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VERÄNDERUNGEN

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Ich verbrachte zwei höllische Wochen.

In meinem Inneren wirbelten Gefühle wie Wut, Frustration, Trauer und Rache durcheinander, während ich äußerlich apathisch war und dem Selbstmord nahe schien.

Ich aß nichts, redete nicht mehr und schlief auch nicht mehr.

Ich wurde zusehends schwächer, und als ich mich weigerte, eine Hämodose zu nehmen, wurde Tante Cecilia so besorgt, dass sie Pater Dominick anrief.

„ Wie lange willst du noch so weitermachen?" fragte mich Dominick, als er mein Schweigen nicht mehr ertragen konnte.

„ Für immer" flüsterte ich.

„ Dann bist du eine Närrin. Natürlich hat Kevin auch Schuld, denn er hat dich mit seinen zärtlichen und freundlichen Gesten getäuscht, aber du bist diejenige, die sich ein Luftschloss gebaut hat. Er hat nie gesagt, dass er dich liebt, geschweige denn, dass er mit dir zusammen sein will. Wenn du also eine kindliche Verliebtheit mit Liebe verwechselt hast, liegt die Verantwortung ganz bei dir. Werden endlich erwachsen, denn Liebe ist etwas anderes", brach es aus Dominick hervor.

Es war das erste Mal, dass er so mit mir sprach, und ich hatte es einfach nicht erwartet.

Ich sah ihn überrascht an.

„ Also sag du mir, was Liebe ist!" forderte ich ihn sauer heraus.

„ Es ist ein viel tieferes Gefühl, das sich mit der Zeit aufbaut, und das Zusammensein mit dem anderen in freudigen und schwierigen Momenten. Wenn du Kevin wirklich lieben würdest, wärst du mit seiner Wahl glücklich, denn du würdest nur sein Glück und Wohlergehen wollen. Wahre Liebe ist kein egoistischer Wunsch, wie deiner".

Ich dachte oft an diese so harten und klaren Worte.

Schließlich wurde mir klar, dass Pater Dominick Recht hatte. Außerdem, was wusste ich wirklich über Kevin, außer dass er immer nett zu den Kunden war?

Um ehrlich zu sein, wusste ich gar nichts über ihn.

Ich wusste nicht, was sein Lieblingsgericht war, welche Art von Musik er hörte, was er in seiner Freizeit gerne tat, abgesehen davon, dass er mit Clara zusammen war, ob er unordentlich oder pingelig war...

Trotzdem konnte ich all diese Jahre nicht vergessen, die ich damit verbracht hatte, über ihn und unsere mögliche Liebesgeschichte zu fantasieren.

Innerhalb weniger Tage begann ich wieder zu essen, zu schlafen und zu reden.

Tante Cecilia war ungeheuer erleichtert, mich wieder fit zu sehen, vor allem nach der Einnahme meiner Hämodose, und so gesprächig wie zuvor. Seit Tagen hatte sie versucht, mich zum Essen zu bewegen, indem sie mir alles Mögliche zubereitete, aber ich hatte allem widerstanden. Selbst meine fortgesetzte Weigerung, mit ihr zu sprechen, hatte sie in den Wahnsinn getrieben.

Am Ende war auch ich froh, wieder der Vera von einst zu sein.

Eines Tages, gegen Abend, klingelte das Telefon.

Ich war in einen der vielen Liebesfilme vertieft, so dass ich nicht darauf geachtet hatte. Also ging meine Tante ans Telefon.

Ich konnte nicht verstehen, was meine Tante sagte, aber mir wurde klar, dass etwas Ernstes passiert sein musste, als sich ihr Tonfall änderte und sie sehr besorgt wurde.

Es war ein sehr kurzes Telefonat.

„ Alles in Ordnung?“ fragte ich sie, als sie aus der Küche zurückkam, in der unser Telefon stand.

