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Kapitel 1

Ein neuer Tag begann.

Die Sonnenstrahlen bahnten sich ihren Weg geradewegs durch das Fenster eines großen Schlosses, aus beigen Stein gebaut, und kitzelten die Nase eines Mädchens.

Lächelnd zog dieses die Decke von ihrem schlanken, sehr zierlichen Körper, richtete ihren Oberkörper auf und breitete die Arme aus. Während sie sich ausgiebig streckte, öffnete sie langsam die Augen und seufzte zufrieden.

„Welch ein wunderschöner Tag!“, sagte sie mit einer weichen, klaren Stimme.

Voller Energie sprang sie aus dem Bett und ging schwungvoll zum Fenster. Sie blickte hinaus und sah eine Gruppe von Männern auf einer großen Wiese unmittelbar am Waldrand gelegen, die ihre morgendlichen Übungen machten. Sie wusste, es handelte sich hierbei um T'ai Chi Ch'uan, eine alte chinesische Bewegungskunst, die dem Erhalt der Gesundheit, der Heilung von Krankheiten, der Selbstverteidigung und der körperlichen und geistigen Entspannung diente. Den inneren Frieden finden und mit einer mentalen Stärke den Tag beginnen, so wie es jeden Morgen an diesem Ort Tradition war.

Ihr Blick blieb auf einem großen, muskulösen Mann mit blondem, kurzem, strubbeligem Haar hängen. Er trug kein weißes T-Shirt im Gegensatz zu den anderen Männern, die dazu weite, braune Mäntel trugen, die mit einem hellen Strick zusammengebunden waren, sondern nur eine weite Stoffhose, die aus demselben braunen Stoff zu sein schien, wie die Mäntel der anderen Männer.

Das Lächeln des Mädchens wurde strahlender und sie drehte sich leichtfüßig herum, huschte zu ihrem Schrank, einem einfachen Holzschrank aus Buche ohne besondere Merkmale, und holte ein blaues Stoffkleid aus Baumwolle heraus mit weißem Gürtel.

Flink zog sie sich an, kämmte ihre langen, hellblonden, leicht gewellten Haare und öffnete die Tür um auf einen großen Flur von beachtlicher Länge hinauszutreten.

Der Flur war kahl, hatte keinerlei Bilder oder Teppiche, dennoch wirkte er freundlich durch den hellen Stein, der sich überall im Schloss wiederfinden ließ.

Schwungvoll lief sie den Flur entlang zu dem nächsten Zimmer, welches nur wenige Meter von dem ihren entfernt lag, und lief dabei beinahe einem älteren Mann in die Arme.

„Guten Morgen, Bruder Bartholomäus“, sagte sie freundlich und lächelte ihn an. Sie huschte an ihm vorbei in dessen Schlafzimmer und begann direkt das Bettzeug, ein paar klassische weiße Laken aus Baumwolle, abzuziehen.

„Guten Morgen, Lindsay“, antwortete dieser und lächelte sanft zurück. „So früh schon auf den Beinen?“

„Ich kann nicht schlafen. Morgen ist der große Tag!“, antwortete sie und huschte bereits wieder an ihm vorbei mit der schmutzigen Bettwäsche, um gegenüber in ein weiteres Zimmer zu laufen und auch dort das Bettzeug zu holen.

Der Mann lachte und nickte.

„Ja, das kann ich verstehen. In einer halben Stunde ist er übrigens fertig.“

Er grinste Lindsay an und sie wusste sofort, wen er meinte. Sie nickte.

„Ich beeile mich!“, sagte sie und huschte den Flur entlang, die schmutzige Wäsche in den Händen.

Der blonde Mann beendete seine letzte Figur des T'ai Chi Ch'uan, verbeugte sich vor seinem Lehrer und hob sein Shirt auf, dass er wenige Meter weiter auf den Boden gelegt hatte.

„Hast du den Sonnenschein heute morgen schon gesehen, Angelos?“, fragte einer der anderen Männer, ein großer, etwas buckliger Mann mit weißen Haaren und einer krummen Nase den gutaussehenden Blonden.

