Читать книгу Alice in Paris - Victoria Stiedl - Страница 3

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Es regnete in Strömen und natürlich trug sie nicht die klassischen Gummistiefel, die als einzig richtiges Schuhwerk an einem solchen Tag Abhilfe vor den Regenmassen schaffen konnten. Nein, an diesem Morgen hatte sie sich für die schwarzen Chanel Stiefeletten aus dem Secondhand-Laden entschieden. Diese waren jedoch lediglich stadtwetterfest, was so viel bedeutete wie von einer Straßenseite zur anderen zu gehen, in ein Taxi zu steigen, in ein Café oder ein Geschäft zu gehen. Das waren übliche Wege die Alice in der Großstadt Paris zurücklegte. Verärgert über den strömenden Regen, die verlaufende Wimperntusche aufgrund ihrer Tränen, warf sie eine Rose in das Grab ihrer Tante Madeleine.

Ihre Beziehung zueinander hatte ihr immer besonders viel bedeutet. Nur in den letzten drei Jahren nahm der Kontakt ab, bedingt durch Alices Job der sich in Paris abspielte. „Als Innenarchitektin hat man nun mal nicht andauernd Zeit für ausgedehnte Ausflüge nach Étretat“, versuchte sie sich ihr schlechtes Gewissen wegzudenken. Doch es gelang ihr nicht recht. Beim anschließenden Traueressen verdrängte sie ihren Kummer mit der Beschäftigung als Gastgeberin. Die Trauerfeier nach der Beerdigung ihrer Tante Madeleine fand im Haus ihrer Eltern Anne und Bernard statt. Um den lästigen Fragen von manchen geladenen Gästen auszuweichen wie: „Wie geht es dir? Was arbeitest du nochmal? So etwas mit Möbeln? Kann man da heut zutage noch Geld damit machen, reicht uns nicht Ikea? Wie sieht es eigentlich mit Kinderplanung aus, wirst ja auch nicht jünger, oder fehlt dir immer noch der Mann? Du Arme!“ Nein, auf diese Art von Gesprächen konnte sie an diesem Tag herzlich verzichten. Entschlossen unterstützte sie daher das Servierpersonal, auf ihre Art. Sie kommandierte die Mitarbeiter herum, räumte leere Teller weg und stattete die Biedermeier-Tische ihrer Eltern mit Glasuntersetzern aus, um Wasserflecken auf dem Holz zu vermeiden. Das Tätigsein tat ihr an diesem Tag ungemein gut. Sie war überzeugt während einer sinnvollen Beschäftigung am besten trauern zu können. Die Speisen und Getränke des Caterings kamen ausgesprochen gut an und sahen sehr ansprechend aus. Das brachte ein kleines zufriedenes Lächeln auf ihr Gesicht und sie dachte mit Liebe und Traurigkeit an ihre verstorbene Tante, die sie viel zu früh verlassen hatte. Erst letzten Monat hatten sie miteinander telefoniert, und Madeleine hatte ihren Besuch bei Alice angekündigt. Diesmal hätte Alice ihr die Geheimplätze zeigen wollen. Das Paris, das nur die Bewohner dieser zauberhaften Stadt kennen. Die Patisserien und Lokale, die in keinem Reiseführer zu finden sind, die schönsten