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Theologie reformulieren – aber auch den Praxiserfahrungen etwas zutrauen

Die Replik von Johann Pock auf Christiane Bundschuh-Schramm

Die Corona-Pandemie hinterfragt alle Lebensbereiche und lässt nichts unberührt. Daher ist Bundschuh-Schramm voll zuzustimmen, dass auch die Theologie in Frage gestellt wird – und dass es mehr und nicht weniger Theologie braucht. Sie konzentriert sich daraufhin vor allem auf einen Aspekt, nämlich die Rede von Gott. Auch hier teile ich ihre Kernthese: Es gibt unterschiedlichste Gottesbilder und Gottesvorstellungen, die nicht erst durch die Pandemie in Frage gestellt sind, aber hier nochmals radikalisierter angefragt werden müssen. Vor allem ein „allmächtiger“ Gott, oder auch männlich geprägte Gottesbilder finden immer weniger Halt in der erlebten Wirklichkeit. Ich teile auch ihre These, dass Gott nicht primär die Antwort ist, sondern die „Lücke“, (offene) Beziehung, ein mitleidender Gott.

Für die Theologie sehe ich jedenfalls die Aufgabe, letztlich alle Traktate anzuschauen und sich zu fragen, welche Anfragen die Pandemie darin stellt und ob die Begrifflichkeiten und Konzepte diesen Fragen standhalten. Denn Theologie versucht mit den Mitteln der Vernunft in der jeweiligen Zeit darzulegen, wie die Texte der Bibel und der Tradition zu verstehen sind. Und zugleich entwickelt sie die Lehre der Kirche auch immer wieder weiter angesichts von neuen Fragen, Begriffen und Erfahrungen.

Dies gilt natürlich für die Gotteslehre, welche von Bundschuh-Schramm angeführt wird, aber auch für andere Traktate. So findet sich aktuell recht wenig zur Eschatologie: Während die Pandemie so intensiv die Frage nach Leben und Tod stellt, ist ja die Frage nach den letzten Dingen nicht unberührt davon. Genauso muss man die Gnadenlehre ansehen und die Frage stellen, in welcher Form angesichts des Leides, das durch die Pandemie verursacht wird, von der Gnade Gottes gesprochen werden kann. Auch die Ekklesiologie, die Frage nach der Kirche und ihrem Werden ist massiv hinterfragt: Wie sieht es mit der Bedeutung von Vergemeinschaftung aus? Welche Rolle spielt darin der gemeinsame Sonntagsgottesdienst? Welche theologische Qualität hat eine virtuelle Gemeinschaft über neue Medien? Auch diese Fragen sind nicht erst durch die Pandemie entstanden – was sich nicht zuletzt an der veränderten Wahrnehmung des Leitungsdienstes in der Kirche in den letzten Jahren gezeigt hat. Welche theologische Bedeutung haben päpstliche Twitterbotschaften oder morgendliche päpstliche Predigten?

Bei aller Sympathie für und Zustimmung zur „vorsichtigen Theologie“, die Bundschuh-Schramm benennt, gibt es jedoch zugleich die berechtigte Erwartung der Menschen, dass ihnen auch Wegweisung geboten wird. Diese gehört meines Erachtens zu den zentralen Aufgaben einer Religion. Die Zeitdiagnose teile ich: dass wir in unsicher gewordenen Zeiten leben. Andererseits gab es Unsicherheiten (und noch viel größere) auch zu anderen Zeiten. Eine Religion, die nicht auch Sicherheiten anzubieten hat (sowohl im Hier und Jetzt, als auch für ein „Danach“), verliert ihre Berechtigung. In der Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen Nostra aetate heißt es: „Die Menschen erwarten von den verschiedenen Religionen Antwort auf die ungelösten Rätsel des menschlichen Daseins, die heute wie von je die Herzen der Menschen im tiefsten bewegen: Was ist der Mensch? Was ist Sinn und Ziel unseres Lebens? Was ist das Gute, was die Sünde? Woher kommt das Leid, und welchen Sinn hat es? Was ist der Weg zum wahren Glück? Was ist der Tod, das Gericht und die Vergeltung nach dem Tode? Und schließlich: Was ist jenes letzte und unsagbare Geheimnis unserer Existenz, aus dem wir kommen und wohin wir gehen?“ (Nostra aetate 1).