„ Kardinal Montagnard ist leider plötzlich gestorben, er hat einen Herzinfarkt gehabt.“

„ Das tut mir leid. Kanntest du ihn gut?"

„ Ja, ich hing sehr an ihm und schätzte ihn sowohl als Mann als auch als Geistlichen", erklärte mir meine Tante mit Tränen in den Augen.

Es war das erste Mal, dass ich meine Tante traurig über den Verlust von jemandem sah. Ich hatte nicht gedacht, dass sie so leiden könnte.

Tagelang blieb sie aufgrund ihrer quälenden Trauer apathisch und schweigsam.

Schließlich beschloss ich, bis Montag der folgenden Woche zu warten.

In der Schule hatten sie einen Streik gegen das Gesetz zur Lehrerverringerung ausgerufen, so dass ich den ganzen Tag frei haben würde, und ich war entschlossen, mit meiner Tante in die Innenstadt zum Einkaufen zu fahren.

Obwohl mein Budget aufgrund meines mageren Taschengeldes nicht sonderlich groß war, hatte ich mir dennoch vorgenommen, meine gesamten Ersparnisse auszugeben, um ihr ein Geschenk zu machen.

Ich wollte mit ihr in die Geschäfte gehen und ihr ein Parfüm, einen Pullover oder ein Buch kaufen.

Alles, um ihr wieder ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern.

Zu meinem Glück kam verging die Zeit bis zum Montag schnell.

Ich stand zur gewohnten Zeit auf und ging, nachdem ich mich gewaschen und sorgfältig angezogen hatte, in aller Ruhe zum Frühstück hinunter.

„ Vera, es ist schon spät! Du verpasst bestimmt den Bus", ermahnte mich meine Tante, als ich die Küche betrat.

„ Ich muss heute gar nicht in die Schule! Es wird gestreikt", erklärte ich ihr mit einem breiten Lächeln.

„ Ach, ja. Vielleicht hattest du es mir auch gesagt... Ich erinnere mich nicht", antwortete mir meine Tante mit abwesender Stimme.

„ Genau. Außerdem habe ich beschlossen, in die Stadt zu fahren, weil ich ein Buch für die Schule kaufen muss. Kannst du mich bitte begleiten?" log ich. Ich wusste, wenn ich meiner Tante sagen würde, ich wolle mit ihr einkaufen gehen, würde sie niemals zustimmen, aber wenn es sich um Schulsachen handelte, würde sie sofort mitkommen.

„ Sicher, aber nicht jetzt. Ich habe Ahmed versprochen, dass wir über das neue Vieh sprechen würden, das am späten Vormittag ankommen wird, aber ich kann dich bestimmt heute Nachmittag in den Buchladen bringen", erinnerte sie mich.

Also verschob ich mein Projekt.

Ich hasste es, meine Pläne zu ändern, weil dann grundsätzlich noch etwas anderes passierte, um meine Pläne über den Haufen zu werfen.

Ich hätte es ihr am Tag zuvor sagen sollen.

So kam es, dass ich nicht wusste, was ich tun sollte.

Letztendlich entschied ich mich für den Fernseher.

Mir war einfach nicht danach, auszugehen.

Ich wollte gerade zurück in mein Zimmer, um mich umzuziehen, als es plötzlich an der Tür klingelte.

Ich ging, um zu öffnen.

Es war Dominick, begleitet von zwei großen, robusten, schwarz gekleideten Männern mit einem weißen Kreuz mit einem roten Tropfen in der Mitte, das auf die Jackentasche gestickt war.

Ich war so fasziniert von diesen beiden Riesen, die ich noch nie zuvor gesehen hatte und die nun bewegungslos vor meiner Tür standen, dass ich die verstörte Stimme von Pater Dominick gar nicht bemerkte, der mich roh ins Haus drängte und nach meiner Tante rief.

„ Cecilia, ihr müsst weggehen! Jetzt!", schrie Pater Dominick panisch.

