Читать книгу Tattoos & Tequila - Vince Neil - Страница 6

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Ich wurde als Vince Neil Wharton am 8. Februar 1961 im Queens Of Angels Hospital im Los Angeles County geboren.

Meine Mutter, deren Mädchenname Shirley Ortiz lautete, ist zur Hälfte Mexikanerin, zur Hälfte weiß. Mein Vater, Clois Odell Wharton, meist Odie genannt, ist halber Indianer. Manche Leute sagen, ich wäre demzufolge ein Mischling aus zwei oder drei Rassen oder so was. Aber ich sehe mich als Kalifornier. Obwohl ich inzwischen nicht mehr dort lebe, ist das mein Zuhause. Ich war immer der Meinung, dass die Leute aus Cali einen eigenen Pass haben sollten. Wir sind eine ganz besondere Gattung, im Guten wie im Schlechten. Früher hat man Kalifornien das Land der Früchte und Nüsse genannt. Ich nenne es einfach nur Zuhause.

Das Krankenhaus gibt es heute noch, nur einen Katzensprung über den Freeway 101 von Hollywood entfernt, wo die richtig wichtigen Leute wohnen, wie man sagen könnte. Nachdem ich jetzt so weit gekommen bin, muss ich kurz einmal innehalten und mir diesen Augenblick richtig auf der Zunge zergehen lassen. Weißt du, wie oft ich mir vorgestellt habe, meine Autobiografie zu schreiben? Vielleicht macht jeder das an einem bestimmten Punkt in seinem Leben. Aber ist das nicht cool? Es geschieht tatsächlich. Ich schreibe meine Autobiografie. Auch wenn ich von Natur aus nicht unbedingt ein besonders reflektierter oder nachdenklicher Typ bin, ist mir doch klar, wie viel Glück ich habe, in dieser Lage zu sein, ein Buch über mich selbst zu schreiben und davon ausgehen zu können, dass es wirklich Leute gibt, die ihre schwer verdienten Dollars dafür ausgeben wollen, um es zu kaufen und zu lesen. Letztlich ist es doch so, ich bin einfach ein ganz normaler Typ von der anderen Seite des Freeway. Wer hätte gedacht, dass so etwas einmal möglich sein würde?

Meine Mutter ist, glaube ich, in New Mexico aufgewachsen. Während meiner Kindheit blieb sie zu Hause, um sich um mich und meine Schwester Valerie zu kümmern, die 16 Monate jünger ist als ich. Als wir größer wurden, hat meine Mutter gejobbt, um etwas zu unserem Lebensunterhalt beizutragen. Ich glaube, sie hat in einer Fabrik gearbeitet, in der Kosmetikprodukte für Max Factor hergestellt wurden. Was sie genau gemacht hat, weiß ich nicht. Ich habe nie viel darüber nachgedacht. Damals war ich noch ein Kind, da habe ich kaum über meinen Tellerrand hinausgeguckt.

Den Vater meiner Mutter, meinen Großvater, habe ich nie kennen gelernt; er starb, als meine Mutter noch klein war. Meine Oma war Mexikanerin. Meine Tanten sprachen nur Spanisch. Selbstgemachte Tortillas waren das Größte auf der Welt, vor allem, wenn sie auf der Gasflamme aufgewärmt und mit Butter bestrichen wurden. Mit solchen Gerichten bin ich groß geworden. Zu Thanksgiving hatte man bei uns zu Hause die Wahl: Truthahn oder Enchiladas. So eine Familie waren wir. Ein richtiger Schmelztiegel. Bei uns gab es verschiedene Gerichte aus verschiedenen Kulturen, alles schön gemischt und zusammen auf einem Teller.

Ich war oft bei meiner Oma. Ob sie gearbeitet hat, weiß ich nicht mehr. Ich glaube nicht, dass sie irgendwas gemacht hat. Sie war meine Oma, und das war’s. Sie hat viel genäht, vielleicht auch für andere. Wahrscheinlich hat sie sich damit ihr Geld verdient. Sie wohnte in Watts, einem Stadtteil im Süden von Los Angeles, und ich kann mich noch an die Unruhen dort erinnern. Ich war erst vier Jahre alt, und es war ziemlich beängstigend. Das war im August 1965, und sechs Tage lang ging es richtig drunter und drüber, es brannte überall. 43 Menschen wurden getötet und über 1.000 verletzt. Fast 4.000 Personen wurden verhaftet. Tausende von Häusern und Geschäften wurden angezündet und geplündert, der Schaden belief sich auf über 200 Millionen Dollar. Man sprach von den schlimmsten Unruhen in Los Angeles, bis die Aufstände 1992 alles in den Schatten stellten. Auch hier ging es um die Rassenproblematik, nachdem es bei der Verkehrskontrolle eines schwarzen Fahrers durch weiße Polizisten angeblich zu brutalen Übergriffen gekommen war. Die Unruhen in Watts hatten ganz ähnlich begonnen. Ich erinnere mich an die Panzer, wie sie unsere Straße entlangfuhren, und an die vorbeimarschierenden Soldaten. Ich war noch klein, und damals dachte ich: „Wow! Jetzt sind wir gerettet! Jetzt kommen die Guten!“

Ich lernte auch meine Großeltern väterlicherseits noch kennen. Sie starben, als ich sieben oder acht war. Sie stammten aus dem Grenzgebiet zwischen Texas und Oklahoma. Mein Vater ist in Paris, Texas, zur Welt gekommen. Wir haben eine Weile … hm, ich würde sagen, in New Mexico oder Utah gewohnt. Irgendwo da. Und dann bekam mein Dad eine Stelle als KFZ-Mechaniker bei der Kreisverwaltung von Los Angeles. Damit war er im Öffentlichen Dienst und erhielt eine Reihe von Zuschlägen; es war ein netter Mittelklasse-Job bei der L.A. County Mechanical Division. Er reparierte Polizeiwagen. Dieselben Dinger, mit denen ich später auch des Öfteren unterwegs war – dann allerdings auf dem Rücksitz und in Handschellen.

Mein Dad war in seinen jungen Jahren ein ziemlich gut aussehender Typ. Er und meine Mutter sind heute noch zusammen. Sie leben inzwischen in Utah, wie auch meine Schwester, aber ich denke, sie werden bald nach Las Vegas umziehen. Wir haben nicht so viel Kontakt – seit meiner Hochzeit vor etwa fünf Jahren haben wir nicht mehr viel miteinander zu tun gehabt. Damals sind ein paar blöde Sachen gelaufen, es wurde zuviel getrunken und dann fielen ein paar hässliche Worte – vielleicht kommen wir später noch einmal darauf zurück. Es ist wohl so, bei Familien gibt es immer irgendwelche Dramen. Mein Dad ist inzwischen schon ein paar Tage älter, sieht aber immer noch gut aus. Er ist über eins achtzig, weißt du, mit graumeliertem Haar. Er wurde schon als junger Mann grau. Dazu trägt er jetzt einen coolen Elvis-Haarschnitt, so zurückgekämmt. In The Dirt wurde ich mit der Bemerkung zitiert, er sei ein „Frauentyp“. Das steht so da, als hätte ich das gesagt, aber ich habe keine Ahnung, wo die das herhaben. Vielleicht einfach bloß, weil er gut aussah. Aber ich meine, meine Eltern sind jetzt seit … mal überlegen … fast 50 Jahren verheiratet. Wenn er also wirklich ein Frauentyp gewesen ist, dann ziemlich im Geheimen – denn bei meiner Mutter wäre er mit irgendwelchen Geschichten nie durchgekommen. Sie ist ziemlich kompromisslos. Eine blonde, harte Mexikanerin. Vielleicht habe ich meine Power von ihr. Sie versteht es zu kämpfen, genau wie ich.

Ich kann mich nicht daran erinnern, in meiner Kindheit viel mit meinem Dad gemacht zu haben. Ein paar Sachen vielleicht. Wir hatten einmal ein Boot, eine kleine Badewanne von vier Metern Länge mit Außenbordmotor, und mit der sind wir an den Wochenenden auf dem Castaic Lake herumgetuckert. Wir haben da oben gern geangelt und so – ich, meine Schwester, Mom und Dad. So was machten wir gelegentlich mal. Und ich glaube, als ich noch klein war, haben wir beide mal zusammen den Motor vom Auto meines Onkels neu zusammengebaut. Damit waren wir eine ganze Weile beschäftigt. Es war ein Chevrolet Nova, ein Sechziger-Baujahr, der dem Bruder meiner Mutter gehörte. Wenn ich mich recht erinnere, dann haben wir mehrere Sommer an diesem Auto herumgeschraubt, mein Dad hat es wieder aufgemöbelt, und ich habe dabei geholfen. Und ich weiß auch noch, wie ich mit meinem Dad in ein Musikgeschäft gegangen bin. Er hat mir meine erste Gitarre gekauft. Danach habe ich Unterricht bekommen. Später hatte ich eine elektrische Gitarre und einen kleinen Verstärker. Nach einiger Zeit verlor ich aber das Interesse, wie das bei Kindern so ist, und die Gitarre verschwand eine Weile in der Abstellkammer … um dann nach langer Zeit wieder hervorgeholt zu werden. Ein paar Akkorde zu können, hat mir jedenfalls nicht geschadet.

Später zogen wir nach Compton. Um das aber gleich mal klarzustellen: Als meine Eltern dort ein Haus kauften, taten sie das nicht etwa, weil sie sich nichts anderes hätten leisten können. Vielleicht hatten sie nicht gerade die beste Spürnase, was Immobilien anging, aber Ende der Sechziger galt Compton als nettes Viertel für die untere Mittelklasse. Damals wurden überall im ganzen Land solche Neubaugebiete aus dem Boden gestampft, um den Ansprüchen gerecht zu werden, die der wachsende Wohlstand der Nachkriegsjahre mit sich brachte. Die Häuser waren bezahlbar, und es gab Schulen in der Nähe. Damals war Compton noch nicht der Spielplatz von Gangs und Drogensüchtigen, zu dem es sich später entwickelte. Kennst du das erste Album der Hardcore-Rapper N.W.A. (Niggaz With Attitude)? Das heißt Straight Outta Compton. Wegen dieser Platte und Filmen wie Boyz N The Hood kam die Gegend kulturell auf die Schwarze Liste. Aber diese Platte erschien zwanzig Jahre später! Der Teil von Compton, in dem wir wohnten, wurde später zu Carson gerechnet. Damals war das ein Neubaugebiet wie viele andere. Für Mittelklassefamilien wie uns war es erschwinglich, und auch viele Arbeiter wohnten dort, weil die Ölraffinerien in der Nähe lagen. Früher bin ich oft mit dem Fahrrad zu den Raffinerien gefahren. Als wir dort hinzogen, war dort noch sehr viel offenes Gelände. Es wurde allerdings schon viel gebaut, und es hatte ein bisschen die Atmosphäre einer neuen Siedlung im Grenzland. Für uns Kinder war es großartig, man konnte dort einfach alles spielen – Krieg, Soldat, Spionagegeschichten, Überlebenstraining – oder einfach Geländefahrten mit dem Fahrrad machen. Wir hatten sehr viel Spaß.

