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Tante Ann-Sofie

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Der Bus erreichte Lysekil und rollte langsam die Pier entlang, nah an den Schiffen, Eddie spähte übers Meer. Ob er hier noch Boden unter den Füßen hatte? In seinem Bach hatte er das. Wenn ihm etwas in seinen Bach fiel – und das passierte hin und wieder –, konnte er es fast immer wieder rausholen. Hier am Meer war vermutlich alles schlimmer. Eddie kontrollierte, dass Arnes Armbanduhr noch fest an seinem Arm saß. Er spürte förmlich Arnes festen Griff im Nacken, während er, Eddie, zu erklären versuchte, warum Arnes Armbanduhr auf dem Meeresboden lag. Eddie schluckte, dann fing er an zu lachen. Was sollte das eigentlich? Er hatte sie ja noch gar nicht verloren. Er tastete seinen Nacken ab. Keine packende Hand.

«Südhafen!», rief der Busfahrer und Eddie stieg schnell aus.

Ann-Sofie sah er sofort. Da stand sie und unterhielt sich mit einer anderen Frau, während sie den Bus anstarrte. Dann ließ sie die andere Frau stehen und kam auf Eddie zu. Sie schüttelte ihm etwas feierlich die Hand und sie sah freundlich aus, obwohl sie nicht lächelte.

«Da bist du ja», sagte sie. «Du siehst aus, als ob du was zu essen brauchtest. Hast du keinen Koffer?»

Eddie schüttelte den Kopf. Sie gingen über den Marktplatz. Am anderen Ende lag eine ziemlich große, verlockende Imbissbude. Aber leider duftete es nach nichts.

«Ist dein Papa jetzt in diesem Heim?», fragte Ann-Sofie.

Eddie nickte.

«Er soll lernen, nicht mehr zu trinken», sagte er. «Wenn er ganz trocken ist, kommt er nach Hause.»

«Das werden wir ja sehen», sagte Ann-Sofie und seufzte.

«Was siehst du?», fragte Eddie höflich.

«Na, eben das», fauchte Ann-Sofie.

Eddie lächelte ein bisschen unsicher. Sie kamen an einem Stand vorbei, an dem ein Mann frische Krabben verkaufte. Eddie guckte weg. Wenn der nun auch Quallen verkaufte! In Lysekil gab es bestimmt massenhaft Quallen. Vielleicht aßen die Leute ja anstelle von Käse oder Wurst Quallen als Brotbelag! Knäckebrot mit gebratener Qualle, das schmeckte wahrscheinlich nicht besonders gut.

«Dann sag ich einfach, ich bin Vegetarier», sagte Eddie entschlossen zu sich selbst.

«Was hast du gesagt?», fragte Ann-Sofie.

«Na, eben das», sagte Eddie.

Seine Tante ging mit sehr energischen Tantenschritten, sodass Eddie fast neben ihr herlaufen musste. Er wünschte, sie hätte ihn an die Hand genommen. Viele Tanten machten das, wenn sie mit einem Kind spazieren gingen. Kein Rowdy würde sich trauen, so eine zusammengeschweißte Gesellschaft auch nur anzugucken. Nicht mal die großen schrecklichen Jungen mit den kahl rasierten Köpfen und Sicherheitsnadeln in den Backen.

In dem Augenblick nahm Ann-Sofie ihn bei der Hand, und zwar ziemlich fest. Es war wunderbar, obwohl ihre Hand so groß und rissig war und ganz rot. Eddie war plötzlich sehr fröhlich und hatte Lust, zu pfeifen und zu schielen und auf einem Bein zu hüpfen.

«Was machst du?», fragte Ann-Sofie.

«Das», sagte Eddie und kicherte.

Ann-Sofies Mann hieß Malkolm und er saß oft auf dem Sofa. Das heißt auf der Bank in der Küche. Da saß er, weil er von dort so gut sehen konnte. Ja, eigentlich sah er den Fernseher und die Keksdose und die Wanduhr, aber vor allen Dingen sah er das Fenster. Und da Ann-Sofie so fleißig aufräumte und ihre Fenster oft putzte, konnte er auch richtig durch die Fenster hindurchsehen. Bei Eddie zu Hause konnte man das meistens nicht.

