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Kapitel EINS

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Es fing ganz so an, wie heute: in einem Bett. Nur war ich allein, putzmunter und konnte es kaum erwarten, aufstehen zu können. Auch war es nicht mein Bett. Leider. Gut, es war für mich gedacht und sonst schlief auch niemand anderes darin. Aber es war eben nicht meines, das ist schon ein Unterschied. Gebannt lag ich da und starrte auf die blinkenden Punkte des alten Radioweckers, jede Sekunde zählte ich mit. Denn je mehr davon vergingen, desto eher konnte ich hier weg. Es war der letzte Tag meines Besuchs bei meiner Mutter, der letzte Tag in Idaho Falls.

Dreizehn hatte ich schon hinter mich gebracht, anders kann ich es einfach nicht nennen. Denn gern bin ich nicht hier. Ich muss, das Gericht hat es nach der Scheidung so bestimmt: vierzehn Tage innerhalb von einem Vierteljahr inklusive An- und Abreise. Ich konnte nur den Menschen danken, die die Uhr und den Kalender erfunden hatten, denn so konnte ich mich wenigstens auf etwas freuen. Denn hier gab es für mich nichts Erfreuliches. Gar nichts. Im Haus nicht, auf der Straße nicht und in der ab-und-zu-Highschool erst recht nicht. Niemand mochte mich hier. Nicht einmal Mom. Aus einem einfachen Grund: ich bin anders als die anderen. Nein, es ist nicht mein Äußeres. Das geht so. Denke ich. Ich bin ganz gut in Form. Soll heißen: Ich würde eine Form gut ausfüllen. Na ja, wenigstens klappere ich nicht darin herum. Ich bin eben ein wenig mehr. Gott sei Dank rundum. Ist auch nicht so, als würde da irgendwas schwabbeln oder so, alles hübsch fest. Okay, ich gebs ja zu: einen Bikini sollte ich nicht tragen. Und wenn, dann sollte ich das Höschen mit Bermudas ersetzen. Körbchen wären dass am Oberteil übrigens auch nicht, eher Strandmuscheln. Also lieber Badeanzug. Im Grunde ist es ja auch egal, Kerle brauche ich damit sowieso nicht zu bezirzen. Die gehen mir immer aus dem Weg. Kein Wunder, mit 6 Fuß und anderthalb Zoll — oder 186 cm, falls Dir das lieber ist — bin ich schließlich auch ganz gut sichtbar. Es liegt aber dann doch eher daran, dass ich lesbisch bin.

Zu Hause wissen es alle, hier auch. Zu Hause interessiert es niemanden, hier ist es ein Fluch. Jeder Nachbar bedauerte meine Mutter, ständig wurde ich halb strafend und halb mitleidig begafft, wenn ich aus dem Haus ging. Sogar im Schulbus hatte ich eine ganze Bank für mich allein …

Ich versuchte, nicht zu flennen, blickte zum Wecker und endlich schlugen die Zahlen auf 09:00 um! Kaum hatte ich die Bettdecke auch nur ein wenig angehoben, wummerte Mom schon gegen die Tür: »Morgen!!« Wie jeden Tag zuckte ich erschrocken zusammen, sie konnte es einfach nicht lassen! Normal anklopfen kannte sie noch nie, immer viermal mit der Faust gegen die Tür. Zum Glück fasste ich mich wieder und gab: »Bin munter!«, zurück. So begann hier mein Tag. Jeder Tag. Auch mein Letzter. Im Badezimmer ging ich erstmal aufs Klo und dann schwang ich mich unter die Dusche, lang und heiß. Danach musste ich erstmal den Spiegel abwischen, schon kam die Erinnerung wieder in mir hoch: so richtig Mutter war meine Mom eigentlich nie. Es war nicht nur das Anklopfen, da war viel mehr. Ich war ganz offensichtlich nie das Kind, das sie haben wollte. Ich war immer nur ein Ausstellungs- oder Möbelstück, je nachdem, wofür ich gerade gebraucht wurde. Oder eben nicht. Dad war da ganz anders. Na ja, mal abgesehen davon, dass er gar nicht mein Vater war. Russell hatte mich adoptiert, da war ich erst so groß. Ach ja, ist ein Buch. Na ich war gerade zwei, also ging mir ungefähr bis kurz über die Knie oder so. Er war der tollste Dad, den ich mir vorstellen konnte, in der Schule wurde ich regelmäßig beneidet! Kein Weg war ihm zu weit, keine Aufgabe zu schwer, kein noch so wilder Wunsch blieb unerfüllt. Zugegeben: ich musste für meine wilden Wünsche schon selber Hand anlegen. Mein Drachenbett, das Schaukelpferd oder mein erstes Fahrrad.