Als Kind war ich total baseballverrückt und spielte in einer Kindermannschaft in Carson. Ich war ziemlich gut. Damals stand ich total auf die Dodgers. Als ich mein erstes Trikot bekam, hätte ich es am liebsten den ganzen Tag getragen. Ich wollte es überhaupt nicht mehr ausziehen. Weißt du noch, wie man sich in dem Alter fühlt? Das Hemd fühlte sich so toll an, und es roch auch so gut. Es hatte diesen typischen Geruch von neuem Stoff. Den Geruch der Verheißung, könnte man vielleicht sagen. Den Geruch von Kleinejungenträumen.

Clois Odell „Odie“ Wharton

Vince Neils Vater

Die Familie meines Vaters war teilweise indianischer Abstammung; sie stammte aus Oklahoma. Er selbst wurde schon als Kind Vollwaise. Die Familie, bei der er aufwuchs, lebte in Oklahoma gleich an der Grenze; auf der anderen Seite des Red River lag Texas. Dort pachtete er später ein Stück Land und betrieb eine kleine Farm. Meine Mutter stammte aus Tupelo, Mississippi. Ich selbst kam in Paris, Texas, zur Welt. Auf meiner Geburtsurkunde steht sogar nur Lamar County, weil wir so weit draußen auf dem Land wohnten. Der Arzt musste zur Entbindung zu uns rausfahren. Meine Mutter sagte, er sei ziemlich betrunken gewesen.

Wir lebten in einer kleinen Hütte. Es gab nicht einmal ein Schlafzimmer; alles spielte sich in einem einzigen Raum ab. Wenn es viel regnete, nagelten wir Teerpappe auf; die Bohlen des Hauses waren nicht sehr gut aneinandergefügt, und bei schlechtem Wetter pfiff der Wind durch die Ritzen. Wir mussten Töpfe und Schüsseln unter die Stellen schieben, an denen das Wasser durchs Dach tropfte. Und so etwas wie Wasserleitungen oder Strom hatten wir natürlich auch nicht. Wir hörten Radio über einen kleinen, batteriebetriebenen Empfänger.

Als ich fünf war, zogen wir dort weg. Damals hatten wir einen alten Truck. Den beluden wir mit unseren Siebensachen und fuhren von Texas nach Kalifornien. Meine Schwester und ich lagen hinten auf der Ladefläche auf ein paar Matratzen. So verbrachten wir die ganze Fahrt. Das war 1941, kurz nach der Wirtschaftskrise. Damals zogen viele Leute aus Oklahoma, Texas oder Arkansas nach Kalifornien. Die Schwester meines Vaters war in Los Angeles untergekommen, und meine Eltern beschlossen, ihr zu folgen. Bei ihr wohnten wir, bevor mein Vater Arbeit als Anstreicher an der University Of Southern California bekam; er trug stets weiße Arbeitskleidung und hatte Farbspritzer im Haar. Später sortierte er Obst auf einem Fruchthof. Meine Mutter arbeitete eine Weile in einer Schuhfabrik.

An dem Abend, als ich Shirley kennen lernte, war sie mit ihrer Freundin Tootsie unterwegs, die einen brandneuen Ford T-Bird hatte, ein süßes kleines Auto. Sie fuhren damit zum Autokino. Der Kumpel, mit dem ich dort war, kannte die beiden, und so kamen wir ins Gespräch. Ein bisschen später veranstaltete unser Autoclub ein Picknick in Griffith Park, und Shirley auch war dort. Ich saß an einem der Tische und hatte ein Bier in der einen und eine Zigarette in der anderen Hand. Als Shirley vorüberkam, trat ich die Zigarette schnell aus, und dann schnappte ich sie mir und gab ihr einen dicken Knutscher. Da hatte mich das Bier wohl mutig gemacht. Wir gingen eine Zeitlang mit einander aus, doch dann verließ ich 1956, in der elften Klasse, die Schule und meldete mich zur Armee. Ich wurde in Deutschland stationiert, und außerdem hatte ich Glück, dass ich ausgerechnet die ruhige Zeit zwischen dem Korea- und dem Vietnamkrieg erwischte. Während ich im Ausland war, schickte Shirley mir Briefe und Fotos. Im Januar 1958 wurde ich nach Fort Hood in Texas versetzt. Elvis war auch dort, er machte damals seine Grundausbildung.

Nach meiner Entlassung aus der Armee im August 1958 kam ich wieder nach Hause. Shirley und ich trafen uns wieder, und im November heirateten wir. Heute sind wir immer noch zusammen, seit 52 Jahren.

Zunächst arbeitete ich für eine Firma, die sich auf Fiberglasbeschichtungen spezialisiert hatte, und als Vince sechs Wochen alt war, musste ich eine Weile auf Montage. Man schickte mich mit einer Kolonne nach Moab in Utah. Wir spritzten damals große Stahltanks mit Fiberglas aus – ich glaube, der dazugehörige Prozess nannte sich Uranreduzierung. Ursprünglich waren wir davon ausgegangen, dass wir nur ein paar Wochen dort sein würden, aber wir hatten unsere Arbeit wohl so gut gemacht, dass wir noch ein paar weitere Tanks zum Auskleiden bekamen. Also rief ich Shirley an und sagte ihr, dass ich wohl länger bleiben würde als angenommen.

Vince hatte mit sechs Wochen die erste kinderärztliche Untersuchung, und danach nahm Shirley sofort den nächsten Bus und fuhr zu mir nach Moab. Dort quartierten wir uns in einem Motel ein. Vince war noch ein winziges Baby, und wir bastelten ihm in unserem Zimmer ein Bett aus unserem Koffer. Wir legten die Decken dort hinein und machten es ihm richtig gemütlich.

Ich arbeitete damals enorm viel. Wir wollten alle möglichst bald wieder nach Hause, also versuchten wir, den Job möglichst schnell zu erledigen und schufteten oft 14 oder 16 Stunden am Tag. Wenn ich abends ins Motel kam, konnte man die Uhr danach stellen, dass Vince sofort zu brüllen begann. Den ganzen Tag über war er ruhig, bis ich zur Tür reinkam. Ich sagte zu Shirley: „Meine Güte, kannst du ihn nicht beruhigen? Ich muss unbedingt schlafen, ich habe so lange gearbeitet.“ Und im Scherz fügte ich hinzu: „Wenn das Geschrei nicht aufhört, dann klappe ich den Kofferdeckel zu!“

Als Vince 15 war, kaufte ich ihm einen alten Chevrolet-Pickup, Baujahr 53. Er war grundiert und hatte große, schwarze Räder mit Split-Six-Felgen; der Abgaskrümmer lief in zwei Auspuffen unter den Trittbrettern aus. Vince hatte noch keinen Führerschein, aber wir hatten den Truck irgendwo entdeckt, und selbst mir gefiel er sehr. Er kostete mich nur 700 Dollar. Damals dachte ich, bis wir den fertig aufgemotzt haben, hat Vince bestimmt auch seinen Lappen. Ich baute sogar ein Schiebedach ein, und meine Frau nähte kleine Gardinen für das Rückfenster.

Vince hatte damals einen Freund, der behauptete, schon einen Führerschein zu besitzen, und ich glaubte ihm das. Die beiden fuhren gern mit dem Truck herum. Wie sich dann nachher herausstellte, stimmte das gar nicht, die beiden hätten gar nicht am Steuer sitzen dürfen. Vince rammte schließlich irgendetwas und zerbeulte den hinteren Kotflügel des Wagens.

Ich behielt den Truck noch eine Weile und verkaufte ihn später für 100 Dollar an einen Nachbarn. Der holte ihn ab, und seitdem habe ich den Wagen nicht mehr gesehen. Es war wirklich ein hübscher kleiner Truck. Vince hatte hinten für sein Surfbrett eine spezielle Halterung montiert – ich erinnere mich noch an einen Typen, der ihm dieses Ding mal wegnehmen wollte. Vince war noch jung, in seinem ersten Jahr auf der Highschool vielleicht. Er hatte lange Haare und stand auf Musik. Der andere Kerl war ein durchtrainierter Sportler und ein bisschen älter. Er machte sich über Vince lustig – weil er lange Haare hatte oder vielleicht auch nur, weil er erst in der neunten Klasse war; vermutlich war er damals ein leichtes Opfer. Der Typ nervte Vince jedenfalls mal wieder, und mein Junge hatte wohl endgültig die Nase voll. Er holte aus und schlug dem Kerl mitten ins Gesicht. Und weil der eine Zahnspange trug, richtete dieser Schwinger ziemlich großen Schaden an.

Ich musste schließlich vor Gericht – seine Eltern verklagten uns auf 500 Dollar Schmerzensgeld oder so was. Das musste ich dann zahlen. Der Junge mochte Vince ja wirklich mit Worten provoziert haben, aber Vince hätte ihn deshalb nicht schlagen dürfen. Das ist aber das einzige Mal, dass wir mit Vince in seinen jungen Jahren Ärger hatten.

Eins werde ich nie vergessen. Irgendwann, als Mötley Crüe allmählich bekannter wurden, schickte Vince eine Limo, um uns zu einem Konzert abzuholen. Eine große schwarze Stretch-Limousine. Ich war völlig überwältigt und sagte zu Vince: „Du weißt, dass ich in meinem ganzen Leben noch nie in so einem Ding gesessen habe?“

Er sah mich an und lächelte stolz: „Tja, Dad, dann gewöhn dich mal dran.“

Das war ein herrlicher Moment. Nie hätte ich gedacht, in meinen wildesten Träumen nicht, dass Vince einmal so weit kommen würde. Es gibt so viele talentierte Menschen, die es niemals schaffen, so viele, die nie berühmt werden. Ich vermute, Vince war zur rechten Zeit am rechten Ort und hatte genug Talent. Wie ich schon sagte, ich bin sehr stolz – ich habe ihm seine erste Gitarre gekauft.


Als ich in der dritten oder vierten Klasse war, veränderte sich Compton allmählich, und es war abzusehen, wohin die Entwicklung führen würde. Es zogen immer mehr Schwarze und Leute aus der Unterschicht dorthin. Überall hingen die Gangs herum. In meinem Viertel herrschten die Crips und die AC Deuceys. Der Bruder meines besten Freundes, Paul, zählte zu den Anführern der Crips, deswegen bekam ich nicht so viel Prügel, wie ich sonst vielleicht hätte einstecken müssen. Ein paar Crips hausten direkt auf der anderen Straßenseite in einer Wohnung, die sie auch als Clubraum nutzten. Und um die Ecke wohnten noch ein paar von den Jungs. Ich steckte also mittendrin. Zwischen den Crips und den AC Deuceys war immer Krieg. Es gab Schießereien, es wurde aus fahrenden Autos gefeuert, aber das war lange bevor die Crack-Epidemie die ganze Gang-Problematik so in die Schlagzeilen brachte. Es waren ganz normale Bandenkriege, Sharks gegen Jets sozusagen, es ging um Gebietsansprüche und Ehre, um Dinge, um die Männer seit Jahrhunderten kämpfen.