Angelos schüttelte den Kopf und lächelte leicht.

„Gewöhnlich schläft sie um diese Uhrzeit noch, Bruder Matthäus“, antwortete er mit tiefer, ruhiger Stimme, während er sein Shirt wieder anzog.

„Nicht doch aber vor eurem großen Tag morgen, oder? Dann kannst auch du endlich ein richtiger Mönch bei uns werden“, antwortete der Mann mit einem Grinsen im Gesicht und stupste ihn an. „Hat sie sich schon eines der Häuser unten im Dorf ausgesucht?“

Angelos seufzte.

„Mir gefällt der Gedanke nicht, dass sie alleine wohnen wird. Wieso kann sie nicht hier bleiben?“, fragte er ruhig.

„Du weißt, das hier ist ein Kloster und sie ist eine Frau. Wir haben sie nur so lange hier wohnen lassen können, weil sie noch nicht volljährig war. So wie du. Und weil sie unseren Haushalt führt.“

Das Lächeln im Gesicht von Bruder Matthäus erstarb.

„Das kann sie doch auch weiterhin machen“, sagte Angelos langsam, dennoch hatte er wenig Hoffnung mit diesem Gespräch weiter zu kommen, wusste er doch, dass die Mönche bereits sehr großzügig zu ihnen gewesen waren.

„Du weißt, ich mag sie auch sehr. Aber so sind nun mal die Regeln“, antwortete Bruder Matthäus ruhig.

Angelos kannte die Regeln, weswegen er nichts weiter erwiderte.

„Angelos!“

Die sanfte Stimme durchbrach die Stille auf der Wiese, die nach dem Gespräch mit Bruder Matthäus eingekehrt war.

Angelos drehte sich um und sein ernster Blick entspannte sich sogleich und er lächelte, während er die Arme ausbreitete.

Lindsay rannte ihm in die Arme und drückte ihn an sich.

„Du fühlst dich ganz schön heiß an“, sagte Angelos.

„Angelos!“, mahnte sie und gab ihm einen leichten Klaps auf den Arm. Er lachte.

„So früh schon wach, Schwesterherz? “, fragte er sanft und strich ihr durch die Haare, während er die Umarmung löste.

„Ich kann doch nicht schlafen wegen morgen“, antwortete sie, indem sie ihre Stimme etwas senkte und mit einer Hand an Angelos' Arm sich langsam einige Schritte von den Männern entfernte, die gerade auf dem Weg waren, zurück in das Kloster Arthargo zu gehen.

Als sie außer Hörweite waren, fuhr sie fort:

„Heute Nacht treffen wir uns doch am großen Stein im Wald oder?“

Sie wirkte nervös vor Freude und wippte leicht auf und ab.

Er nickte sanft und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

„Wie jedes Jahr an unserem Geburtstag, Linds.“

„Nur, dass wir endlich volljährig werden!“, sagte sie lachend und drehte eine Pirouette.

„Ich kann es kaum erwarten! Wie toll das wird! Endlich kann ich zur Stadt einkaufen und in die Taverne gehen und einfach ein Glas Met trinken und -“

„Und alleine wohnen“, antwortete Angelos bitter, während sein Blick härter wurde.

„Es ist doch nur wenige Fuß entfernt“, sagte sie sanft, beruhigte sich jedoch wieder ein wenig. Sie blickte ihm direkt in die Augen. Sein Blick wurde erneut weicher und er strich ihr kurz über die Wange.

„Komm, wir gehen. Die anderen haben sicherlich Hunger und du musst das Essen noch zubereiten.“

Angelos lachte und legte ihr eine Hand auf den Rücken. Sie lächelte wieder mehr und ging schwungvoll mit ihm zurück nach Arthargo.