Von seinem Platz aus betrachtete Malkolm das Meer durchs Fenster. Oder die See, wie Malkolm sagte. Das ganze große Meer, das sich über den halben Erdball erstreckt, von der kleinen Stadt Lysekil bis zur Polizeischule in New York (das hatte Arne gesagt) – all das Wasser, viele Liter, nannte Malkolm die See.

So sind die meisten Leute in dieser Gegend, behauptete Eddies Papa. Ließen sich von nichts beeindrucken. Nennen das Meer die See. Man muss sich fragen, wie sie einen Bach nennen würden. Vielleicht eine kleine Wasserpfütze. Sehr komisch.

Eddie guckte aufs Meer. Er stellte sich vor, dass die Welle, die gerade gegen die Klippen bei Lysekil rollte, vielleicht vor drei Wochen in den USA gewesen war. Allein das. Diese Welle hatte vielleicht Michael Jackson baden gesehen, Maxon Jaxon, wie Eddie ihn nannte. Er schüttelte den Kopf. Die Sache mit dem Meer konnte er nicht begreifen. Und dann nennt Malkolm es die See!

Malkolm hatte kräftige Unterarme und dicke Hände mit Sommersprossen drauf. Er trug fast immer einen blauen Overall, und wenn er den auszog, konnte man sehen, dass M/S Gullan auf seinem T-Shirt stand. Das war übrigens sehr leicht zu lesen, das T-Shirt war nämlich ein bisschen zu klein für Malkolms breiten Brustkorb. Die Buchstaben waren also sehr breit und deutlich. Das Schiff, auf dem Malkolm arbeitete, hieß M/S Gullan. Gut, dass er so ein T-Shirt hatte. Dann wusste er doch jeden Morgen, wo er hingehen musste. Malkolm hatte rötliches Haar, ein bisschen dünn, und seine Gesichtshaut war ganz rot und aufgesprungen. Aber seine Augen waren hellblau und lieb. Malkolm redete nicht viel. Meistens guckte er aus dem Fenster. Wenn er was sagte, ging es fast nur ums Wetter. Er sagte, ob es sich ändern würde. Ob mehr Wolken aufziehen würden oder weniger. Ob der Wind zu- oder abnehmen würde. Klarere Sicht oder Nebel. Mehr Sonne oder weniger.

Arne nannte Malkolm «Wetterfrosch». Oh, Arne konnte so witzig sein. Eddie hatte Sehnsucht nach ihm. Er guckte auf seine Armbanduhr. Arnes Uhr. Ann-Sofie und Malkolm konnten sicher sehen, dass das eine Uhr war, die für einen größeren Jungen als Eddie bestimmt war.

«Setz dich zu Malkolm», sagte Ann-Sofie ungeduldig und zeigte auf die Küchenbank. «Steh nicht so rum.»

Eddie kapierte gar nichts. Er guckte auf seine nackten Füße, die auf einem Flickenteppich mitten in der Küche standen. Durfte man nicht einfach so rumstehen? Vielleicht musste man in Lysekil immer sitzen?

«Ja, komm und setz dich», sagte Malkolm freundlich.

«Ich glaub, der Wind frischt ein bisschen auf. Möchte wissen, ob wir Sturm zum Wochenende kriegen.»

«Möchte wissen, wann Arne kommt», sagte Eddie.

«Das dauert wohl noch ein bisschen», sagte Malkolm tröstend.

«Ja, Gott sei Dank», sagte Ann-Sofie. Sie kniete sich hin und begann, mit einem Lappen die Backofenklappe zu bearbeiten.

Eddie seufzte und schaute zu den Wellen, die gegen die Klippen schlugen.

«Darf ich rausgehen?», fragte er.

«Geh nur nicht in die See», sagte Ann-Sofie.

«Nein», sagte Eddie, «ich geh in die andere Richtung.»

Ann-Sofie und Malkolm brachen in Gelächter aus. Ann-Sofie hatte ein kurzes, hohles Lachen, während Malkolm eher ein dunkles Glucksen zwischen den Zähnen hervorstieß. Eddie hoffte, dass sie nicht allzu oft lachten, während er in Lysekil war. Vor allen Dingen nicht über ihn.

«Die See ist überall», sagte Malkolm. «Du kommst immer an die See, wohin du auch gehst.»

Eddie und die beste Freundin der Welt

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