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Kapitel 2

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MAYA

Die Nacht war lang, und der Alkohol hat mir eindeutig zu einem traumlosen Schlaf verholfen. Aber jetzt brauche ich einen Kaffee und vielleicht auch etwas zu essen. Das entscheide ich aber besser erst, wenn ich weiß, was mein Magen zu Kaffee sagt. Annas Zimmertür ist noch geschlossen. In der Küche finde ich mich recht schnell mit der Kaffeemaschine zurecht. Die ist mir schon bei unserem ersten Gespräch aufgefallen und hat mich hoffen lassen, dass ich dieses Zimmer bekomme. Ein schicker Vollautomat, der mir neben einem stinknormalen Kaffee aus frisch gemahlenen Bohnen bei Bedarf auch einen Espresso macht oder dank Milchaufschäumer auch Cappuccino und Latte Macchiato. Heute Morgen reicht mir aber erst mal einfacher Kaffee, die Milch kann ich mir schon selbst und unaufgeschäumt reintun.

Mit meiner Tasse sitze ich auf dem Sofa und schaue mich zum ersten Mal in aller Ruhe hier um. Anna hat eindeutig ein Händchen dafür, eine Wohnung gemütlich einzurichten. In der Mitte des Wohnzimmers steht ein bequemes Ecksofa mit reichlich Kissen und Decken. Die Kissen sind farblich genau aufeinander abgestimmt und passen mit den hellen Grau- und Rosatönen zu dem ebenfalls hellgrauen Sofa. Außerdem liegen zwei kuschelig aussehende Decken darauf. Vom Sofa aus kann man perfekt aus dem Fenster oder auf den Fernseher schauen, der auf einer weißen Kommode mit vielen Schubladen steht. Das Bücherregal beherbergt neben Büchern und Ordnern ein paar Bilder, Kerzen und eine Grünpflanze. Dieser Raum verspricht gemütliche Filmabende bei Popcorn und Eis.

Ich glaube, hier könnte ich mich tatsächlich zu Hause und sicher fühlen.

Annas Zimmertür öffnet sich und eine sehr müde ausschauende und zottelige Mitbewohnerin kommt auf mich zu und wirft sich neben mich aufs Sofa.

»Guten Morgen!«

»Mhpf.«

»Na, Sonnenschein? Kaffee?«

»Mhmh.«

Okay, da gehört jemand eindeutig zur Gruppe der Morgenmuffel, aber das ist nichts, womit ich nicht umgehen könnte. Eine Tasse Kaffee mit Milchschaum und einer Prise Schokopulver wird uns beide schon wach und munter bekommen.

Als Anna ihren Kaffee etwa zur Hälfte getrunken hat, kommt langsam Leben in sie.

»Dir ist schon klar, dass du jetzt immer mit dem passenden Getränk parat stehen musst, wenn ich eine Tür öffne?«

»Das hättest du wohl gerne«, kontere ich und schmeiße mit einem Kissen nach ihr.

»Ey, der gute Kaffee hätte verschüttet werden können!«

»Keine Angst, ich kann zielen«, antworte ich mit einem Zwinkern und bekomme prompt ein Kissen an den Kopf. Wie kleine Kinder bewerfen wir uns mit den vielen Kissen auf dem Sofa, immer darauf bedacht, dass unser Lebenselixier Kaffee nicht verschüttet wird.

Nach unserer Kissenschlacht und einem ausgiebigen Frühstück machen wir uns beide fertig. Wir müssen noch ein paar Lebensmittel für das restliche Wochenende einkaufen.

Aufgrund unserer spontanen Aktion gestern haben wir definitiv nichts mehr im Haus, um uns heute Abend in Stimmung zu bringen, und ich befürchte, dass meine Nudelkreation von gestern nicht ganz die Art von Essen ist, die Anna vorschwebt. Zumindest hat sie vorhin skeptisch in die Töpfe geschaut. Wenn ich mir die Sammlung an Gewürzen und Ölen in den Schränken so anschaue, scheint Anna wenigstens gelegentlich sehr aufwendig zu kochen.

Tatsächlich wandern diverse Zutaten in den Einkaufswagen, die ein leckeres Essen vermuten lassen.

»Sag mal, Anna, kann es sein, dass du ziemlich gut kochen kannst?«

»Ziemlich gut würde ich jetzt nicht sagen, aber ziemlich gern. Unter der Woche habe ich zwar keine Zeit dafür, aber wenigstens einmal am Wochenende koche ich was Richtiges. Ich verspreche dir, deine Nudeln mit Soße wirst du ganz schnell vergessen.«

Ich sehe schon, wo unsere jeweiligen Stärken liegen.