Am Nachmittag machte sich Lindsay wie so oft auf den Weg in das nahegelegene Dorf Thagor, welches sich am Fuße des kleinen Berges befand, auf dem Arthargo gebaut worden war, um die Einkäufe für die kommende Woche zu erledigen. Sie kam jede Woche hierher, schon seit Jahren, um den Mönchen im Kloster diese Aufgabe abzunehmen, war sie ohnehin bereits von klein auf mit für die Verpflegung des Klosters verantwortlich. Wenn sie schon nicht an den Lehrstunden in Schwertkampf für die Krieger von Arthargo oder die T'Ai Chi Ch'uan – Stunden teilnehmen durfte, so machte sie sich zumindest im Haushalt so nützlich, wie sie nur konnte. Immerhin durfte sie, seit sie denken konnte, völlig umsonst im Kloster wohnen, ebenso wie ihr Bruder Angelos.

Es gab eine Zeit, in der sie gemeinsam mit ihrem älteren Bruder Gabriel hier gewohnt hatten, doch dieser war vor einigen Jahren gegangen. Was die beiden zurückgebliebenen Geschwister bis heute nicht verstanden hatten, war er doch eines Nachts ohne sich zu verabschieden verschwunden.

Gabriel war ein eher ruhiger Junge gewesen, gerade ein mal acht Jahre älter als Lindsay. Er hatte stets hart trainiert und gehörte schon recht bald zu den stärksten Kriegern auf Arthargo, kaum dass er volljährig geworden war.

Sie wusste, Angelos hatte immer zu ihm aufgeschaut, hatten sie eine deutlich engere Bindung zueinander, als Lindsay sie hätte zu ihrem ältesten Bruder aufbauen können, weswegen Angelos Gabriels Verschwinden umso schmerzlicher traf.

Gabriel hatte nie viel gesprochen, zumindest nicht mit ihr. Sie wusste nicht, wie sie zum Kloster gekommen, noch wo ihre Eltern waren. Er hatte dieses Geheimnis für sich behalten und die beiden jüngeren Geschwister stets ermahnt, nach vorne zu blicken und nicht mehr über die Vergangenheit zu sprechen. Dies war anfänglich schwer gewesen, doch Lindsay kannte kein anderes Leben als dieses hier, noch hatte sie jegliche Erinnerungen an ihre Eltern. Also gewöhnte sie sich schnell an das Kloster und die Mönche darin wurden ein Teil ihrer Familie, wenn sie sich auch nie vollkommen Zuhause gefühlt hatte. Es hatte ihr einfach immer etwas gefehlt, wenn sie auch nicht direkt benennen konnte, was dies war.

Die rundliche, alte Bäuerin Doria hatte sie bereits wie jede Woche erwartet, bei der Lindsay das Gemüse eintauschte. Doria freute sich immer auf Lindsays Besuch, denn Lindsay war immer guter Laune, hatte stets ein freundliches Lächeln und eine harmonische Melodie auf den Lippen.

Sie wurde auch hier in Thagor als der Sonnenschein von Arthargo bezeichnet und auch Lindsay mochte die alte Bäuerin sehr. Denn manchmal schenkte sie der Kleinen ein paar alte Kleider, die Doria nicht mehr brauchte und das freute Lindsay immer sehr. Auch wenn sie es auf Arthargo nicht nötig hatte zu Hungern, so musste sie sich doch um alles andere selbst kümmern und Kleidung war zu diesen Zeiten nicht billig. Nicht seitdem die Dämonen die Dörfer heimgesucht hatten und regelmäßig ihren Tribut verlangten.

Die Nacht hatte längst begonnen, während Lindsay auf ihr Zimmer ging und ihr Bett richtete. Die Tür hatte sie unabsichtlich einen Spalt offengelassen und Bruder Bartholomäus spähte hinein.

„Heute früh aufgestanden und früh ins Bett?“, sagte er grinsend, während er die Tür etwas mehr öffnete.

Lindsay drehte sich um und lächelte sanft, antwortete jedoch nicht.

„Ich weiß ja, was ihr vorhabt. So wie jedes Jahr“, fuhr Bruder Bartholomäus verschwörerisch fort.

Lindsay sah ihn erschrocken an. Sie hatte gehofft, niemand würde es mitbekommen, wenn Angelos und sie Jahr für Jahr an ihrem gemeinsamen Geburtstag sich davonstahlen.