Das war lustig! Ich hatte mir das Fahrrad zu Weihnachten gewünscht, ich war vier oder so. Habs aber nicht bekommen, nur eine Stempelkarte. Fünfundzwanzig Felder, jeder Stempel eine Aufgabe. Schnee wegmachen, Holz reinholen, Rasen mähen und ähnlicher Kram. Oft vergaß ich, meine Karte gleich stempeln zu lassen, erst kurz vor den Sommerferien war sie voll. Dann stand es vor der Tür: rot, mit aufgemalten Flammen! Aber ich konnte ja noch nicht fahren, also brachte Dad es mir bei. Am späten Nachmittag dachte er wohl dann, ich wäre soweit und ließ los. Ich dachte, er hätte nicht und vergaß vor Schreck, wie man bremst. Der Baum neben der Straße kam nah, näher und dann zu nah. Das Rad war Schrott, meine Nase auch. Doch ich entschuldigte mich zuerst bei Herrn Baum und dann schimpfte ich Dad aus. Dass meine Nase gebrochen war und blutete, merkte ich gar nicht. Dad raste mit mir ins Krankenhaus, Mom blieb zu Hause. Wäre erstens selber Schuld und zweitens finge gleich ihre Serie an.

Jetzt musste ich beim Schminken kurz innehalten und tief durchatmen, Tränen konnte ich jetzt nicht gebrauchen. Es ging, ich machte mich fertig und trollte mich dann unlustig in die Küche. Mein Frühstück stand schon auf dem Tisch, die Milch war bereits drin und die Cornflakes dadurch dreimal so groß, wie sie sein sollten. Mom meinte spöttisch, es wäre wohl besser gewesen, ich hätte mich beeilt. Meinen Kommentar schluckte ich mit der Pampe hinunter. Wortlos stellte ich meine Schüssel in die Spülmaschine und ging wieder rauf. Packen. Obwohl, viel war da nicht zu tun. In meinem Koffer waren sowieso nur drei Taschen und die für die saubere Wäsche jetzt leer. Die dritte würde ich erst an der Busstation brauchen. Gelangweilt sah ich bis kurz vor Mittag aus dem Fenster, zu sehen gab es nicht viel. Nur meine ständigen Blicke auf die Uhr ließen die Zeit vergehen.

Als die Ziffern mir sagten, es wäre Mittag, schnappte ich mir meinen Koffer und ging nach unten. Mom wartete schon komplett angezogen im Wohnzimmer, Gott weiß wie lange sie es kaum noch erwarten konnte, mich wieder loszuwerden. Sie gab mir noch mein Mittagspaket mit Essen, dann setzten wir uns ins Auto und fuhren schweigend zur Busstation. Dort angekommen blieb sie wie üblich sitzen, ich wuchtete meinen Koffer selbst aus dem Hinterteil ihres alten Kombis. Ein simpler Gruß, weg war sie. Was für ein Segen, endlich allein! Ich musste mich erstmal umziehen, die Klamotten, die ich anhatte, gingen ja gar nicht! Ich verdrückte mich an der Tankstelle aufs Klo, tauschte die hässliche Hose und den noch hässlicheren Pullover gegen mein warmes Winterkleid aus der dritten Tasche und kam als die Catherine wieder heraus, die ich wirklich war. Das Fresspaket wanderte in die Mülltonne. Gleich danach ließ ich mir von Chris im Shakas ein leckeres Sandwich machen und schlang noch ein Karamelleis hinterher. Nicht, dass es nötig war, aber lecker auf jeden Fall! Schon wanderte mein Finger zur YouTube-App auf dem Handy und ich vertrieb mir die restliche Wartezeit mit süßen Kätzchen und dummen Leuten. Beinahe hätte ich lachend den Bus verpasst, nur mein Handy rettete mich, weil es fragte, ob ich mich ins OnBoard-WLAN von Greyhound einloggen wolle. Schnell sprang ich auf, gab mein leeres Limonadenglas zurück und rannte, den Koffer auf seinen Rollen polternd hinter mir her zerrend, zum Bus. Er war so kurz vor Weihnachten recht gut besetzt, dennoch fand ich eine leere Reihe und setzte mich. Wieder kam das Handy in Aktion. Diesmal aber, um Dad zu schreiben, dass ich bald da wäre.