»Wunderbar, dann bist du ab jetzt fürs gute Essen zuständig und ich für die Getränke. Wir haben also beide unsere Stärken, die sich ganz wunderbar ergänzen.«

Da müssen wir beide lachen und ernten schiefe Blicke von den Leuten um uns herum. Ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal so viel gelacht habe wie in den nicht mal vierundzwanzig Stunden, die ich mit Anna verbracht habe. Ich kann mich kaum daran erinnern, wann ich überhaupt zuletzt richtig herzlich gelacht habe.

Aber Neuanfänge sind dazu da, um das alte Leben hinter sich zu lassen und nicht mehr zurückzuschauen oder Vergleiche zu ziehen. Mein neues Leben möchte ich möglichst unbeschwert und glücklich verbringen und daher steht viel lachen ab sofort mit auf der Tagesordnung.

Zu Hause angekommen packen wir die Einkaufstüten aus und alles, was nicht gleich von Anna fürs Kochen benötigt wird, räume ich in den Kühlschrank oder die anderen Schränke. Neben mir wird schon fleißig geschnippelt, werden Töpfe rausgeholt und die ersten Sachen angebraten.

»Was kochst du da eigentlich Leckeres für uns?«, frage ich Anna.

»Lass dich überraschen! Würdest du schon mal den Tisch decken? Und wenn du magst, kannst du auch schon duschen gehen, dann können wir uns nach dem Essen langsam für unsere wilde Partynacht fertig machen.«

Als ich alles vorbereitet habe, mache ich mich ab ins Bad. Während ich unter der Dusche stehe und mir die Haare wasche, frage ich mich unwillkürlich, wie es heute Abend wohl werden wird. Gedankenverloren berühre ich die kleine Narbe an meinen Rippen, die nur böse Erinnerungen in mir weckt, und ich bekomme Gänsehaut am ganzen Körper. Wie dumm ich doch war! Blind vor Liebe, wie ich glaubte. Doch das war keine Liebe. Das waren hirnverbrannte Gefühle, die ich fälschlicherweise für Liebe gehalten habe. Eigentlich sehr traurig, wie sehr ich mich nach jemandem gesehnt habe, der mich lieben könnte, dass ich Marc für diesen Jemand gehalten habe. Und das Einzige, was ich von meinem Irrglauben zurückbehalten habe, ist diese kleine Narbe an meinen Rippen. Doch selbst als diese Wunde frisch war, habe ich noch immer geglaubt, dass das alles Liebe sei. Wirklich sehr, sehr traurig. In mir macht sich ein Gefühl von Hilflosigkeit und Traurigkeit breit. Wie unendlich dumm ich doch bin. Nein, war! Ich war dumm! Und für diese Gefühle und diese Gedanken ist ab jetzt kein Platz mehr da!

Mit Anna wird das heute bestimmt lustig und ich werde mir nicht von schlechten Erinnerungen den Abend verderben lassen. Von Männern habe ich erst mal die Nase mehr als gestrichen voll und das werden die Kerle bestimmt schnell kapieren. Wenn doch einer aufdringlich werden sollte, habe ich immer noch Anna an meiner Seite, und im Notfall gibt es da ja auch garantiert Securities.

Ach, ich mach mir auch schon wieder viel zu viele Gedanken um Was-wäre-wenn-Situationen. Ich werde einen tollen Abend haben und die Kerle werden schon verstehen, wenn ich kein Interesse habe. Und nun schnell raus aus der Dusche, bevor Anna noch denkt, ich tue sonst was hier. Außerdem bekomm ich langsam echt großen Hunger und es riecht schon sehr, sehr lecker da draußen.

Die Teller sind sogar schon gefüllt mit etwas, das nicht nur gut riecht, sondern auch ungemein appetitlich aussieht.

»Wow! Das duftet ja wunderbar! Was ist das?«, frage ich Anna, als ich mich hinsetze.

»Lamm-Ragout mit Ofengemüse und Gnocchi. Ich hoffe, du magst Lamm. Ich hab ganz vergessen zu fragen.«

»Klar, ich bin da unkompliziert. Ich esse, was auf den Teller kommt.«

»Sehr gut, dann kann ich ja in Zukunft schön an dir experimentieren. Und jetzt schaffen wir uns mal eine Grundlage, damit wir eine wilde Partynacht durchstehen. Wir wollen schließlich ein paar Drinks abstauben und nicht direkt schlappmachen.«

