Читать книгу Die Spirale der Gewaltkriminalität IV / 4., neu bearbeitete Auflage - Volker Mariak - Страница 9

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3. Notwendige Begriffsklärungen – Thematische Einführung

3. 1. Das deutsche Tierschutzrecht

Es ist hilfreich, vor der Darlegung nachfolgender Straftäter-Biografien und ausgewählter wissenschaftlicher Studien zur Gewalt gegen Menschen und Tiere wichtigste Begriffe abzuklären. Dazu gehört zunächst auch ein kurzer Überblick über das deutsche Tierschutzrecht, da dieses für unsere Gesellschaft den justiziellen Handlungsrahmen determiniert.

Am ersten August 2002 wurde in Art. 20a unseres Grundgesetzes das Staatsziel Tierschutz aufgenommen. Seit diesem Tage besitzt der Tierschutz in der Bundesrepublik Verfassungsrang. Der Staat ist damit im Rahmen unserer verfassungsmäßigen Ordnung verpflichtet, Tiere durch vollziehende Gewalt und Rechtsprechung zu schützen. Der präzise Text findet sich zum Beispiel auf der Internetseite des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft:

„In Artikel 20a Grundgesetz wurden nach dem Wort ‚Lebensgrundlagen’ die Wörter ‚und die Tiere’ eingefügt (so genannte ‚Drei-Wort-Lösung’). Artikel 20a Grundgesetz hat nunmehr folgende Fassung:

‚Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.’“

(URL Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft [BMEL])

Aus der Erhebung des Tierschutzes in den Verfassungsrang resultieren weitgreifende Besserungen. Dennoch ist es nicht abwegig, wenn kritische Stimmen von einer „Verfassungslyrik“ sprechen, weil entscheidende Ziele wie etwa das Verbandsklagerecht bzw. die Sammelklage politisch nicht oder nur zögerlich umgesetzt werden (ab November 2018 besteht nun immerhin die Möglichkeit einer Musterfeststellungsklage).

Von besonderem Interesse ist die Frage, welches Strafspektrum den mit Tierquälerei befassten Gerichten zur Verfügung steht, denn bereits daran lässt sich der gesellschaftliche Stellenwert entsprechender Verbote erkennen. Das Tierschutzgesetz (TierSchG) weist im elften Abschnitt die Straf- und Bußgeldvorschriften aus. Von zentraler Bedeutung - und daher noch vor den Vorschriften zur Einziehung von Tieren (TierSchG § 19) oder zum Verbot der Tierhaltung (TierSchG § 20) stehend - sind die Rechtsnormen der Paragrafen 17 (Straftaten) und 18 (Ordnungswidrigkeiten). (Hirt, Maisack, Moritz, 2016, S.483 ff.)

3. 1. 1. Straftaten (§ 17 TierSchG)

Gemäß TierSchG § 17 Abs. 1 und 2 können Geldstrafen oder Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren verhängt werden. Der Paragraf hebt ab auf die Tötung von Wirbeltieren ohne vernünftigen Grund oder die Zufügung erheblicher Leiden oder Schmerzen aus Rohheit. Ebenfalls unter Strafe gestellt wird hier die länger anhaltende oder sich wiederholende Zufügung erheblicher Schmerzen oder Leiden. Nur am Rande sei bemerkt, dass alle Nicht-Wirbeltiere somit ungeschützt bleiben. Mit § 17 TierSchG und der Ausschöpfung seiner Strafmöglichkeiten ist somit ein deutlicher Strafeffekt und ebenfalls eine gewisse präventive Wirkung zu erzielen.

Beachten sollte man jedoch, dass die maximal zu verhängende Freiheitsstrafe (drei Jahre Haft) für wiederholte oder anhaltende, brutalste Tierquälerei bis hin zum Tod noch weit unter der maximalen Freiheitsstrafe für Delikte wie Diebstahl (StGB § 242) und Betrug (StGB § 263) liegt. Für diese StGB-Delikte ist eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren vorgesehen. Zudem werden so genannte „besonders schwere Fälle“ von Diebstahl und Betrug noch weitaus härter geahndet (z. B. StGB § 243: Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren Haft).

3. 1. 2. Ordnungswidrigkeiten (§ 18 TierSchG)

Der § 18 TierSchG regelt die Verhängung von Bußgeldern. Er ist also auf Ordnungswidrigkeiten und nicht auf Straftaten ausgerichtet. In TierSchG § 18 Abs. 1 Nr. 1 wird ausgeführt: Ordnungswidrig handelt generell, wer vorsätzlich oder fahrlässig einem Wirbeltier erhebliche Leiden, Schmerzen oder Schäden zufügt und dabei nicht aus einem vernünftigen Grund heraus agiert. Der Paragraf richtet sich ausschließlich an die Halter*innen und Betreuer*innen von Tieren.