Eines Tages kam ich von der Schule und sah vier Kids, die einen ziemlich gut angezogenen, geschniegelt wirkenden Typen überfielen. Sie schossen auf ihn, klauten ihm die Turnschuhe und ließen ihn auf der Straße liegen. Ihm lief das Blut aus dem Mund. Irgendjemand rief den Notarzt und die Polizei. Es war ein schrecklicher Anblick, wie der Typ da Blut spuckte. Er konnte nicht mal mehr sprechen. Ich war damals noch ziemlich klein.

Danach war es, als hätte sich ein Hebel umgelegt. Ein paar Tage später wartete ich vor unserem Haus auf den Eiswagen, so wie immer. Die vier Gang-Mitglieder, die den Typen wegen seiner Turnschuhe erschossen hatten, kamen aus der Wohnung der Crips. Zwar wusste ich, dass meine Schuhe keinem von diesen Riesentypen passen würden, aber ich war trotzdem ziemlich nervös, als sie über die Straße auf mich zukamen. Ich hatte nur einen Gedanken: Jesus, ich hoffe, die wollen sich auch nur für ein Eis anstellen.

Der größte von ihnen ging ganz links und trug ein schwarzes T-Shirt. Über seine Arme zogen sich rote Linien, wie rituelle Narben. Er starrte mich die ganze Zeit über an. Mein Mund wurde trocken, und mir zitterten die Knie. Ich war vielleicht zehn oder elf Jahre alt.

Bevor ich wusste, was lief, trennte sich der große Typ von den anderen. Er packte mich und wirbelte mich herum, wie man es in den Filmen immer mit den Geiseln macht, und hielt mir die Arme fest. Dann schob er die Hände in meine Taschen und wühlte darin herum. Ich hatte nur 15 Cent für das Eis, mehr nicht. Dann spürte ich ganz kurz so etwas wie Druck auf der Kehle. Es ging ganz schnell und fühlte sich auch nicht so an, als ob er viel Kraft angewendet hätte. Zunächst war da auch noch gar kein Schmerz. Aber dann fingen meine Neuronen an zu schreien; ich fühlte, wie etwas meinen Hals herunterrann. Man hatte mich mit einem Messer oder einer Rasierklinge verletzt. Es heißt, dass man bei einem scharfen Messer den Schnitt an sich gar nicht mitbekommt, und erst später den Schmerz fühlt. Gewissermaßen eine Reaktionsverzögerung, als ob dein Körper einen Augenblick lang gar nicht merkt, dass er verletzt worden ist.

Zwar fand der Angriff bei helllichtem Tage statt, aber keiner der Nachbarn hob auch nur einen Finger, um mir zu helfen. In einem von Gangs beherrschten Gebiet ist das total krass, weil alle so viel Angst haben. Die Leute wollen gute Nachbarn sein, sicher, aber wenn es dann darum geht, das eigene Leben aufs Spiel zu setzen, um jemand anderen zu retten, dann hört die Freundschaft auf. Irgendwie rappelte ich mich wieder auf und bin wohl auch wieder ins Haus gelaufen. Was dann passierte, weiß ich nicht mehr. Irgendjemand – meine Mom? Meine Nachbarin? – hat mich ins Krankenhaus gebracht. Ich wurde genäht. Ich weiß nicht mehr, mit wie vielen Stichen, aber der Schnitt lief seitlich über mein Gesicht und übers Kinn. Die Ärzte erklärten, das Messer hätte meine Schlagader nur um zwei Zentimeter verfehlt. Das ist Schicksal, was? Ich hätte an diesem Tag sterben können. Im Krankenhaus betuttelten mich alle Schwestern. Ich bekam schließlich so viel Eis, wie ich nur essen konnte.

Als ich wieder zur Schule musste, kümmerte sich meine Lehrerin, Mrs. Anderson, fürsorglich um mich. Sie war ein ehemaliges Playmate, mit langem, glattem, braunem Haar und einer Figur wie Jessica Rabbit – tataa! Irgendwo in einer meiner Garagen liegt noch eine Playboy-Anthologie herum, in der sie als Pin-up zu sehen ist. Man kann wohl mit Fug und Recht behaupten, dass sie bei mir das Licht angeknipst hat. Sie öffnete mir die Augen für eine der wichtigsten Erkenntnisse meines ganzen Lebens: Ich liebe Frauen. Wenn ich eine schöne Frau sehe, dann bin ich wie ein Kind. Dann folge ich nur einem Instinkt: Habenwollen.

In den Stunden, die Mrs. Anderson unterrichtete, in ihrer Nähe, hatte ich dieses warme, angenehme Gefühl. Noch hatte ich keine Ahnung von Sex, obwohl ich die dazugehörigen Wörter kannte. Aber irgendwie bekam ich mit, dass ich für Mrs. Anderson das empfand, was ein Mann eben für eine Frau fühlt. Es war wie der erste Zug an der Crack-Pfeife: Ein wilder Rausch, dem ich seither hinterherjage.

Wenn man sich bei Mrs. Anderson im Unterricht gut benahm, mit gefalteten Händen am Tisch saß, gut vorlas oder die Fragen beantwortete, die sie stellte, dann gewährte sie einem die Ehre, als Erster nach dem Aufstellen zum Mittagessen und in die Pause gehen zu dürfen – an ihrer Hand! Ich kann mich nicht erinnern, dass ich je dafür auserwählt wurde, weil ich mich in der Klasse hervorgetan hätte … aber mehr davon später. Aber natürlich wollte ich das auch, vor den anderen hergehen und ihre Hand halten. Als ich nach dem Überfall mit Pflaster und Verband wieder in die Schule kam, da wählte sie mich aus. Ich durfte als Erster in die Pause gehen. Sie hatte garantiert keine Ahnung, was mir für Sachen durch den Kopf gingen. Sie dachte vermutlich, dass sie für den kleinen, traumatisierten Jungen nur eine Art Krankenschwester spielte. Aber wenn ich in ihrer Nähe war, dann fühlte ich nicht das, was man als kleiner Junge fühlt. Ich war mir nicht sicher, ob ich ihr Geliebter oder ihr Sohn sein wollte – Hauptsache, ich war überhaupt irgendwas. Am Elternabend, als ich sie meiner Mutter und meinem Vater vorstellte, sagte ich: „Das ist meine Mutter, Mrs. Anderson.“ Ein echter Freud’scher Versprecher. Ich wäre am liebsten im Boden versunken.

Danach waren alle Schleusen offen. Es dauerte kein Jahr, und ich machte meine ersten Erfahrungen mit Tina, einem Mädchen aus der Nachbarschaft; ich schob ihr die Hände unter den Rock und tastete dort zum ersten Mal ein wenig herum, um mir sozusagen einen ersten Eindruck zu verschaffen, wie das Gelände beschaffen war. Ich wusste nicht, was ich da tat oder was das alles nach sich ziehen würde. Ich wusste nur, dass es mich so faszinierte, dass ich weiter herumfingern wollte. Was ist nur dran an den Frauen, dass man sie ständig begehrt?

Shirley Ortiz Wharton

Vince Neils Mutter

Meine Mutter wuchs in Albuquerque, New Mexico, als eines von fünf Kindern auf. Sie zog mit meinem Vater nach Inglewood, als wir noch klein waren. Mein Vater arbeitete dort als Maschinist. Mit 42 starb er an Krebs, und wir zogen in ein kleineres Haus. Ich glaube, er hatte eine Lebensversicherung, denn ich kann mich nicht daran erinnern, dass meine Mutter je arbeitete. Wir waren zu sechst. Ich machte 1955 meinen Highschool-Abschluss. Meine Mutter wohnte größtenteils für den Rest ihres Lebens in diesem kleinen Haus. Wir haben sie oft besucht – auch während der schweren Unruhen in Watts. Vince war damals ungefähr vier. Der Himmel war orange. Er war ganz fasziniert von den Soldaten der Nationalgarde.

Nach der Schule wurde ich Friseurin. Ich ging zur Kosmetikerschule in Hollywood und zum Junior-College in Del Amo. Dort machten immer die großen Zeppeline, die Goodyear-Blimps, fest. Odie traf ich zum ersten Mal an einem Abend, als ich mit meinen Freundinnen unterwegs war. Er gehörte zu einem Autoclub, den Shifters – er hatte die damals topmoderne Entenschwanzfrisur, trug eine grün-weiße Shifters-Jacke und hatte auch einen grünweißen Chevy. Natürlich hatte ich mich auch sehr nett zurechtgemacht, ich war blond, wenn auch nicht von Natur aus. Die Farbe kam aus der Flasche. Schließlich war ich auf der Kosmetikschule, ich habe gern experimentiert. Wir sind uns in einem Autokino begegnet. Da gingen abends alle hin, das war mitten im Viertel, hier bei uns in Manchester. Odies Vater war Anstreicher, aber als ich zur Familie stieß, war er schon in Rente. Es hieß immer, er sei Halbindianer.

Wir zogen später nach Carson in das Haus am Dimondale Drive. Odie und ich hatten die beiden Kinder schon. Sie waren nur 16 Monate auseinander. Um das noch einmal klarzustellen, Carson war kein Ghetto. Es war ein nettes Neubaugebiet, als wir dort einzogen. Vincent lernte mit seiner Schwester Eislaufen, als er noch klein war. Valerie hatte damit angefangen und wurde eine sehr gute Eisläuferin, und nachdem Vince sie einmal bei einer Vorführung gesehen hatte, erklärte er: „Das will ich auch.“ Also schickte ich ihn zum Unterricht, und er bekam später in einer Show einen Solo-Auftritt. Er war sehr, sehr gut. Vermutlich wird es ihm irrsinnig peinlich sein, das zu lesen – er findet es schrecklich, wenn ich das erzähle. Aber ich habe Bilder von ihm im Eisläufer-Outfit mit allem Drum und Dran, und seine Schlittschuhe liegen bei uns auch noch irgendwo. Abgesehen davon hatte er Tanzstunden und lernte Gitarrespielen. Auf der Bühne war er ziemlich extrovertiert. Aber so allein für sich, nein. Wenn er unter Menschen war, dann war er sehr schüchtern. Er hätte sich nie hingestellt und gesungen, wenn es keine Bühne gab.

Später fing er an, zu Songs zu mimen, beispielsweise zu Rod Stewarts „Hot Legs“. Er war ein kleiner Poser, er stand gern in der ersten Reihe. Die Mädchen fanden ihn toll. In der Junior High fing es an, da brachte er die ersten nach Hause. Wir haben immer gesagt: „Wenn ihr in deinem Zimmer seid, dann lässt du die Tür offen.“ Es war schwer, ihn die ganze Zeit im Auge zu behalten, weil ich ja arbeitete. Als die Kinder noch klein waren und wir noch in Carson wohnten, arbeitete mein Mann tagsüber und ich nachts. Ich war bei Max Factor angestellt und verpackte Lippenstifte und Make-up und alles Mögliche zum Versand quer durch die USA. Es war ein schöner Job. Nach dem Umzug nach Glendora arbeitete ich bei Ormco; dort wurden kieferorthopädische Gestelle gefertigt. Ich hatte die Aufgabe, die Bestellungen an Ärzte auf der ganzen Welt zu schicken. Man mag es glauben oder nicht, wir haben sogar Zahnspangen für Hunde hergestellt.