Später spüle ich ab, während Anna unter die Dusche geht. Als sie aus dem Bad kommt, schleppt sie diverse Sachen mit raus: Glätteisen, Lockenstab, Bürsten und Haarspray kann ich erkennen und einen Kosmetikbeutel, in dem bestimmt diverse Schminkutensilien drin sind. Ich habe auch schon meine Kosmetikartikel zusammengesucht und bin sehr froh, dass ich alles mitgenommen habe, schließlich sind die Sachen ein kleines Vermögen wert. Und bei der Menge, die ich in meinem Besitz habe, brauche ich in naher Zukunft nichts Neues kaufen. Marc mochte gern immer perfektes Make-up an mir, das für die meisten nur für den Abend angemessen wäre. Dezent war nicht seine Vorliebe. Und die Haare mussten lang sein, sehr lang. Weil meine Haare irgendwann dünner wurden, je länger sie wurden, hatte ich bald Extensions drin. Super pflegeintensiv und gar nicht mein Fall, aber nach mir ging es selten in unserer Beziehung. Die Extensions habe ich mir auf dem Weg hierher in einem kleinen Friseursalon entfernen lassen. Auch dieses starke Make-up jeden Tag entsprach nicht meinem Geschmack, von der Kleidung will ich gar nicht erst anfangen. Deswegen habe ich nur wenig von den ganzen Klamotten mitgenommen. Das war nicht ich, das hätte hier ein falsches Bild von mir vermittelt. Doch einige Party-Teile habe ich noch.

Anna kommt gerade grinsend aus meinem Zimmer und verteilt ein paar Kleider und Oberteile auf dem Sofa.

»Meine Güte, ich weiß gar nicht, was ich dir heute aus dem Schrank klauen soll. Du hast da wirklich superheiße Teile! Ich hätte gar nicht gedacht, dass du so eine Partymaus bist.«

»Bin ich auch nicht, aber manchmal geh ich schon ganz gern tanzen und da will man ja auch hübsch sein«, sage ich mit einem Lächeln und Augenzwinkern. Doch ich verschweige, dass ich jedes Wochenende quasi im Club meines Exfreunds gelebt habe, der mir diese Outfits auf dem Sofa nie hätte durchgehen lassen. Zu angezogen, nicht sexy genug seiner Meinung nach. Mich schüttelt es innerlich, wenn ich an diese Zeiten denke. Diese Gedanken passen nicht in mein neues Leben und deswegen wird sich jetzt in Stimmung gebracht. So hol ich uns den kalten Sekt aus dem Kühlschrank, schenke zwei Gläser ein und reiche Anna eines davon.

Dann drehen wir Anna Locken in die Haare, meine werden geglättet. Viel Haarspray und meine Schminkkünste werden ausgepackt. Damit wir nicht irgendwann schwarze Schatten um die Augen haben, lassen wir die Mascara weg, nehmen stattdessen künstliche Wimpern und müssen uns darum keine Sorgen machen.

Gemeinsam stehen wir vor Annas Spiegel und betrachten uns mit gönnerhaften Blicken. Anna trägt eine Highwaist-Hose aus schwarzem Kunstleder, dazu ein dunkelrotes bauchfreies Spitzentop und meine schwarzen Lace-up-Heels. Der Lippenstift in mattem Rot passt super zu dem Top und ihre blonden Locken rahmen das Ganze perfekt ein. Ein richtig sexy blonder Engel.

Ich gefalle mir auch sehr gut in dem schwarzen Kleid von Anna. Dazu habe ich schlichte schwarze Pumps an und meine Haare fallen dank Glätteisen weich und glatt meinen Rücken hinunter.

»Also, wenn uns die Kerle heute nicht zu Füßen liegen, dann weiß ich auch nicht. Wir sehen echt umwerfend aus! Auf einen tollen Abend und wunde Füße morgen!«, sagt Anna, und wir stoßen noch einmal an, bevor wir uns auf den Weg machen.

*****

Die Musik ist laut, der Club voll, die Luft steht. Und ich fühle mich frei. Trotz der schlechten Luft und den vielen mir völlig unbekannten Menschen fühle ich mich entspannt wie lange nicht mehr. Als wir den Club betraten, überkam mich im ersten Moment leicht das Gefühl von Panik. Die dunkle Treppe, die in den Club hinunterführt, sieht aus wie alle Treppen, die in Clubs führen, und gleichzeitig so sehr wie die Treppe, die zu diesem einen Club gehört. Dieser bestimmte Club, in den ich viel zu oft meine Füße gesetzt habe und in den ich nie wieder einen Fuß setzen werde. Doch dieser Anflug von Panik verzog sich schnell wieder. Hunderte Meilen trennen mich von diesem Ort und den Menschen dort. Meiner Vergangenheit.