Als wir nach gut drei Stunden und einigen Stopps in Butte in die Harrison Avenue einbogen, konnte ich es kaum erwarten, auszusteigen. Erstens war ich endlich wieder daheim, zweitens war ich gespannt, was sich Dad diesmal hatte einfallen lassen. Denn jedes Mal, wenn ich von Mom wieder nach Hause kam, stellte er irgendeinen Blödsinn an. Mal stand er als Chauffeur da und hielt ein unmögliches Schild in Händen, mal hatte er sich ein Kostüm besorgt und dann standen da Tweety oder Bugs Bunny oder so. Der Bus hielt leise quietschend, einen mintgrünen Truck vom U.S. Forest Service konnte ich sehen. Ich wusste aber nicht genau, ob es Dads Truck war. Denn der, der da stand, sah reichlich neu aus. Dad erblickte ich jedenfalls nicht. Ich stieg aus, bekam meinen Koffer aus dem Bauch des Busses gereicht und hörte hinter mir Leute lachen. Als ich mich umdrehte, war da aber nichts, nur die Türen vom Stationsgebäude gingen gerade zu. Ahnungsvoll rumpelte ich mit meinem Koffer hinein und wurde auch dieses Mal nicht enttäuscht. Mitten im Raum stand Yogi Baer, ein Schild mit krakeliger Schrift in der Hand: »Watin for me Huney«! Ich musste lachen, Dad sah mich. Er warf das Schild in hohem Bogen von sich, hielt den Hut fest und strampelte rutschend mit den kurzen Bärenbeinen los! Fast rannte er mich um, als er schnaufend bei mir ankam, hob mich hoch und drehte uns im Kreis! Ja, Russell konnte das. Er war mit seinen knapp 7 Fuß ein Hühne! Ja ja, Moment! Das sind … ähm … zwei Meter zehn? Ja? Kommt so ungefähr hin.

Also jedenfalls setzte er mich wieder ab, winkte nochmal den applaudierenden Leuten zu und zog mich aus dem Gebäude. Er hüpfte mit mir an der Hand fröhlich in Richtung des Trucks, den ich vorhin schon bemerkt hatte. Jetzt setzte er den Kopf ab und ich konnte ihn fragen: »Neu?« »Nein, nicht, wie es hier drin riecht«, bekam ich zur Antwort, dann zog er mich an sich und umarmte mich fest: »Willkommen zu Hause, Hase.« Ich tat das Gleiche: »Oh Danke, Dad. Das war so süß! Aber ich meinte den Truck, nicht Yogi Bear.« Er schälte sich aus dem Rest des Kostüms, während ich den Kopf schon mal auf der Rückbank verstaute: »Ja, der ist neu. Und er hat einen riesigen Vorteil.« »Welchen?«, wollte ich wissen, als ich ihm den Rest des Kostüms abnahm und hinter die Vordersitze stopfte, er wuchtete meinen Koffer dazu: »Papa Bär hat die Vorschriften geändert: ich darf ihn mit nach Hause nehmen. Los, rein mit dir! Sonst hol ich mir noch was weg.« Ich stieg lächelnd ein, hatte ich doch eine leise Ahnung, wer jetzt Dads halb vergammelten Dodge geschenkt bekam! Ich grinste Russell an, als er drüben einstieg, er sah zu mir: »Was?« Mein Grinsen wurde breiter, er ließ den Motor an und fragte nochmal: »Was!?«