„ Was geht hier vor?", fragte ihn meine Tante und versuchte, ihre Angst zu verbergen.

„ Sie wissen alles und sie sind gleich hier!", rief Pater Dominick erneut.

„ Wer sie?“ mischte ich mich besorgt ein.

Niemand antwortete mir, aber ich verstand, dass meine Tante wusste, auf wen sich der Pfarrer bezog, weil sie ihre rechte Hand an den Mund führte und versuchte, einen Schrei zu unterdrücken.

„ Aber wie ist das möglich?", flüsterte meiner Tante mit schwacher Stimme.

„ Sie haben ihn getötet! Sie haben Kardinal Montagnard umgebracht, nachdem sie ihn zum Geständnis gebracht hatten! Jetzt wissen sie alles, und ihr seid hier nicht mehr sicher. Sie werden euch suchen, und wenn sie euch gefunden haben werden sie Vera nehmen und sie töten.

Ich? Was hatte ich damit zu tun?

Ich war so schockiert, dass ich meinen Mund nicht mehr öffnen konnte.

„ Sie haben ihn erschossen und nicht auf ihre übliche Art umgebracht. Deshalb hat der Orden so lange gebraucht, um herauszufinden, wer für den Mord verantwortlich war. Es war definitiv Blake. Nur er und seine Bande sind zu einem solchen Verbrechen fähig. Niemand weiß, was wirklich passiert ist, aber anscheinend hat der Kardinal Blake alles offenbart, wahrscheinlich unter Folter", fuhr Pater Dominick fort.

„ Das ist ja schrecklich!"

„ Ja, und jetzt müsst ihr flüchten. Ich habe bereits ein Zimmer für euch in einem Hotel in Dublin gebucht. Sobald wir dort ankommt, erhalten wir neue Anweisungen von Kardinal Siringer, der sich mit uns treffen will.

„ Aber wie machen wir das?", seufzte meine Tante erschüttert.

Dieser Hof war ihr Zuhause, ihr Leben.

Und meins auch.

„ Wir müssen sofort aufbrechen. Wir werden die ganze Nacht reisen, wenn es sein muss. Auf Befehl von Kardinal Siringer werden wir von zwei vertrauenswürdigen Mitgliedern des Ordens begleitet, die uns zunächst zum Hotel und dann zum Ort des Treffens bringen. Also los! Nehmt, was ihr braucht, und los geht's!", schrie Pater Dominick erneut.

Für einige Sekunden, die mir wie Stunden erschienen, sahen sich meine Tante und der Pfarrer tief in die Augen, dann packte mich meine Tante, wie von einer unerklärlichen Kraft beseelt, am Arm und schleifte mich die Treppe hinauf in mein Zimmer.

An der Tür umarmte sie mich und flüsterte mir leise ins Ohr: „Mach dir keine Sorgen. Ich werde immer da sein, um dich zu verteidigen. Ich lasse nicht zu, dass dir jemand wehtut. So ist es seit siebzehn Jahren, und so wird es immer bleiben, solange ich lebe".

„ Tante, aber was ist denn überhaupt los?", brachte ich hervor.

„ Hab keine Angst. Geh jetzt in dein Zimmer. Du hast drei Minuten, um die Tasche unter deinem Bett mit allem zu füllen, was du für die nächsten Tage brauchst. Sobald wir von hier fort sind, werde ich dir alles erklären. Ich verspreche es dir."

Ich hatte keine andere Wahl.

Ich rannte in mein Zimmer, öffnete den Schrank und begann, die unter dem Bett hervorgezogene Tasche mit Hemden und Hosen zu füllen. Etwas Unterwäsche, meine Schminktasche und meine Ersparnisse. Ich war gerade dabei, den Koffer zu schließen, als ich das Foto bemerkte, das ich immer auf meinem Nachttisch in der Nähe des Bettes aufbewahrte. Es war das Bild von mir und meiner Tante, wie wir uns vor dem Hoftor umarmen.

