Читать книгу Eddie und die beste Freundin der Welt - Viveca Lärn - Страница 5

Johanna aus dem blauen Haus

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Eddies Füße glitten in die Turnschuhe. Er hatte die Schnürsenkel nicht aufgeknüpft, als er sie ausgezogen hatte, es ging also schnell. Erstaunlich, dass Ann-Sofie gar nicht über seine nicht aufgeknüpften Schnürsenkel geschimpft hatte. Manchmal war sie witzig. Aber sonst dachte sie meistens an ernste Kleinigkeiten. Eddie konnte kaum fassen, wie sie alles schaffte. Aber das mit den Schuhen war ihr jedenfalls entgangen. Eddie lächelte vor sich hin, als er die Tür hinter sich schloss und losging in die Stadt Lysekil.

Hier sah es wirklich anders aus. Die Häuser standen sehr nah beieinander und rundherum waren viele Zäune. Aber das waren keine Zäune mit Stacheldraht und schweren Schlössern an den Pforten gegen Feinde. Und sie waren auch nicht unter Strom wie die Zäune um Kuhweiden auf dem Lande. Nein, es waren ganz freundliche Zäune aus Holz, das in verschiedenen freundlichen Farben gestrichen war. Manche Zäune waren auch gar nicht gestrichen. Sie schmiegten sich dicht an die Häuser. Für Gärten war also nicht viel Platz. Das fand Eddie gut. Sein Papa hatte gesagt, die Jungen könnten ihrer Tante helfen, Laub zu harken und Unkraut zu jäten, aber da hatte er sich geirrt. Kein Land in Sicht, wo man Unkraut jäten könnte, weder bei Ann-Sofies Haus noch bei den anderen in der Umgebung.

Eddie folgte der Straße, bis er eine noch schmalere Straße fand, die bergauf führte und sich in andere enge Straßen und noch engere Gassen aufteilte. Eddie fühlte sich wichtig. Es gibt nicht viele, die einfach so durch eine fremde Stadt bummeln. Jedenfalls nicht viele Siebenjährige. Vielleicht erwachsene Männer aus Australien, die Bänder aus Krokodilleder um ihre Hüte trugen. Ein bisschen unsicher fühlte er sich. Was für ein Glück, dass die Quallen nicht an Land kommen können, das tun sie doch wohl nicht?

Keinem Menschen begegnete er, während er sich einen hohen Hügel hinaufquälte. Aber als er die Kuppe erreichte, war er froh, denn hier gab es so manches zu sehen. Erstens mal massenhaft Meer und einen Badestrand mit Kiosk (geschlossen! Das war an den Fensterluken zu erkennen). Aus dem Berg ragte ein Trampolin hervor und am Sandstrand ging ein alter Mann entlang und harkte. Die Leute in Lysekil waren wirklich sehr ordentlich. Harkten sogar ihre Strände. Eddie musste laut lachen. Er stellte sich vor, er würde anfangen, an seinem Bach zu Hause zu harken. Das würde aussehen! Womöglich auch noch staubsaugen. Jedes einzelne Blatt aufsaugen. Oh, oh, wie unordentlich, so darf das in der Natur aber nicht sein. Und dann die Steine putzen, das muss man, zum Wochenende soll es hübsch werden am Bach. Vielleicht noch den Baumstumpf dahinten mit ein bisschen Möbelpolitur bearbeiten. Eddie bog sich vor Lachen, dass er fast einen Krampf im Bauch kriegte. Der alte Mann, der den Strand harkte, war weit entfernt. Er konnte nicht böse werden und herkommen und Eddie verhauen, nein, hier in Lysekil konnte man in aller Ruhe lachen. Papa würde staunen, wenn Eddie den Staubsauger zum Bach runterschleppte! Eddie musste noch mehr lachen. Woher sollte er Strom kriegen? Wahrscheinlich musste er den Stecker in die Nase stecken. Und Arne würde richtig sauer werden. Was würden denn die Nachbarn sagen, so was war wichtig für Arne. Curt Diesel von der Tankstelle würde den Kopf schütteln und seine Frau Alma würde die Augen verdrehen.

«Wie kann einer so ganz für sich allein lachen?»