»Wer fährt jetzt deinen alten Wagen?« Ich machte ein erwartungsvoll fröhliches Gesicht, hatte ich doch meine Fahrprüfung schon bestanden, bevor ich zu Mom musste. Ein Auto hatte ich aber nicht. Doch scheinbar sollte das auch so bleiben, denn Dad meinte: »Niemand.« Etwas enttäuscht zog ich eine Schnute und brummte künstlich beleidigt: »Aber du hast es versprochen!« Dad schüttelte mit dem Kopf und fuhr los: »Ja ich weiß. Aber du kannst ihn nicht fahren.« »Und warum nicht?«, wollte ich wissen, immer noch beleidigt. »Ähm. Na ja. Weil … ihn ein Straßengrabenmonster gefressen hat?« »Ist ja nicht wahr. Gehts dir gut?«, wollte ich besorgt wissen, Dad nickte: »Ja, nichts passiert. Nur die Aufhängung hat ordentlich was abbekommen, die Reparatur hätte nicht mehr gelohnt.« »Da hätte sich sowieso kaum noch irgendeine Reparatur gelohnt«, lachte ich, Dad jetzt auch. Klar war es einerseits schade, dass der Dodge kaputt war, andererseits war ich doch ein bisschen froh. Denn jetzt hatte Dad Gelegenheit, mir gleich ein neues Auto zu kaufen. »Glaub aber nicht, dass ich dir jetzt einen nagelneuen Wagen kaufe«, kam aber von Dad, schon war mein bisschen Vorfreude dahin. »Ach komm schon, wenigstens keinen Uralten«, bettelte ich, während wir durch die Stadt nach Hause fuhren. »Das kann ich mir nicht leisten«, meinte Dad feist grinsend, ich sah ihn ungläubig an. »Ist das dein ernst?«, fragte ich tonlos: gerade er musste von Geld reden!

Mister Forest-Ranger schlechthin besaß eine Blockhütte groß wie eine Villa, mit zwei Schlafzimmern, zwei Bädern, einem Gästezimmern mit eigenem Bad, einer Küche, in der man sich verlaufen konnte, die Holzeinschlagsrechte für das halbe Silver Bow County lagen in seinen Händen und er will mir weismachen, er könne es sich nicht leisten, mir Knall auf Fall ein Auto zu kaufen!? Sein Blick sagte alles, ich holte aus und knuffte ihn auf den Arm: »Sag das nochmal und ich zieh dir deine Unterhose über den Kopf!« Er lachte nur leise, grüßte kurz nach draußen und wandte sich wieder mir zu: »Hase, so kurz vor Weihnachten müsste ich nehmen, was da ist. Und den Standard-Mist kannst du ja wohl kaum brauchen im Wald, oder?« »Was hast du bloß ausgesucht, alter Mann?«, fragte ich besorgt. Ich hatte zwar schon einige Wünsche geäußert, aber so richtig festgelegt hatte ich mich noch nicht. Dad zeigte aufs Handschuhfach: »Da.« Ich rupfte es auf, ein Katalog fiel mir entgegen: Ford F-150! »Oh mein Gott, Dad!« Ich schlug ihn auf, ein Zettel lag auf der ersten Seite: ein Angebot von Yates Bodyshop über … »Das nicht!«, sagte Dad und nahm mir den Zettel weg! Doch es war schon zu spät: »Du willst den Wagen umlackieren lassen!? Welche Farbe?« Er knüllte den Zettel zusammen und stopfte ihn in die Innentasche seiner Uniformjacke: »Das geht dich doch gar nichts an! Willst du denn gar nicht wissen, was für einen heißen Schlitten du bekommst?« »Nicht, wenn er vielleicht pink ist. Wird er pink? Komm, sag schon! Wird er pink?«

Ich löcherte Dad so gut ich konnte, doch er schwieg eisern. Also wurde der Wagen pink, war ja klar. Aber egal, mein Blick fiel wieder in den Katalog: einige Seiten waren markiert, andere durchgestrichen. Dann ein deutliches, großes Kreuz: Ford F-150 Raptor! »Bist du wahnsinnig!?«, schimpfte ich ein bisschen mit Dad, als er schon durch den Wald zu unserem Haus fuhr: »Einen Raptor!? Bist du verrückt!? Das ist ein Biest!« Dad lächelte mir zu, ich knuffte ihn nochmal auf den Arm: »Na danke auch.« Er tat meinen Schlag ab, als wäre er nichts, ich schmollte. »Ein starkes Mädchen braucht ein starkes Auto. So einfach ist das«, meinte er beruhigend, ich sah ihn nur schräg an und dann aus dem Fenster. Ja klar freute ich mich! Aber das musste er ja nicht wissen. In der Spiegelung konnte ich sehen, wie er sich verstohlen den Arm rieb: musste wohl doch weh getan haben. Dann sah ich etwas, das mich zu einer Warnung veranlasste: »Geh vom Gas, Dad. Da bewegt sich was zwischen den Büschen.« Er tat es. Zum Glück, denn kaum hatte ich meine Warnung ausgesprochen, rannte ein Elch aus dem Wald und querte die Straße!