Ich konnte das Gefühl oben an der Treppe zurücklassen und mich nun ganz der Musik und dem Bass hingeben, der kleine Vibrationen durch meinen Körper schickt.

Während ich mir einen ersten Überblick verschaffe, hat Anna uns schon die ersten Drinks besorgt.

»Auf eine lange Nacht mit wunden Füßen und glücklichen Herzen!«, spricht Anna voller Ernst im Gesicht und hält feierlich ihr Glas hoch.

»Glückliche Herzen?! Hattest du schon zu viel? Oder wo kommt der Kitsch her?«, frage ich und nachdem sie mich kurz entrüstet anblickt, lacht sie lauthals.

»Das haben gerade die Mädels da vorne an der Bar todernst von sich gelassen und darauf angestoßen. Ich dachte, das sagt man jetzt so unter den coolen Girls.«

»Ja, vielleicht, wenn man frische neunzehn Jahre alt ist, hier eigentlich nichts zu suchen hat und sich gerade vom ersten Freund getrennt hat.«

»Ach, was sind wir doch alt und weise! Also auf uns, eine lange Nacht und wenn wir morgen früh keine wunden Füße und einen Schädel haben, haben wir definitiv etwas falsch gemacht!«

Wir leeren unsere Gläser, stellen sie auf dem nächsten Tisch ab und bewegen uns auf die Tanzfläche. Da wir zu Hause schon das eine oder andere Glas hatten, tanzen wir bestimmt eine halbe Stunde erst mal einen Song nach dem anderen durch und lassen uns treiben. Es dauert nicht lange, bis Anna die ersten Leute sieht, die sie kennt, und mich ihnen vorstellt. Doch schon in der nächsten Sekunde habe ich die Namen und Gesichter wieder vergessen und verliere mich wieder in der Musik. Wie gut es sich anfühlt, sich treiben zu lassen, nicht darauf zu achten, ob jemand schaut, ob das Make-up noch perfekt sitzt oder ob man vielleicht nicht im richtigen Moment an der Seite der richtigen Leute steht.

Während ich tanze, redet Anna mit zwei Kerlen, die sie anscheinend näher kennt. Die zwei sehen ganz nett aus, aber was heißt das schon? Man sieht den Leuten ja nicht direkt an, dass in ihnen ein Arschloch steckt. Also manchen schon, aber eben nicht allen. Und die gefährlichsten sind immer die Wölfe im Schafspelz.

Doch Anna scheint mir nicht der Mensch, der sich mit Arschlöchern abgibt, und wie gesagt, die beiden sehen nett aus und harmlos. Ich hätte nie gedacht, dass ich so was mal an einer Person registrieren und für wichtig erachten würde, aber man lernt ja nie aus. Was das betrifft, bin ich wirklich schon alt und weise. Gerade als die beiden Kerle sich in Richtung Bar aufmachen, winkt Anna mich zu sich.

*****

ANNA

Kleinstädte haben ja so ihre Vor- und Nachteile. Der Vorteil ist natürlich, dass man eine gewisse Auswahl hat, was Clubs und Bars betrifft. Der Nachteil ist, dass man eigentlich immer auf jemanden trifft, den man eigentlich nicht treffen möchte. Heute Abend wünsche ich mich eigentlich in eine Großstadt. In eine anonyme Welt, die mir die Möglichkeit gibt, mich hemmungslos abzuschießen, ohne dass am nächsten Montag alle Welt Bescheid weiß, in der ich dennoch zu Hause bin und nachts in meinem eigenen Bett schlafen kann. Aber da ich nun mal in einer Kleinstadt lebe, habe ich schon einige bekannte Gesichter getroffen und der Nächste, der mich fragt, mit wem ich da bin, der muss mir was zu trinken ausgeben. Nicht, weil es mich nervt, sondern weil Maya und ich wieder auf dem Trockenen sitzen und mir langsam die Puste ausgeht. Allerdings scheint Maya noch lange nicht genug zu haben. Irgendwie hat sie etwas sehr Glückliches und auch gleichzeitig sehr Nachdenkliches an sich, während sie tanzt. Als wir vorhin angekommen sind, habe ich irgendwie das Gefühl gehabt, dass sie innerlich gezögert hat. Aber vermutlich interpretiere ich einfach mal wieder viel zu viel in alles und jeden hinein und Maya hat nicht gezögert, sondern nur ihren Schuh zurechtgerückt. Ich bin froh, dass ich Maya als Mitbewohnerin ausgesucht habe. Da waren aber auch Pappnasen zur Besichtigung da. Immer und immer wieder alles von vorne erklären: Zimmer, Größe, Preis, Aufgaben, Regeln. Am schlimmsten waren eigentlich die Typen, die dachten, sie mieten das Zimmer und im Preis inbegriffen ist eine Putzfrau – ich –, eine Köchin – ich – und eine Bettgefährtin – wieder ich. Ich konnte gar nicht so oft mit den Augen rollen, wie ich gerne hätte. Ich bin zwar jung und war auf der Suche nach meinem ersten Mitbewohner oder meiner ersten Mitbewohnerin, aber naiv bin ich nicht. Wobei auch die Erstsemester recht anstrengend waren. Wollen raus aus ihrem Kinderzimmer in die große weite Welt und alles ist toll und super und man ist ja so herrlich erwachsen, aber dann kommt Mami um die Ecke und die ach so großen Erstsemester sind plötzlich wieder kleine Kinder, die Mutti am Rockzipfel hängen. Anstrengend! Nach Unmengen an Bewerbungsgesprächen und Griffen ins Klo stand Maya vor der Tür. Eigentlich hatte ich an dem Tag schon keine Lust mehr auf weitere Kandidaten und wollte ihr schon absagen. Ich bin sehr froh, dass ich es nicht getan habe. Maya kam rein und ich hatte gleich das Gefühl, dass es passen könnte. Ich hätte nicht sagen können, woher dieses Gefühl kam, aber es war einfach so. Sie hatte irgendwie etwas Erwachsenes an sich, ohne dabei spießig oder verkopft zu wirken. Eine prüde Jungfrau hatte ich auch nicht vor mir, dafür war sie schlichtweg zu hübsch. Dazu ist sie jemand, der schon mal einen eigenen Haushalt geführt hat und keine sexuellen Gegenleistungen von mir erwartet.