Er grinste etwas mehr und legte einen Finger auf die Lippen.

„Ab morgen wirst du sowieso nicht mehr zu kontrollieren sein. Ihr beide werdet volljährig. Jetzt beeil dich. Es ist bald Mitternacht und du willst Angelos doch nicht warten lassen.“

Er zwinkerte.

Lindsay lächelte wieder und nickte.

Sie umarmte ihn kurz und schlüpfte dann auf leisen Sohlen an ihm vorbei und huschte durch das Kloster hinaus in die Nacht.

Als sie am großen Stein ankam, blickte sie flüchtig hoch in den Himmel. Es war eine sternenklare Nacht und der Vollmond schien gewaltiger denn je.

Angelos wartete bereits und stand mit dem Rücken gewandt zu ihr.

„Beinahe hätte ich geglaubt, du kämst zu spät. Gleich ist Mitternacht“, sagte er und drehte sich grinsend zu ihr um.

„Ich fühle mich schon ganz leicht und so aufgeregt!“, antwortete sie ihm und ging schwungvoll auf ihn zu.

„Wollen wir tanzen?“

Angelos sah sie verwundert an.

„Tanzen? Ohne Musik? Jetzt?“

Lindsay nickte und lachte leise. Sie legte den Kopf leicht in den Nacken, schloss die Augen und holte tief Luft.

„Es ist etwas Besonderes, Bruderherz!“

Angelos verzog einen Mundwinkel leicht zu einem Grinsen und nickte. Er nahm ihre Hand, woraufhin sie die Augen wieder öffnete und ihn ansah. Er erschauderte leicht, denn so hatte sie ihn noch nie angesehen. Ihre Augen blitzten leicht auf, ihr Lächeln verformte sich zu einem finsteren Grinsen.

Lindsay legte ihre zweite Hand auf seine Schulter und er zog sie zu sich. Gemeinsam fingen sie an langsam, aber mit großen Schritten zu tanzen.

„Nur noch wenige Minuten bis Mitternacht“, flüsterte sie leise und schloss erneut die Augen.

Sie gab sich völlig dem Tanz hin und begann, die Führung zu übernehmen.

Angelos legte den Kopf zur Seite und beobachtete sie.

„Alles in Ordnung?“, fragte er. „Du fühlst dich so warm an.“

Sie lachte erneut, diesmal lauter.

„Mir ist heiß!“, sagte sie verzückt und beschleunigte ihren Tanz. „Es ist so wundervoll.“

Ihre Füße begannen sich immer leichtfüßiger zu bewegen, beinahe so, als würde sie gleich schweben, und sie drehten sich immer schneller im Tanz.

„Ein Wimpernschlag bis Mitternacht!“, sagte sie geheimnisvoll.

Angelos zuckte plötzlich leicht zusammen, doch sie tanzte unbeirrt weiter.

„Lindsay, warte,...“, hauchte er schmerzverzerrt. „Mir wird so heiß....“

„Es ist toll, nicht wahr? Ich habe nie gedacht, dass sich der achtzehnte Geburtstag so toll anfühlt! Ich fühle mich so stark, so frei! Oh, Angelos!“

Wild drehte sie sich weiter im Tanze, als wäre sie berauscht. Doch Angelos ließ sie los und krümmte sich, während sie alleine weitermachte. Seine Hand lag auf seiner Brust und er keuchte heftig.

„Linds...“, hauchte er schwach.

Immer wilder drehte sie sich im Kreis herum, ohne dabei auf ihn zu achten, während er nun ganz auf die Knie sank.

„Lindsay...“, keuchte er ein letztes Mal, ehe ihn seine Kräfte verließen und er zur Seite kippte.

Lindsay hielt inne und öffnete langsam die Augen. Sie blickte ihn an und legte den Kopf zur Seite. Ihr Lächeln erstarb zunächst nicht und sie fixierte ihn für einen Moment geistesabwesend.