»Ein Straßengrabenmonster!«, rief Dad und trat unnötigerweise auf die Bremse. Der Wagen drehte sich leicht ein, dann standen wir. Vom Geräusch irritiert blieb das Tier stehen und wandte sich zu uns um. Majestätisch nickte er kurz mit dem Kopf, dann trat er an und verschwand genauso schnell, wie er aus dem Wald hervorgebrochen war. Einige Sekunden starrten wir dem Tier nach. »Das ging aber gerade so gut«, meinte Dad, ich zog sein Kinn mit dem Zeigefinger Richtung Straße und deutete mit dem anderen gleichzeitig dorthin: »Aber das geht gleich nicht gut!« Jetzt bemerkte auch Dad, was ich schon längst gesehen hatte: Ein Holzlaster kam den Weg herab, die Vorderräder der Zugmaschine standen schon schräg und in ein paar Sekunden würden wir an seinem Kühler enden! Dad wuchtete der Rückwärtsgang rein und gab Fersengeld, der riesige Truck hupte und kam wenig später zum Stehen. Direkt vor uns. Trotz der niedrigen Geschwindigkeit standen Dad Schweißperlen auf der Stirn, standen da doch schließlich knapp 60 Tonnen vor uns!

Schnaufend.

Zischend.

Und fluchend!

Dad schaltete die Warnlichter ein und stieg aus, ich prüfte erstmal, ob mein Kleid nicht unbemerkt einen feuchten Fleck aufwies, bevor ich ihm folgte. »Sag mal bist Du nicht ganz dicht, Butler!?«, grölte es uns aus dem Fahrerhaus entgegen, Dad hob beschwichtigend die Arme: »Tut mir leid, Mann! Da war dieser Elch und …« »Ist das jetzt deine neue Ausrede für alles? Es war ein Elch? Brauchst wohl wieder einen neuen Wagen, was?«, lachte der Fahrer aus dem Fenster, dann bemerkte er mich: »Oh Verzeihung, kleine Miss! Ich wusste nicht, dass du auch hier bist! Sekunde, bin gleich bei euch.« Das Fenster fuhr hoch, es knarzte und quietschte und dann ging die Tür auf: »Ach dieses verdammte Ding will wieder nicht! Bitte sieh es mir nach, wenn ich nicht runterkomme, ja? Schön dich zu sehen, Cat!« Der Fahrer hielt mir seine Hand entgegen, ich streckte mich ein wenig nach oben: »Hey Tommy! Schön dich zu sehen! Immer noch nichts anderes gefunden?« Ich kannte den Fahrer. Gut sogar. Es war Thomas Mason, schon ewig im Geschäft. »Was soll man hier draußen schon groß anderes finden, kleine Miss? Man klaut Holz aus dem Wald, veralbert Touristen oder fängt böse Buben«, grinste er, ich mochte seine direkte Art: »Ja, wie wahr! Gut, dass du dich dazu entschieden hast, die Touristen zu veralbern.« »Ja, was anderes bleibt mir ja auch nicht übrig! Holz klauen geht nicht mehr, seit dein Vater hier das Sagen hat!« Wir mussten alle lachen, da setzte sich plötzlich Tommys Sitz in Bewegung! »Wow! Sachte, du blödes Ding! Rein! Wieder rein!«, rief Tommy und drosch auf der Konsole am Sitz herum. Der stoppte, wippte ein wenig mit ihm darauf und fuhr wieder hinein: »Irgendwann hole ich die alte Leiter wieder aus dem Schuppen und dann hast du ausgedient. Blödes Teil!«

Ich konnte ihn verstehen, als kleiner Mensch hatte er schon genug Sorgen. Der Sitz mit der Hydraulik daran sollte seinen Job erleichtern, doch das raue Klima und der gnadenlose Wald hinterließen ihre Spuren. Und so entwickelte der Sitz eben manchmal ein Eigenleben, sehr zum Missfallen von Tommy. Der dann schlimmere Flüche kannte, als mancher seiner großen Kollegen! Was ihm Respekt einbrachte, zumindest bei den meisten. Es gab natürlich auch Arschlöcher, die ihm Streiche spielten, doch denen zahlte es Tommy immer heim. Doppelt! Mir gefiel besonders seine Höflichkeit und sein Humor, ständig nannte er mich »kleine Miss«. Dabei ging er mir gerade bis kurz über die Hüfte! Dennoch war er für mich ein großer Mann, denn sich so durchs Leben kämpfen zu müssen, das übersteht nicht jeder. Wir verabschiedeten uns, stiegen wieder ein und setzten zurück, damit er vorbeikonnte. Hupend setzte er sich in Bewegung und verschwand, wir setzten unseren Weg nach Hause fort.