Wenn ich so darüber nachdenke, waren meine Ansprüche gar nicht so hoch. Ich war nur auf der Suche nach einer Person, die sich selbst Essen zubereiten kann, weiß, wie ein Putzlappen aussieht und wie man diesen auch korrekt benutzt, und in der Lage ist, sich um die eigene sexuelle Befriedigung zu kümmern, ohne dabei auf meine Mithilfe angewiesen zu sein. So formuliert wäre das eine sehr unterhaltsame Anzeige gewesen.

Während ich also völlig gedankenverloren Maya dabei zusehe, wie sie selbstvergessen tanzt, legt mir jemand den Arm von hinten um den Körper.

»Sag mal, hast du noch alle Tassen im Schrank!«, rufe ich ziemlich stinkig, drehe mich um und hebe schon meine Hand. Im gleichen Moment wird sie festgehalten und ich schaue keinem Perversling in die Augen, der sich maßlos überschätzt, sondern Mason.

»Na, na, ganz ruhig, junge Dame! Wer wird denn gleich die Hand erheben?«

»Mason, du hast echt Nerven. Du kannst doch nicht einfach eine Frau ohne Vorwarnung von hinten umarmen.«

»Weißt du, es ging nicht anders. Ich sehe schon die ganze Zeit, wie die Kerle sich kaum noch zusammenreißen können, weil dein Hintern in dieser Hose einfach zum Anbeißen ist. Da musste ich doch einfach etwas tun und mein Revier markieren. Du weißt doch, du gehörst ganz allein mir.«

»Mason! Ich gehöre dir nicht, ich gehöre nur mir ganz allein.«

Mason. Mein bester Freund, der einfach unverschämt gut aussieht und dem die Mädels nur so zu Füßen liegen. Wäre er nicht mein bester Freund, würde ich das vermutlich auch tun. Er ist knapp ein Meter neunzig groß und hat einen sehr gut gebauten Körper, von dem ich wirklich nicht wegschauen kann, wenn er im Sommer oben ohne vor mir steht. Ich habe einfach eine Schwäche für schön definierte Oberarme und Brustmuskeln und bei Gott, die hat er! Wären wir nicht bereits seit dem Sandkasten miteinander befreundet, würde ich ihm vermutlich regelmäßig um den Hals fallen und ihn anbetteln … ach, wem will ich hier eigentlich etwas vormachen? Mir? Meinem eigenen Kopf? Mason und ich schlafen miteinander. Sandkastenfreundschaft hin oder her. Auch ich liege ihm zu Füßen.