Plötzlich schüttelte sie den Kopf, als würde sie einen Gedanken verdrängen wollen und ihr Lächeln verschwand.

„Angelos?“, fragte sie leise und blinzelte ein paar Mal, als sei ihre Sicht getrübt.

Plötzlich weiteten sich ihre Augen vor Schreck und sie lief zu ihm und ließ sich neben ihm fallen.

„Angelos!“, schrie sie nun hysterisch und nahm ihn in die Arme. Er blickte müde zu ihr und seine Augen weiteten sich leicht für einen kurzen Augenblick.

Er war sich nicht sicher, ob der Schwindel seinem Verstand einen Streich spielte, denn er erkannte Flammen in Lindsays Augen an der Stelle, an der sonst ihre sturmgraue Iris war.

Er formte noch einmal ihren Namen mit seinen Lippen, war jedoch zu schwach für einen Laut und schloss anschließend die Augen.

„Angelos!!“, rief Lindsay panisch und schüttelte ihn leicht. Tränen rannen ihr über die Wangen und sie ließ ihn vorsichtig los, ehe sie aufsprang. Mit hastigen Schritten lief sie die wenigen Meter aus dem Wald hinaus auf die Wiese und rief verzweifelt um Hilfe.

Bruder Bartholomäus, der absichtlich aufgeblieben war, um den beiden zum Geburtstag zu gratulieren, sollten sie zurück ins Kloster kommen, hörte sie zuerst von seinem geöffneten Fenster aus. Er hastete unmittelbar aus dem Raum, den langen Flur entlang und alarmierte damit zwei weitere Brüder, die sich in ihren Zimmern befanden, ehe er die große Steintreppe hinab eilte und dabei bereits ganz außer Atem geriet. Als er durch das große, schwere Tor des Schlosses schritt, war Lindsay auch schon beinahe bei ihm angelangt.

„Was ist passiert?“, fragte er sie.

Sie schüttelte nur weinend den Kopf und zeigte auf die Stelle auf den nahegelegenen Wald, in dem Angelos lag.

Er folgte ihrem Blick und verstand. Er rannte unmittelbar in den Wald, ohne auch nur weiterhin auf sie zu achten, während sie ihm etwas langsamer folgte und schließlich neben ihm ankam. Er war längst an Angelos' Seite auf den Boden gesunken und hatte seinen heiß glühenden Körper gefühlt, welcher eine ungewöhnlich hohe Temperatur zu haben schien.

Langsam blickte er zu ihr auf und sah ihr zum ersten Mal in dieser Nacht direkt in die Augen. Sein Blick war weniger freundlich, als sie es gewohnt war.

„Es ist also wahr. Der Fluch existiert wirklich“, sagte er mit kalter, aber ruhiger Stimme und stand auf.

„Du hast fünf Minuten, ehe die anderen hier antreffen und deinen Bruder rächen werden. Ich habe sie bereits informiert. Sie waren auf den heutigen Tag vorbereitet, wir alle.“

Sie blickte ihn schockiert an und legte die Hand vor den Mund, denn sie verstand nicht.

„Was-?“, flüsterte sie und ging langsam auf ihn zu. Da hörte sie schon von der Ferne die warnenden Rufe der anderen Mönche.

Sie blieb stehen und drehte sich zögerlich um.

„Ich verstehe nicht ganz...“, flüsterte sie langsam, „Angelos-“

„Wurde von dir ermordet“, vervollständigte Bruder Bartholomäus aufgebracht und sie erschrak, vor seiner kalten Stimme und seinen Worten.

Lindsay hörte die wütenden Rufe erschreckend nahekommen und verspürte den Drang, wegzulaufen. Sie machte langsam drei Schritte rückwärts, als sie zwischen den Bäumen hindurch ein Schwert blitzen sah.

Sie erkannte es sofort.

Es war eines der Schwerter, welches die Mönche zur Abwehr der Dämonen benutzten, auf die Arthargo jederzeit vorbereitet war. Wenn auch sowohl Angelos, als auch Lindsay in all den Jahren, in denen sie hier gelebt hatten, nie auch nur einen Dämon zu Gesicht bekommen hatten.

