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Erleuchtung am Tage

George Haggerthon

Berlin, Oktober 2015, Donnerstag

Dieser Tag begann schlechter, als der gestrige Abend endete. Nämlich mit einem Anruf aus London. Die Nachrichten von Cathryn ließen mich nachdenken. Schritt für Schritt forschten wir nach Anhaltspunkten unserer Gegner. Doch manchmal dachte ich mir, dass die Gegner viel näher waren, als wir es uns weismachen wollten. Die Iren, mit denen ich mal zu tun hatte, steckten uns einige Informationen zu, die überprüft werden mussten. Zuerst erleichterte mich die Nachricht von Cathryn, doch nun baute sich ein Bedrohungsszenario auf, was mich zusehends beunruhigte. Die Vergangenheit holte mich dieser Tage wieder ein. Gestern Abend fuhr ich mit Samantha zur Elsenbrücke. Dort kuschelte sie sich vor mir stehend an mich. Für Oktober blies ein sehr angenehmer Wind ihre herrlich weichen Haare in mein Gesicht. Unser Blick Richtung Alexanderplatz romantisierte diesen Abend hoffentlich genug, denn ich musste zu Kreuze kriechen. Soweit daneben zu liegen, sie zurückzugewinnen, erschütterte mich in kleinen Momenten. Meine Samantha durchlebte heute zu viel Emotionales, auch meinetwegen.

Ich hatte sie gefragt: „Verzeihst du mir jemals diesen Abend?“

Sie neigte ihren Kopf zu mir und sah mit ihren graublauen Edelsteinen in meine Augen: „Sag mir bitte ehrlich, warum du all das heute getan hast.“

Dafür musste ich nicht lange nachdenken: „Ich liebe dich.“

Dann fluteten ihre Augen Tränen und ihr Kopf wollte dies ungläubig verneinen. Mit meiner rechten Hand hielt ich streichelnd ihre Wange fest. Die Bescheidenheit dieser unglaublichen Frau entwaffnete mich und nun hoffte ich nur, dass sie mir über den Weg traute.

„Mehr konnte ich nicht für dich tun. Wenn du mich nicht mehr magst, muss ich damit leben. Aber ich habe alles riskiert, dich ganz zu bekommen. Blumen, Champagner oder Pralinen werten mein Versagen bei weitem nicht auf“, flüsterte ich ihr zu.

Warum bewegt sie sich nur so anmutig? Himmel noch eins, diese Frau macht mich fertig.

„Danke, George. Einfach und ehrlich gemeint“, flüsterte sie mir zu, ohne die Stirn zu runzeln.

Dann drückte sie sich aus meinem Arm. Ich sollte Samantha nicht aufhalten. Sie drehte sich um. Mir hatten derweil alle Nerven den Streik angekündigt, wenn das hier schiefgehen sollte. Dann schwang sie beide Arme um meinen Hals, zwei Lippen berührten mich stürmisch und ein Wohlsein beruhigte dieses flaue Gefühl. Schließlich öffnete ich meine Lippen und leckte zärtlich die ihren, was Samantha ebenso sanft erwiderte. Wir küssten uns. Wahnsinnig laut summten meine Knie, dann mein Rücken und letztlich kribbelte mein Kopf.

„Mein Nasenbär!“, hörte ich sie flöten, nachdem sie aufgehört hatte, mich zu küssen.

Bedauernswert fand ich die Kürze schon. Stattdessen sahen wir uns in die Augen. Lächelnd umschlang sie meine Hüften und betrachtete intensiv mein Gesicht. Es kam mir vor, als zählte diese Berlinerin jede Pore und jedes Haar. Sie presste sich an mich und sah zu mir auf.

Mein fragender Blick nervte sie anscheinend: „Ach George, ob ich dir restlos verzeihe, kann ich dir noch nicht sagen. Zumindest bist du ehrlich, witzig und verdammt lieb. Wann kam dir der Gedanke?“

„Am Dienstag plante ich das alles final. Ich brauche dich doch, um neu anzufangen. Und mein Leben ist verdammt anstrengend. Ich wollte es für uns und dich besser machen“, hatte ich gesagt.

Seltsamerweise entglitt ihr der niedliche Ausdruck im Gesicht. Irgendwas hatte ich mal wieder falsch gemeint. Also setzte ich mein strahlendes Lächeln auf und nickte. Kurz verspannte Samantha sich, doch nach ein oder zwei stillen Momenten fand sie zurück.

„Ich liebe dich auch, mein Nasenbär. Lass uns den Abend beenden, denn ich bin total fertig.“

Letztlich hatte ich mir eingestanden, dass sie mir Respekt gezollt und mich nicht weggestoßen hatte. Beide Daumen auf meinen Wangenknochen schubsten meine Gefühlswelt in die heiße Sonne. Magnetisch angezogen schwebten unsere Münder noch einmal aufeinander zu. Gierig öffnete ich meinen Mund. Manchmal sind Fortsetzungen viel besser, hoffte ich. Unsere Zungen berührten sich und entzündeten die Leidenschaft erneut in mir. Eine kleine ewige Glückseligkeit brummte ich genüsslich.

Nun war ich gezwungen, unsere Zweisamkeit zu beenden: „Ich finde es schade, dass wir aufhören müssen. Ich würde noch … “

Tief atmete ich noch einmal ein. Die Sehnsucht nach ihr fraß mich fast auf. Doch das ginge in unserer Situation einfach zu weit.

Ich: „Vielleicht morgen fortfahren?“

Kaum einen Schritt von ihr entfernt, übertünchte ich meinen Wunsch nach mehr mit einem kleinen Freudentanz.

„Versprechen eingelöst!“, übertönte mein Gedanke den Verkehr hinter mir.

Dem nächsten Morgen schritt erst eine angeregte Nacht voran, gefüllt mit Analyse und der Hoffnung auf mehr Sammy. Ja diesen Kosenamen mochte ich nun. Er klang gar nicht mehr so männlich. Ein wundervolles Klingeln meines Smartphones färbte meine Gedanken bunter, machte mich fröhlicher und generell übertünchte es diese Einsamkeit des Hotelzimmers. Samantha anzurufen schärfte alle Sinne. Endlich nahm sie ab.

„Sammy, meine Sonne. Guten Morgen“, sagte ich sanft.

„George? George“, klang erst nach Abwehr, dann nach gerade erwacht.

„Ja, der Nasenbär weckt dich“, zog ich sie etwas auf.