Ich liebte dieses Bild, das Ahmed vor ein paar Jahren aufgenommen hatte.

Ich nahm das Bild und schloss den Reißverschluss der Tasche.

Ich trat aus meinem Zimmer und schaute es mir noch einmal an. Das war seit meiner Kindheit mein Zimmer, mein Zufluchtsort.

Ich hoffte, eines Tages zurückkehren zu können, aber etwas sagte mir, dass die ein endgültiger Abschied war.

Ich schloss traurig die Tür zu meinem Zimmer.

Sobald ich unten angekommen war, packte mich Pater Dominick an den Schultern und zerrte mich aus dem Haus in Richtung eines schwarzen Autos, das vor dem Tor des Bauernhofs parkte.

Sobald sie mich kommen sahen, stiegen die beiden fremden Männer ins Auto, und der größere setzte sich ans Steuer.

„ Wer sind die beiden?", fragte ich.

„ Es ist keine Zeit für Erklärungen", schnitt der Priester mir das Wort ab und stieß mich ins Auto, um dann meiner Tante zu helfen, die nun nur noch wenige Schritte vom Auto entfernt war, als Ahmed ankam.

„ Ahmed, es ist jetzt soweit, wir haben ja schon oft darüber gesprochen. Auf Wiedersehen", verabschiedete sich meine Tante von ihm, bevor sie von Pater Dominick in das wartende Auto geschoben wurde.

Haus schließen und abreisen. Auf Wiedersehen, Cecilia. Vera, ich werde dich vermissen", verabschiedete uns Ahmed traurig.

„ Auf Wiedersehen, aber vielleicht sehen wir uns ja wieder", munterte ich ihn auf, aber er schüttelte den Kopf und ging weg, als der schwarze BMW anfuhr.

Ich spürte eine große Traurigkeit in meinem Herzen.

Im Vergleich dazu erschien mir das, was ich für Kevin empfunden hatte, nachdem ich von seiner zukünftigen Ehe gehört hatte, die reinste Bagatelle.

Ich mochte Ahmed sehr gern, und ich hätte nie gedacht, dass ich eines Tages ohne ihn sein würde.

Sobald der Wagen lospreschte, hörte ich meine Tante und Dominick erleichtert aufatmen.

Nur ich war so gespannt wie eine Violinensaite.

„ Kommt Ahmed nicht mit uns mit?", versuchte ich zu fragen.

„ Nein, Vera. Ahmed muss bleiben und unsere Angelegenheiten regeln. Er wird das Haus einer Wohltätigkeitsorganisation spenden, die Schule über deine Abreise informieren und dass du aufgrund gesundheitlicher Probleme plötzlich umziehen musstest und schließlich mit dem Geld, das ich auf einem Sonderkonto hinterlassen habe, das nur im Bedarfsfall zu verwenden ist, nach Tunesien abreisen. Eigentlich ist das alles schon seit Jahren organisiert", erklärte meine Tante und strich mir über den Kopf.

Dies alles war für mich immer einfach unverständlich. Tausend Gedanken und gesprochene Sätze wirbelten unkontrolliert durch meinen Kopf. Ich konnte kein Detail festhalten, das sogleich wieder verschwand, um Platz für etwas anderes zu machen.

Ahmed. Die Schule. Kevin. Patty Shue. Ron. Der Bauernhof. Sie.

Kardinal Montagnard. Dublin. Kardinal Siringer.

Viele, zu viele Gedanken schossen mir durch den Kopf.

Ich dachte an die Schule. Ich holte Biologie nach und musste noch die Note für das Geschichtsreferat bekommen.

Außerdem war ich immer noch wütend auf Patty, weil sie allen erzählt hatte, dass ich mit Ron verlobt war.