Nur eine gute Viertelstunde später kamen wir an, Dad wendete gekonnt und parkte. Ich stieg aus und sog die kalte Waldluft tief in mich ein! So lohnte es sich zu leben: Bäume soweit das Auge reichte, ein Platz zum Ausruhen und eine Aufgabe die …

Ach, ja. Das fehlte mir noch, diese Aufgabe. Aber was solls, war ja nur noch ein halbes Jahr Highschool und dann ging es endlich an die Uni! Ja, ich weiß: wie kann man nur so versessen aufs Lernen sein!? Bin ich gar nicht. Aber ich will im Wald arbeiten wie mein Dad und als Förster muss man schon wissen, was man da tut, oder? Siehst Du, denke ich auch. Ich hatte schon ein paar Mal versucht, mich als Freiwillige rekrutieren zu lassen, doch vom Ministerium wurde ich immer abgelehnt. Der wenigen Jahre wegen. Mein letzter Antrag war zwar noch nicht durch, aber ich konnte mir denken, wie er beschieden würde: zu jung.

Doch jetzt stand Weihnachten vor der Tür, die schönste Zeit im Jahr! Also holte ich meinen Koffer aus dem Wagen und Dad nahm ihn mir gleich wieder ab. So ist er eben, Gentleman durch und durch. Ich lächelte ihn dankbar an, auch wenn ich durchaus in der Lage war, meinen Koffer selber zu tragen. Er bot mir noch seinen Arm an, ich hakte mich ein und so gingen wir ins Haus. Na ja, fast. Vor der Tür blieb Dad stehen, stellte den Koffer ab und kramte in seiner Hosentasche herum: »Wo zum Teufel … ah, hier.« Das erste Mal, dass Dad einen Schlüssel aus der Tasche holte! Bei uns war nie abgeschlossen gewesen, geschweige denn, überhaupt ein Schloss an der Tür. Ich sah ihn verwundert an, während er drehte, er erklärte: »Habs letzte Woche rein gemacht, rein machen müssen. Wusstest du, wie schlau Bären sind?«

Er ließ mich ein, ich lauschte weiter gespannt: »War kurz nachdem du weg warst. Da hats angeklopft und ich wollte nachsehen, wer das wohl wäre. Ich kam gerade die letzten Stufen runter, als die Tür schon aufging und Meister Petz rein wollte! Kannst dir mein Gesicht vorstellen. Also bin ich zum Aces und hab das Schloss gekauft.« Während er mir das alles erzählte, waren wir die Treppe schon hochgegangen und Dad stellte den Koffer in meinem Zimmer ab: »So, ich denke, den Rest schaffst du allein. Ich kümmere mich mal ums Abendessen.« Ihn nochmal umarmend bedankte ich mich fürs Koffertragen, dann ging Dad und ich packte aus. Die dreckige Wäsche kam gleich in die Box, Taschen und Koffer wieder unter mein Bett und dann ging ich aufs Klo. Hier im Haus war alles noch so, wie zu dem Zeitpunkt, als ich weg ging, nur meine Schminkschachtel stellte ich wieder an ihren Platz. Sie klappte unnötigerweise auf, gerade so konnte ich sie noch festhalten. Ein Eyeliner war wohl dennoch herausgefallen, ich legte ihn zurück und hüpfte dann die Treppe hinunter.