Ich erinnere mich nicht daran, dass Vince in der Schule schlecht gewesen wäre. Er hatte nie Probleme, und seine Zensuren waren Durchschnitt. Es lief alles gut, aber er kam auch mit vielen Sachen durch – wissen Sie, mir war gar nicht klar, dass er damals Marihuana rauchte. Valerie hat mir das später erzählt, aber sie war auch kein Engel. Wenn die beiden abends zu spät nach Hause kamen, kletterten sie durchs Fenster ins Haus. Wenn Vince der erste war, machte er es hinter sich zu, damit Valerie nicht mehr reinkam. Sie waren einfach typische Kinder. Manchmal, wenn wir schliefen, haben sie sich das Auto genommen … Valerie jedenfalls. Vince hat sie dann verpetzt.

Irgendwann brachte er Tami mit nach Hause. Sie war damals 17, ein Jahr älter als er. Sie ist bis heute mein Liebling. Wer von den beiden mir zuerst von der Schwangerschaft erzählt hat, weiß ich nicht mehr. Tami war verrückt nach Vince. Aber der hatte inzwischen eine andere Freundin, Shani. Das war eine sehr schwierige Situation. Uns tat Tami so Leid, weil wir sie einfach so gern hatten. Ich sagte ihr damals: „Tami, lauf ihm nicht nach. Das muss nicht sein. Tu dir das nicht an.“ Dann kam Neil zur Welt, und Vince war einfach noch so jung. Tami zog eine Weile bei uns ein, und Vince zog aus. Aber er hatte Neil auf dem Arm, er brachte ihm Geschenke mit und hat ihm zum Beispiel ein Dreirad gekauft. Aber er kümmerte sich nicht so um ihn, wie er es hätte tun sollen. Odie und ich sorgten dafür, dass Neil auf viele Konzerte gehen konnte und seinen Dad so oft wie möglich sah.

Die berühmte Geschichte über die große Rockandi-Party wird ja inzwischen überall erzählt. Das Fest war von Anfang an kein Geheimnis, wir waren nicht etwa verreist zu der Zeit; wir wussten davon. Wir ahnten nur nicht, dass Vince an jedem Telefonmast in der Nähe einen Werbezettel für die Fete aufgehängt hatte. Wir hatten damals einen Swimmingpool im Garten und eine nicht einsehbare Terrasse. Dort wollte die Band spielen, damit die Gäste drinnen und draußen tanzen konnten. Das Ganze war als ganz normale Party geplant, dachten wir jedenfalls. Vince hatte gesagt, es würden höchstens 50 oder 60 Leute kommen.

Noch bevor die ersten Gäste eingetroffen waren, gingen Odie und ich zu den Nachbarn rüber und sagten: „Wisst ihr was, wir könnten doch im Billardcafé um die Ecke eine Runde Pool spielen, während die Kinder ein bisschen feiern.“ Als wir später zurückkehrten, parkten Hunderte von Autos auf dem Rasen, auf dem Gehweg und auf den umliegenden Straßen. Tami saß an der Gartentür vor einer aufgeklappten Zigarrenkiste und kassierte. Wir wussten nicht, dass sie Eintritt nahmen, und ich weiß auch nicht mehr, wie viel es war. Schließlich kam die Polizei mit Megaphonen und forderte alle auf, das Gelände zu verlassen. Das war vielleicht eine verrückte Geschichte. Wir haben noch Monate später Schnapsflaschen im Garten und in den Büschen gefunden.

Eine Sache aus The Dirt möchte ich korrigieren. Odie hat auf dieser Party nicht mit den ganzen Mädchen getanzt. Er war ein erwachsener Mann, er tanzte nicht mit kleinen Mädchen.

Nach dieser Fete waren wir bei jedem Konzert dabei, das in unserer Nähe war. Wir gingen ins Whisky, ins Roxy, in jeden Club in Hollywood, in dem Vince auftrat. Wir haben uns sehr für ihn gefreut. Es war sehr aufregend. Ich weiß noch, wie ich damals dachte: Eigentlich kann er nicht singen, aber er singt. Ich war ziemlich überrascht, weil er vorher eigentlich gar keine Ambitionen in dieser Richtung gezeigt hatte. Deswegen fragte ich die Leute auch immer: „Findet ihr, dass er sich gut anhört?“ Weil ich einfach wissen wollte, ob es anderen Leuten gefiel – ich bin schließlich seine Mutter, dass ich ihn toll fand, war ja nur natürlich. Er hat eine helle, raue Stimme, und auf der Bühne entwickelte er sehr viel Charisma.

Über die Jahre lernten wir Tommys Eltern recht gut kennen, die auch zu allen Konzerten kamen. Als ich Vincent das letzte Mal sah, habe ich noch gefragt: „Wie geht’s denn Tommy so?“ Und Vince drehte sich ganz wütend um und sagte: „Mom, wieso fragst du dauernd nach Tommy? Ich habe keine Ahnung, was zur Hölle der so treibt, okay?“


Nachdem die freien Parzellen zunehmend mit Lagerhallen zugebaut wurden, kam das Viertel immer mehr herunter. Selbst unsere Spiele wurden allmählich brutaler. Meine Freunde und ich trafen uns auf einem unbebauten Grundstück und spielten mit Luftgewehren Krieg. Als das Gaswerk gebaut wurde, hob man riesige Krater für die Tanks aus, und wir spielten dort. Wir schossen tatsächlich auf einander. Ohne Schutzbrillen oder so etwas. Ich kam blutend und voller Quaddeln nach Hause. Meine Mutter schimpfte fürchterlich, während sie mir das Blut von den Schrammen am Kopf oder am Bein abtupfte. „Du kannst von Glück sagen, dass du kein Auge verloren hast!“ Aber ganz ehrlich, das mit den Luftgewehren war gar nichts. Viele Kids, die ich kannte, machten schon richtig ernst und traten irgendwelchen Gangs bei. Kein Scheiß, in der sechsten Klasse hatten sie schon Messer in der Brotbox. Und viele besaßen richtige Schusswaffen. Es ist doch auch allgemein bekannt, dass Kinder in dem Alter, mit 13, 14, 15, die besten Soldaten abgeben. Das sieht man doch an den Kindersoldaten in Afrika und Kambodscha. Ich habe Berichte darüber im Fernsehen gesehen. Sie bekommen eine totale Gehirnwäsche und werden absolut skrupellos. Bei den Straßengangs ist das nicht anders. Glaub mir, ich habe das hautnah erlebt. Ein Typ, den du für deinen Freund gehalten hast, kann sich von heute auf morgen grundlegend ändern.

Die Leute, mit denen ich abhing, waren größtenteils ganz normale, vielleicht ein bisschen ruppige Kids, die den typischen Unfug machten. Wir warfen Steine nach den Autos, die durch unsere Straße fuhren. Manchmal hielten die Fahrer dann an, stiegen aus und verfolgten uns. Ich wurde sogar einmal erwischt. Mein Vater war stinksauer. Das war zu der Zeit, als Evel Knievel angesagt war, deshalb bauten wir Rampen auf den Fußwegen, bretterten mit unseren Fahrrädern drüber und guckten, wie weit wir fliegen konnten. Oder wir bauten uns Go-Karts, hängten sie an die Fahrräder und rasten Straßen mit Gefälle hinunter. Mein Schulweg führte einen Berg hinauf – zur Schule zu gehen, war immer anstrengend, Nachhausekommen hingegen sehr locker. Wir koppelten die Go-Karts an die Fahrräder und hängten uns dann wieder ab. Wir flogen mit den Seifenkisten geradezu um die Kurven und den Hügel hinunter. Manchmal nahmen wir auch ganz altmodische Skateboards, also nicht diese modernen Trend-Teile. Unsere hatten noch Metallräder. Wir waren absolut leichtsinnig. Jeden Augenblick hätte ein Auto um die Ecke kommen, uns erfassen und töten können.

Als ich in der sechsten Klasse war, geriet ich mit vier anderen Kindern – drei schwarzen und einem aus Samoa – zum ersten Mal auf Abwege. Wir kletterten unter einem Stacheldrahtzaun hindurch und schlichen uns an zwei Wachmännern vorbei in eine große Lagerhalle mit Souvenirs. Dort lagen kistenweise diese großen Schneckenmuscheln, Schwämme und Korallen, dieses ganze teure Zeug, das am Strand an die Touristen verkauft wird. Wir packten so viel ein, wie in unsere Rucksäcke passte, und verhökerten den Kram auf der Straße und auf dem Flohmarkt in Compton. Von dem Geld, das ich dafür bekam, kaufte ich mir unter anderem meine erste Musikcassette, Cloud Nine von den Temptations. Meine Eltern waren nicht besonders musikalisch, aber sie hörten viel Musik. Mein Vater liebte Johnny Cash und Creedence Clearwater Revival, und daher wuchs ich damit gewissermaßen auf, aber den Soul entdeckte ich durch die Motown-Plattensammlung meiner Mutter – Stevie Wonder, Marvin Gaye, Al Green, die Four Tops, aber auch frühe Sachen wie Mable John, Mary Wells oder Barrett Strong. Ein bisschen davon findet man vermutlich in meinem Gesangsstil wieder. All diese Gruppen zeichnen sich durch tolle Falsettsänger aus. Ich weiß nicht, ob man das, was ich mache, wirklich als Falsett bezeichnen kann, aber es geht schon ein bisschen in die Richtung. Vielleicht könnte man sagen, dass der klassische Power-Rock-Gesang dem Soul-Falsett etwas ähnlich ist. Darüber müsste man mal nachdenken. Jedenfalls ist es auch eine höhere Tonlage.

Soul ist heute ja Mainstream, aber damals war es wirklich Ghettomusik. Natürlich hörten alle Leute in unserer Nachbarschaft diese Sachen, von daher war das schon mal etwas, das man mit den anderen Kindern gemeinsam hatte. Mein Musikgeschmack erweiterte sich dann um viele Sachen, die ich im Radio hörte, und nach einiger Zeit hatte ich eine beeindruckende Sammlung Vinyl-Singles und Cassetten, unter anderem von Deep Purple, The Guess Who, Paper Lace und allen möglichen anderen Bands. Da war ich erst in der sechsten Klasse. Wenn ich jetzt so an die Zeit zurückdenke, dann galt meine zweite große Leidenschaft dem Sammeln von Matchbox-Autos. Vor der Pubertät ist man noch so unstrukturiert. Man denkt an Sex und spielt noch mit Spielzeugautos. Man ist gleichzeitig in zwei Welten. So vieles kann einen beeinflussen. Meist sind es schlechte Einflüsse.