»Hallo! Erde an Anna! Ich habe dich was gefragt.«

»Was? Ich war gerade gedanklich, äh, woanders.«

»Ja, das habe ich schon gemerkt. Ich habe dich gefragt, ob du alleine hier bist oder für wen du dich erbarmt hast, aus deiner Wohnung zu kommen?«

»Ich bin mit Maya hier, meiner neuen Mitbewohnerin. Da vorne, die in dem heißen Kleid und mit den unverschämt tollen Beinen.«

»Deine neue Mitbewohnerin? Was ist denn aus Adam, 42 und schlecht im Haushalt, aber gut zwischen den Laken, geworden?«

»Sehr witzig!«

»Nee, aber mal ehrlich. Sieht wirklich sehr hübsch aus, oder Jacob?« In dem Moment tritt Jacob neben ihn. Was Mason an Charme und sozialer Kompetenz hat, ist seinem Freund wohl irgendwo in der Highschool verloren gegangen. Ich habe selten so einen verschlossenen, wortkargen und grummeligen Kerl getroffen wie ihn. Und so unglaublich es ist, aber nach der Trennung von seiner Ex ist es noch schlimmer geworden. Leider ist er Masons bester Freund und gehört somit fest dazu.

»Bestimmt nicht.«

»Du weißt doch gar nicht, um wen es hier geht. Da vorne, die hübsche Klein e mit den langen Beinen ist Maya und ich finde, sie sieht aus, als wäre sie wie für dich gemacht.« Mason knufft Jacob in die Seite, aber von dem kommt nur ein Knurren, das man so oder so deuten kann.

»Dann hol du mal die Tanzmaus her, wir zwei holen ein paar Drinks und dann stellst du uns deine neue Mitbewohnerin vor. Wir treffen uns gleich da vorne, da haben wir vielleicht die Chance, uns zu unterhalten, ohne uns gegenseitig die Spucke ins Gesicht zu schleudern.«

Als die beiden losziehen, um uns mit neuen Getränken zu versorgen, sieht Maya zu mir herüber und ich winke sie zu mir. Was ihr gar nicht aufzufallen scheint, aber mir umso mehr, sind die Blicke ringsherum. Kleinstädte sind eben doch nur größere Dörfer. Keiner kennt Maya und sie sieht umwerfend aus – die Kerle denken vermutlich direkt Unanständiges und die Mädels hassen sie einfach aus Prinzip. Wenn ich ein ganz kleines bisschen ehrlich zu mir bin, würde ich es an deren Stelle nicht anders machen.

Unterbewusst fühlt man sich doch immer ein wenig von gut aussehenden Menschen bedroht und wird sich seiner eigenen Unzulänglichkeiten nur umso mehr bewusst. Unzulänglichkeiten, die vielleicht oft gar keine sind und die andere wiederum sehr bewundernswert oder sogar beneidenswert finden, aber so ist das nun mal. Man ist immer viel zu kritisch mit sich selbst, dadurch ungerecht gegenüber anderen und schnell macht man die großen Schubladen auf, die voll sind mit Klischees und absolutem Nonsens. Ha, ich denke gerade selbst wieder so schön in Schubladen.

»Hey, ich habe gerade zwei Freunde von mir getroffen und die beiden können es kaum abwarten, dich kennenzulernen. Sie holen grade Getränke für uns. Ist das okay für dich?«

»Klar! Ich möchte ja auch wissen, wen ich ab jetzt getrost in die Wohnung lassen kann. Nicht, dass ich sie mit fiesen Betrügern verwechsle und im Regen stehen lasse.«

»Super! Wir haben gesagt, wir treffen uns da vorne.«

Wir bahnen uns unseren Weg durch die Menge und versuchen dabei möglichst wenigen Menschen auf die Füße zu treten oder Drinks zu verschütten. Was sich natürlich als gar nicht so einfach erweist. Prompt stoße ich gegen ein äußerst unangenehmes Exemplar der Spezies Mensch. Klar, der Club ist voll und ich könnte zig anderen Menschen das halbe Bier verschütten, aber nein! Ich renne gegen Mr Obercool.

»Ah, sorry! Das war keine Absicht!«, stammle ich los und werde umgehend von Alexanders vernichtendem Blick getroffen.

»Geht’s noch?! Weißt du eigentlich, was meine Schuhe kosten?«

»Es war wirklich keine Absicht, Alexander. Komm, deine Schuhe haben kaum was abbekommen. Lass gut sein und uns durch.«

»Anna, Anna. Kann ich das einfach so? Dich durchlassen?«

»Alexander, bitte. Heb dir deine Spielchen für Mädels auf, die dich wirklich interessieren.« Bitte, kann er uns nicht einfach vorbeilassen? Aber bei Alexander ist nichts einfach. Ohne Show und Selbstdarstellung geht bei ihm gar nichts. Ich werde langsam genervt. Doch bei Maya scheint der Punkt schon erreicht und sie mischt sich ein.