Kaum den halben Weg hatte ich geschafft, da tönte mir aus der Küche entgegen: »Irgendwann macht es mal ›Ra-Krach!‹ und du bist durch die Stufen durch!« »Geht ja gar nicht«, erwiderte ich unten angekommen, »ich hab die 190 Pfund noch nicht überschritten, ganz im Gegensatz zu dir!« »Na und? Solange ich die 300 nicht knacke, ist alles gut«, protestierte Dad am Herd, ich klopfte neben ihm lehnend an sein kleines Bäuchlein: »Und? Welche Gürtelgröße braucht der Herr?« »42, schon seit Jahren!«, echauffierte sich Dad, ich wackelte nochmal an seiner Wampe: »Klar, du Gazelle! Aber nur, weil sich das Ding mit der Zeit ausgeleiert hat.« »Gib mir bitte mal das Salz. Danke. Und ja: ich bin eine Gazelle.« Ich hatte inzwischen schon die Teller aus dem Schrank geholt und stellte sie auf den Tisch: »Klar, aber eine fette Gazelle! Was brutzelst du da eigentlich?« »Stück vom Hirsch, aus der Truhe. Sandra hat ihn totgemacht.« »Uuh, Sandra!«, machte ich affig, Dad warf mit dem Topfhandschuh nach mir: »Ach hör auf! Sie ist nett.« »Oh ja, nett«, machte ich ihn nach, als ich das Besteck aus der Schublade holte, prompt kam der zweite Handschuh geflogen: »Mach dich nicht lustig, sie ist nett.« »Ja, ich weiß. Und? Wann gehst du endlich mit ihr aus?« Er stellte die Pfanne auf den Tisch und setzte sich: »Wenn es nach dir ginge, noch heute Abend, nicht?« »Klar! Aber jetzt müsstest du dir schon ordentlich was einfallen lassen, wir essen schließlich schon«, meinte ich und öffnete den schon von Dad platzierten Kartoffelsalat: »Wieviel?« »Hälfte?« »Vielfraß«, gab ich zurück, teilte ihm aus und leerte die Packung dann auf meinem Teller. »Und, was gabs bei Maggie so?«, wollte Dad wissen, ich berichtete ihm: »Hauptsächlich, was Oma gekocht hat, sonst Burger oder Mikrowelle.« »Ja, kochen konnte sie nie«, bestätigte mich Dad und fragte weiter: »Schule?« »Ging so«, wand ich mich ein wenig, »bin aus Musik geflogen, Brief kommt noch.«

»Singen musst du nicht können, das ist egal«, beruhigte mich Dad, doch ich erklärte ihm, warum ich aus dem Unterricht entfernt wurde: »War nur, weil ich alle europäischen Komponisten aufzählen sollte, die ich kenne. Also hab ich gesagt: ›Er nahm sie am Händel, führte sie über den Bach in die Haydn und verbrahmste ihr einen mit Liszt‹.« Dad musste sich die Hand vor den Mund halten, sonst wäre der Bissen vor Lachen herausgefallen: »Bitte sag, dass du das nicht gemacht hast!« Mir blieb ja nichts anderes übrig: »Doch, habe ich. Alle haben gelacht, ich durfte gehen.« »Gutes Mädchen«, tätschelte Dad meine Hand und lächelte mir zu. Ich wusste, ich musste mir keine Sorgen wegen des Briefes machen, von Dads Kollegen kannte ich noch ganz andere Sprüche! »Weil wir gerade davon reden …«, fing Dad etwas verlegen an, ich wusste sofort, was er wollte und schritt ein: »Keine Sorge, alle Herzen noch ganz.« »Gut, gut! Freut mich zu hören«, kam schnell von ihm, dann legte er sein Messer weg: »Na ja, eigentlich freut es mich nicht. Tut mir leid.« »Ist schon gut. Ich bin drüber weg«, beruhigte ich ihn, doch ich würde es wohl nie sein. Schweigend aßen wir weiter, in meinem Kopf kam es hoch.

Jesse.

Fünf Jahre war es her. Als wir Oma und Opa in Idaho besuchten, stand sie da und hängte Plakate für das Café ihrer Eltern auf. Ich war sofort in sie verknallt, bis über beide Ohren. Wir blieben zwei Wochen, es war eine herrliche Zeit. Doch, als ich ihr sagte, was ich empfand …

Mir kam es damals vor, als würde mich die ganze Stadt auslachen! Und jetzt ging sie auf die gleiche Highschool, an die ich musste. Jedes Mal aufs Neue zerbrach mein Herz. Doch jetzt war ich ja wieder zu Hause. Butte, Montana, reichster Hügel der Welt! Ich schnaufte zufrieden, leerte die Reste von meinem Teller und schob ihn dann von mir: »Puh! Das war aber mal nötig. Krieg keinen Bissen mehr runter.« »Freut mich, dass es dir geschmeckt hat, Hase. Nachtisch?« »Unbedingt!«, gab ich zurück und war heilfroh, dass ich keine Hose trug! Der Apfelkuchen war großartig, den Abwasch erledigte die Spülmaschine und wir verpflanzten uns vor den Fernseher. Es lief zwar irgendein Mist, aber wenigsten konnte ich mich mit Dad gemeinsam darüber aufregen. So verging der Abend, kurz nach elf verabschiedete ich mich ins Bett und ging nach oben. Noch schnell geduscht, Nachthemd an und schon schlief ich auch ein.