Ein zustimmendes „Hmm“ beruhigte mich, dass sie mir andächtig lauschte. Aber es hörte sich nach einer unbewussten Unstimmigkeit an. Hoffentlich hatte ich meine Kleine gestern Abend nicht verärgert. Vergeblich versuchte ich, gestern diesen Ausbruch meinerseits zu unterdrücken, jedoch ohne Erfolg. Ich war kurz davor, wie ein Junge, mich lächerlich zu benehmen. Mit beinahe fünfzig Jahren.

Also ließ ich ihr eine kleine Verschnaufpause, indem ich einen offenen Punkt ansprach: „Deine Operation war einem Gewaltverbrechen geschuldet?“

Samantha dachte anscheinend nach. Ihre Pause deutete auf meine korrekte Deduktion hin. Versunken in ihre Gedankenwelt, vernahm ich ihr Atmen. Ruhig bleiben half hier hoffentlich mehr.

„George, wie kommst du denn früh am Morgen auf so etwas? Gnarf! Ich brauche kein Mitleid, hörst du? Denn es lässt sich nichts ändern. Und bemitleidet habe ich mich selbst schon viel zu oft“, raunte mir Samantha ein wenig unwirsch entgegen.

Nein, ich erwiderte nichts, sondern hörte nur zu. Endlich verstand ich ihre Art, mit dem dunklen Geheimnis umzugehen. Ihre seltsamen Verhaltensweisen erklärten mir, dass Samantha Willer kämpfte, ihren Schmerz zu verbergen. Das war wesentlich englischer, als die meisten Vaterländler sich gaben. Ich dachte mir schon, dass wir in einigen Punkten Gemeinsamkeiten hatten. Aber das? Halleluja.

„Ach George, ob ich jemals frei darüber reden werden kann, steht in den Sternen. Vielleicht kam eben der Zeitpunkt gestern genau richtig, einen nächsten Schritt zu machen. Oder ich habe mich dir vor die Füße geworfen. Keine Ahnung“, philosophierte sie immer noch nur halb wach.

Oh, vorsichtig fragte ich eher, als es zu sagen: „Aber alles, was ich wollte, war, dich zu befreien. Es trieb mich dazu, dich zu beschützen. Deine Qual ertrug ich nicht. Du hast bei mir etwas gut. Etwas Großes, ja?“

„Ach du. Wie hast du das eigentlich gedreht?“, stotterte Samantha auf der anderen Seite und wartete gespannt.

Wenn sie mich jetzt grinsen sehen könnte, würde sie dahinschmelzen.

Nach einer gewollten Pause: „Du hattest einen Verhandlungsklassiker der Zuspitzung und Entspannung erlebt. Hoffentlich verzeiht mir deine Familie jemals meinen Auftritt.“

„Meine Mama liebt dich mit Haut und Haaren. So stolz, wie sie war. Gemeinsam lachen und weinen verbindet, also hast du meine Schwester und ihren Mann auch auf deiner Seite. Keine Ahnung wie es um meinen Vater bestellt ist“, klang doch schon sehr viel aufgeweckter.

Ohne weiter nachgedacht zuhaben, sagte ich: „Schritt für Schritt. Gut fühlen, ist etwas anderes. Immerhin bist du nun von diesem Geheimnis befreit. Wie hätte ich das meinen Kindern beibringen sollen? Sogar der Anruf passte perfekt ins Timing.“

Die Stille am anderen Ende beendete Samantha dann: „Du hast das veranlasst? George, du bist echt ein böser Junge. Wie schaffe ich es jemals, dich zu verstehen?“

Auf mein „Vertraust du mir?“, folgte eine gurrende Zustimmung ihrerseits, „Das wäre ein guter Anfang. Gib mich nicht auf. Sei einfach für mich da, damit ich auch für dich da sein kann“, versuchte ich, sie ein wenig positiver zu stimmen.

Gestern Abend zwang ich mich dazu, mich von ihr zu verabschieden. Sonst wären wir im folgenden erotischen Nahkampf aufeinander losgegangen. Dauernd knisterte es, wenn sie mir nahe war. Diese Frau am anderen Ende des Telefons wollte ich beeindrucken und endlich für uns Haggerthons gewinnen. Sex ging mir gestern immer wieder durch den Kopf. Am schlimmsten traf es mich bei diesem Kuscheln auf der Brücke über der Spree. Mein Herz verkrampfte regelrecht. Unsere Küsse und das Anschmiegen gefielen mir viel zu gut. In meinen unteren Regionen gab es stehende Beifallsbekundungen. Ob ich mich im Taxi weiterhin beherrscht hätte, wäre ungewiss gewesen.

Ähm, total ungewiss.

Sie roch unverschämt gut, sah verdammt verführerisch aus, redete beinahe nie Unsinn und war einfach echt. Die versteckten Reize ihrerseits beflügelten meinen Wunsch, unter die Schale zu blicken. Wenn sie auch nur in der Nähe ist, elektrisiert mein ganzer Körper.

„Liebe Samantha, ich würde gerne mit dir heute Abend noch etwas unternehmen. Denke ich doch, dass meine To-Do-Liste es mir erlaubt, gegen sieben Uhr am Brandenburger Tor zu sein. Wie sieht es bei dir aus?“, bangte ich auf eine Zusage.

Samantha stockte etwas: „Klar, Essen, aber mehr nicht, okay? Versprochen? Party dann beim nächsten Mal?“

Enttäuscht sagte ich zu: „Gerne, Samantha. Ich fliege am Freitag schon um acht Uhr zurück nach London“.

„Oh. Schade. So früh schon? Nein. Klar, Familie und Job warten auf dich“, hörte ich auch ihre Enttäuschung heraus.

Unglaublich zart hauchte Samantha dann doch noch: „Ich bin verliebt in dich. Mit rosa Wolken, bunten Wiesen und Schmetterlingen. Liebling, ich werde jetzt mal versuchen zu arbeiten. Und ich freue mich auf dich heute Abend. Tut mir leid, ich muss los.“