»Hi, wir kennen uns nicht, was auch nicht weiter wichtig ist. Aber ich bin mit Anna hier und wie sie bereits gesagt hat, war es keine Absicht. Du merkst bestimmt schon, es ist recht voll hier. Da kann man sich schon mal berühren. Clubs eben. Na ja, dürften wir dann jetzt durch?«

»Oh, wen haben wir denn da?« Wie nicht anders zu erwarten, mustert Alexander Maya von oben bis unten. Wie ich diesen Kerl verabscheue. Aber es ist gleichzeitig sehr schön, zu beobachten, wie Maya ihm Kontra gibt.

»Dürften wir dann jetzt endlich mal vorbei?«, gibt Maya, die Frage von Alexander ignorierend, zurück.

Das wird ihm gar nicht gefallen. Aber bevor dieser überhaupt registrieren kann, dass er gerade auf Widerstand trifft, schlängelt sich Maya schon an ihm vorbei und zieht mich hinter sich her. Ich bin sehr gespannt, ob Alexander sich damit zufriedengeben wird. Ich befürchte allerdings nicht, und wenn er erst mal merkt, dass er gerade vor den Augen seiner Kumpels etwas blöd stehen gelassen wurde, schon mal gar nicht.

*****

MAYA

Meine Güte! Vollidioten mit viel zu großem Ego scheint es einfach überall zu geben! Ich scheine gerade auf das Prachtexemplar dieser Stadt getroffen zu sein und könnte mich nicht stärker abgestoßen fühlen. Das Ganze erinnert mich zu sehr an früher. Wie schwach, wie vernebelt, wie unfassbar naiv ich war. Es ist einfach noch viel zu frisch und alles andere als lange her. Es lauert noch direkt unter der Oberfläche. Ich möchte doch nur vergessen, und unbefangen meinen Neuanfang starten. Allerdings verlange ich vielleicht auch etwas viel von mir, immerhin bin ich noch keine achtundvierzig Stunden hier. Viel Zeit zum Verarbeiten war da nicht, es wird noch ein wenig dauern.

Aber was soll ich mich darüber aufregen oder mir den wirklich netten Abend verderben lassen? Einmal tief durchatmen, gedanklich abhaken und weitermachen. Also lasse ich den aufgeblasenen Affen mit seinen kleinen Kumpanen stehen und ziehe Anna hinter mir her. Solche Kerle und solches Gehabe kann ich einfach nicht ausstehen.

Jetzt werde ich erst mal Freunde von Anna kennenlernen.

Ich bin schon sehr gespannt. Meine ersten neuen Kontakte, und auch wenn es sich dabei um Männer handelt, bin ich irgendwie froh. Meistens ist es doch schwieriger mit Frauen. Bei vielen setzt gleich eine Art Konkurrenzkampf ein und ich bin es einfach leid. Ich möchte mich nicht mit anderen Frauen messen. Mir ist es ziemlich egal, ob deine Brüste größer sind, die Beine dicker, die Haare schöner. Mich interessiert auch nicht dein Freund, nicht dein Leben und nicht deine Position. Mir ist es wirklich so unendlich egal, wie du aussiehst, wie viel Geld du hast oder wie viele Follower bei Instagram. Es klingt doof und klischeehaft, aber wenn du keinen schönen Charakter hast, bist du auch sonst nicht schön. Doch leider sehen viele Frauen in mir direkt eine Konkurrenz und das ist anstrengend. Seltsamerweise sind das oft Frauen, die so überhaupt keinen Grund haben, auf mich eifersüchtig zu sein oder mich als Konkurrenz zu betrachten, weil sie selbst hübsch sind und viele andere Frauen gern wären wie sie.

Ich habe viele solcher Frauen in meinem alten Leben kennengelernt. Wunderschöne Frauen, die alles haben: Schönheit, Geld, Freunde, Familie und Ansehen. Doch hinter all ihrer Oberflächlichkeit befindet sich nichts. Mein alter Freundeskreis – oh Gott, dass ich nicht lache – bestand nur aus solchen Frauen und Männern. Es war nur wichtig, wer welches Auto fährt, wer die neuesten Klamotten trägt, wer die dickste und teuerste Uhr trägt. Jedes Wochenende Party ohne Ende, der Alkohol ist nur so geflossen, und in Marcs Club waren härtere Drogen schnell dabei. In den VIP-Lounges wurden die Lines ganz offen auf den Tischen angerichtet und direkt gezogen. Keiner hatte Angst, dass es Konsequenzen haben könnte. Marc hatte seinen Laden und seine Leute im Griff, da war niemand, der ihm nicht loyal gesinnt gewesen wäre. Jeder hatte so viel Respekt vor ihm, dass niemals jemand auf die Idee gekommen wäre, der Polizei von den Drogen zu erzählen. Es waren mehr als genug Polizisten anwesend – und andere wichtige Personen, die viel zu sagen und auch viel zu verlieren hatten.