Für die Mehrheit der Tatbestände nach Paragraf 18 TierSchG kann ein Bußgeld bis zu 25.000 Euro verhängt werden. In bestimmten Fällen liegt die Bußgeld-Obergrenze jedoch bei 5.000 Euro. Zu ergänzen ist, dass hier – im Gegensatz zum Strafverfahren - nicht die Staatsanwaltschaft ermittelt, sondern die Verwaltungsbehörde eigenständig handelt (Landratsamt, Bürgermeisteramt, usw.). Diese kann bei Verdacht einer Straftat jedoch an die Staatsanwaltschaft abgeben (Hirt, Maisack, Moritz, 2016, S.549 f.).

Mit den vorgenannten Bußgeldhöhen bewegt man sich etwa auf dem Sanktionsniveau der Paragrafen 117 OWiG (Ordnungswidrigkeit „Unzulässiger Lärm“) oder 121 OWiG (Ordnungswidrigkeit „Vollrausch“).

3. 1. 3 Anmerkung zur Realität der Rechtsprechung

Kritische Tierschützer*innen beobachten seit langem, wie eindeutige Straftatbestände der Tierquälerei in deutscher Rechtspraxis mehr und mehr als bloße Ordnungswidrigkeiten wahrgenommen und entsprechend milde geahndet werden.

Und wer meint, die Verhängung der Höchstsummen im Bußgeldverfahren sei bei Sachverhalten wie der Zufügung erheblicher Leiden und grausamster Schmerzen bis zum Tode üblich, der sieht sich realiter eines Besseren belehrt:

Mit Blick auf die Entscheidungen unserer Rechtsprechung ist es leider fast ausgeschlossen, dass selbst erheblich verrohte Täter*innen jemals eine Haftstrafe erhalten. Auch bei übelsten Delikten wie etwa der betäubungslosen „Hinterhofschächtung“ zahlreicher Opfertiere am Kurban Bayrami (muslimisches Opferfest) oder dem x-ten, erneut medienwirksam berichteten Skandal in deutschen Massentierhaltungen oder Großschlachtereien werden – wenn es überhaupt und dann oftmals mit erheblicher Verspätung zum Gerichtsverfahren kommt – Sanktionen ausgesprochen, die nicht nur Tierschutz-Engagierte an der effektiven Arbeit unserer Justiz zweifeln lassen. (Siehe dazu: Mariak, 2016, S.198 ff.; des Weiteren: URL PETA Deutschland e. V., Bericht: „Erschütterndes Filmmaterial aus angeblicher Vorzeige-Bio-Schlachterei in Baden-Württemberg“; weiterhin: URL Norddeutscher Rundfunk. Siehe auch: URL Stampe)

Die Vielzahl „moderater“ richterlicher Entscheidungen aufgrund zweifelhafter gesetzlicher Vorgaben spricht Bände. Sie legt für engagierte Laien die Interpretation nahe, dass generell nach dem Motto „Es sind ja nur Tiere“ verfahren wird. Schließlich gelten gemäß StGB Tiere immer noch als Sachen. Interessant ist in diesem Kontext eine Stellungnahme der Partei „DIE LINKE“, die zeigt, dass man auch in der Bundespolitik zentrale Tierschutzprobleme nicht mehr ignorieren kann und zugleich auf einen wichtigen Schwachpunkt der Normen im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) hinweist:

„Vor zehn Jahren wurde das Staatsziel Tierschutz in der Verfassung verankert. Derzeit erleben wir eine breite gesellschaftliche Debatte über Rolle und Wesen der Landwirtschaft. In diesem Zusammenhang stellt die Bundesregierung Vorschläge zur Überarbeitung des Tierschutzgesetzes vor. Dabei geht es in erster Linie um die Übernahme einer neuen EU-Richtlinie zu Tierversuchen. Alles andere ist längst überfällige Kosmetik. Die Grünen präsentieren gar ein völlig neues Tierschutzgesetz. Wie jedoch verbessert sich konkret der Status der Tiere? Im deutschen Tierschutzgesetz ist vom Schutz der Mitgeschöpfe die Rede – eine erstaunlich religiöse Nuance im Nebenstrafrecht.