Unter der Dusche begann ich, leise zu singen. So unbeschwert war ich vor Jahren das letzte Mal, da hatte neben mir meine Frau Barbara in einem atemberaubenden Sommerblumenkleid mit Blumenkrone gestanden. Was sagte Samantha doch zu meinen Kindern? Sie wollte Barbara auch dabei haben. Wie stark diese Frau war. Und doch fühlte ich mich noch nicht ganz eingeweiht in ihr Leben. Pünktlich um zehn beschaute ich mich im Spiegel. Alles passte. Es klopfte. Erst viermal dann eine Pause und dann zweimal und noch einmal. Es war Bowers. Also Matthew. Der Detektiv, den ich begleitet hatte. Warum? Weil mich diese Frau einfach nicht losließ. Auch für die Lösung meiner derzeitigen Fragen zu den familiären Problemen, die eindeutig aus dem beruflichen Umfeld hereinstürmten, brauchte ich jemanden, der mir weiterhelfen könnte. Und Samantha hatte bereits weitergeholfen. Uneigennützig, kreativ und auch liebevoll. Ehrlich gesagt liebte ich sie nicht nur, sondern brauchte sie auch. Das lernte ich aus dem, was geschehen war. Matthew trat ein und betrachtete mich keine zwei Sekunden. Dann noch einmal genauer. Sein unverschämtes Grinsen verriet mir sein Wissen um meinen Zustand. Darauf beschloss er, nichts anzudeuten. Dennoch schien Matthew überlegt zu haben, etwas mitteilen zu wollen. Jedoch nur unter freiem Himmel irgendwo weiter weg deutete er an. Wie viel ich ihm vom gestrigen Abend erzählen wollte, hatte ich nicht abgesteckt.

Bereits eine Stunde waren wir beide durch Berlin gefahren und im Volkspark Friedrichshain mitten auf dem Trümmerberg eines Flakturmes des Zweiten Weltkrieges gelandet. Mühsam fand ich zurück in mein berufliches Leben. Vor mir tat sich ein eigenwilliger Ausblick Berlins auf. Nach einer halben Stunde rief jemand aus dem Parliament an und es folgte eine Datenübertragung. Darin vereinten sich eine Nachricht und zwei Bestätigungen, ein Bericht und zwei E-Mails. Mittlerweile konnte ich mein neues Handy ganz gut bedienen und es half mir weiter. Der kleine Laptop Matthews half uns, diese neuen Informationen schneller zu sondieren. Eine Nachricht betraf Cathryn, meine sehr fähige Vorzimmerassistentin. Die Nachrichten bestätigten, dass sie sehr wohl beim MI-6 gearbeitet hatte. Doch als Informatikerin? Das musste eindeutig eine Lüge sein. So traf die zweite Anfrage bei Forsyth ins Schwarze. Sie ging regelmäßig zum Kung-Fu. Also konnte sie mit Sicherheit die heimliche Helferin sein. Nur wie bekäme ich sie dazu, mir ihre Identität zu offenbaren? Zumal mich die Gründe des Handelns interessierten. Mutter war sie auch. Meine Standpunkte bewegten sie damals, bei mir bleiben zu wollen und wir verstanden uns seitdem gut. Meine Barbara kannte sie besser. Abwegig schien meine Überlegung also nicht zu sein. Herauszufinden, ob sie dahintersteckte, gestaltete sich als schwierig. Darüber war ich mit Matthew einer Meinung. In dem angehängten Bericht fanden wir diverse Rechnungen wieder, die von Lord Rorary eingereicht worden waren. Was ich dort entdeckte, zwischen den geschwärzten Zeilen und auch deren Abfolge, stürzte uns beide in blankes Entsetzen. Lord Rorary stecke wirklich dahinter. Aber wer noch? Die E-Mail aus Irland bestätigte einen Termin für einen Anruf mit den damaligen Verhandlungspartnern in Nordirland. Denn ich war involviert in die Friedensverhandlungen mit der IRA. Alle Richtungen klopften wir ab. Leider wurde die andere geheime Anfrage in einer E-Mail aus sicherheitspolitischen Gründen abgelehnt. Schon klingelte es. Aus England, London, Parliament, dem Vorzimmer meines Büros rief Cathryn an. Matthew nickte mir zu, anzunehmen.

„Lord Haggerthon? Cathryn hier. Sie fragten doch nach den Auszügen unserer Register. Ich würde Ihnen gerne zwei Dokumente verschlüsselt senden. Sie können beruhigt bis morgen in Berlin verweilen. Der Vorfall zieht scheinbar seine Kreise. Morgen würde ich versuchen, Ihnen einen Überblick zu verschaffen“, berichtete Cathryn mir kurz.

Durch ihre Überqualifizierung schaffte sie es, mir den Rücken freizuhalten. Dafür spendierte ich ihr nicht selten einen Bonus und sie durfte auch öfter mal inoffizielle Heimarbeit nutzen. Mögen, wäre ein falsches Wort. Ich empfand sie eher als eine Schwester. Die förmliche Anrede hielt einfach unsere Etikette nach außen aufrecht.

„Dankeschön. Dann habe ich doch morgen sofort einen Plan. Mir stellte man eben auch interessante Dokumente zu, die abgeglichen werden müssen. Wir treffen uns morgen im Café Bird“, verabredeten wir uns.

Cathryn klang erfreut: „Gerne. Bis morgen.“

Matthew Bowers blickte auf Berlin. Jetzt trieb es mich, ihm Vertrauen zurückzuzahlen. Fest entschlossen stand ich auf. Er folgte mir. Gemeinsam bestaunten wir beide Berlin noch einen langen Augenblick, was ich nun mit ihm näher erkunden wollte. Nebenbei steckte ich ihm alle Informationen, die ich preisgeben durfte. Somit verstand er mehr, was uns künftig erwartete. Matthew veränderte sein Verhalten, indem er mir sehr viel intensiver zugewandt war und auch offener nachfragte. Als wir am Alexanderplatz aus der Straßenbahn ausstiegen, hielten wir beide kurz die Luft an. Dieser Fernsehturm mitten in der Stadt nötigte uns ein Staunen ab. All die Berliner mit ihrem eigenen Aussehen und die Touristen bevölkerten diesen historischen Flecken. Linker Hand stand eine Uhr, eine Weltzeituhr. Gleich wurde uns klar, sollten wir uns aus den Augen verlieren, träfen wir uns hier mit Sicherheit wieder. Dann fiel mir etwas ein, ein mir im Gedächtnis gebliebener Nachrichtenfilm, der hier 1989 auf diesem Platz spielte. Wo war wohl Samantha damals? Die Fotos von meinem Dad, der hier zu Zeiten des kalten Krieges ein paar mal zu Besuch war, straften mich Lügen. Keine zwanzig Jahre und dieser Platz konnte nur noch schemenhaft wiedererkannt werden. Auch der Detektiv sog all die Eindrücke in sich ein. Straßenmusikanten tönten immer wieder über den Platz.