Dennoch wusste sie, die Krieger waren gut vorbereitet.

Sie weitete die Augen, denn dieses Wissen deutete ihr Angst, und sie drehte sich um.

Und rannte um ihr Leben.

Die halbe Nacht war sie hindurch gerannt.

Zuerst führte die Flucht sie nach Thagor, welches sie von ihren Einkäufen für die Mönche oftmals besucht hatte. Doch die Menschen dort wirkten nicht so freundlich, wie Lindsay es gewohnt war, wenn sie auch nur wenigen in der Nacht begegnete. Sie hatte Zuflucht bei der alten Doria gesucht, doch auch sie wirkte auf Lindsay anders, wie sie es gewohnt war. Sie sprach kein Wort mit ihr, sondern blickte sie nur abschätzend an und nickte langsam, als hätte auch sie diesen Moment erwartet.

Von weitem hörte sie die warnenden Rufe der Krieger von Arthargo an die Bewohner des Dorfes, sie mögen in ihren Häusern bleiben und Doria wandte einen kurzen Moment den Kopf zur Seite in die Richtung, aus der die Rufe kamen. Lindsay erkannte, dass sie bereits Luft holte, um etwas zu erwidern, doch sie ließ ihr keine Zeit, erkannte augenblicklich, dass sie hier nicht mehr willkommen war und hastete geschwind aus der ihr bekannten Tür der Bäuerin und zurück auf die Straße, um unmittelbar das Dorf auf der gegensätzlichen Seite als sie gekommen war zu verlassen.

Vor den Häusern von Thagor rannte sie den langen Pfad entlang, der sie in Richtung Norden führte. Dicht hinter ihr waren einige der Krieger, die unter den Mönchen gelebt hatten, um Arthargo vor dem Dunklen zu bewahren.

Lindsay begriff schnell, dass sie abseits der üblichen Pfade sicherer war, und hatte längst den Weg durch den Wald vorgezogen.

Ihre Schritte verlangsamten sich nach einer Weile, als die Rufe hinter ihr immer leiser wurden und sie machte Rast an einer kleinen Waldlichtung.

Lindsay lehnte sich gegen einen Baum und atmete heftig, während sie sich zu Boden sinken ließ. Sie vergrub den Kopf unter ihren Händen und weinte hemmungslos.

Das konnte nicht wahr sein.

Hatte Bruder Bartholomäus Recht?

Bin ich wirklich verflucht?

Habe ich wirklich Angelos getötet?

Angelos, meinen geliebten Bruder?

Sie schluchzte und flüsterte leise seinen Namen, als hinter ihr im Gebüsch etwas raschelte.

Sofort stockte ihr der Atem und sie stand auf.

„Wer ist da?“, wisperte sie leicht panisch und versuchte, zwischen den Ästen hindurch etwas zu erkennen.

Langsam trat einer der Brüder von Arthargo auf sie zu. Sie erkannte ihn an seinem Mantel mit dem Wappen des Klosters, an dem Schwert, das er in der Hand hielt, welches ebenfalls das Wappen von Arthargo auf der Klinge schimmernd trug. Das Wappenbild zeigte einen Halbmond, dessen linke Seite mit der Sonne zu verschmelzen schien, die hell erstrahlte, während die Seite des Mondes düster wirkte. Ein Schwert, dessen Spitze auf den Mond gerichtet war, schien beinahe bedrohlicher als die düstere Seite des Mondes.

„Lindsay?“, fragte er zunächst noch mit ruhiger Stimme.

Ihre Schultern entspannten sich bei der vertrauten Stimme. Sie wollte ihm in die Arme laufen, hemmungslos weinen, auch wenn sie mit ihm persönlich bisher nur wenige Worte gewechselt hatte, doch die Furcht vor dem Schwert hielt sie davon ab.

„Br...Bruder“, flüsterte sie leise, „was ist passiert?“

Er trat näher auf sie zu, hielt jedoch aus Vorsicht die Waffe auf sie gerichtet.