Und das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) sagt klar (§ 90a Satz 1): ‚Tiere sind keine Sachen.’ Allerdings regelt Satz 3 des gleichen Paragraphen, dass die für Sachen geltenden Vorschriften auch auf Tiere anzuwenden seien! Diese Doppelnatur des Tieres in der Rechtsordnung – einerseits keine Sache, jedoch zu behandeln wie eine Sache - wird durch ein Staatsziel Tierschutz nicht beseitigt.“ (URL DIE LINKE)

Ein Blick in das Strafgesetzbuch (StGB) und zugehörige Kommentare zeigt folgendes vielsagende Beispiel: Für den Paragrafen 242 StGB (Diebstahl) wird unter der Überschrift „Der strafrechtliche Begriff der Sache“ ausgeführt, dass die Herausnahme des Tieres aus dem zivilrechtlichen Sachbegriff (§ 90a S.1 BGB) keinen Einfluss auf das Strafrecht habe. Daran ändere auch der Paragraf 90a BGB nichts. Der Sachbegriff sei dem Zweck des StGB und seinem natürlichen Wortsinn gemäß auszulegen, so dass zum Beispiel im Sinne des § 242 „[…] auch ein Tier eine Sache ist […]“. (Dreher und Tröndle, 1993, S.1378)

Wie Fachjurist*innen zu diesem Thema ausführen, ist aus der Normendefinition und den Rechtskommentaren Folgendes zu schließen:

„Im Strafrecht wird in verschiedenen Vorschriften von ‚Tieren oder anderen Sachen’ gesprochen. Auch damit kommt zum Ausdruck, dass Tiere von der gesetzgeberischen Denke her grundsätzlich zur Gruppe der Sachen gehören.“ (URL Barth u. John)

So gesehen haben wir es im Fall auch der ärgsten Tierquälerei – juristisch-logisch korrekt - nur mit „lebenden Sachen“ und „Sachbeschädigung“ zu tun, rechtlichen Bewertungen, die bezeichnend sind für die konfuse, widersprüchliche Gesetzgebung in BGB und StGB. Dass sich an dem „gestörten“ Verhältnis der Justiz zum Tierschutz auch aktuell nicht allzu viel geändert hat, zeigt u. a. eine Untersuchung des Johann Heinrich von Thünen-Instituts:

Anliegen der Studie war die Eruierung von Konfliktpunkten zwischen Veterinärämtern und Staatsanwaltschaften, beispielhaft für die Länder Hessen, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen und speziell mit Blick auf die Problematik Nutztiere (URL Bergschmidt):

„Ziel der explorativen Untersuchung war es, mögliche Probleme in der Verfolgung von Verstößen gegen Tierschutzgesetze im Nutztierbereich zu identifizieren und Verbesserungsvorschläge zu sammeln. Der Ausgangspunkt für die Studie war die Aussage von Amtstierärzten, dass eindeutige Verstöße gegen das Tierschutzgesetz von den Justizbehörden (Staatsanwaltschaften, Gerichten) nicht als solche gesehen und entsprechend nicht strafrechtlich verfolgt würden.“

Erläutert wird des Weiteren die Vorgehensweise der Forscher*innen im Rahmen des Themenkreises Tierschutz:

„In den beiden Diskussionsgruppen wurde übereinstimmend eine Reihe von Problemen im Zusammenhang mit der Verfolgung von strafrechtlich relevanten Verstößen gegen Tierschutzgesetze genannt. Beispiele sind die vielen Einstellungen von Tierschutzverfahren, die hohe Anzahl sehr langer Verfahren und die geringen Strafmaße.“ (URL Bergschmidt)

Im Resultat ergaben sich als Gründe für die Zurückweisung von Tierschutz-Verfahren durch Staatsanwaltschaften und damit befasste Gerichte folgende Punkte (URL Bergschmidt):

I.

Angehörige der Staatsanwaltschaften und Gerichte mit wenig Engagement für und Interesse am Tierschutz.

II.

Geringe Fachkenntnisse der Justiz (sowohl hinsichtlich spezifischer Tierschutzgesetze als auch der Bedürfnisse und dem Schmerzempfinden von Tieren).

III.

Die geringe personelle Ausstattung der Justiz (Arbeitsüberlastung) sowie der Veterinärämter (Mängel in Gutachten und Dokumentationen).

Unter der Überschrift „Strafverfolgung im Tierschutz“ resümiert der Politologe und Tierrechtler Edgar Guhde die Problematik der Strafverfolgung von tierschutzrelevanten Straftaten.