Was hatte das alles für einen Sinn, wenn ich am nächsten Tag wer weiß wo sein würde?

Ich würde Kevin nie wieder gesehen. Warum also wegen seiner Ehe mit Clara aufregen, wenn ich sowieso nicht mehr da sein würde?

Vielleicht wäre ich im Mai schon tot. Ich hatte nicht vergessen, dass ich an der Reihe war, nachdem jemand einen Mann getötet hätte. Es war offensichtlich, dass dieser jemand mir dasselbe grausame Ende bereiten wollte.

Sie.

Wer waren sie?

Niemand hatte mir bisher erklärt, wer diese Leute waren und was sie von mir wollten.

Ich versuchte es noch einmal.

„ Bitte, erklärt mir doch endlich, warum dies geschieht und wer sie sind."

Meine Tante sah mich an und ihre Augen waren voller Traurigkeit und Verzweiflung. Auch Pater Dominick sah mich bekümmert an.

„ Siehst du, du bist ein besonderes Mädchen", bemühte sich die Tante.

„ Wie meinst du das?"

„ Du wurdest unter besonderen, unerwarteten und noch teilweise unbekannten Umständen geboren. Nur Kardinal Montagnard kannte die Wahrheit, und als deine Mutter starb, beschloss er, sich um dich zu kümmern. Von Geburt an hast du aufgrund Ihrer Anämie ernsthafte gesundheitliche Probleme gehabt, aber er hat sich große Mühe gegeben, dir beim Überleben zu helfen, und dabei bemerkt, dass du etwas wunderbar Unerwartetes an dir hattest. Er sagte niemandem, was es war, aber er beschloss, dich in großer Geborgenheit großzuziehen. Später enthüllte er Kardinal Siringer, dem Oberhaupt des Ordens vom Blutigen Kreuz, deine Geburt und sagte nur, dass du die Lösung für sein Problem seiest.

„ Welches Problem?"

„ Das wirst du zu gegebener Zeit noch erfahren, aber sei versichert, dass seine Geburt für ziemliches Aufsehen im Orden gesorgt hat. Kardinal Montagnard rief Cecilia, ein altes Mitglied des Ordens, aus Simbabwe zurück und beauftragte sie, dich aufzuziehen, während Kardinal Siringer eine externe Kontrolle verlangte, Pater August. Ich kam erst später dazu, als Cecilia einen Freund brauchte, der sie unterstützen könnte", schaltete sich der Priester ein.

Es war also nicht wahr, dass meine Tante in Portugal war, als meine Mutter starb, dachte ich.

„ Weißt du, ich hatte noch nie eine Tochter gehabt, und ich hatte Angst, n Fehler zu machen. Außerdem kritisierte Pater August alle meine Entscheidungen und behauptete, es sei ein Fehler gewesen, dich mir anzuvertrauen, weil ich mich zu sehr an dich gewöhnt hatte und dies mir nicht erlauben würde, objektiv zu sein. Dominick war ein alter Freund von mir, und ich vertraute ihm blind. Er kannte auch den Orden und seine Gesetze, also beschloss er, sich mit in die Geschichte verwickeln zu lassen, um dir eine gewisse religiöse Erziehung zu geben", berichtete meine Tante.

Jetzt verstand ich, warum mir Pater August immer unsympathisch gewesen war.

Er hatte mir immer das Gefühl gegeben, mich zu kontrollieren, und meine Tante hatte sich in seiner Gegenwart nie wohl gefühlt.

Was mich im Moment jedoch am meisten verblüffte, war der Grund dieser ganzen Geheimnistuerei, vor allem gegenüber meiner Tante, die immerhin die Cousine meiner Mutter war.

Ich wies meine Tante darauf hin, die mich mit einem noch traurigeren Ausdruck ansah.