Zwar finanzierte ich mir meine Sammlungen zum Teil von den fünf Dollar, die ich in der Woche von meinem Vater dafür bekam, dass ich das Auto wusch und bei der Hausarbeit half; damals bekam man auf den Flohmärkten für fünf Dollar noch eine ganze Menge. Aber ich drehte auch schon ein paar krumme Dinger. Meine Eltern arbeiteten inzwischen beide, damit wir über die Runden kamen. Sie hatten überhaupt keine Ahnung, was ich so trieb. Schließlich liefen die Dinge völlig aus dem Ruder, und die Polizei erwischte mich in einer Lagerhalle, wo ich am helllichten Tag mit einer Kiste geklauter Gartengeräte unterwegs war. Sie legten mir Handschellen an, schubsten mich in einen Polizeiwagen und fuhren mit mir nach Hause. Meine Eltern waren nicht gerade begeistert. Was dann geschah, weiß ich nicht mehr. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich hart bestraft worden bin. Aber ich erinnere mich nicht mehr daran.

Meine Schwester und ich waren inzwischen die einzigen weißen Kinder in unserer Schule. Die Lage im Viertel wurde immer schlimmer. Wenn wir aus dem Haus gingen, bekreuzigte meine Mutter sich und betete darum, dass keiner von uns eine verirrte Kugel abbekam.

Eines Abends wurden die schlimmsten Befürchtungen meiner Mutter beinahe wahr. Eine Kugel durchschlug die Fensterscheibe des Zimmers meiner Schwester, das zur Straße hinausging. Wir hatten eines dieser Häuser mit einer kleinen Veranda. An den Straßennamen kann ich mich noch erinnern: Dimondale Drive, zwischen der Wilmington Avenue und Del Amo Boulevard. Warte, ich hole schnell mein iPhone raus, wir gucken uns das mal auf Google Maps an. Ich weiß genau, wo es ist. Man fährt auf der 405 nach Carson rein. Hier ist es schon. Wilmington! Hier! Und da ist der Del Amo Boulevard. Und hier … hier ist der Dimondale Drive. Scheiße, ich kann dir mein Haus zeigen! Hier bin ich immer zur Schule gegangen, das ist die Sackgasse gegenüber von unserem Haus. Wir wohnten in Nummer … ich glaube, es war 1836. Das Haus hier! Nein, es war wohl eher 1832. Oder das hier? 1834? Nee, ich erinnere mich doch nicht mehr genau, aber es war bestimmt eines von diesen Häusern. Und wenn man etwas weiter scrollt … hier ist meine Grundschule, die Broadacres Elementary. Es war nicht weit, nur ein paar Straßen. Wow! Scheiße, die gibt’s noch, das haut mich um. Auf der anderen Straßenseite war ein großes, freies Feld – da fuhren wir immer mit dem Fahrrad herum, bis sie später einen Industriekomplex dort bauten. Danach ging es ja los, dass meine Freunde und ich anfingen, dort einzubrechen und irgendwas zu klauen. Auf der anderen Straßenseite waren diese ganzen Lagerhäuser. Gelegenheit macht Diebe, könnte man sagen.

Als das mit der Kugel passierte, saßen wir in der Küche bei einem Brettspiel, die ganze Familie. Unser Haus war so, dass man hier reinkam, rechts war die Garage, die Haustür war in der Mitte und das Schlafzimmer war vorne links. Das Wohnzimmer lag hinter der Küche, und eine große Schiebetür aus Glas führte in den Garten. Dann gab es noch drei weitere Zimmer. Unsere Familie spielte gern, klassische Spiele wie Monopoly, aber auch Karten. Mein Vater und ich spielten auch oft so ein kleines Footballspiel, das man auf den Tisch stellen konnte, mit einem Feld aus grünem Metall und kleinen Figuren, die vibrierten. Wir waren eine ganz normale, solide Familie, würde ich sagen. Vielleicht war ein bisschen viel Alkohol im Spiel. Meine Mom und mein Dad tranken beide ganz gern mal was.

Plötzlich hörten wir Schüsse. Das tat man nun in unserer Gegend ziemlich oft, aber normalerweise nicht so nah. Wir machten das Licht aus und flüchteten ins Wohnzimmer, weil das keine Fenster zur Straße hatte, und dort schliefen wir schließlich auch, auf dem Fußboden. Es war ziemlich Furcht einflößend. Um mich selbst hatte ich gar nicht so viel Angst, aber um meine Eltern. Am nächsten Morgen gingen wir dann ins Zimmer meiner Schwester und sahen, dass ein Einschussloch in der Fensterscheibe war.

Ein paar Tage später kam dann in den Nachrichten im Fernsehen oder in der Zeitung, dass ein paar Kids aus der Nachbarschaft an der örtlichen Highschool einen Lehrer aus einem Fenster im dritten Stock gestürzt hatten. Das war für meine Eltern der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Sie wollten nicht, dass wir in so einer Gegend auf die Junior High kamen, verstehst du? Wenn es da so wild zugeht, dass die Lehrer zusammengeschlagen und aus dem Fenster geworfen werden, wer will denn dann sein Kind dorthin schicken? Also sagten meine Eltern: „Das reicht, wir ziehen um.“ Sie boten das Haus zum Verkauf an, aber wir beendeten das Schuljahr noch in unseren alten Klassen. Im Sommer schickten meine Eltern meine Schwester und mich nach West Covina zu unserer Tante.


Als ich in die siebte Klasse kam, war ich noch immer unter der Adresse meiner Tante gemeldet, da meine Eltern weiter nach einem neuen Haus suchten. Es war ein ganzes Stück nordöstlich von unserem alten Viertel, östlich von Pasadena, zwischen dem Freeway 210 und den San Gabriel Mountains. Mitten im Schuljahr zogen meine Eltern dann nach Glendora, und ich kam in die dortige Schule, die Sunflower Junior High. Gleichzeitig bekam meine Mutter einen besseren Job in einer Firma, die Zahnspangen herstellte. Die Immobilienpreise waren in Glendora vermutlich höher. Damals hatte ich von diesen Dingen keine Ahnung. Welches Kind hat das schon?

Ich muss zugeben, ich war in der Schule ziemlich schlecht, abgesehen von den Stunden bei Mrs. Anderson. Wie man sich vorstellen kann, war der Unterricht an der Sunflower, die ja in einem besseren Viertel lag, wesentlich anspruchsvoller als an der Broadacres. Mir fiel es schwer, einen einfachen Satz zu schreiben. Wie sich dann später herausstellte, hatte ich Legasthenie, wenn auch nicht so richtig schlimm – ich kann ganz gut lesen, obwohl ich das auch vermeide. Es geht halt nur langsam. Schreiben fällt mir enorm schwer. Wenn ich versuche, etwas aufzuschreiben, dann dauert das ewig. Ich verwechsle Zahlen, und es ist einfach unheimlich schwierig. Wenn mir jemand sagt, ich soll mal einen Brief schreiben, ist das für mich eine Riesenaufgabe. Ich brauche unheimlich lange dazu. Dann purzeln bei mir dauernd die Buchstaben in Druck- oder Schreibschrift durcheinander – ich benutze beides, was die Sache nicht besser macht. Aber statt Förderunterricht zu nehmen oder mich irgendwie dem Problem zu stellen, tat ich alles, um diese unangenehme Arbeit zu vermeiden … manche Leute werden vielleicht sagen, dass das auch heute noch typisch für mich ist. Ich ging einfach nicht mehr hin. Welches Kind mag schon zugeben, dass es eine Lernbehinderung hat? Die Schule hat auch nicht viel unternommen. Ich wurde einfach immer wieder in die nächste Klasse versetzt.

Ein echtes Highlight in der neuen Umgebung war die Footballmannschaft. Wir spielten Flag Football, eine Abart des American Football. Das machte mir Riesenspaß, obwohl ich im Baseball eigentlich immer besser war; ich spielte in der Verteidigung, ich glaube, als Cornerback. Der Umzug und die neue Schule bedeuteten natürlich lauter neue Leute. Damals hatte ich ein paar Freunde, aber nicht sehr viele. Ich machte halt bei allem mit, verstehst du? Aber eigentlich kannte ich niemanden so richtig.

Wir waren damals alle total fasziniert von den Beatles. Sogar im Musikunterricht wurde darüber diskutiert, ob Paul tot war, wir suchten alle möglichen Hinweise heraus und hörten die Platten rückwärts, um die geheimen Botschaften zu entschlüsseln, die gerüchteweise darauf zu entdecken waren. Das war ziemlich faszinierend. Daran kann ich mich bis heute erinnern. Schon damals orientierte ich mich in Richtung Musik. Und ich zählte zu den ersten in meiner Klasse, die sich die Haare wachsen ließen. Ich fand den Look einfach toll. Damals trugen alle Jeans und Muschelketten und so was. Ich glaube nicht, dass ich bewusst irgendeinem Trend folgen wollte. Es war einfach nur so, dass alle so etwas anhatten. So was kaufte deine Mutter dir einfach.

Auf dem Weg zur Schule, in der siebten Klasse, fand ich eines Tages ein Porno-Taschenbuch, ein Sexhandbuch mit Fotos. Die abgebildeten Leute, Fotomodelle oder was weiß ich, sahen ziemlich normal aus. Sie waren alle nackt, und sie nahmen diese ganzen verschiedenen Stellungen ein – es sah aber eher so aus, als würden sie das zu rein demonstrativen Zwecken tun, sie guckten ziemlich finster dabei. Als sei das eben ein Job, und nicht, als ob sie Spaß dabei hätten. Es war ziemlich komisch. Natürlich wollte jeder in der Schule das Buch mal angucken, alle meine Freunde und die Jungen in meiner Klasse. Aber ich beschloss, es nicht aus der Hand zu geben. Stattdessen versteckte ich meinen kleinen Schatz unter einem Haufen Gerümpel im Schuppen unserer Nachbarn. Jeden Tag riss ich zehn Fotos heraus und verkaufte sie an der Schule für einen Vierteldollar. Nachdem ich so um die 70 Bildchen an den Mann gebracht hatte, sprach sich das herum. Ein paar Idioten hatten sich die Seiten, die sie von mir gekauft hatten, an die Türen ihrer Spinde in der Umkleidekabine geklebt. Der Sportlehrer flippte natürlich aus, und die Jungs knickten sofort ein und verpetzten mich. Es dauerte keine Stunde, und ich war von der Schule suspendiert. Auf dem Heimweg dachte ich mir einen Plan aus. Ich wollte mir den Rest des Buches holen und ein letztes Geschäft machen – die letzten Seiten wollte ich komplett für fünf Dollar verkaufen und dann aus dem Porno-Geschäft aussteigen. Ich hatte mir auch schon überlegt, wem ich die Bilder anbieten wollte. Aber als ich zum Schuppen kam … war das Buch verschwunden. Eines der großen Geheimnisse meiner Kindheit. Meine Tage als Pornograf waren vorbei – zumindest bis heute.