Gemeinsam unerkannt einkaufen zu gehen, reizte mich. Keine zwanzig Minuten später bogen wir in die Straße Unter den Linden ein. Matthew und ich staunten über die Ansammlung alter prächtiger Gebäude. Doch beinahe lachen musste ich, als ich dem Reiterdenkmal Friedrich dem Zweiten gegenüberstand. Diese Stadt versprühte ihren Charme aus Geschichte und Moderne mit einer Unaufgeregtheit, welche mich verzückte. Außerdem lebte einer der liebsten Menschen hier. Meine Samantha. Kribbeln schoss in meinem Bauch auf. Mir fiel aus den Erzählungen meines Vaters etwas ein. So lotste ich Matthew ins Pergamonmuseum. Vorher spotteten wir über die angeblichen deutschen Tugenden. Doch die freundlichen Begegnungen straften uns Lügen, dass wir den Deutschen soviel unsäglichen Unfug andichteten.

Voller Bewunderung hielten wir vor dem Pergamonaltar inne. Beeindruckend. Wirklich. Diese Stadt konnte sich in allen Belangen mit London messen. Am Ausgang trafen wir auf eine Gruppe junger Franzosen, mit denen wir uns unterhielten. Sie gaben uns den Tipp eines weiteren Museums. Matthew lebte regelrecht auf. Eine reale Schatzsuche vergnügte uns. Bis er mir gestand, noch nie außerhalb Großbritanniens gewesen zu sein, wunderte ich mich ein wenig über seinen Erkundungsdrang. Verbundenheit bewirkte das Naturkundemuseum, denn auch in London boten wir dieses Wissen feil. Mein Begleiter begutachtete all die Objekte und Stücke.

„Berlin bietet eben genauso viel Kultur, wie London. Jetzt kann ich diese blöden Witze über Deutsche wirklich nicht mehr ertragen. Danke für diese Reise und das Vertrauen“, flüsterte mir Matthew zu.

Ich zwinkerte ihn an und erwiderte: „Matthew, ich wusste, dass du es zu würdigen weißt.“

Diese Anspielung verstand er auf Anhieb und errötete leicht. Natürlich setzte sich bei mir diese Erkenntnis in den letzten Tagen durch. Dieser Detektiv glänzte mit Intelligenz, Benehmen und Fairness. Eines Tages dürfte er zu meinem engeren Freundeskreis zählen. Vielleicht würde ich einer Einladung in seine Familie sogar Folge leisten. Doch noch war es nicht so weit. Nach unserem Museumsbesuch aß Matthew noch eine Currywurst in einem netten Restaurant namens Oranium. Gleich nebenan befand sich diese fantastische und berühmte Synagoge.

Samantha hatte ich vor dem Museumsbesuch eine Nachricht gesandt. Noch hatte ich keine Antwort. Mittlerweile verunsicherte mich dies, weil sie mir eine neue Telefonnummer mitgeteilt hatte. Samanthas deutsche Privatnummer bedeutete mir viel und ich hatte sie viermal gelesen, um mir sicher zu sein, dass sie korrekt in meiner Liste eingetragen war. Gegen vier Uhr trudelten bei mir endlich zwei Nachrichten ein.

Samantha:

Tut mir leid, hatte viel zu tun. Bin fertig und gehe zum Sport.

Melde mich dann.

Ich:

Wann wärst du daheim? Würde dich gerne abholen.

Natürlich drängte es mich, Samantha möglichst bald zu treffen. Matthew beriet mit mir noch, welche Aufgaben zu erledigen und Sehenswürdigkeiten infrage kämen. Keinen Happen Currywurst später, summte mein Smartphone erneut. Samanthas Antwort.

Samantha:

Okay. Wenn du noch weißt, wo ich wohne, triffst du mich ab 6 dort.

Ich:

Gut. Bis dann. Freu mich.

Selbstverständlich hatte ich mir ihre Adresse gemerkt, notiert, gespeichert und archiviert. Vorher würde ich noch die restlichen Geschenke besorgen und sie gnädig stimmen.

Matthew unterbrach meine Gedanken: „Wäre es recht, wenn ich mich ausklinke? Müsste auch zu Hause mal anrufen, weil meine Frau sich sonst Sorgen macht. Ich werde ihr mitteilen, dass wir nicht einem Nazi in Uniform begegnet sind.“

Kurz lachte ich: „Hahaha. Natürlich. Wir treffen uns morgen um sechs Uhr im Hotel bei mir?“

Dann kam mir eine wirklich verwegene Idee. Ich recherchierte sofort das Einkaufszentrum am Leipziger Platz und ließ mich dort zu einem Kauf hinreißen, der mich später wieder einholen würde. Zumal ich in einem der angesteuerten Läden noch etwas wirklich Passendes zu meinen Tüten aus London fand. Ich musste grinsen. Frech waren meine Geschenke schon. Deshalb hatte ich mir diese niedlichen Dinge ausgesucht, ihr Dessous gekauft. Glücklicherweise gab es eine größere Auswahl. Ich entschied mich für zwei seidene Sets, eines in Schwarz und eines in dunklem Rot. Kaum stolzierte ich mit den beiden Sets aus dem Laden, erblickte ich ein Negligé, bei dem mir Stielaugen wuchsen. Welch ein Glück, dass ich mit Samantha damals zusammen einkaufen gewesen war. Daher kannte ich ihre Kleidergröße. Sie dachte wohl, ich würde mir das nicht merken. Ich kniff meine Augen zusammen, um mir Samantha im ausgestellten Negligé vorzustellen. In meinem Blickfeld tauchte eine lächelnde Verkäuferin auf, die entspannt und abwartend mir zusah.

Sie fragte mich auf Deutsch: „Guten Tag. Für ihre Freundin?“

Ich hob eine Augenbraue und fragte auf Englisch: „Hallo. Entschuldigen Sie, wie bitte?“

Sie wiederholte ihre Frage breit lächelnd, als habe sie ein Schätzchen gefunden, nun in meiner Sprache.

Ich antwortete zufriedenen: „Sie ist mehr als nur eine Freundin, wissen Sie.“

„Wow!“, hauchte sie beinahe dahin schmelzend.

Ihre Reaktion verstand ich erst nicht, warum meine Aussage so bewundernd zu sein schien. Bis ich mitbekam, dass sie ein Faible für mich verbarg. Ihre Wangen leuchteten leicht rosa. Mich alten Papa von drei Kindern? Komische Welt. Kurz musterte ich diese perfekt aber zurückhaltend gestylte Blondine. Seit Samantha in meinem Leben tanzte und diese Probleme uns bedrängten, nahm ich mehr wahr, was um mich herum passierte.

Jetzt aber schnell!

