaginative“ Vorgehen ist auch für die vielschichtigen Ansätze einer mystisch geprägten Nacht-Theologie charakteristisch, wie sie sich bei Johannes vom Kreuz oder Therese von Lisieux, bei Novalis oder Erich Przywara finden lassen.

Für mich als systematischen Theologen scheint im Hintergrund von Margareta Grubers Entwurf in besonderer Weise das Denken des französischen Jesuiten Michel de Certeau (1925–1986) auf. Sein suggestives Werk wird seit der Jahrtausendwende zunehmend auch im deutschen Sprachraum rezipiert. Im Mittelpunkt seiner Theologie steht der Begriff des „gründenden Bruchs“ („rupture instauratrice“). Das leere Grab biete gerade als Zeichen der unwiederbringlichen Abwesenheit Jesu den Raum zu einem geisterfüllten Neubeginn und zur Entfaltung der geschichtlichen Wirksamkeit von Jesu Leben und Botschaft in der Kirche. Grundsätzlich sei jeder Versuch, das Christentum in der Gegenwart zu leben, von der vielschichtigen Erfahrung dieser Abwesenheit geprägt. Die Christenmenschen könnten sich nie auf einmal gewonnenen Glaubens- oder Lebenssicherheiten ausruhen, sondern bewohnten einen „Nicht-Ort“ („non-lieu“), den sie sich – in Auseinandersetzung mit ihrer Gegenwart – stets neu erwerben müssten.

De Certeaus originelle theologische Terminologie konzentriert sich schließlich in der wiederholt emphatisch vorgetragenen doppelten Negation des „nicht ohne“ („pas sans“). So wie Jesus nicht ohne den Vater sei und darin einerseits seine menschliche Freiheit, andererseits die unableitbare und einzigartige Bindung an den Vater betont werde, so könne die Kirche nicht ohne ihre lebendige Beziehung zum gleichwohl abwesenden Christus gedacht werden. Das Verhältnis zum historischen Ursprung und lebendigen Mittelpunkt des Christentums ereigne sich als „Prozess der Abwesenheit“ („procès d’absence“).

Im Pathos des „nicht ohne“ verbirgt sich hinter der äußeren, grammatischen Negativität die leidenschaftliche Hinwendung zum Anderen Gottes. Beeindruckend wird dies in einer Predigt deutlich, die Michel de Certeau anlässlich einer Gelübdefeier seines Ordens gehalten hat: „Der Religiose hat ‚etwas‘ entdeckt, was in ihm die Unmöglichkeit stiftet, ohne es zu leben. Diese Entdeckung liegt manchmal verdeckt unter dem Gang des Alltagslebens, ein andermal durchbricht sie die Kette der Tage durch eine plötzliche Stille oder einen unvermuteten Schock. Das ist im Einzelnen nicht wichtig. Die Erfahrung hängt an einem Wort oder an einer Begegnung oder an einer Lektüre, die von anderswo und von einem anderen herkommen und uns dennoch für unseren eigenen Raum öffnen und für uns zu jener Luft werden, ohne die wir nicht mehr atmen können. Öffnung und Verletzung zugleich, lässt sie aus uns ein nicht hintergehbares, anspruchsbewusstes und zugleich bescheidenes Bekenntnis des Glaubens hervorbrechen: ‚Ohne dich kann ich nicht mehr leben. Ich habe dich nicht, aber ich halte mich an dich. Du bleibst immer der Andere, und du bist mir notwendig, denn das, was ich wirklich bin, geschieht zwischen uns.‘“ (Certeau, 29f.).

Die Erfahrung der Gottesferne kann zum Impuls neuer und vertiefter Glaubensgeburt werden.

Entwürfe eines nächtlichen Denkens wie die kenotische Oster-Theologie Margareta Grubers oder de Certeaus „nicht ohne“ setzen eine „Glaubensschwachheit“ („faiblesse de croire“) voraus und ermöglichen so eine Schwäche für den Glauben. Sie nehmen die Entfremdungen, die biographischen Brüche und das individuelle Leiden der Menschen ernst und erweisen sich gerade darin als starke Möglichkeit, das Christentum in einer glaubensfremden oder -feindlichen Gesellschaft als Möglichkeit der Lebensdeutung und -gestaltung erneut vorzuschlagen. Die Erfahrung der Gottesferne kann zum Impuls neuer und vertiefter Glaubensgeburt werden.

LITERATUR

Certeau, michel de, GlaubensSchwachheit, Stuttgart 2009.

Lebendige Seelsorge 4/2020

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