Er bezieht sich dabei auf eine grundlegende Studie von Petra M. Sidhom (Sidhom, 1995):

„Betrachtet man den Bereich der nach Allgemeinem Strafrecht abgeurteilten Straftaten, so wurden von 1980 bis 1991 aufgrund von Straftaten gegen das Tierschutzgesetz weniger als halb so viele Freiheitsstrafen erteilt, und von diesen wenigen Freiheitsstrafen wiederum mehr als doppelt so viele zur Bewährung ausgesetzt wie im Gesamtdurchschnitt. Der Strafrahmen wurde sowohl im Bereich der Freiheitsstrafen als auch im Bereich der Geldstrafen nur mangelhaft ausgeschöpft.“

Im Resümee heißt es dann bei Guhde knapp und einprägsam:

„Hieran hat sich erschreckender Weise nach all den Jahren und trotz der Verankerung des Tierschutzes im Grundgesetz nichts geändert. Dazu kommt, dass die Staatsanwaltschaften nach wie vor etwa 90 % der Verfahren wegen angeblich ‚mangelndem öffentlichen Interesse’ einstellen.“ (URL Guhde)

Diesen Aussagen ist kaum etwas hinzuzufügen. Es bleibt die Hoffnung auf eine zeitnahe „Reform“ bei persönlicher Haltung und Sachkenntnis von Mitgliedern der Gerichte und Staatsanwaltschaften bezüglich der Tierschutzproblematik.

Erinnern wir uns an den Wortlaut des Paragrafen 17 Abs. 2 TierSchG: „Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer […] einem Wirbeltier aus Rohheit erhebliche Schmerzen oder Leiden oder länger anhaltende oder sich wiederholende erhebliche Schmerzen und Leiden zufügt.“ (Hirt u. a., 2016, S. 483). Mit Blick auf die rechtliche Realität stellt sich trotz dieser klaren, gesetzlichen Aussage die Frage, ob das Tierschutzrecht nicht zumeist nur durch Symbolpolitik dominiert wird?

Im Fazit lässt sich sagen, dass einander widersprechende Definitionen in StGB und BGB zu einer logisch abstrusen Doppelnatur des Rechts und unsicherer Rechtslage beitragen. Es ist weiterhin zu konstatieren, dass Staatsanwaltschaften und Gerichte oftmals nur geringes Engagement für das relativ neue Staatsziel Tierschutz zeigen.

Und letztendlich sei festgehalten, dass nicht nur aktuelle Forschungsresultate, sondern auch alltagspraktische Erfahrungen der Tierschutzorganisationen oftmals gravierende Mängel im tierschutzrechtlichen Fachwissen der Jurist*innen und in der personellen Ausstattung der Justiz aufgezeigt haben. Dass legislative Hürden zudem – wie vorgenannt - etwa auch die bundesweite gesetzliche Durchsetzung des Verbandsklagerechts im Tierschutz behindern, ist mittlerweile eine Binsenweisheit. (Siehe dazu etwa: Kaplan, 2010, S.16) Weiterhin: Der bereits 1986 eingeführte Paragraf 16a des Tierschutzgesetzes (TierSchG) lautet in seinem ersten Satz knapp und präzise:

„Die zuständige Behörde trifft die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und die zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Anordnungen.“ (TierSchG, § 16a [Behördliche Anordnungen], Satz 1)

Damit besteht eigentlich eine Rechtsgrundlage, die für notwendige behördliche Eingriffe kaum etwas zu wünschen übrig lässt. Leider zeigt die Realität ein anderes Bild. Genau diese Problematik spricht das gemeinsame juristische Gutachten von Dr. Konstantin Leondarakis, LL. M., und Dipl.-Jur. Nicole Kohlstedt zur Reichweite des Paragrafen 16a TierSchG an. Es heißt dort in der Einführung:

„Als Ermächtigungsgrundlage verlangt § 16a bei entsprechenden Verstößen gegen das Tierschutzgesetz, von den zuständigen Behörden, Anordnungen zu erlassen, um die Anforderungen des Tierschutzgesetzes durchzusetzen und den Schutz des Tieres zu gewährleisten.“ (URL Leondarakis, S.3)

Das Fazit lautet dann jedoch in realistischer Bewertung der Ist-Situation (URL Leondarakis, S.74):

„Letztlich besteht darüber hinaus gegenwärtig noch ein Vollzugsdefizit. Die Exekutive wendet den § 16a ungenügend im Sinne des Tierschutzes an. Dieses Defizit ist scheinbar oftmals persönlich begründet. Gleichzeitig ist der Anwendungsbereich des § 16a ein wirksames Instrument für einen tierschutzgerechten Vollzug der bestehenden Tierschutznormen.