Ich bezahlte mit meiner Kreditkarte. Sogar niedlich verpackt bekam ich meinen delikaten Einkauf in einer neutralen Einkaufstüte überreicht. Artig bedankte ich mich bei der Verkäuferin, die wirklich einen tollen Job erledigt hatte. Beim Verlassen versicherte ich ihr, wiederzukommen. Sie sah mir hinterher, das spürte ich im Nacken. Mit all meinen Geschenktüten schaute ich mich nach einem Taxi um und ließ mich zu Samantha fahren. Im Nachhinein fragte ich mich, ob ich nicht mit einem kleinen Flirt etwas mehr in dem Laden für Wäsche für mich herausholen hätte können. Nein, die Zeit stand mir auf den Füßen.

Hervorragend, es war zehn vor sechs, als ich in der Straße eintraf. Ein Haus reihte sich an das nächste, ohne auch nur einen Hauch von Einerlei darzubieten. Zehn Minuten zu warten, um genau pünktlich zu sein, fand ich nur schwer zumutbar.

Ich könnte doch gleich klingeln. Oder lieber doch nicht?

Somit erkannte sie vielleicht, dass ich es nicht aushielt, auf sie zu warten. Bevor ich das Für und Wider austariert hatte, bemerkte ich meinen Zeigefinger in der Mulde des Klingelknopfes.

Verdammt. Zurückhaltung bei Samantha tendierte zu einem Nichts.

Es summte. Wie ein kleiner Junge raste ich zum Fahrstuhl. Dauernd fragte ich mich, wie wir uns begegnen würden. Vielleicht in Schürze und Pantoffeln? Blöderweise sah ich auf die Tasche mit den Dessous. Oder in einem tollen Kostüm. Nicht diese bunten englischen, sondern in einer dieser italienischen oder französischen eleganten Kombinationen. Hach, wie schön war unsere erste kleine Einkaufstour in London gewesen. Schwelgen führte sofort zu einem Lächeln meinerseits. Ungeduldig zählte ich die Etagen mit, die der Fahrstuhl emporfuhr. Das Dachgeschoss piepte mich erlösend an.

Zu Fuß würde ich mich selbst empfangen. Himmel, beherrsche dich mal, Lord George!

Fahrstuhltür auf. Nahezu ungestüm schritt ich direkt auf ihre Tür zu. Kaum kam ich davor zum Stehen, öffnete Samantha. Verschwand aber sogleich im Bad. Was hatte sie da an? Einen Bademantel etwa? Ihren Hintern erfasste ich, gerade noch bevor er im Bad verschwand. Ein Piepsen, gefolgt von einem schnellen Hüpfen ihrerseits brachte mich zum Kichern. Manchmal kam mein spitzbübisches Benehmen wieder durch. Aber es reizte mich viel zu sehr, sie zu necken.

„Du ungezogener Junge“, entrüstete sie sich humoristisch.

„Tut mir leid, aber ich konnte keine zehn Minuten vor dem Haus herumlaufen“, versuchte ich, ihr Wohlwollen zu ergattern.

Mittlerweile entledigte ich mich meines Mantels und meiner Schuhe. Denn dort standen Füßlinge für mich bereit. Ich schaute mich um. Was ich erblickte, gefiel mir, hatte Stil. Samantha kehrte nach einer gefühlten Ewigkeit aus dem Bad zurück. Es verschlug mir die Sprache. Frisch geduscht mit leicht feuchten Haaren, schritt sie in einem bunten Bademantel lässig auf mich zu. Das erste Mal sah ich sie ungeschminkt. Diese dunklen Wimpern umrahmten diese schimmernden graublauen Augen. Ihre Haut war leicht gerötet und roch herrlich blumig. Gerade setzte ich an, um etwas zu sagen, da öffnete sich zwar mein Mund, jedoch entfuhr kein einziges Kompliment meinem Kopf. Wie lange dieser Zustand anhielt, konnte ich nicht mehr nachvollziehen, jedoch meldete sich derweil dieser kleine Begleiter da unten zu Wort. Zumal ihr Bademantel halb geöffnet war und dadurch der Brustansatz anzüglich glänzte.

Oh Mist, ihr Blick haftete kurz auf meiner Beule. Peinlich? Nein, aber unpassend. Ich muss mich maßregeln!

Meine sexy Hausherrin gab mir schmunzelnd einen Kuss auf meinen Mund. Frech aber ermutigend klopfte Samantha mit ihren beiden flachen Händen auf meine Brust. Immer noch paralysiert starrte ich sie an, von oben bis unten und zurück. Dann bot ich ihr wortlos meine Einkaufstüten an, die sie ignorierte.

„Hey, Nasenbär, setze dich ins Wohnzimmer. Was ist denn los mit dir?“, wies sie auf eine Tür.

Endlich kam mein Hirn wieder in Fahrt und plärrte beinahe ungehobelt: „Du bist los!“

Abrupt blieb sie stehen und wandte sich wieder mir zu: „Wie bitte?“

„Weißt du eigentlich, wie schön du bist?“, stammelte ich verlegen und sie errötete postwendend.

„Aber George, ich … Geh du doch bitte schon ins Wohnzimmer, bin gleich bei dir, ja?“, schlug sie mir mit heiserer Stimme und etwas schüchtern vor.

„Ich würde gerne zu Hause anrufen“, tat ich mein Vorhaben kund.

Sie antwortete: „Sieh mal an die Tafel, da hängt der WiFi-Zugang.“

Neugierig erkundete ich wie in Trance das Wohnzimmer, legte meine Geschenke ab und setzte mich auf die grüne Couch. Nebenan hörte ich sie Schranktüren öffnen und schließen. Es raschelte, dann eine Pause. Sie huschte draußen noch einmal ins Bad. Ich konnte eine rot-schwarze Bluse und einen roten Rock erkennen. Kaum schwebte diese Kombination in meinem Kopf, sah ich uns irgendwo tanzen. Leider hatte das zur Folge, dass ich mein Sakko dezent über meinen Schoß legen musste. Langsam wurde es wirklich peinlich. Um mich abzulenken, wählte ich telefonisch mein Heim an. Leider ging niemand ans Telefon. Ein leichter blumiger Duft erfasste meine Nase. Gerade schaute ich auf, da erinnerte ich mich an diese tollen Beine. Der elegante Rock umschmeichelte ihre Oberschenkel. Betonte ihre Figur perfekt. Diese Bluse aus roter Seide und schwarzer Spitze oberhalb des Dekolletés hielt meinen besten Freund bei bester Laune. Diese Stoffe kamen mit Sicherheit aus asiatischer Hand.