Aussichtsplätze von denen aus man die Stadt von einer ganz neuen Perspektive betrachten kann, die bezauberndsten Orte an der Seine und natürlich die Kunstgalerien. Diesmal wollte sie ihr die kleineren Galerien zeigen, mit den noch unbekannten Künstlern und den angehenden Stars dieses Metiers. Madeleine war in ihrer Freizeit eine leidenschaftliche Malerin gewesen. Dementsprechend bunt und farbenfroh sah ihr Anwesen an der Nordküste von Frankreich aus. In fast allem was ihr gefiel, fand sie ein Motiv das sich zum Malen lohnte. Sie liebte die Künstler des Impressionismus. Ihr Liebling war Monet gewesen. Sie eilte sofort in jede Galerie sobald es eine neue Ausstellung seiner Bilder gab. In ihren Gedanken versunken ging Alice in Richtung Küche, um weitere Glasuntersetzer zu holen. Als sie die Tür aufmachte lief ein Kellner, der anders gekleidet war als die anderen, fast in sie hinein und konnte gerade noch im allerletzten Moment vor ihr halten. In seinen Händen hielt er eine gigantisch große Platte belegt mit Austern und Kaviar, garniert mit Zitronen und lilafarbigen Blüten. „Oh, das war ja knapp, aber zum Glück sind Sie und meine Austern-Platte noch heil“, scherzte er. Er hatte ein sehr schönes Gesicht, dunkle leicht gewellte kurze Haare, faszinierende, grüne Augen und soweit sie es unter der Küchenkleidung erkennen konnte, einen ebenso ansprechenden Körper. Im ersten Moment war sie tatsächlich von seinem optischen Erscheinungsbild abgelenkt. Nach einem kurzen Moment der Stille fasste sie sich wieder und registrierte erst jetzt, dass er dabei war Austern zu servieren. Entsetzt und leicht überfordert von der Situation entgegnete sie ihm streng. „Sie standen mir im Weg! Ich kann sie wohl schwer durch die Tür hindurch kommen sehen! Wer um alles in der Welt hat Sie veranlasst Austern anzurichten? Sie wurden mit Sicherheit nicht von uns bestellt! Bringen Sie sie sofort zurück und mich zu Ihrem Chef!“ „Er steht bereits vor Ihnen. Ich bin der beauftragte Koch und leite dieses Catering.“ „Achso. Ja, aber das kann doch nicht ihr Ernst sein ausgerechnet bei dieser Trauerfeier diese Tiere zu servieren?! Meine Tante arbeitete als aktive Umweltaktivistin und setzte sich für aussterbende Meerestierarten ein!“ Ziemlich überrascht über diese unerwartete, verbale Ohrfeige atmete Sebastian kurz tief durch um sich zu sammeln. „Dieses Missverständnis tut mir sehr leid! Ich werde das Personal gleich davon informieren keine weiteren Austern zu servieren. Kann ich Ihnen als kleine Entschädigung ein Glas Sauvignon Blanc bringen? Ich möchte mich aufrichtig entschuldigen, dass das passiert ist.“ Er klang ehrlich. „Na gut.“ erwiderte sie nun etwas milder gestimmt. „Aber bitte nur wenig, ich muss hier schließlich noch bis zum Ende durchhalten.“