„ Es brauchte dich nur eine Minute lang in meinen Armen halten, um zu wissen, wie sehr ich dich liebte. Du warst das süßeste und schönste Geschöpf der Welt. Jedes Mal, wenn du mich angelächelt hast, schien mir meine Entscheidung, die Gelübde aufzugeben, um mit dir zusammen sein zu können, immer richtiger. Mir wurde klar, dass ich auch so glücklich sein konnte, indem ich dem Herrn anders diente. Wie auch immer..." begann meine Tante, aber sie brachte die Worte nicht über ihre Lippen.

„ Aber sie ist nicht wirklich deine Tante, auch wenn sie dich so liebt, wie eine Mutter ihr Kind", beendete er Pater Dominick traurig den Satz für sie.

Ich war wie versteinert.

Tante Cecilia war gar nicht nicht meine Tante?

Das konnte nicht wahr sein.

Das war einfach zu viel.

Ich brachte kein Wort mehr heraus.

Ich war erschüttert.

Ich sah meine Tante an, die neben mir auf dem Rücksitz im Auto saß und leise weinte, während sie immer wieder sagte: "Verzeih mir".

Ich hatte das Gefühl, in Trance zu fallen, in einen Zustand des Halbbewusstseins.

Alle meine Gewissheiten waren zusammengebrochen.

Stunden vergingen.

Ich blieb in diesem Zustand, bis wir am späten Nachmittag in Dublin ankamen.

Ich erinnerte mich nur noch daran, dass das Auto direkt vor einem Hotel, dem Jolly Hotel, anhielt.

Der Mann an der Rezeption fragte uns noch nicht einmal nach unseren Papiere, sondern reichte uns einfach die Schlüssel zu den Zimmer.

Meine Tante und ich wurden in das Zimmer 112 geführt, während Pater Dominick allein zur Tür 115 ging.

Der Raum war recht klein und mit gelben Tapeten versehen, genau wie die Vorhänge und Decken.

Es gab zwei Einzelbetten. Ich setzte mich auf das hintere Bett in der Nähe des Fensters.

Ich stellte meine Tasche auf den Boden und starrte auf die von den Straßenlaternen erleuchtete Straße vor dem Fenster.

„ Hast du Hunger?", fragte meine Tante und schreckte mich auf. Nachdem sie mir gesagt hatte, dass sie gar nicht meine Tante war, hatte sie kein Wort mehr zu mir gesagt.

„ Nein, danke."

„ Bist du sicher? An der Tankstelle, an der wir zum Mittagessen angehalten haben, hast du auch nichts gegessen ", meinte sie besorgt.

Ich hätte sie gerne gefragt, warum sie sich so sehr für mich interessierte, obwohl ich ja eigentlich gar nichts mit ihr zu tun hatte, tat es dann aber doch nicht.

Ich schüttelte den Kopf.

Ohne Abendessen gingen wir dann beide zu Bett, obwohl es noch sehr früh war.

Ich war überhaupt nicht müde.

Mein Kopf war voll von Gedanken, aber einer hämmerte am stärksten: meine Tante, oder besser Schwester Cecilia.

Wenn das überhaupt ihr richtiger Name war.

Ich zerbrach mir eine Stunde lang den Kopf und suchte nach einer Verbindung, einer Logik zu dem Ganzen.

Vor vierundzwanzig Stunden saß ich noch im Wohnzimmer auf dem Sofa und zappte mich durch die Fernsehprogramme, während meine Tante die Küche aufräumte, und jetzt lag ich in einem sehr unbequemen Bett in einem lächerlichen Hotelzimmer mit einer möglicherweise unbekannten Frau.

Das ergab keinen Sinn.

Ich wollte mein Haus und meine Tante zurück.

Ich erkannte, dass es weitaus schöner gewesen war, als ich noch in völliger Unkenntnis und in einer Fantasie gelebt hatte, als mit der Nase auf die rohe und ungerechte Realität gestoßen zu werden.