»Hallo! Erde an Maya! Jemand zu Hause?«

Anna winkt mit ihren Händen theatralisch vor meinem Gesicht herum.

»Himmel, Anna! Nimm die Arme runter! Du schlägst mir ja fast das Bier aus der Hand.«

Anna lässt die Arme wieder sinken und wendet sich dem Mann zu, der ihr einen Becher Bier in die Hand drückt. Das muss einer von Annas Freunden sein.

»Mason, wenn du nicht in der Lage bist, zwei Becher Bier zu tragen, dann schieb das mal nicht auf mich. Wobei ich sagen muss, mein Becher sieht schon ziemlich leer aus. War der Weg etwa so weit, dass du deinen Durst stillen musstest?«

»Erwischt! Du weißt doch, wie schnell ich immer durstig werde.«

Anna knufft dem mir noch immer unbekannten jungen Mann in den Arm.

»Du musst die berühmte neue Mitbewohnerin sein, die hier schon in aller Munde ist. Ich bin Mason.« Mason hält mir seine Hand hin und ich schüttle sie. Kräftiger Händedruck, schöne gepflegte Hände. Mein Blick wandert an ihm hoch und ich kann mir gut vorstellen, dass das eine oder andere Mädel ihm schnell verfällt. Er ist breit gebaut, hat eine gut trainierte Brust und ein freundliches, offenes Gesicht, dessen kantiges Kinn mit einem leichten Dreitagebart bedeckt ist. Wenn man seinen warmen blauen Augen glauben kann, verbirgt sich ein wirklich netter Kerl dahinter. Das Ganze wird von seinen blonden Haaren abgerundet, die er garantiert bewusst so lässig verwuschelt gestylt hat.

»Hi, ja, ich bin die anscheinend berühmte Maya.«

Hinter Mason kommt ein weiterer Mann zum Vorschein. Er ist ähnlich groß, etwas schmaler gebaut, lässt aber trotzdem einen gut trainierten Körper erahnen, hat dunkles Haar und genauso dunkle Augen. Sein T-Shirt gibt schön definierte, tätowierte Arme preis. Hach, da könnte ich direkt weich werden. Ich habe eine Schwäche für gut definierte, aber nicht übertrieben breite Arme, und wenn sich dann noch Tinte auf der Haut befindet, umso besser.

»Hier, dein Bier.«

Er drückt mir einen Becher Bier in die Hand und scheint damit auch seine Begrüßung beendet zu haben. Etwas wortkarg, der Gute.

»Also, was mein netter Begleiter eigentlich sagen wollte, war: Hi, ich bin Jacob. Es ist sehr nett, dich kennenzulernen. Bitte, hier dein Bier«, klärt Mason mich auf und ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen.

»Hallo Jacob! Vielen Dank für das Bier«. Ich proste ihm zu und nehme einen großen Schluck. Ich bin doch etwas durstiger als gedacht und das kühle Bier tut sehr gut.

»Also dann erzähl doch mal was von dir, Maya. Wir wollen ja wissen, wer es geschafft hat, unseren absoluten Favoriten Adam auszustechen.«

»Ich weiß zwar nicht, wer Adam ist, aber ich bin am Freitag hier angekommen und werde am Montag als Erstes zur Uni gehen, mir meinen Stundenplan holen und viel Zeit damit verbringen, die Räume zu finden und mit jedem einzelnen Prof zu sprechen. Den verpassten Stoff besorgen und herausfinden, was der aktuelle Stand ist. Die ersten beiden Wochen habe ich ja bereits verpasst. Und dann muss ich mir auch noch einen Job besorgen. Langeweile werde ich in nächster Zeit wohl nicht haben.« Geschickt einfach mal nichts von mir preisgegeben.

»Genau, und weil so viel auf dem Plan steht, habe ich Maya heute Nacht erst mal zum Tanzen ausgeführt. Deswegen sind wir hier. Genug geredet, Jungs, wir gehen jetzt tanzen«, sagt Anna, leert ihr Glas und zieht mich wieder zurück auf die Tanzfläche.

Ich werfe noch einen schulterzuckenden Blick zurück zu Mason und Jacob und füge mich meinem Schicksal. Mason lächelt und Jacob scheint es nur recht zu sein. Smalltalk ist wohl nicht so seine Stärke, aber vielleicht hat er auch nur schlechte Laune heute. Das werde ich wohl noch in nächster Zeit feststellen.

Und ich bin froh, dass wir wieder tanzen und ich nicht weiter ausgefragt werde.

*****

Was auch immer war

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