Valerie Wharton Saucer

Vince Neils Schwester

Der Mädchenname meiner Großmutter lautete Ortiz, aber wir sind nicht mexikanischer Abstammung. Unsere Vorfahren waren Spanier. Meine Oma sprach Spanisch, allerdings nur mit ihrer Schwester. Vince sagte irgendwann einmal in einem Interview, dass er mexikanisches Blut habe, und meine Oma war richtig beleidigt: „Was erzählt Vince da? Ich bin keine Mexikanerin. Ich bin Spanierin!“ Ich glaube, Vince war der Unterschied nicht wirklich klar. Die Familie war vor langer Zeit aus Spanien eingewandert und schließlich in New Mexico gelandet. Wir stammten aber nicht aus Mexiko.

Vince und ich kamen im Abstand von 16 Monaten zur Welt; die meisten Leute hielten mich für die Ältere. Was Unsinn ist, ich bin jünger als er. Meine Mutter hat früher auch immer erzählt, es wären 18 Monate, aber irgendwann fing ich an, mal nachzurechnen, und habe dann zu ihr gesagt: „Mom, weißt du, wir sind 16 Monate auseinander, keine 18.“ Und sie war ganz verblüfft: „Ehrlich?“ Bei uns nennt man Geschwister mit so engem Abstand irische Zwillinge. Aber deshalb sind wir natürlich auch keine Iren.

Als wir noch klein waren, gab es in unserem Viertel noch keine Probleme, es war eine nette Gegend. Wir spielten draußen, fuhren Fahrrad oder spielten Hüpfkästchen, ganz normale Sachen halt. Später wurde es immer gefährlicher. Einmal wurde unser Haus beschossen. Wir duckten uns damals im Wohnzimmer auf den Boden. Ob eine Kugel wirklich ins Haus einschlug, weiß ich nicht mehr. Aber an die Geräusche erinnere ich mich. Meine Mutter war zu Hause, Dad war auf der Arbeit. Mom rief uns zu, wir sollten uns flach hinlegen, und wir warfen uns im Wohnzimmer auf den Boden. Als mein Vater später nach Hause kam und von der Sache hörte, sagte er: „Wir müssen hier raus.“ Das Problem war vor allem, dass in dem Mietshaus auf der anderen Straßenseite eine Gang ihr Hauptquartier hatte. Sie machte uns ständig das Leben schwer. Meine Mutter traute sich kaum nach draußen. Sie war blond, sie hatte richtig hellblondes Haar. Diese Typen riefen ihr ständig irgendwas hinterher, pfiffen ihr nach und taten so, als wollten sie sie anmachen. Sie hatte Angst.

Meine Mutter arbeitete nachts. Wenn wir aus der Schule nach Hause kamen, fuhr sie los. Wir waren unter der Woche jeden Tag ein oder zwei Stunden allein. Meist stritten wir uns darüber, was wir im Fernsehen sehen wollten, solche Sachen eben. Nach draußen durften wir nicht. Wir mussten drinnen bleiben, bis mein Vater nach Hause kam. Also waren wir darauf angewiesen, dass wir miteinander spielten, und ich denke, wir waren uns schon recht nahe. Natürlich hatten wir Streit, aber ich glaube, das ist zwischen Bruder und Schwester immer so. Vor allem, wenn man fast im gleichen Alter ist – er versuchte immer, mich herumzukommandieren. Vince braucht immer Leute um sich herum, das ist bis heute so geblieben. Er ist nicht gern allein zu Hause. Keine Ahnung, woran das liegt. Vielleicht ist er einfach nur ein bisschen unsicher. Er braucht immer jemanden in seiner Nähe.

Vince hat ein großes Herz. Als ich in der sechsten Klasse war und er in der siebten, wollte ich unbedingt zu dem Tanzball, den meine Klasse an der Sunflower Junior High veranstaltete. Meine Freundinnen sollten mich zu Hause abholen, und dann wollten wir zusammen hingehen. Sie ließen sich aber nicht sehen, und ich weinte richtig, weil ich unbedingt auf diesen Ball wollte. Schließlich sagte Vince: „Val, komm schon, ich bringe dich hin.“ Er hat mich begleitet und dort so lange gewartet, bis meine Freundinnen aufkreuzten. Er wusste, wie viel mir diese Veranstaltung bedeutete, und es tat ihm weh, dass ich so traurig war.

Er traf sich später öfter mit ein paar Kumpels an einer Rollschuhbahn, wo sie laut Musik hörten und dazu die Sänger nachmachten. Ich kam oft dazu, meist fuhr ich heimlich mit dem Auto meiner Eltern dorthin. Einmal kam Vince nach Hause und fragte: „Sag mal, Val, warst du mit dem Auto unterwegs?“ Und ich antwortete: „Ja, aber sag’s bitte nicht Mom und Dad!“ Er grinste mich an und meinte: „Geh rein, Val.“ Ich glaube, seit dieser Zeit hielt mich Vince für cool. Vorher war ich halt die kleine Schwester, die nie etwas Unrechtes tat. Aber nun merkte er wohl, hey, Val ist gar nicht so verkehrt. Und bestimmt fand er es gut, dass er etwas gegen mich in der Hand hatte.

Als es mit Rockandi losging, war Vince noch nicht der coole Rocker. Sie waren eine ganz normale Garagenband und haben tatsächlich bei uns in der Garage geprobt. Mein Dad hat Vince ein Mikrofon gekauft. Am Anfang haben die Leute eigentlich immer gesagt, der Typ nervt, seine Stimme ist nicht gut und so. Aber ich denke, dass die meisten Sänger so was am Anfang zu hören bekommen, und es gibt wohl niemanden, der wirklich allen gefällt. Ich fand ihn jedenfalls cool. Na ja, ein paar Songs waren schon eher peinlich. Zum ersten Mal hörte ich ihn auf einer dieser großen Party bei uns zu Hause singen. Und da fand ich ihn total schlecht und dachte: Mann, der kann echt nicht gut singen. Aber ich merkte auch: Hey, er hat seinen Spaß, genau wie wir alle. Das war wirklich so, Rockandi sorgten für eine Superstimmung, deswegen war es dann für mich okay. Aber mein erster Eindruck war tatsächlich: Scheiße, er singt nicht gut. Wahrscheinlich war ich besonders pingelig, weil er mein Bruder war. Von wegen: Was macht er denn jetzt, was soll das denn? Damals konnte ich mir wirklich nicht vorstellen, dass das irgendwohin führen, geschweige denn, dass er berühmt werden würde. Ganz bestimmt nicht. Nicht eine Sekunde.

Seine Schwester zu sein, das ist … Nach und nach lernt man, dass man den Leuten besser nicht erzählt, wer man ist. Ich tue es jedenfalls nicht. Okay, in der Signatur meiner Geschäfts-E-Mail für mein Immobilienunternehmen steht „Häuser für Sie und Ihre Crüe“, aber ich weise nie direkt darauf hin und erkläre diese Zeile nur, wenn jemand fragt. Weil man nie weiß, ob die Leute einen wirklich mögen oder nur deshalb, weil man Vince Neils Schwester ist. Das habe ich ziemlich schnell erfahren müssen. Und jetzt halte ich den Mund. Ich sage niemandem was, schon seit Jahren nicht mehr.

Vince hat mir einmal diesen tollen Ring geschenkt, mit einem Rubin drin. Total cool. Okay, er war nicht unbedingt mein Stil, aber er war trotzdem total schön. Und er hat mir auch mal eine tolle Sonnenbrille mitgebracht. Ein paar Mal, als ich Geld brauchte, bin ich auch zu ihm gegangen. Es ging nicht um große Summen, aber ich stand wirklich mit dem Rücken zur Wand, und er hat mir ausgeholfen. Ich bin nicht der Typ, der andere um etwas bittet. Ich brauche auch nichts – uns geht es hier in Utah sehr gut, und meine Eltern leben in der Nähe und kümmern sich auch mal um die Kinder. Ich bitte um nichts. Ich brauche nichts. Die Leute sagen manchmal: „Mann, ist doch Wahnsinn, wieso fragst du ihn nicht, ob er dir ein neues Auto kauft? Oder ein Haus?“ Weil ich doch schließlich Maklerin bin. Aber das mache ich nicht. Wenn Vince mir etwas schenken will, dann ist das schön, aber ich bitte nicht darum. Er hat meinen Eltern ein Auto geschenkt, das war cool. Er ist ein guter Mensch. Ein wirklich guter Mensch.

Eine Geschichte muss ich noch erzählen – die Sache mit dem zweiten Namen meiner Tochter, die am 19. Juni 1997 zur Welt kam. Als ich von der Schwangerschaft erfuhr, beschloss ich, dass sie Samantha heißen sollte, und mit zweitem Namen Skye, nach Skylar. Aber dafür wollte ich erst die Erlaubnis von Vince einholen. Eines Tages war ich mit meinem Mann Guy und meinen Eltern dann einmal bei ihm zu Besuch, und ich habe ihn gefragt, ob er etwas dagegen hätte. Vince sah mich mit Tränen in den Augen an und meinte: „Natürlich geht das, Val. Du kannst sie auch gern Skylar nennen, wenn du willst.“ Aber da sagte ich: „Nein, das würde ich dir nicht antun wollen. Ich möchte nur, dass sie mit zweitem Namen Skye heißt.“

Und Vince erwiderte: „Ich würde mich geehrt fühlen.“ Das war ein schönes Gefühl.


Als ich 15 war, bekam ich von meinem Dad einen Chevy-Pickup, Baujahr 53. Ich motzte ihn ganz allein wieder auf, das war eine echte Herausforderung. Mit 15 hatte ich ja noch keinen Führerschein, aber schon ein Auto. Irgendwie blöd. Schon gemein, einem aufmüpfigen 15-Jährigen eine solche Versuchung vor die Nase zu halten! Wahrscheinlich hatte es sich irgendwie ergeben – mein Dad war ja KFZ-Mechaniker, hatte diesen Wagen vermutlich zufällig entdeckt und wusste, dass er ein so ein großartiges Schnäppchen war, dass er nicht Nein sagen konnte. Ich werde ihn ewig dafür lieben, dass er mir diesen Truck gekauft hat. Klar, es steckte viel Arbeit drin, aber der Motor war spitze.

Meinen Eltern hatte ich versprechen müssen, dass ich nicht damit fahren würde. Aber die beiden arbeiteten tagsüber, und oft genug fuhr ich dann mit dem Ding einfach zur Schule. Schon bevor ich ein eigenes Auto bekam, hatte ich mir dafür manchmal den 68er Buick Riviera meiner Mutter ausgeliehen – ein toller, klassischer Wagen. In den Klassenstufen der Junior High fuhr natürlich sonst keiner der Schüler mit dem Auto vor – der Parkplatz war nur für Lehrer.