Sie entzog mir gekonnt das Sakko. Es landete auf einem Sessel. Samantha setzte sich neben mich. Meine Atmung ging schwerer. Krampfhaft versuchte ich mich, zu beherrschen, nicht über sie herzufallen. Hitzewellen durchstrichen meine Brust und meinem Kopf. Dann begegneten sich unsere Blicke. Keine Sekunde zögerte ich und küsste sie endlich auf ihren Mund. Das Smartphone feuerte ich auf den Tisch, damit ich ihren Kopf halten konnte. Zusammengefasst inhalierte ich gerade alle Sorten von Glücksvitaminen. Ich entspannte mich, zumindest über der Gürtellinie. Einfach nur schön dieser Moment. Dieser Kuss weckte ungeahnte Weiten. Alles vermischte sich und ich hielt inne. Leicht zog sie sich zurück. Doch dann fühlte ich ihre Hand auf meiner Hose.

„So schlimm war mein Auftritt?“, liebkoste sie mich mit einem kleinen Kuss auf meine Nase.

Meine Ohren glühten. Ich nickte. Ihre Natürlichkeit faszinierte mich nun vollends. Statt mich weiter zu traktieren, drehte sie sich um und verschwand. Im Bad hörte ich diverse Utensilien, die ich auch von meinen Töchtern kannte.

Ein wenig verlegen erklärte sie: „Du, George, ich finde, dass ich dir für gestern danken sollte. Leider habe ich keine Ahnung wie.“

Sie nahm mir meinen Durchmarsch nicht übel? Auch das Verhör tat sie einfach so beiseite? Starke Frauen beeindruckten mich sonst nicht so sehr, aber diese hier?

Mir kam ein komischer Gedanke: „Hmm, dich einpacken und mitnehmen? Klonen vielleicht?“

Wie konnte es anders sein, klingelte mein oft gehasstes Smartphone dazwischen. Also nahm ich entschuldigend mit meinen Achseln zuckend das Gespräch an.

„Tag Heimat“, meldete ich mich.

„Hey Dad“, floss wie Honig die ruhige leise Stimme Olivias in meinem Ohr.

Mit einem überraschten und freundlichen Ton flötete ich: „Olivia, du hörst dich aber toll an. Es scheint dir gut zu gehen?“

Olivia: „Oh, ähm ja. Wo bist du gerade? Bin allein in meinem Zimmer.“

„Und ich sitze gerade in Samanthas Wohnung“, teilte ich ihr mit.

Meine kleine Tochter antwortete: „Gefällt es dir?“

Ich: „Klar. Ich denke, ich bleibe länger hier, ist echt toll. Würde euch bestimmt nicht gefallen.“

Olivia aufgeregt: „Dad? Was soll das heißen? Ich denke, du übertreibst. Stimmts? Sonst komme ich dich abholen.“

Etwas enttäuschend fand ich das schon. Gleich wurde das Schlimmste angenommen. Obwohl ich diesen Vorwurf von Olivia nur zu gut kannte, wunderte mich ihr Aufbegehren. Irgendwie veränderte sich meine Tochter in den letzten Tagen? Kommen da wieder diese seltsamen Fantasien und Ängste auf? Eigentlich erwartete ich mehr Freude darüber, dass Samantha wieder ganz nahe bei mir weilt. So verliebt bin ich doch nicht, dass ich den Bodenkontakt verlieren würde, obwohl ich doch arg daran zweifeln musste. Mir ging es gerade auch mental richtig gut, hier in Samanthas Heim. Es gefiel mir, wie sie es eingerichtet hatte. Gemütlich, trotzdem modern und klar strukturiert.

„Ach, welche G-E-H-E-I-M-N-I-S-S-E hast du denn erfahren von deinen Geschwistern?“, horchte ich Olivia aus.

Olivia brauste leicht auf: „Zumindest finden beide es gar nicht so toll, dass du Hals über Kopf eine Ausländerin anschleppen willst. Jason macht sich Sorgen, Jennifer ist wirklich seltsam drauf.“

Nachdenklich schüttele ich den Kopf: „Liebe Olivia, du sollst andere nicht ausspionieren.“

Ein Schnauben von Olivia regte sie weiter auf: „Ich finde es schon bedenklich, mir Spionage vorzuhalten. Warum denkt ihr von mir, ich drifte in irgendwelche Welten ab? Du kommst doch zurück, oder?“

Jetzt reichte es mir: „Bist du verrückt? Warum sollte ich unsere Familie auseinanderbringen wollen?“

Stille und ein Seufzer am anderen Ende. Jetzt erklärte ihr Verhalten viele meiner Beobachtungen.

Etwas leiser und trauriger antwortete ich ihr: „Weißt du, ich will nur Samantha treffen. Du sollst glücklich sein. Ihr alle.“

Samantha betrat mit einer Kanne Tee und zwei Teetassen auf einem Tablett wieder das Wohnzimmer. Ihr schräg gelegter Kopf mit den wundervoll geschminkten Augen betrachtete mich forschend. Das geht aber gleich schief, spiegelte mir dieses Wort schräg die Kehrseite der Medaille vor. Weder ertrug ich Olivias Stimmungsschwankung noch Samanthas seltsamen Blick. Mein Magen zog sich zusammen, denn Ärger zog auf.

„Olivia, vielleicht willst du einfach nur etwas für dich?“, herrschte ich als Familienoberhaupt.

„Ja klar. Vielleicht sollte ich bei Samantha bleiben und du wieder herkommen! KLICK. Tuuuuut“, fassungslos sah ich das Smartphone an.

Schreck lass nach. Kurz vermutete ich Tagträume. Eigentlich kannte ich Olivia besser, als solch eine Reaktion ertragen zu müssen. Sollte ich meinen guten Draht zu Olivia gekappt haben? Doch nicht jetzt. Mutig wählte ich erneut daheim an. Aber vielleicht hatten Jennifer und Jason von den vergangenen Geschehnissen immer noch nicht genug Abstand. Olivia wollte mich wirklich nur warnen?

Nach dreimaligem Läuten meldete sich eine schniefende Olivia: „Ja? Was?“

Bestürzt flüsterte ich: „Hey, Braunlöckchen.“

„Willst du mich weiter nerven? Lass es einfach“, presste Olivia ihren Unmut durch das Telefon.

Oh Mist. Verbockt? Verfluchte Gefühlsausbrüche.

Samantha lenkte mich ab, weil sie sich bezaubernd geschminkt hatte. Aber so unglaublich toll, dass ich sie beinahe nicht mehr wiedererkannt hätte. Die Augen leuchteten geheimnisvoll, ihre Lippen waren etwas dunkler benetzt. Nur ihre Frisur schaute noch unpassend aus. Gerade als sie etwas bemerken wollte, hob ich meine Hand, sodass ich mich auf das wichtige Gespräch konzentrieren konnte.