Eddie war augenblicklich still, als er die schnippische Stimme hörte, und im selben Augenblick entdeckte er die Besitzerin der Stimme. Es war ein Mädchen von etwa siebeneinhalb Jahren.

«Ach», sagte Eddie mutig, «gibt’s auch Mädchen in Lysekil? Das hat mir keiner im Bus aus Göteborg erzählt.»

Das klang frech. Eddie fand, er redete fast wie Arne, und fügte keck hinzu:

«Rate mal, worüber ich lache.»

Das Mädchen schüttelte den Kopf und starrte Eddie mit großen braunen Augen an.

Eddie zeigte zum Strand.

«Guck dir den Alten an. Der hat einen Putzfimmel. Er fegt die Natur.»

Eddie fing wieder an zu lachen, aber das Mädchen lächelte nur ein wenig.

«Das ist Kaspar», sagte sie. «Er harkt die Quallen zusammen, damit sie uns nicht im Weg sind, wenn wir baden. Das verstehst du ja wohl.»

Eddie wurde blass.

«Ach ja, natürlich», sagte er. «Das hatte ich gerade vergessen. Dass die Quallen freitags in die Stadt kommen.»

Das Mädchen fing auch an zu lachen. Ihr fehlten oben und unten die Schneidezähne. Das Loch war ganz schwarz.

«Wollen wir spielen?», fragte sie.

So was hatte Eddie noch nie jemand gefragt. Wollen wir spielen! Er sah sich um, aber hinter ihm war niemand. Sie meinte tatsächlich Eddie und niemanden anders. Sonst ging Eddie immer nur mit, wenn sich sein großer Bruder mit seinen Freunden traf. «Eddie kriegt man gratis dazu, wenn man mit Arne spielen will», sagten Mimi und Maria Magnusson oft, die in Arnes Klasse gingen.

Das Mädchen wartete die Antwort nicht ab. Es lief zum Badeplatz hinunter und Eddie lief hinterher. Das war so mühselig, dass er einen Schuh verlor. Aber wer hat Zeit, sich um solche Kleinigkeiten zu kümmern, wenn man in Lysekil spielt? Sie liefen bis zum Badeplatz hinunter und blieben erst am Drehkreuz stehen.

«Wo hast du denn deinen Schuh gelassen?», fragte das Mädchen.

Eddie zeigte zum Hügel hinauf, wo der Turnschuh einsam und verlassen lag.

«Da!», keuchte er.

Das Mädchen lachte.

«Du bist vielleicht komisch», sagte es. «Wie heißt du?»

«Eddie.»

«Eddie!» Das Mädchen schien das Wort zu schmecken.

«Ein guter Name», stellte es fest. «Genau wie Elvis Presley! Meine Mama hat ‹Acapulco› auf Video, gekauft, nicht geliehen. Das ist mit Elvis Presley.»

Eddie nickte. «Und du, wie heißt du?»

«Johanna», sagte das Mädchen, «Johanna Andersson. Ich wohn da oben in dem blauen Haus. Wo wohnst du?»

Eddie guckte hinauf zu den Häusern, die sich über ihnen drängten. Sie unterschieden sich nicht besonders voneinander, nur ein bisschen in der Farbe. Ann-Sofies Haus konnte er nicht entdecken. Er meinte, es sei grün oder rot, aber jetzt sah alles so durcheinander aus.

Johanna wurde ungeduldig.

«Wo wohnst du, Eddie, hab ich gefragt!» Wie komisch sie redete, man merkte es jetzt, wo sie lauter sprach. Sie sprach die Wörter fast wie Eddies Papa aus. Eddie hatte plötzlich große Sehnsucht nach seinem Papa. Der hätte Ann-Sofies Haus bestimmt wieder erkannt.

Eddie sah sich unschlüssig um. Schließlich entdeckte er ein wirklich tolles Haus. Es lag ein wenig entfernt rechts, ganz nah beim Hafen. Ein braunes Haus mit einem lustigen Balkon. Und unten war das Haus viel schmaler als oben. Fast wie ein Karussell.

«Da!», rief er und zeigte nach rechts. «Da wohn ich.»

Johanna war sehr erstaunt.