Diesen Truck habe ich echt geliebt. Ich habe jahrelang an ihm rumgeschraubt und alles Mögliche verbessert. Er hatte noch richtige Trittbretter, aber eigentlich keine Farbe, er war nur grundiert, allerdings nicht grau, sondern braun. Später brachte ich an beiden Seiten verchromte Auspuffrohre an, die unter den Trittbrettern verliefen. Für das Rückfenster nähte mir meine Mutter Hawaii-Vorhänge, und auch die Sitze wurden wieder schön aufgemöbelt. Die Türfüllungen verkleidete ich mit Polstern, deren Heftung durch die Knöpfe so ähnlich aussah wie bei einem Sofa im Feelgoods. Dafür besorgte ich mir Schaumstoff, Leder und Knöpfe. Dann schraubte ich die alte Füllung raus, nahm sie hoch, überzog sie neu und klemmte sie wieder rein. Die Heckklappe zierte ein orangefarbener Sonnenuntergang, den ich extra dort aufgeklebt hatte, damit ihn jeder sah, der hinter mir herfuhr. Die Halterungen für meine Surfbretter waren auf dem hinteren Teil der Ladefläche angebracht. Der Wagen hatte große, schimmernde Räder, er sah wirklich total cool aus, außerdem hatte er ein Sechsganggetriebe mit Lenkradschaltung. Die habe ich irgendwann ausgebaut und durch eine im Boden verankerte Gangschaltung ersetzt. Das habe ich alles selbst gemacht, die Auspuffrohre befestigt und die Gangschaltung mit dem Getriebe verbunden und so. Mit 15, 16 Jahren. Klar habe ich immer mal wieder meinen Vater um Rat gefragt, aber das meiste habe ich allein fertig bekommen. Mechanische Arbeiten fielen mir schon immer leicht, und ich konnte mich gut in Sachen reindenken. Wenn irgendwas nicht funktioniert, egal was, kann ich es meistens reparieren. Meine Frau findet das zu Hause ziemlich praktisch.

Die Charter Oak High School war nicht mehr als anderthalb Straßen von der Sunflower Junior High entfernt. Direkt auf der anderen Straßenseite war ein riesengroßer Park, der Charter Oak Park. Dort gab es zwischen den Bäumen ein paar Baseballfelder. Es war kein Wald, eher ein normaler Stadtpark mit Bäumen, Gras, freien Flächen und Bänken. Hier hing man rum, wenn man auf die Highschool ging.

Es gab verschiedene Cliquen. Zum Beispiel die Kiffertypen und einen ganzen Surfer-Clan. Dann natürlich die Sportskanonen, die Schickimickis und die Cheerleader, diese Typen aus besseren Kreisen, die In-Crowd. Jede dieser Gruppen hatte ihr Revier im Park. Auf der anderen Seite des Geländes war eine Schule für die Kids, die mit den Anforderungen der normalen Highschools nicht zurecht kamen. (Dort ging ich später auch hin, ebenso wie Tami, die Mutter meines ersten Kindes, von der ich noch erzählen werde.) Diese Kinder waren natürlich auch im Park, und die waren schon eine wilde Bande. Die meisten von ihnen gingen nicht unbedingt gerade Wege, aber das war manchmal gar nicht ihre eigene Schuld; sie waren durch die Umstände so geworden. Mir ist klar, dass es viele Leute gibt, die eine viel schlechtere Kindheit hatten als ich. Wenn ich mich einer dieser Gruppen zugehörig zählen müsste, dann wohl am ehesten den Kiffern. Aber hauptsächlich war ich auch deswegen in dem Park unterwegs, weil er gewissermaßen meinen Schulweg darstellte; unser Haus lag auf der anderen Seite.

Als ich zum ersten Mal Marihuana rauchte, war ich mit einem Mädchen zusammen, meiner ersten Freundin. Sie hieß Penny Panknin. Wir waren bei ihr zu Hause, rauchten einen Joint oder auch ein paar mehr und kasperten ein bisschen herum. Da war ich zum ersten Mal high.

Das zweite Mal mischte ich Pot mit PCP, einem Beruhigungsmittel für Pferde, das man auf der Straße auch Angel Dust nennt. Ich war mit vier Freunden ins Autokino gefahren, und wir guckten Trans-Amerika-Express, einen ziemlich albernen Film mit Richard Pryor und Gene Wilder. Mein Freund John Marshall reichte mir die Pfeife, und ich wusste damals noch nicht, wie stark man daran ziehen musste. Allerdings wollte ich mich auf keinen Fall als Weichei zu erkennen geben und fragen. Also habe ich richtig einen durchgezogen und war nachher so fertig, dass ich mich kaum noch bewegen oder etwas sagen konnte. Das war echt ein so heftiger Rausch – ich wünschte mir nichts sehnlicher, als dass er aufhörte. Wir sind dann noch alle in Panik geraten, als einer von den Ordnern ans Fenster klopfte. Als John die Scheibe runterkurbelte, quoll der ganze Rauch nach draußen und ich dachte, scheiße, wir kommen garantiert alle in den Knast.

Aber der Typ sagte nur ganz cool, John solle doch bitte den Fuß von der Bremse nehmen, weil die Bremslichter die Leute irritierten, die hinter uns parkten.

Danach stieg ich aus und stolperte zur Snackbar, die sich im hinteren Bereich des Autokinos befand. Zwar stand ich total neben mir, aber ich hatte auch einen Wahnsinnshunger. Die Frau, die mich bediente, vermutete wahrscheinlich, einen totalen Idioten vor sich zu haben, weil ich kaum einen Satz herausbekam. Schließlich zeigte ich einfach auf das, was ich wollte, und holte eine große Tüte Popcorn und ein paar Becher Limo, aber das meiste verschüttete ich auf dem endlosen Weg zurück zum Auto. Es war, als ob ich auf wackelnden, primitiven Planken über eine Schlucht ging. Dass ich das Auto überhaupt wiederfand, war ein Wunder. Am nächsten Tag rauchte ich noch mehr, hauptsächlich deswegen, weil das Zeug eben da war.

Später entdeckte ich eine bestimmte Sorte weißer Pillen mit einem Kreuz, bei der es sich um pharmazeutisch entwickelten Speed handelte. Die Dinger wurden in kleinen Päckchen aus Folie gehandelt und damals wahrscheinlich hauptsächlich an Trucker verkauft. Wenn ich sie mit Angel Dust und Pot mischte, verwandelte ich mich in einen sabbernden Irren mit Schaum vor dem Mund, der völlig ausrastete.

Ich war 15, ich war ein Frischling an der Highschool. Wir knallten uns jeden Tag mit irgendwas die Birne zu, wenn wir uns nach der Schule im Park trafen. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass es schwer gewesen wäre, Drogen aufzutreiben. Jeder nahm irgendwas, verstehst du, das Zeug war einfach da. Das war ja auch die Zeit damals, Mitte der Siebziger. Wenn jemand was dabei hatte, dann hat er das mit den anderen geteilt. Wir haben alles probiert. Viel dafür bezahlt haben wir auch nicht. Vielleicht mal hier oder da fünf Dollar. Joints gab’s für einen Dollar oder so. Wir gaben das Geld, das wir fürs Mittagessen mitbekamen, für Drogen aus. Und dann gingen wir in fremden Sphären schwebend in den Englischunterricht. Die Lehrerin fragte mich irgendwas, und ich starrte sie einfach nur an. Hallo? Als ich mal vor der Schule Angel Dust genommen hatte, wanderte ich nur ziellos durch die Flure, hatte keine Ahnung, wo ich war, und stieß dauernd gegen irgendwelche Dinge, weil man von dem Zeug richtige Halluzinationen bekommt. Ich wurde auch mal zum Schulleiter geschickt, weil ich total drauf im Unterricht hockte. Ein paar Stunden später griff man mich auf, weil ich orientierungslos über den Football-Platz irrte.

Als ich Tami kennen lernte, hatte ich mir kurz zuvor im Skater-Park von Glendora das Bein gebrochen, und sie fand es irgendwie wohl süß oder sexy, dass ich auf Krücken herumhumpelte. Eines Nachmittags schliefen wir schließlich miteinander in meinem Pickup auf einem Parkplatz. Es war sehr heiß; ich erinnere mich noch daran, wie mir die Sonne auf den Hintern brannte. Eigentlich hatte ich mich erst gar nicht in Tami verliebt, ich mochte sie mehr als gute Freundin. Wir hingen immer mit ein paar anderen im Park ab, und ich stand viel mehr auf ein Mädchen namens Laurie, Laurie Ruck. Sie war mit Tami befreundet, und ich weiß auch nicht, wie es dann passierte, jedenfalls war ich schließlich irgendwann mit Tami statt mit Laurie zusammen. Wir gingen eine Weile miteinander, und wir hatten auch öfters Sex. Ich hatte zu meiner Highschool-Zeit einige Beziehungen mit Mädchen. Da meine vertrauensseligen (oder desinteressierten) Eltern den ganzen Tag zur Arbeit waren, brachte ich viele Mädchen in der Mittagspause mit nach Hause. Eine hieß Candi Hooker – Hooker wie Hure, das ist kein Witz. Ihr Vater hatte den Hooker-Fächerkrümmer für Rennwagen erfunden. Was hat der sich bloß gedacht, als der ihr noch dazu diesen nuttigen Vornamen gegeben hat?

Mein Kumpel John Marshall und ich gingen inzwischen öfter zu dieser Rollschuhbahn in der Nähe der Schule und versuchten, dort Mädchen aufzureißen. Aus irgendeinem Grund kamen wir darauf, uns für einen Wettbewerb anzumelden, bei dem man einfach nur so tun musste, als ob man zur Musik sang. Wir nahmen das richtig ernst und machten uns mit Schlaghosen und Polyesterhemden richtig fein. Manche Leute haben später erzählt, wir hätten Perücken getragen, aber daran kann ich mich nicht erinnern. Wir bewegten die Lippen zu einem Song von Bachman-Turner Overdrive, „Let It Ride“. Das war im Grunde wie Luftgitarrespielen. Und bei dem Auftritt wurde mir klar, dass ich es liebte, auf der Bühne zu stehen. Ich sprang herum, tanzte und warf den Mikrofonständer hin und her. Das Publikum war begeistert, vor allem die Mädchen. Wir gewannen nicht nur unseren Wettbewerb, ich konnte an dem Abend auch noch bei einer Braut landen.

Das nächste Mal fuhren wir zu einer anderen Rollschuhbahn im Valley. Wir trugen verschiedene Outfits und brachten „You Really Got Me“ von den Kinks. Und wir gewannen schon wieder! Und nun tingelten wir von einem Nachahmer-Wettbewerb zum anderen, wie sie überall in der Gegend stattfanden, auf einer Rollschuhbahn in Rancho Cucamonga oder in einem Einkaufszentrum in Diamond Bar. Ich habe immer gesagt, dass ich in erster Linie ein Entertainer bin. In mir steckt wohl schon ein kleiner Poser. Als damals das erste Van-Halen-Album rauskam, zog ich mich wie David Lee Roth an – es war Halloween – und brachte wieder „You Really Got Me“. Dieses Mal wurde ich Zweiter. Es war nur So-tun-als-ob, wir sangen nicht richtig. Aber das Publikum war echt. Die Mädels zeigten noch nicht ihre Brüste, aber die Saat war definitiv ausgebracht. Später traten Van Halen auf ihrer ersten Tour in der Long Beach Arena auf, und ich verkaufte draußen T-Shirts, um ein bisschen Geld zu verdienen. Aber ich konnte sie drinnen spielen hören und fragte mich die ganze Zeit: Was die jetzt wohl da drinnen tun? Ich wüsste zu gern, was da los ist. Da habe ich bereits davon geträumt, in der Halle zu stehen, auf einer so großen Bühne, mit einer echten Band – und zu singen.