Zwei Stunden später begannen sich die ersten Gäste zu verabschieden und bald darauf auch der Rest der Gesellschaft. Nach einer weiteren Stunde waren nur mehr Alice, ihr Bruder Mathéo und Ihre Eltern im Haus. Erschöpft und erleichtert, dass der Tag überstanden war, saßen sie gemeinsam auf der Couch.

Nach dem starken Regen unter Tags hatte es am frühen Abend wieder aufgehört zu regnen. Kurz vor Sonnenuntergang blitzte die Sonne nochmal zwischen den Wolken hervor. Sie schien in sanften Abendtönen durch die großen Fenster ins Wohnzimmer und zauberte ein warmes Licht in den Raum. Es war als hätte Tante Madeleine die Wolkendecke kurz zur Seite geschoben um ihren Lieben einen Dank für die schöne Trauerfeier zu schicken. Bernard lehnte vertraut an seiner Frau und trank einen seiner teuren Whiskeys. Alice hatte ihre Füße auf Mathéos Schoß gelegt. Beide saßen ihren Eltern schräg gegenüber und waren allesamt erleichtert, dass der Tag jetzt vorbei war. Da fiel Alice wieder die Geschichte mit den Austern ein, und sie erzählte was passiert war. Unerwartete Stille und überraschte Gesichter nachdem sie fertig war, machten sie stutzig und sie fragte nach: „Maman, Papa was ist los? Warum sagt ihr nichts? Mathéo, hast du eine Ahnung?“ „Woher denn?“, antwortete er. „Maman und Papa haben sich um die ganze Organisation gekümmert, das weißt du doch.“ „Auf diesen Koch könnt ihr in Zukunft hoffentlich verzichten?“, meinte Alice. „Ehrlich gesagt“, fing ihre Mutter leise und etwas beschämt an „hat Papa die Austern als Zusatzwunsch auf die Liste gesetzt.“ „Und dafür auch einen happigen Aufpreis bezahlt!“ „Papa, ernsthaft?“ „Jawohl, sie sind in unserer Region zurzeit besonders günstig wegen des guten Ertrags dieses Jahres. Ich musste förmlich zuschlagen bei diesem Angebot.“ „Ach Papa. Wie stehe ich denn jetzt da? Ich habe ihm eine riesige Szene wegen dieser Platte gemacht!“ „Na, es wird nicht die erste Szene gewesen sein, die er von einer Frau bekommen hat, so gut wie der aussieht“, ergänzte Mathéo kokett das Gespräch. „Das ist mir überhaupt nicht aufgefallen, falls du auf etwas Bestimmtes hinaus willst Mathéo!“ Schließlich mischte sich Anne in das Gespräch ein: „Wie auch immer, entschuldigen musst du dich jetzt schon Alice! Sebastian kam vorhin sogar nochmal zu mir um sich zu entschuldigen, dass er uns solche Unannehmlichkeiten bereitet hat. Er dachte er hätte eine Bestellung verwechselt. Es tat ihm sehr leid, dass er dir ausgerechnet an so einem Tag damit Ärger beschert hat, dabei hat er in Wahrheit alles richtig gemacht. Dazu kommt das er unser Lieblingsbäcker in der ganzen Region ist. Daher meine Süße, bring das bitte schnellst möglichst in Ordnung!“ Liebevoll und bestimmt, wie ihre Mutter schon in ihrer Kindheit mit ihr agiert hatte, antwortete sie fast punkgenau auf Alices Gedanken zuvor. Leicht irritiert über die Situation, sammelte sich diese sogleich und ergänzte: „Mhm, ich schreibe ihm eine E-Mail.“ Anne erwiderte: „Aber Liebchen, ihm gehört die Bäckerei im Nachbarort, in Étretat. Das habe ich dir doch erzählt, er hat sie dem vorherigen Besitzer vor einem Jahr abgekauft. Daher kennen wir ihn ja. Papa meint, er bäckt die besten Eclairs in ganz Frankreich.“ „Super Idee Maman, Alice kann uns morgen gleich Frühstück mitbringen. Für mich bitte zwei Croissants“, ergänzte Mathéo das Gespräch. „Na gut“, antwortete diese nachgebend. „Mir bleibt wohl nichts anderes übrig als hinzugehen.“ „Sei so lieb und nimm für mich noch ein paar Eclairs mit, aber bitte nur die mit der Zartbitterschokolade! Du weißt ja, ich schaue zurzeit ein bisschen auf meine Linie“, entgegnete ihr Bernard. „Sicher Papa, mach ich“, erwiderte sie schmunzelnd.

Ihrer Tante Madeleine hätte der ganze Abend sicherlich gefallen und über Alices kleinen Fast-Zusammenstoß hätte sie wahrscheinlich herzlich gelacht. Sie war immer eine fröhliche und spontane Person gewesen, für jeden Unsinn zu gewinnen. Traurig aber froh den Tag einigermaßen übergestanden zu haben, ging Alice hinauf in ihr früheres Zimmer. Dieses war mittlerweile zum gemütlichen, einfach gehaltenem Gästezimmer umfunktioniert worden. Ihre schon zuvor aufgekommene Müdigkeit überfiel sie sogleich, sodass sie rasch einschlief.

