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Was Kirchen jetzt lernen können: Seelsorge neu und Hauskirche breit qualifizieren

Die Replik von Christiane Bundschuh-Schramm auf Johann Pock

Ich stimme Johann Pock vollumfänglich zu, dass die Coronakrise die Stärken und Schwächen der Kirchen deutlicher gemacht hat. Sie liegen mittlerweile übersichtlich auf dem Tisch, die Veröffentlichung weiterer Studien, wie z. B. CONTOC (vgl. 442ff. dieses Heftes), wird das Bild abrunden. Die Desiderate und Chancen hat Pock in treffende Bereiche eingeteilt, nämlich Macht, Liturgie, Seelsorge, Digitalisierung, Lebensbewältigung und Theologie. Über das Ende der Pastoralmacht und das Ende eines liturgischen Monopols ist schon viel gesagt und geschrieben worden. Mir gefällt, dass Johann Pock dem Thema Seelsorge so viel Raum einräumt: Seelsorge ist ein Auftrag aller Christen und Christinnen und wurde auch an vielen Orten von allen pastoralen Berufen und christlich Berufenen geleistet, sie wird innerkirchlich wie außerkirchlich leicht übersehen und wäre neu zu konturieren. Zum einen evoziert sie eine „Geh-Hin-Kirche“ mit „unaufdringlicher Antreffbarkeit“. Sie fordert ein „Zu-Gast-Sein“ (Kling-Witzenhausen, 280–284), stellt also neue Anforderungen an die Organisation der Seelsorge. Zum anderen stellt sich aber auch die inhaltliche Frage. Pock schreibt, dass „gerade die aktuelle Situation die gängigen Modelle seelsorglichen Handelns auf den Prüfstand“ stellt. In Gesprächen habe ich oft gehört, dass die Seelsorge in der Krise besonders wichtig wurde, dass ehrenamtliche Netzwerke goldwert waren, wenn es um die aufsuchende Pastoral ging, die ja zur einzig möglichen geworden war. Aber ich habe auch die Frage gehört: „Was ist überhaupt Seelsorge?“ Die pastoralen Dienste sehnen sich danach, Seelsorger*innen zu sein, aber einige haben auch eingeräumt, dass bei den angegebenen Telefonnummern niemand angerufen hat oder dass die Anrufe in der zweiten Welle stark zurückgehen. Das sind sicher Einzelstimmen, aber sie zeigen vielleicht doch, dass gesellschaftlich unklar ist, was Christen und Christinnen und das pastorale Personal anzubieten haben, wenn sie Seelsorge anbieten. In den ausdifferenzierten professionellen Seelsorgebereichen wie Krankenhaus und Gefängnis dürfte das klarer sein als in der unbestimmten Mehrzahl kirchlicher Orte. Was ist Seelsorge über ein menschliches füreinander Aufmerksamsein und aufeinander achtgeben und dabei nicht die Armen der Welt vergessen hinaus? Oder ist Seelsorge einfach der christliche Name dafür?

Wenn aber Seelsorge etwas spezifisch christliches ist, ist dieses Spezifikum dann überhaupt gesellschaftlich gefragt? Seelsorge als Sichaussetzen, wie Pock schreibt, empfinde ich als hilfreiche Idee. Ich ergänze aber noch: Interesse am anderen, an seiner aktuellen Befindlichkeit, aber auch an seinen/ihren Sinnresourcen und Deutungen, die angesichts der persönlichen Krise greifen oder nicht greifen, und die Kompetenz, diese sprachlich und symbolisch zu stärken oder mit der Person nach neuen (christlichen) Ressourcen zu suchen. Ich meine schon, dass wir wissen müssen, warum wir von Seelsorge sprechen und der Begriff nicht nur ein Äquivalent zu säkularen Vollzügen darstellt.

Johann Pock erwähnt zweimal den Begriff der Hauskirche. Einmal stellt er fest, dass sie gelebt bzw. wieder entdeckt wurde, die zweite Stelle spricht von der liturgischen Hauskirche, die er auf Seelsorge hin entgrenzen will. Ich nehme die Rezeption der Hauskirche entsprechend wahr und gleichzeitig ärgere ich mich über diese liturgische Verkürzung, die dann augenblicklich kritisiert wird, als ob das private Haus zum Konkurrenten der kirchlichen Gebäude werden könnte. Die Hauskirche ist ja ein biblisches Phänomen, aber biblisch war sie nicht nur liturgisch konzipiert. Wenn Hans Josef Klauck von der sich hausweise konstituierenden Kirche spricht, dann meint er die Hauskirche als „Gründungszentrum und Baustein der Ortsgemeinde, Stützpunkt der Mission, Versammlungsstätte für das Herrenmahl, Raum des Gebets, Ort der katechetischen Unterweisung, Ernstfall der christlichen Brüderlichkeit“ (Klauck, 102). In der Geschichte Israels entwickelten sich in und nach dem Babylonischen Exil (587–538 v. Chr.) Synagoge und Haus als die zentralen Orte für Versammlungen, für die Lektüre und Diskussion der Tora und Prophetenschriften. Auch Jesus lehrt und heilt an beiden Orten, in der Synagoge und in einem ganz normalen Haus in Kafarnaum. Die Synagoge und das Haus sind im 1. Jahrhundert n. Chr. Orte jüdischen Glaubens und Lebens, an denen über die Schrift nachgedacht und sie gelebt wird. Die Hauskirche heute könnte wieder ein zweites von mehreren Standbeinen der Kirche und keine Konkurrenz sein, wenn in ihr Christsein in allen seinen Dimensionen gelebt wird, also Glaubenserfahrungen erlebt und kommuniziert werden, Solidarität und Nächstenliebe gelebt und geplant wird und gemeinsam gefeiert wird, indem man Erlebtes in Erinnerung an Jesus deutet und symbolisiert.

Freilich ist die heutige wie die damalige Hauskirche nicht auf das private Wohnhaus und die Kernfamilie beschränkt, sondern birgt die Möglichkeit pluraler Orte und Zusammensetzungen. Wenn es durch die Coronakrise zu einer Wiederbelebung der Hauskirche in neuen Formen und Gestaltungen kommt, dann wäre wieder einmal Wachstum im Blick und nicht nur Erhalt und Abwicklung.

LITERATUR

Klauck, Hans Josef, Hausgemeinde und Hauskirche im frühen Christentum, Stuttgart 1981.

Kling-Witzenhausen, Monika, Was bewegt Suchende?

Leutetheologien – empirisch-theologisch untersucht, Stuttgart 2020.

Lebendige Seelsorge 6/2020

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