Ich brummte: „Braunlöckchen, derzeit bin ich etwas hin- und hergerissen. Zuviel passiert momentan, du merkst bestimmt, dass ich versuche, es allen recht zu machen. Verzeih mir. Ich nehme mir deine Bedenken zu Herzen. Bitte, bleib ruhig. Ich löse diesen Knoten auf. Versprochen.“

Leider verschwand Samantha noch einmal. Diese Zeit nutzte ich und forderte den Bericht zur Woche ein, um abzulenken. Als Samantha wieder zurückkehrte, blieb mir der Atem weg. Sie hatte einen Haarknoten eingedreht. Samantha könnte als Modell arbeiten. Eindeutig, und das mit zweiundvierzig durchlebten Sommern. Wahnsinn.

„Dad?“, quäkte meine kleine Tochter genervt.

„Oh ähm, entschuldige bitte, ich wurde abgelenkt. Dein Versprechen habe ich gestern erfüllt“, hatte ich um Ruhe bittend auf Lautsprecher umgeschaltet.

„Echt? Das glaube ich dir nicht“, drängelte ungeduldig Olivia etwas freundlicher.

Samantha saß mittlerweile neben mir. Kippte unglaublich stilvoll den Tee in unsere Tassen ein. Wenn ich das jeden Sonntag erleben dürfte, wäre ich wohl ein typischer männlicher Spießer. Trotzdem fand ich diese Fantasie erstrebenswert, vor allem hätte ich es extrem interessant gefunden, Samantha im alten Manor House zu erleben. Wenn ich im Clubzimmer säße, sie hereinkäme, um mir ein Glas schottischen Whisky oder Gurken-Sandwiches mit dem passenden Tee zu kredenzen. Allerdings würde es mir ebenso gefallen, wenn Samantha mich genauso beim Sonntagsausritt mit meinem Lieblingspferd Joshua bewundern würde.

Interessiert hielt sie sich zurück. Ich neigte mich zu Samantha und flüsterte ihr zu, welches Versprechen ich meiner jüngsten Tochter gegeben hatte. Kaum beendete ich den letzten Satz, überflügelte mich ihre Nähe. Meine Gastgeberin hielt inne und kicherte kopfschüttelnd.

„Wenn du nicht gleich was sagst, rufe ich Granny!“, drohte Olivia nicht mehr ganz so eingeschnappt.

„Olivia? Dein Dad hat mich wirklich geküsst. Und es war ganz toll“, löste auf der anderen Seite bei Olivia einen versetzten Jubelschrei aus.

Wir hörten Olivia nur noch erleichtert singen: „Dad hat geknutscht. Dad hat geknuhutscht!“

Verwegen nutzte ich die Gelegenheit, küsste diese Wahnsinnsfrau gleich hinter ihrem blank dargebotenen Ohr. Wir freuten uns über den Wechsel von Olivias Gemüt. Währenddessen landete Sammys Hand in meinem Schoß. Ganz konzentriert und ernst neigte sie sich dann zu mir. Das war gemein von ihr.

Olivia flüsterte: „Samantha. Ist mein Dad verliebt?“

Samantha wollte etwas sagen, als ich ihr ungezogen mit der rechten Hand in den Ausschnitt fuhr.

Samantha drehte sich weg, antwortete ganz ruhig: „Ich vermute es stark.”

„Daddy ist verliehiebt. Sammy, magst du Dad auch?“

Wundervoll, wie Olivia wieder zurück im Wohlfühlbereich war. Gleich erhöhte sich mein Glücksfaktor. Ich konnte nicht anders, als mir die Tasse Tee zu schnappen und grinsend einen weiteren Schluck zu nehmen.

Samantha übernahm das Gespräch: „Dein Dad sitzt neben mir. Ihn beschäftigen momentan viele Dinge, was ihn ab und an ein wenig komisch werden lässt. Aber er ist ein bisschen verrückt und zudringlich. Manche Männer sind so, wenn sie verliebt sind. Trotzdem ist und bleibt er euer Dad. Darauf kannst du dich verlassen.“

„Okay. Ach, jetzt verstehe ich es“, kicherte Olivia kurz.

„Unvermeidlich. Nun werde ich euren Dad besser kennenlernen müssen, oder? Liebe Olivia, nur noch einmal schlafen, dann habt ihr ihn wieder. Ich werde ihn euch nicht vorenthalten. Seid lieb zu ihm, bitte“, versuchte Samantha, Klarheit zu schaffen.

Olivia sagte: „Moment, Jenny will irgendwas.“

Als Sammy sich zu ihrer Tasse mit dem Tee vorbeugte, erspähte ich wieder diese Stelle am Hals. Vermessen nutzte ich meine Chance. Beugte mich vor, küsste sie wieder auf diese magische Stelle hinter ihrem Ohr. Kurz zuckte sie zusammen. Darauf hob sie ihre mir zugewandte Schulter etwas an. Mein Blick schweifte über ihre Haut am Hals, dann die wundervoll symmetrische Nase herab. In Gedanken streichelte ich ihr Kinn. Diese passende Halskette schmückte die sanfte Haut auf dem Weg zu einer mir sehr wichtigen Region. Die Spitze verniedlichte auch noch dieses Dekolleté. Mich durchfuhr ein weiterer Gedanke an unverblümte Nacktheit zusammen mit ihr. Der Einblick in die vorteilhaft geöffnete Bluse offenbarte aus meiner seitlichen Position einen Balconette-BH samt einer nach Liebkosung brüllender Brust. Ihre Brüste wölbten sich ganz sanft nach oben. Und zwar perfekt. Ich empfand es als Genugtuung, dass es keine Falte gab. Ihr Atmen war deutlich zu beobachten. Irgendwann bemerkte ich, wie sich unser Atmen synchronisierte.

Ohhh man! Jetzt wird mir meine Hose zu eng.

„Nein, ich telefoniere mit einer Freundin. Du hast doch dein Mobiltelefon“, hörten wir Olivia brüllen.

Die Tür knallte.

„Samantha? Noch dran? Jenny nervt momentan gewaltig. Dad hat eine Menge hinter sich. Jennifer, Jason und ich hatten reichlich Probleme mit seinen Vorgängerinnen. Es gab damals einige echt blöde Ereignisse“, drückte Olivia noch einmal mit ihrer Liebenswürdigkeit ihre Bedenken aus.