Insoweit ist dieses Gutachten auch als eine Aufforderung an die Exekutive zu verstehen, die bestehenden Vollzugsdefizite im Tierschutzrecht durch eine rechtmäßige Anwendung des § 16a TierSchG zu verringern und / oder abzustellen.“

Dieses beunruhigende Ergebnis lässt für eine angemessene Erfüllung des Staatszieles Tierschutz nichts Gutes erahnen, und es ist unter diesen Umständen fraglich, ob ohne eine grundlegende Reform der Justiz in Sachen Tierschutzrecht überhaupt noch Fortschritte zu erreichen sind.

Für die kriminologische Strategie der Gewaltprävention bedeuten die vorgenannten justiziellen Schwachstellen eindeutig eine zusätzliche Klippe, die diesem Konzept entgegensteht: Wenn auf Tierquäler*innen in unserem Rechtsapparat – wie aufgezeigt - nicht konsequent und angemessen deutlich reagiert wird, dann kann auch ein „Frühwarnsystem“ auf Basis der Relation „Gewalt gegen Tiere – Gewalt gegen Menschen“ nicht funktionieren. Kurz gesagt:

Aus der juristischen Fehlbewertung tierschutzrechtlicher Vorgaben kann die Gefährdung von Menschenleben folgen. Zudem wird dabei das Staatsziel und ethische Gesellschaftsanliegen „Tierschutz“ torpediert.

3. 2. Gewalt gegen Tiere – Versuch einer Kategorisierung

Wie anfangs bereits erwähnt, wurde die psychosoziale und kriminologische Forschung insbesondere durch quantitative Aspekte der Gewalt gegen Tiere sensibilisiert. In der Beitragsreihe „PSYCHIATRIE HEUTE“ erörtert der Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, Professor Dr. med. Volker Faust, das Problem der Tierquälerei speziell mit dem Blick auf junge Straftäter*innen. In seiner Einführung heißt es (URL Faust, S.3):

„In der forensischen Literatur (Forensik: Gerichtliche Aspekte psychischer Krankheiten) spielt die Tierquälerei als Risikofaktor für späteres gewalttätiges Verhalten eine nicht unerhebliche Rolle […].

So finden sich Berichte von Mehrfach- und Massenmördern, die in ihrer Kindheit regelmäßig Tiere quälten. Das lässt sich bisweilen sogar bis zu ernsthaften Phantasie-Extremen zurückverfolgen (z. B. einmal ‚Serien-Mörder’ werden zu wollen und bereits durch Tierquälerei aufgefallen zu sein). Kurz: Es gibt offenbar einen wissenschaftlich nachweisbaren Zusammenhang zwischen Tierquälerei und späterer Gewalttätigkeit.“

Faust berichtet dazu in dem bereits genannten Fachtext, dass die Häufigkeit von Tierquälerei erst in den letzten Jahrzehnten konkreter in das Blickfeld der Forschung trat: Bis in die 80er-Jahre des vorherigen Jahrhunderts wurde Tierquälerei zwar als Verhaltensauffälligkeit wahrgenommen und allgemein als abnorm eingestuft, jedoch nicht durchgehend und eindeutig als Symptom psychischer Störungen bewertet. Erst die dritte Überarbeitung des Diagnostischen und Statistischen Manuals Psychischer Störungen (DSMIII-R 1980) der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung (APA) sowie die Internationale Klassifikation psychischer Störungen (ICD) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bewirkten hier eine Änderung. (URL Faust, S.4)

Beschäftigt man sich mit der Problematik der Gewalt gegen Tiere, so sind bestimmte fachliche Definitionen der psychologischen bzw. psychosozialen Disziplin hilfreich, um dort erörterte Sachverhalte besser verstehen zu können.

Wichtig ist zunächst der wissenschaftliche Unterschied zwischen „passiver“ und „aktiver“ Tierquälerei. Während passive Tierquälerei auf ein Unterlassen abhebt, wie zum Beispiel die Vernachlässigung oder Verwahrlosung von Tieren, liegt aktive Tierquälerei immer dann vor, wenn direkt gequält, misshandelt oder unnötig getötet wird. Ein weiterer bedeutender Unterschied besteht aus psychologischer Sicht mit dem Begriffspaar „normale“ und „pathologische“ Tierquälerei. Während „normale“ Tierquälerei etwa bei Kindern im Vorschulalter geschieht und auf unreife emotionale Intelligenz und / oder mangelnde Beaufsichtigung gründet, ist pathologische Tierquälerei erst in einem späteren Alter zuzuordnen. (URL Faust, S.2 f.)

