Читать книгу Architektur einer Gemeinschaft - Vitus Seibel - Страница 11
4. Von der Ouvertüre zum Finale – ein Lebensskript
ОглавлениеNach der Formula Instituti, der Zusammenfassung dessen, wie der Orden sich versteht und was er will, folgen die Konstitutionen. Sie werden eingeleitet mit einer Art Präludium, dem so genannten Examen, einer Prüfung, die den Interessenten vor Augen geführt wird. Ein Kandidat soll wissen, auf was er sich einlässt und dass dies kein Zuckerschlecken werden wird. Und der Orden will die Neigung und Eignung des Eintrittswilligen prüfen.
Dann folgen die zehn Teile der Satzungen.
Im I. Teil wird die Zulassung behandelt. Wer glaubt, berufen zu sein, muss bestimmte Bedingungen erfüllen und sich verschiedenen Prüfungen unterwerfen, »um bei dem zu helfen, was die Gesellschaft (Jesu) in Bezug auf den göttlichen Dienst erstrebt« (147).
Der II. Teil handelt von der Entlassung derjenigen, die sich nicht bewähren oder die erkennen, dass ihr Weg ein anderer sein soll. Auffallend ist, dass sehr betont wird, mit wie viel Liebe und Taktgefühl die Trennung geschehen soll.
Der III. Teil hat die Bewahrung, Förderung und Vertiefung der Berufung zum Thema. Besonderer Wert ist darauf zu legen, dass das Gemeinschaftsgefühl eingeübt wird, der Korpsgeist, der die Gemeinschaft prägen soll. Eine besondere Betonung liegt auf dem Gehorsam. Er besteht nicht nur in einer äußeren Durchführung des Befohlenen, sondern in einem inneren Bemühen um Übereinstimmung mit dem Willen dessen, der befiehlt (284).
Der IV. Teil handelt von der Ausbildung der Ordensstudenten in den Wissenschaften.
Im V. Teil werden die unterschiedlichen Formen und Stufen der Eingliederung in den Orden vorgestellt.
Im VI. Teil kommt das persönliche Leben seiner Mitglieder zur Sprache.
Der VII. Teil ist der Sendung gewidmet. Das Leben der Mitglieder ist apostolisch, d.h. im weiten Sinne seelsorgerlich. Das ist das Ziel aller Arbeiten des Ordens. Insofern ist dieser VII. Teil das Zentrum aller zehn Teile.
Um das Wohl des Ganzen in diesem Vorhaben zu gewährleisten, stellt der VIII. Teil alles vor Augen, was den Leib zusammenhält und zur Einheit notwendig ist. Mit demselben Ziel befasst sich der IX. Teil mit dem besonderen Augenmerk auf die Leitung. Hier ist eigens hervorgehoben, »wie der Generalobere sein soll«, eine Fundgrube für alle, die ein Leitungsamt innehaben.
Der X. Teil schließlich beschreibt, »wie dieser ganze Leib in seinem guten Stand bewahrt und gemehrt werden soll« (812). In diesem Finale findet man eine Art Zusammenfassung der ganzen Satzungen. Wie man das macht, den ganzen Leib zu bewahren und zu mehren, bleibt eine ständige Anfrage und ein Auftrag an den Orden, der ja auch, wie viele Gemeinschaften, unter starkem Rückgang zu leiden hat.
Dem äußeren Aufbau entspricht eine innere Richtung des Textes: Von den Anfängern zu den Ausgebildeten, von den Teilen zum Ganzen, vom Individuum zur Gemeinschaft, von der Ouvertüre zum Finale. Und in den einzelnen Kapiteln: vom Geistigen zum Leiblichen. Der letzte Satz des Gesamtwerks könnte diesseitiger oder banaler kaum sein: Die Stellen, an denen man Kollegien gründet, sollen gute Luft haben (827). Dieser Aufbau bringt Wiederholungen mit sich, die aber in einem jeweils neuen Kontext Akzentverschiebungen bedeuten. Sie sind durch die unterschiedlichen Stufen der Eingliederung oder die verschiedenen Zielpunkte bedingt. Dies mag auch einer der Gründe gewesen sein, weswegen Pater Bobadilla die Satzungen zwischendurch nicht geschmeckt haben. Offensichtlich hatte sich ihm die Logik des Aufbaus nicht erschlossen. So wurde sie ihm zu einem Labyrinth.
Fragen, die sich ergeben, sind: Wie könnte das Buch meiner Satzungen, meines Lebens aussehen? Wie würde ich meine Reifungsstufen benennen? Wie könnten die Überschriften über die Abschnitte meines Lebens lauten? Wie habe ich meine Identität gewonnen? Was tue ich für mein Gottesverhältnis? Wie fördere ich meine Anlagen und Talente? Was sind die spezifischen Fallen, die mir das Leben schwer machen? Wie sehen meine Vorstellungen einer lebendigen Gemeinschaft aus? Wie gestalte ich meine Beziehungen zu anderen?
In welchen Gemeinschaften lebe ich? Was würde ich ihnen für ihr Wachsen wünschen? Wie geht meine Reifung zu einer eigenständigen Individualität zusammen mit der Entwicklung meiner Gemeinschaftsfähigkeit?