Er schien allein zu sein.

„Du fragst mich was passiert ist?“, antwortete er und blieb einige Schritte von ihr entfernt stehen.

„Bruder Bartholomäus sprach von einem...Fluch...“, flüsterte sie schluchzend und lehnte sich wieder mit dem Rücken leicht an den Baum, die Hände über ihr Gesicht legend.

„Du weißt nichts davon?“, antwortete er mit fester Stimme und sie blickte auf, doch seine Augen verrieten Unsicherheit, nicht wissend, ob er ihr trauen konnte.

„Wovon?“, fragte sie nun etwas lauter und hörte auf zu Weinen.

„Es war nur ein Gerücht. Nichts über das wir uns ernsthaft Sorgen gemacht haben. Jedenfalls die meisten von uns nicht“, begann er zu erzählen.

„Als Gabriel mit Angelos und dir vor siebzehn Jahren zu uns kam, erzählte er uns irgendwas von einem Fluch. Wir haben ihm nicht geglaubt, war doch auch er nur ein Kind gewesen. Spätestens als er vor zehn Jahren das Kloster verließ, haben wir dieses Märchen längst vergessen.“

Lindsay hatte ihm aufmerksam gelauscht und sich die Tränen aus dem Gesicht gewischt.

„Welches Märchen?“, fragte sie zögerlich und blickte zu ihm auf.

„Das in dir ein Dämon schläft“, antwortete er und begegnete ihr mit einem nun deutlich festeren Blick als zuvor.

Lindsay sah ihn entgeistert an. Ihr blieben die Worte im Hals stecken, weswegen sie ihn nur stumm anstarrte.

Ein Dämon?

Sie wusste, er sprach nicht vollständig die Wahrheit, denn Bruder Bartholomäus hatte davon gesprochen, dass sie vorbereitet gewesen waren. Wenn sie auch nicht verstand, wieso niemand Angelos' Tod verhindert hatte und das machte sie wütend.

Nun erst fiel ihr auf, dass er die ganze Zeit noch immer das Schwert auf sie gerichtet hatte.

„Wo sind die anderen?“, fragte sie, während sich ihre Augen langsam zu Schlitzen formten, auch ihre Stimme wurde nun deutlich fester.

Doch ehe er antworten konnte, traten drei weitere Krieger aus den Bäumen hervor.

Lindsay war sich nicht sicher, ob sie die ganze Zeit gewartet hatten, wie sie auf die Geschichte reagieren würde oder ob sie eben erst hier angetroffen waren.

Zwei von ihnen hatten ebenfalls ihre Schwerter auf sie gerichtet, der Dritte hielt eine Fackel in der Hand. Sie kannte keinen von ihnen, doch das war nicht sonderlich verwunderlich, denn Arthargo war groß und die Krieger oftmals unterwegs. Sie blickte auf das Feuer der Fackel und legte langsam den Kopf zur Seite.

Sie erinnerte sich an die Hitze, die sie zuvor gespürt und wie gut sie sich angefühlt hatte, als sie mit Angelos tanzte.

„Verschwindet“, sagte sie langsam, aber ruhig und blickte zurück zu dem ersten Krieger, welcher mit ihr gesprochen hatte.

„Das können wir nicht“, antwortete er. „Nicht nachdem, was du Angelos angetan hast.“

Als der Name ihres Bruders fiel, verspürte sie einen heftigen Schmerz in der Brust. Es überrannte sie wie eine Lawine und sofort fühlte sie wieder die Hitze in sich aufkommen. Wie sie sich langsam vom Brustkorb aus in die einzelnen Gliedmaßen verteilte. Doch nun war sie mächtiger und nahm ihren gesamten Körper, ihren gesamten Geist in Anspruch. Sie fühlte sich innerlich verbrennen, während ihre Venen pulsierten und dennoch genoss sie dieses merkwürdig schmerzende Gefühl.

Einer der Krieger musste die Flammen in ihren Augen erkannt haben, die erneut das Sturmgrau verdrängten, denn er trat einen Schritt zurück.