Wenn Pater Dominick es noch einmal wagen würde, mit mir über göttliche Gerechtigkeit zu sprechen, würde ich ihm was erzählen!

Aber jetzt ließ sich nichts mehr ändern. In diese absurde Realität gezwungen, neben dem Menschen, den ich bis vor kurzem noch zuvor wahnsinnig verehrt hatte, während ich jetzt befürchten musste, ihn gar nicht zu kennen.

Ich konnte nicht länger schweigen.

„ Warum hast du dich all diese Jahre um mich gekümmert?", fragte ich sie leise.

Ich war überzeugt, dass sie mich gar nicht gehört hatte. Nicht, weil sie nicht schlief. Ich wusste, dass sie nicht schlief, weil meine Tante im Schlaf ziemlich stark schnarchte, aber meine Kehle brannte und meine Brust war so schwer, dass ich fast erstickte, sodass die Worte nur schwach und unsicher herauskamen.

„ Kannst du dir das nicht vorstellen?", antwortete sie mit ihrer gewohnten vertrauten Lieblichkeit.

„ Weil sie es dir befohlen hatten, richtig?"

„ Nein, Dummerchen. Weil ich dich wahnsinnig liebe. Auch wenn es eigentlich gar nicht stimmt, in Wirklichkeit bist du mein kleines Mädchen. Du bist das Wichtigste in meinem Leben. Ich hatte gehofft, dir das in all den gemeinsamen Jahren vermitteln zu können".

Ja, ich wusste, dass sie mich liebte. Sie hatte mir in schwierigen Zeiten immer geholfen, sie war immer bereit, mir zu helfen und trotz der finanziellen Schwierigkeiten hatte es mir nie an irgendetwas gefehlt. In allem, was sie tat, war immer ihre Liebe zu spüren, und ich hatte sie immer mit wahrgenommen und offenen Armen willkommen geheißen.

Sie war eine Mutter, aber auch eine Freundin gewesen, da ich wegen meiner Gesundheit nie Freunde gefunden hatte. Alle meine Schulkameraden hatten mir gegenüber immer ein gewisses Misstrauen gezeigt, weil ich bei einer Tante lebte und oft krank war, abgesehen davon, dass ich Patty Shue's stärkste Feindin war, die bei allen anderen total beliebt war.

„ Ich weiß, dass du mich liebst, und ich liebe dich auch, aber all diese Nachrichten haben mich einfach umgehauen. Ich weiß nicht mehr, wer ich bin, wer du bist...", seufzte ich.

„ Du hast Recht. Ich hätte dir viele Male die Wahrheit sagen wollen, aber der Orden hatte es mir absolut verboten".

„ Du hättest es mir heimlich sagen können. Bei Pater August und Dominick hätte ich so getan, als wüsste ich es nicht".

Meine Tante brach in Gelächter aus.

Ich lächelte auch und merkte, dass alles beim alten geblieben war.

Cecilia war immer noch meine liebe Tante, hörte sich meinen Unsinn an und lachte darüber.

„ Hör zu, Vera. Es tut mir so leid, dass ich dir nicht die Wahrheit gesagt habe, aber das geschah zu deinem eigenen Wohl. Wenn wir Kardinal Siringer treffen verspreche ich dir, ihn um Erlaubnis zu bitten, dir alles zu erzählen zu dürfen. Jetzt ist es nur fair, dass du die ganze Geschichte kennst", sagte meine Tante, die wieder ernst geworden war.

„ Eben, ich muss schließlich wissen, wer mich tot sehen will", versuchte ich, es herunterzuspielen.

„ Ich lasse nicht zu, dass dir jemand wehtut", sagte meine Tante resolut.

An diesem Abend war nicht mehr aus meiner Tante herauszubringen.

Wir plauderten die ganze Nacht lang, aber nur über unser nun schon altes Leben auf dem Bauernhof und suchten zumindest in unseren Erinnerungen Trost.


Blutige Verlockung

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