Den Wecker brauchte ich am nächsten Morgen nicht, ein Rotschwanzbussard hatte sein Nest gleich in dem Baum neben meinem Fenster. So sehr ich mir auch die Decke über den Kopf zog, half es nichts, ich musste ihn zur Räson bringen! Also erhob ich mich und öffnete mein Fenster. Doch kaum war es auf, flog er fort. Beim Zumachen fiel mir ein rötlicher Fleck im Schnee auf, wahrscheinlich etwas von seiner Beute. Liegenlassen war nicht drin, also machte ich das Fenster wieder zu und ging nach unten, um die Reste zu entsorgen. Bevor ich nach draußen entwich, nahm ich mir noch zwei Einweghandschuhe aus der Küche, dann rannte ich schnell barfuß durch den Schnee zum Fleck. Es war wohl mal eine Ratte gewesen, nichts Weltbewegendes. Ich entsorgte den Kadaver mitsamt den Handschuhen in die Mülltonne und prallte gegen die versperrte Eingangstür! Erst jetzt fiel mir das neue Schloss wieder ein, ich fluchte fürchterlich und klingelte und hämmerte gleichzeitig gegen die Tür. Es wirkte, aber erst nach ein paar Minuten. Mit einem mürrischem: »Ja ja, ich komm ja schon!«, hörte ich Dad die Treppe herabpoltern, dann ging die Tür auf. »Morge… Ja was zum …?!?«, kam von Dad, ich drückte mich schnell an ihm vorbei nach drinnen. Bibbernd stapfte ich hoch ins Bad, rupfte mir das Nachthemd vom Leib und stellte mich unter die Dusche. Nur wenige Minuten, dann ging es wieder und ich wusch mich gleich. Nach dem Zähneputzen und noch Haareföhnen sah ich erst vorsichtig in den Flur, bevor ich in mein Zimmer schlüpfte.

Angezogen war ich schnell, das Gleiche wie gestern. Nicht dasselbe, das Gleiche. Also in dunkelrot und nicht anthrazit. Ich hab auch noch so ein Kleid in blau, nur so nebenbei. Ich liebe diese Dinger: Leggins drunter, Kleid drauf, rein in die Stiefel und fertig!

Ebenso schnell, wie ich gerade über den Flur gehuscht war, rumpelte ich jetzt hinunter in die Küche. Dad hatte mir schon eine Schüssel mit Cornflakes hingestellt, nur noch keine Milch: »Was hast du denn da draußen gemacht?« »Herrn Bussard seine Reste entsorgt«, gab ich wahrheitsgemäß an, Dad schüttelte mit dem Kopf: »Im Nachthemd? Das hätte doch warten können, oder?« »Ja, vielleicht«, antwortete ich knuspernd, »wäre aber schneller wieder drin gewesen, wenn ich einen Schlüssel gehabt hätte.« »Ach ja richtig, da war doch noch was«, brabbelte Dad gedankenverloren und schob mir einen Schlüssel über den Tisch zu. Um ihn gleich wieder einzukassieren: »Ich mach besser eine Schnur dran. Falls du wieder halb nackig da raus rennst. Weißt du ja sonst nicht, wohin damit.« »Ich wüsste da schon so zwei, drei Plätzchen«, grinste ich und forderte mit Hand den Schlüssel: »Los, gib schon her, du Schlüsselmacher!« Er schob ihn über den Tisch, unnötig zu erwähnen, dass er über beide Ohren grinste. »Was machen wir heute?«, wollte ich wissen, die Antwort konnte ich mir aber schon denken: »Na ja, als erstes sagen wir mal Papa Bär guten Tag, dann sehen wir uns die Stadt an und kaufen noch ein paar Sachen für die Hütte. Hast du was Anderes vor?« Ich schüttelte mit dem Kopf: »Nein. Genau so dachte ich mir das auch.«

Klappernd sammelte ich Dads leere Schüssel ein, warf beide zusammen mit unseren Löffeln in den Geschirrspüler und versuchte mal wieder, eher am Auto zu sein, als Dad. Natürlich schaffte ich es nicht, obwohl sich Dad seine Stiefel noch zubinden musste und ich nur hineinschlüpfen brauchte. Aber er war in fast allem immer schneller, als ich. Klar hatte er mich als kleines Mädchen gewinnen lassen! Aber jetzt nicht mehr. Als trotzdem nicht unglückliche Verliererin stieg ich ins Auto und wir donnerten los.

Schneemond

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