Der zweite von ihnen allerdings war weniger ängstlich und erhob viel mehr zum Schlag sein Schwert und stieß einen Schrei aus.

Noch bevor er auf sie zu rennen konnte, hatte sich in ihrer Hand eine Flamme gebildet, welche ihre Handfläche nicht in Brand setzte, die sie binnen Bruchteile einer Sekunde auf ihn geschleudert hatte, ohne auch nur einen Moment darüber nachzudenken, was sie da eigentlich tat.

Er verbrannte und einen Wimpernschlag später blieb seine Asche auf dem Boden neben seinem Schwert liegen.

Die anderen drei weiteten ihre Augen und während der eine, der die Fackel trug, sich umdrehte und davon lief, stürzten die anderen beiden mit erhobenen Schwertern auf sie zu.

Lindsay wich dem ersten aus und trat diesem in die Seite, während sich ein zweiter Feuerball schon auf den Weg zu dem zweiten Krieger machte. Auch er verbrannte und zurück blieb nur der erste Kämpfer, der sie gefunden hatte.

„Lauf weg“, knurrte sie zwischen ihren Zähnen hindurch und blieb keuchend stehen. Dieser schüttelte langsam den Kopf und rannte auf sie zu.

Erneut versuchte sie, ihm auszuweichen, schaffte es jedoch nicht vollständig und das Schwert bohrte sich tief in ihren linken Oberarm.

Lindsay fiel von der Wucht des Stoßes zu Boden und landete direkt auf der Asche des einen Kriegers. Sie blickte zu dem Schwert, das in ihrem Arm steckte und dann langsam zu dem, das neben ihr auf dem Boden lag, welches zu der Asche des Kriegers gehörte und umschloss mit den Fingern den Griff. Der Streiter hatte noch immer mit beiden Händen das Schwert umfasst und wollte es aus ihr herausziehen, als sie in diesem Moment mit einem lauten Schrei das Schwert ihm in den Bauch rammte.

Er ließ die Waffe in ihrem Arm los, sank zu Boden und starb augenblicklich.

Lindsay atmete heftig, doch aus ihrem Blick war jegliche Furcht gewichen. Sie ließ das Schwert, das in dem Krieger steckte, los und zog langsam das Eisen mit schmerzendem Stöhnen aus ihrem Arm. Lindsay stand auf, beugte sich zu dem Kämpfer herunter, umfasste die Scheide seines Schwertes und nahm sie ihm ab. Sie befestige sie an ihrem Gürtel, bückte sich erneut um das Schwert, dass sie aus sich heraus gezogen hatte, an seinem Mantel abzuwischen und es dann in die Scheide zu stecken.

In der Ferne hörte sie erneut die Rufe der Mönche und drehte sich um.

Wieder rannte sie davon.

Diesmal verstummten die Rufe schneller als zuvor. Lindsay musste unglaublich weit gelaufen sein, denn an den Ort, an dem sie sich nun befand, erinnerte sie sich nicht mehr. Hier war sie noch nie gewesen.

Doch die Nacht war noch nicht vorbei, als sie langsamen Schrittes an einem See in einer Waldlichtung ankam.

Nun erst bemerkte sie einen stechenden Schmerz an ihren beiden Schulterblättern und sie fragte sich, ob die Krieger sie unbemerkte noch heftiger verletzt hatten, als sie glaubte.

Sie versuchte, über ihre Schulter auf ihren Rücken zu blicken, doch erkannte sie kein Blut und so wandte sie vorerst den Blick erleichtert ab, um sich die Wunde an ihrem Arm anzusehen.

Lindsay hatte viel Blut verloren und war geschwächt.

Als sie am Rande des Sees ankam, ließ sie sich langsam auf die Knie sinken um etwas zu trinken. Doch bevor ihre Hand das Wasser berühren konnte, verlor sie die Kontrolle über ihren Körper und fiel auf den Rücken.

Sie blickte zum Himmel, zu den Sternen, dem riesigen Vollmond und schloss langsam die Augen.

Joayna

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