Paradeschritt in meinem Kopf mitten auf der Lustallee. Stolz schritt ich vom erspähten Sieg zur nächsten Formation. Treibend galoppierte ich mittlerweile siegesgewiss auf das Ziel zu. Bestimmt ließ sich Samantha küssen. Natürlich führe ich diese Schönheit ganz entspannt in die große George-Haggerthon-Welt ein. Sofern ich das richtig mitbekommen hatte, dann genoss sie meine Nähe. Nichts versperrte mir den Weg zum Finale meiner Eroberung.

„Zwar erfuhr ich bei Weitem noch nicht alles über euch, doch habe ich schon einen Eindruck bekommen. Ich würde mich freuen, die Haggerthons kennenzulernen“, lächelte Samantha sanft und optimistisch.

Diese in Rot und Schwarz gekleidete Frau drehte sich zu mir und überraschte mich mit einem ernsten Gesicht. Was konnte eigentlich schiefgehen? Schließlich war ich ein stattlicher Lord und außerdem eine gute Partie. Letzteres bezog ich natürlich bei weitem auf mehr Bereiche als nur das leidige Geld. Das hat man oder man hat es nicht. Ich hatte es.

„Kannst du auch kochen?“, vernahm ich eine bei Weitem nicht so intime Frage von Olivia.

Samantha lächelte mich an: „Also, ich gebe mir Mühe und habe noch nicht oft versagt. Kannst du denn schon kochen?“

Olivia: „Nein, aber ich finde Kochen und Backen interessant.“

„Dann kannst du, wenn du magst, einfach zusehen, wenn wir mal alle zusammen kochen oder backen“, sagte Samantha zu meiner jüngsten Tochter.

Backen kann diese Frau ebenfalls? Da würden die Süßmäuler aber froh sein. Samantha brauchte nicht mehr zu arbeiten, entschied ich. Ihr Aufgabengebiet wäre klassisch umschrieben. Damit umgingen wir die lästige Arbeitssuche und hätten auch für mich einen entspannten Familienalltag. Beruhigt sah ich der Zukunft entgegen.

Die erstaunte Olivia wollte wissen: „Backen? Kuchen backen?“

„Ja, Kuchen zum Beispiel“, bestätigte Samantha.

„Genug für heute. Ich lege mal auf. Bis morgen“, sagte ich kurz angebunden zu Olivia.

„Bye, Bye, Samantha. Dad, benimm dich!“, beendete meine Tochter das Gespräch.

„Dann kannst du uns bewirten, prima“, tat ich kund.

Samantha stupste mich mit strengem Blick an. Daraufhin erwiderte ich teils nachdenklich, teils hoffend ihren Blick.

„Na du brauchst dir keine Sorgen mehr zu machen!“, fabulierte ich.

Woraufhin Samantha aufstand und sich vor mir mit beiden Händen in den Hüften frontal postierte. Sie beugte sich herab und griff nach meinem Schlips. Dann zerrte sie ruckartig daran, damit ich ihr näher kam. Ich erschrak heftig.

Samantha flüsterte mit meinem Schlips spielend: „Sollst du böser Junge nicht stillhalten, wenn ich ernste Telefonate führe? Was soll diese Anspielung?“

Überrumpelt schüttelte ich völlig entsetzt den Kopf.

Samantha zischte beinahe: „Tut das ein artiger und wohlerzogener Junge? Und warum sollte ich mir keine Sorgen machen?“

Mein Bild der klassischen Familienidylle eines Lords wurde einfach jäh zerstört. Was hatte ich falsch gemacht? Warum dachte ich an solche archaischen Bilder? Was, wenn Samantha all meine Fantasien ablehnte? Nein, sie würde mir folgen.

Verunsichert erklärte ich: „Ich dachte an gemeinsames Familienglück auf Haggerthons Manor.“

Bedeutsam schüttelte Samantha ihren Kopf. Langsam entglitt ihr mein Schlips und meine Hose platzte beinahe aus allen Nähten. Schwer atmen musste ich. Welche Fantasie füllte mich vorhin noch aus? Dann glitt mein Schlips erneut durch ihre Hände und ich setzte mich wieder auf ihre Couch. Nicht einmal wagte ich es, meinen Blick von ihren Augen zu lösen. Jetzt beugte sich die plötzlich dominierende Albtraumfrau herab, aber mit einem Anflug eines sanften Lächelns. Besser nicht verärgern, sonst komme ich an meinem Ziel nicht mehr an.

Sie strich mir über meinen Kopf und sagte spöttelnd: „Dafür liebe ich dich noch mehr.“

Erstmal musste ich mich sammeln. Was war das denn? War sie etwa eine Domina? Zwar war das sehr erotisch von ihr umgesetzt worden, doch ängstigte mich dies auch. Zuerst zuckte ich zurück. Meine Reaktion traf sie. Ihre Arme erhoben, verließ sie ihr Wohnzimmer. Ihre Ohren glühten rot. Also ging ich ihr besser hinterher. Sammy begegnete mir traurig lächelnd bereits in der Tür.

Mit einem mädchenhaften Ton, sanft, unschuldig und höflich fragte sie mich: „Tut mir leid. Hast du mir etwas mitgebracht?“

Sie wunderte sich, warum ich Abstand hielt. Erstmal musste ich das Erlebte verdauen. Das Geschehene, denn so gut kannten wir uns nun auch nicht, verunsicherte mich. Also packte ich still und etwas konsterniert aus. Ihre ungläubigen Augen weiteten sich immer weiter. Samantha nahm die beiden Outfits entgegen, eroberte beide nahezu erneut. Kopfschüttelnd legte sie jedes Geschenk auf dem Couchtisch ab. Ihre Blicke auf mich gerichtet, spielte sie mit ihren Lippen und zog die Augenbrauen zusammen. Als ich die Dessous zögerlich herausnahm, legte sie beide Hände auf meine Unterarme. Ganz zärtlich gab sie mir einen Kuss und streichelte meinen Unterarm. Sie wollte keine Geschenke, sondern sich mit mir versöhnen. Nun schwante mir, dass ich da vor mir keine angeglichene Frau des Lords erlebte. Diese Frau frisst mir nicht aus der Hand und wird ihren eigenen Weg gehen. Entspannung breitete sich aus, als sie ihren Kopf auf meine Schulter legte.

Ach, du ahnst es nicht. Eine echte emanzipierte Frau bedrohte also meinen kindlich indoktrinierten Lebensstil. Was für ein Abenteuer.

Ankunft ohne Wiederkehr - Teil 2

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