Am nächsten Tag erwachte Alice kurz vor sechs Uhr. Die Sonne schien an diesem Julimorgen bereits hell und der morgendliche Vogelgesang war in vollem Gange. Es sollte ein sonniger, warmer Tag werden. Sie liebte diese Zeit am frühen Morgen. In Paris war es um diese Uhrzeit zwar schon lauter als hier, es hatte gleichwohl auch diese träumerische Morgenstimmung die sich immer nur unmittelbar nach dem Sonnenaufgang abspielte. Sie entschied sich einen Spaziergang zu machen und dabei das Notwendige mit dem Nützlichen zu verbinden. Ihr war so gar nicht danach sich bei Sebastian zu entschuldigen, hatte sie ihm doch so unrecht getan und das war ihr unangenehm. Ihren Eltern und Mathéo hatte sie den Frühstückseinkauf jedoch schon zugesagt. Es führte daher kein Weg an einem Gespräch vorbei. Ihr Plan war es zwischen der Bestellung von vier Croissants, zwei Baguette und ein paar Schokoladen-Eclairs ein schnelles „Tut mir leid wegen gestern“ zu erwähnen. Damit war die Sache hoffentlich erledigt. Sie ging leise in das Badezimmer um sich ihr Gesicht zu waschen und Zähne zu putzen. Daraufhin schlich sie behutsam zurück in ihr Zimmer und schlüpfte in ihr knielanges pfirsichfarbenes Sommerkleid. Sie nahm ihre Handtasche und machte sich auf den Weg. Im Stiegenhaus bewegte sie sich sachte um ihre Eltern und ihren Bruder die allesamt noch schliefen nicht zu wecken. Ihre Einkaufsliste in Gedanken nochmal durchgehend, zog sie ihre Sandalen an, schloss die Haustür hinter sich leise zu und ging hinaus in die frische Morgenluft durch den Garten zum Tor. Offenbar hatte es in der Nacht erneut geregnet. Kurz bevor sie aufgewacht war, musste es jedoch wieder aufgehört haben, denn der Steinweg der zum Gartentor führte war noch nass. Überall duftete es intensiv nach Wiesen und Blumen. Sie spazierte die Straße entlang, spürte die kühle Luft, den leichten Wind an ihrer samtweichen Haut und erfreute sich trotz ihrer Trauer an dieser friedlichen Morgenstimmung. Kurz vor der Bäckerei angekommen, blieb sie stehen um inne zu halten, um sich den perfekten Satz zu überlegen mit dem sie ihren Einkauf und die Entschuldigung so geschickt wie möglich hinter sich bringen konnte. Er hatte sie abgelenkt. Seine Erscheinung, seine grünen Augen, sein schwarzes gelocktes kurzes Haar – einfach alles an ihm hatte ihr gefallen. Der Zeitpunkt hätte allerdings nicht ungünstiger sein können. In jedem Fall wollte sie sich jetzt nichts anmerken lassen. Während sie auf dem Gehsteig stand und überlegte, bog Sebastian unerwartet um die Ecke konnte gerade noch, knapp vor ihr stehen bleiben. „Oh hallo, schön Sie wieder zu sehen!“ Überrascht und irritiert von seinem plötzlichen Auftauchen, dieser liebevollen Begrüßung und seinem anziehenden Lächeln noch bevor der perfekte Satz zusammengestellt war, entgegnete sie ihm: „Guten Morgen, zu Ihnen wollte ich.“ „Das freut mich, wollen Sie auf einen Kaffee hereinkommen? Ich warte momentan noch auf das Gebäck im Backofen und habe daher ein bisschen Zeit und eine große fertige Kanne Kaffee.“ „Achso nein danke, ich möchte nur eine Kleinigkeit für das Frühstück einkaufen.“ „Gerne, kommen Sie herein und sehen sich alles an“, antwortete er ihr freundlich. Er schien keineswegs gekränkt über ihre Absage oder die Austerngeschichte von gestern zu sein. So ein Verhalten war ihr relativ neu bei Männern und irritierte sie. „Ich nehme vier Croissant, zwei Baguette und vier Eclair mit dunkler Schokolade und ich möchte mich wegen gestern entschuldigen.“ „Kein Problem, Sie hatten sicherlich einen sehr intensiven Tag, da kann ich Ihre Reaktion schon nachvollziehen. Ich nehme Ihre Entschuldigung gerne an.“ Erleichtert über seine Worte kam ihr ein Lächeln ins Gesicht, welches ihn sofort verzauberte. Behutsam legte er Baguette, Croissants und obenauf die Eclairs in eine Stofftasche und überreichte sie ihr. „Hier bitte, Ihr Einkauf.“ „Danke.“ Sie nahm die Tasche mit dem Logo der Bäckerei entgegen und streifte dabei unabsichtlich seine Finger. Dabei spürte sie eine magische Anziehungskraft in dieser Berührung. Wie vom Blitz getroffen, schlossen beide für einen Moment die Augen. Alice hätte diesen Augenblick gerne festgehalten und ihm ging es nicht anders. Berauscht von dieser intensiv erlebten Berührung öffnete sie die Augen und konnte dabei seine ebenfalls wieder aufgehenden Augen erhaschen. Irritiert von ­­dieser Situation nahm sie rasch einen Zwanziger aus der Tasche, legte ihn auf die Ablage und verabschiedete sich mit fast schüchterner Stimme. „Merci, au revoir.“ „Au revoir.“ Dieses Erlebnis, wenn man es überhaupt so nennen konnte, hatte sie deutlich verwirrt.


Alice in Paris

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