Zwei Monate, nachdem Tami und ich das letzte Mal zusammen gewesen waren, kam sie zu mir und sagte mir, sie sei schwanger und wolle das Kind behalten. Einfach so. Es war ein echter Schlag in die Magengrube. Ich meine, natürlich fühlte ich mich verantwortlich. Das wird einem ja eingebrannt, nicht wahr, dass man tun muss, was sich gehört. Ich hatte das Gefühl, es würde von mir erwartet, dass ich dieses Mädchen, das ich kaum kannte, liebte und mit ihr eine Familie gründete. Aber ich liebte sie eigentlich nicht. Ich wollte nicht einmal eine feste Freundin – ich hatte viel zu viel Spaß (und Erfolg) dabei, unbekümmert herumzuvögeln.

Aber als mir klar wurde, dass sie das Kind wirklich zur Welt bringen wollte, versuchte ich, irgendwie mitzuspielen und ihr ein richtiger Partner zu sein, der sich um sie und das Kleine kümmerte. Wir verbrachten viel Zeit zusammen, und ich war für sie da, als sie von der Schule flog; schwangere Mädchen durften damals nicht den Unterricht besuchen.

Mein Sohn, Neil Jason Wharton, kam am 3. Oktober 1978 zur Welt. Ich selbst wurde am 8. Februar 1961 geboren – den Rest kann man sich ja ausrechnen. Ich ging noch zur Schule, und man konnte es drehen und wenden, wie man wollte, ich war ein Teenie-Vater.

Damals arbeitete ich nebenbei als Roadie, um mir ein bisschen Geld dazu zu verdienen, und ich lud gerade das Equipment für ein Konzert der Runaways aus, als meine Mutter auf den Parkplatz bretterte und mir mitteilte, dass ich nun ganz offiziell Vater war. Was das bedeutete, wurde mir aber wirklich erst klar, als ich zum ersten Mal dieses kleine Bündel sah, dem ich das Leben geschenkt hatte. Mit den Gefühlen, die ich damals empfand, kam ich überhaupt nicht klar. Es war viel zu intensiv, um es zu begreifen. Ich sah meinen kleinen Sohn an und war sofort in ihn verschossen. Und dann bin ich wahrscheinlich irgendwohin, um mich zuzudröhnen. Weiß ich nicht mehr. Ich konnte das nicht glauben, ich hatte null Ahnung, was ich mit einem Kind anstellen sollte. In der Schule war das ein echter Witz: Ich war der einzige an der Charter Oak High, der Alimente zahlte. Ich konnte allerdings nicht darüber lachen.

Am Anfang habe ich es ja wirklich versucht. Ich wollte der feste Freund, der Ehemann sein. Der Vater. Ich war noch so jung. Tami war echt cool, wir kamen immer toll miteinander aus. Sie hat sich mir gegenüber nie, wirklich niemals schlecht verhalten. Sie war eine total coole Frau, und ich mochte sie wirklich. Ich war nur einfach noch nicht reif genug für die Vaterrolle. Rückblickend wünschte ich, ich hätte mich mehr gekümmert. Aber ich konnte das nicht. Als Neil geboren wurde, fiel es mir echt schwer, diese Verantwortung zu übernehmen. Eine Zeitlang wohnte Tami bei meinen Eltern, und ich zog schließlich aus, woanders hin. Ich meine, ich habe es eine Zeitlang echt versucht. Aber irgendwie konnte ich das nicht.

Ich ging schließlich noch öfter surfen als früher, das war wie eine Flucht. Es war so friedlich. Zum Strand fahren, ein paar Joints rauchen, und dann gab es nur noch dich und deine Kumpels und die Wellen, den Adrenalinrausch. Falls du nicht von der Küste stammst und nie gesurft hast, dann warst du vielleicht schon mal Snowboardfahren. Das ist ähnlich, könnte ich mir vorstellen. Auf einem Brett so richtig schnell den Hang hinunterrasen. Bis zum Strand war es von uns aus ganz schön weit, das musste man schon wirklich wollen. Wir stapelten unsere ganzen Sachen in meinem Truck oder in irgendeinem anderen Auto und fuhren los. Man brauchte gut eine Stunde, je nach Verkehrslage. Manchmal ging ich nicht mal zur Schule. Ich warf das Surfbrett hinten über die Grundstücksmauer, rief noch schnell: „Okay, Mom, ich fahr jetzt zur Schule“, sammelte das Brett auf dem Weg zum Auto schnell ein und brauste los. Dann holte ich meine Freunde ab und wir machten uns auf nach Huntington Beach oder Seal Beach. Ich hab nicht jeden Tag geschwänzt, es war nicht so, dass ich wochenlang nicht hingegangen wäre. Aber wenn ein besonders schöner Tag war, an dem man eben gut surfen konnte, dann dachten wir uns, scheiß drauf. Das war dann wie in dem Film Ferris macht blau.

Ich war kein besonders guter Surfer, aber ich war auch nicht schlecht. An der Schule gab es auch ein Surferteam, wir traten gegen andere Schulen an. Zwar war das eher informell, aber wir waren doch ein Team. Nach den Treffen tranken wir gern mal was. Einmal hatte ich Orangensaft und einen halben Liter Wodka mitgenommen und so viel aus der O-Safttüte rausgekippt, dass ich den Wodka einfüllen konnte. Nachher bin ich dann irgendwann besoffen umgekippt und ein paar Stunden später am Strand wieder aufgewacht. Als ich eingepennt war, hatte ich die Hand auf der Brust liegen, und als ich wieder zu mir kam, war ich total sonnenverbrannt – nur die Hand hatte sich blass auf meiner Haut abgezeichnet. Mir war so was von elend. Bis heute kann ich den Geruch von Wodka-Orange nicht mehr ausstehen. Das hat sich mir richtig eingebrannt, so schlecht war mir. Das war schon, na ja, irgendwie traumatisch.

Eine richtig große Sache war in meiner neunten Klasse diese Geschichte mit dem Typ, der meine Surfbrett-Halterungen geklaut hat. Er hieß Horace und war ein echtes Arschloch. Ein Football-Spieler. Ich kam irgendwann mittags zu meinem Truck, bevor ich zum Unterricht in Handwerk und Technik musste, und sah, dass diese Halterungen fehlten. Vermutlich war ich da auch gerade ziemlich high auf Speed und Angel Dust. Total angepisst, wie ich war, habe ich jedes Auto auf dem Parkplatz unter die Lupe genommen, und schließlich fand ich meine Halterungen in der Karre von diesem Horace. Er war so ein Kleiderschrank, der dauernd jüngere Schüler triezte und jeden blöd anmachte, der ihm vor die Schweinsäuglein kam. Schließlich stöberte ich ihn im Gebäude auf, wo er mit ein paar von den anderen Footballspielern im Flur rumstand, baute mich vor ihm auf und brüllte: „Hast du meine verdammten Surfbretthalterungen abgeschraubt, du blödes Arschloch?“

Und der Typ guckte mich an und log mir ins Gesicht: „Hab ich nicht. Verpiss dich.“

Ich flippte daraufhin richtig aus: „Weißt du was? Verpiss du dich, du Wichser.“ Und bumm! hatte ich ihm eine verpasst und ihn bewusstlos geschlagen. Ich sehe es immer noch vor mir, wie er die Augen verdrehte, wie ein Mehlsack umfiel und mit dem Kopf derb auf dem Fußboden aufschlug. Das gab so ein ganz ekliges, hohles Geräusch, weißt du? Kraaaack! Der Typ war echt ein vierschrötiger Footballer, ist aber umgefallen wie ein Baum. Seine Freunde waren total geschockt.

Ich stand einfach nur da. Wahrscheinlich war ich auch geschockt. Und außerdem total hammerbreit.

Dann klingelte es, und ich ging zum Unterricht.

Es dauerte keine zehn Minuten, dann tauchte der Schulleiter auf. Er sah sich meine Hand an, und die Knöchel bluteten. Damit war ich ruckzuck überführt. Sie mussten sogar einen Krankenwagen für den Typen rufen, weil der noch immer bewusstlos war, als sie ihn fanden. Seine Nase war gebrochen, und sein Unterkiefer auch.

Ich wurde für zwei Wochen suspendiert, aber als ich wieder hinging, mochten mich die ganzen Footballspieler. Das war echt witzig. Die hatten diesen Typ gehasst. Ich wurde sozusagen zur Sportskanone ehrenhalber ernannt. Einer der Spieler kam zu mir und sagte: „Ich wünschte, ich hätte das auch getan, schon vor langer Zeit.“ Danach hat sich niemand mehr mit mir angelegt.

Weil ich nun ein paar Sportlerfreunde hatte, beschloss ich im Frühling, mich für das Baseball-Team der Schule zu bewerben, und zur Überraschung aller wurde ich aufgenommen. Ich war ziemlich stolz auf mich. Immerhin kam ich aus dem Nichts; in Kalifornien nehmen die Leute Baseball ziemlich ernst, und die anderen Kids hatten alle schon jahrelang in Vereinen trainiert. Ich spielte Center Field und First Base. Als Hitter war ich ganz okay, aber als Fielder war ich richtig super. An mir kam kein Ball vorbei. Alle waren begeistert und sagten wieder und wieder, dass ich für das Team eine echte Verstärkung darstellte. Sogar meine Eltern waren stolz auf mich. Baseball war etwas, das sie verstanden. Vielleicht würde aus ihrem Jungen doch noch was werden. Vielleicht war es genau das, was er brauchte, nachdem er so viel mit Drogen, Surfen und Mädchen herumprobiert hatte.

Aber dann sagte mir der Coach, dass ich mir die Haare schneiden müsste, wenn ich mitspielen wollte.

Ich dachte darüber nach. Ernsthaft. Aber mir waren meine Haare damals ziemlich wichtig, genau wie heute. Sie waren blond und lang, bis über die Schultern. Klar wollte ich Baseball spielen, aber dann auch wieder nicht, verstehst du. Eins wollte ich jedenfalls auf gar keinen Fall: einer dieser angepassten Sportlertypen werden. Ich wollte mein Aussehen nicht ändern, und ich fand es blöd, dass ich sozusagen jemand anders werden sollte. Ich wollte einfach nur Baseball spielen. Ganz davon zu schweigen, dass ich gut genug gewesen war, um ins Team zu kommen, klar? Und das in der neunten Klasse.

Aber meine Haare wollte ich nicht abschneiden. Auf keinen Fall.

Und das war’s. Ich stieg aus dem Team aus.

Wer weiß – hätte ich mir die Haare schneiden lassen, wäre vielleicht ein Profi-Baseballer aus mir geworden. Vielleicht hätte ich diesen Weg eingeschlagen, und mein Leben wäre völlig anders verlaufen. Aber ich wollte meine langen Haare behalten und entschied mich für das, was mir wichtig war.

Und weißt du, was das Irre ist: Es waren tatsächlich meine Haare, die dazu führten, dass ich Rockmusiker wurde.

Tattoos & Tequila

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