Eine Religion, die nicht auch Sicherheiten anzubieten hat (sowohl im Hier und Jetzt, als auch für ein „Danach“), verliert ihre Berechtigung.

Die Wegweisungen und Hilfestellungen sind aus Tradition und Gegenwart zu entwickeln – und Bundschuh-Schramm gibt ja auch Antworten, z. B. mit der Netzwerk-Theorie im Blick auf die Beziehungskategorie. Wissenschaftlich arbeite ich vor allem mit Fragen und Hypothesen – dies treibt Wissenschaft voran. In der Praxis sind jedoch auch Antworten notwendig. Das Spannende in der aktuellen Situation ist für mich gerade, dass manche bisherigen Antworten brüchig geworden sind. Zugleich haben Menschen auch das Recht auf Hilfestellung, wenn sie ihre Trauer nicht ausleben können, weil sie zum sterbenden Angehörigen nicht gehen durften oder weil die gewohnten Trauerrituale untersagt waren. Oder wenn die üblichen Routinen, die bisher einen Rhythmus des religiösen Lebens geboten haben, unterbrochen sind.

Die theologische Interpretation von Digitalität hat durch die Pandemie einen großen Schub erfahren. Denn viele Momente christlichen Lebens, die zuvor hauptsächlich von physischer Präsenz geprägt waren, haben eine digitale Transformation erlebt. Präsenz wird nicht nur in der Gemeinde vor Ort, sondern auch in virtuellen Räumen erfahren. Und auch religiöse Erfahrungen sind über digitale Medien möglich, wie die vielen Online-Gottesdienste zeigen.

Besonders die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass persönliche Gespräche, Teilnahme an gemeinschaftlichen Feiern, ja sogar Verabschiedungen von Verstorbenen via Internet für die Menschen heilsame Erfahrungen waren. Theolog*innen sind ja Expert*innen für Erfahrungen, die nicht sichtbar oder greifbar sind. Daher ist eine Theologie der Digitalität ein Desiderat für die kommende Zeit.

Theolog*innen sind ja Expert*innen für Erfahrungen, die nicht sichtbar oder greifbar sind. Daher ist eine Theologie der Digitalität ein Desiderat für die kommende Zeit.

An einem Punkt würde ich aber Bundschuh-Schramm doch widersprechen – nämlich beim Blick auf die Praxis. Sie sagt: „Die Praxis in der Spur Gottes zu fordern, fällt uns Theolog*innen aktuell leichter als die Theorie.“ Natürlich sind Theolog*innen nicht primär für die Praxis zuständig, sondern für die Reflexion der Praxis. Und natürlich gibt es auch Personen, die eine Praxis einfordern (z. B. eine religiöse Praxis), die idealisiert ist oder nicht lebbar. Und doch möchte ich hier eine Lanze für die Praxis brechen. Denn zumeist gibt es ja den Vorwurf, dass zu viel geredet und zu wenig getan wird. Es geht aktuell aber darum, wie das Leben zu gestalten ist, sodass man andere nicht in Gefahr bringt und auch selbst lebt und überlebt. Praxis heißt jedoch nicht theorieloses Handeln: Hier würde ich nachschärfen. Denn natürlich war in der Pandemie das kirchliche Handeln unmittelbar gefragt – in der Seelsorge, in der Begleitung von Menschen, im Anbieten und Feiern von Ritualen bzw. Gottesdiensten. An der Reflexion dieser Erfahrungen sind aktuell sehr viele Institutionen und Personen beteiligt. Ich würde sogar sagen, dass wir gerade jetzt erst intensiver in die Theorie gehen können, da sich neue Fragen aufgetan haben. Welche Bedeutung haben die Sakramente für das Leben der Kirche? Wie sieht es mit der Notwendigkeit von physischen Elementen aus (verbum et signum) – z. B. bei der Beichte, wo kein physischer Kontakt möglich ist? Dass die Theoriebildung angesichts dieser vielfältigen veränderten Praxis eine ziemliche Herausforderung darstellt, dem stimme ich jedenfalls auch zu.

Lebendige Seelsorge 6/2020

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