«Mensch», sagte sie, «du wohnst in der Curman’schen Villa?»

«Ja», erwiderte Eddie. «Das alte Haus gehört meiner Tante.»

«Dann bist du also ein Millionär?», fragte Johanna ein bisschen misstrauisch.

«Das kann man so sagen», antwortete Eddie. «Aber das macht nichts. Wir spielen trotzdem zusammen.»

Was ein Millionär war, das wusste er. Arne und Eddie hatten einmal eine alte Frau kennen gelernt, als sie zusammen mit Mimi in Dänemark gewesen waren, und die alte Frau hatte erzählt, wie anstrengend es war, Millionär zu sein. Dauernd musste man sein Geld zählen. Man hatte kaum Zeit, ein Eis zu essen.

«Aber richtig zu Hause bin ich in einem Wald bei Kungälv», sagte Eddie.

Jetzt kam der Quallenmann auf sie zu, die Harke über der Schulter.

«Hej, Kaspar!», rief Johanna.

Er trug orangefarbenes Ölzeug und hohe grüne Stiefel.

«Hej, Johanna. Jetzt kannst du wieder baden», antwortete Kaspar. Er starrte Eddie an.

«Wen hast du denn da bei dir?», fragte er.

«Das ist Eddie», antwortete Johanna stolz. «Eddie Presley.»

«Aha», sagte Kaspar. «Na, jetzt könnt ihr jedenfalls baden.»

«Wollen wir?», fragte Johanna.

Eddie zögerte.

«Aber ist es denn kein Herbst in Lysekil?», fragte er.

Johanna lachte wieder. Ein ganz besonderes Lachen hatte sie. Das klang, als ob jemand etwas auf den Küchenfußboden fallen ließe. Eddie kam nicht dahinter, was es war.

«Klar ist es Herbst», sagte Johanna. «Dann kann man baden, denn dann sind die Badegäste endlich weg, sagt Großmutter.»

Sie gingen zur Badebucht. Tief drinnen in der Bucht war Sandstrand, und das Wasser war bis weit hinaus flach. Aber Johanna schlug den Weg in die entgegengesetzte Richtung ein, wo das Wasser tiefer war. Sie gingen einen fast unsichtbaren, aber ordentlichen Weg entlang, der in den Berg hineingesprengt war. Er hatte dieselbe auffallende graurosa Farbe wie die Felsen und hier und da war ein Papierkorb aufgestellt, und wenn es ein wenig bergauf ging, waren da kleine Treppenstufen. Der Wind fuhr in Johannas Haare, sodass sie hoch aufwehten. Plötzlich sprang sie über einen Stein und lief zum Meer hinunter, auf einen hölzernen Steg hinaus, der nicht hoch, aber lang war.

Eddie folgte ihr mit einem gewissen Zögern. Zwischen den Holzbalken des Stegs waren hier und da ziemlich weite Abstände. Dazwischen konnte man das Wasser sehen. Wenn man wollte. Eddie wollte aber nicht. Obwohl er Besitzer eines kleinen Baches war, fühlte er sich ein bisschen unsicher.

Am äußersten Ende des Steges legte Johanna sich auf den Bauch, den Kopf über dem Stegrand. Sie spähte ins Wasser. Eddie legte sich schnell daneben und starrte auf die Wasseroberfläche. Jetzt fühlte er sich fast wie an seinem Bach.

«Nicht viele Haie», sagte er.

Johanna lachte und schüttelte den Kopf. Sie lachte offenbar gern.

«Ich guck nach Krabben», sagte sie. «Aber ich seh keine.»

Er überlegte, ob Johanna seine große Jungen-Armbanduhr bemerkt hatte. Er ließ die Arme auf das Wasser hinunterhängen und die Uhr blinkte schön im Sonnenschein. Das tigergefleckte Armband saß nur ein wenig locker.

Eine ganze Weile lagen sie still da.

«Ich seh immer noch keine Krabben», sagte Johanna.

«Nicht eine einzige.»

«Und ich seh keine Haie», sagte Eddie. «Aber es ist viel schrecklicher, keine Haie zu sehen als keine Krabben!»

Eddie und die beste Freundin der Welt

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