Mit Blick auf die Resultate der Kölner GAP-Studie (Gewalt – Aggression – Persönlichkeit) und die später eingehender zu erörternde Veröffentlichung der Autorinnen Kathrin Sevecke und Maya K. Krischer schildert Faust – zunächst bezogen auf ältere Kinder und Jugendliche – den Typus der pathologischen Tierquälerei:

„[…] pathologische Tierquälerei erfasst nun nach Experten-Meinung vor allem ältere Kinder und Jugendliche. Bei ihnen ist Tierquälerei Ausdruck seelischen Ungleichgewichts, beispielsweise durch körperlichen oder sexuellen Missbrauch oder häusliche Gewalt.

- In diesem Zusammenhang wurde auch ein dritter Typus vorgeschlagen, nämlich der mit delinquenten Tierquälern (Delinquenz: Straffälligkeit durch Verletzungen rechtlicher Normen). Das sind Täter, die Alkohol oder Rauschdrogen während der Tierquälerei konsumieren oder andere antisoziale Handlungen begehen.“ (URL Faust, S.4)

In der Argumentation zur pathologischen Tierquälerei nennt Faust eine Vielzahl weiterer Erklärungen für dieses abweichende Verhalten:

„Als pathologische (d. h. seelisch krankhafte) Gründe für Tierquälerei in diesen Zusammenhängen werten die Experten: Langeweile, Stimmungsverbesserung, Selbstwert-Erhöhung, gezieltes Abreagieren von Aggressionen, Ausleben sadistischer Phantasien oder die Wieder-Inszenierung des eigenen Traumas (also eine gezielte Wieder-Belebung früherer seelischer und psycho-sozialer Verwundungen.“ (URL Faust, S.4)

Der Autor gelangt aufgrund der persönlichkeits-pathologischen Profile dieser Täter*innen-Gruppe zu der Schlussfolgerung, dass Tierquälerei symptomatisch für zurückliegende Negativ-Erfahrungen sein könnte: Dies gelte insbesondere mit Blick auf familiäre Gewalt und häuslichen Missbrauch. Eine gezielte Untersuchung müsse daher detailliert Häufigkeit, Schweregrad und Motiv der möglichen Tierquälerei erheben sowie die Form des Übergriffs und die Tierart.

Auch die bereits erwähnte Soziobiologin Dr. Alexandra Stupperich (Themenbereich: Zusammenhang von Tierquälerei und Gewaltdelinquenz), erörtert in ihrer Forschungsübersicht die Problematik der Definition von Tierquälerei. (Stupperich, 2016, S.85 f.; ebenfalls in: Peta Deutschland e. V. [Hrsg.]: „Menschen, die Tiere quälen, belassen es selten dabei … Informationen für Staatsanwälte, Richter, Polizeibeamte, Sozialarbeiter und Erzieher“; Peta-Broschüre, a. a. O.)

Stupperich verweist auf den amerikanischen Psychologen Frank R. Ascione, der den Satz prägte, dass Tierquälerei („abuse of animals“) ein sozial nicht akzeptables Verhalten sei, welches – beabsichtigt - unnötigen Schmerz, Leiden bzw. die Notlage und / oder den Tod von Tieren zur Folge hat. Die Verhaltensforscherin führt dazu aus (Stupperich, 2016, S.86):

„Damit wird die juristische Definition um das soziale Kriterium erweitert. Es fließt eine aus einer kategorischen, vom Individuum internalisierten Norm entstandene, metaperspektivische Wertung ein, welche unabhängig von der Rechtsnorm handlungsrelevante Bedeutung erlangt.“

Unter Berücksichtigung dieser frühen Definition heißt es dann:

„Einer der wichtigsten Zusammenhänge zwischen Tierquälerei und Gewaltdelinquenz findet sich genau in diesem, nämlich der normgegenläufigen, Charakter der Handlung, ein weiterer, dass Tierquälerei das Ausleben machtorientierter, gewalttätiger Handlungsintentionen gegen ein fühlendes Mitgeschöpf bei geringst möglichem Risiko ermöglicht (geringe Entdeckungswahrscheinlichkeit, geringe Strafbewehrtheit).“ ( A. a. O., S.86)

Somit besteht im psychologisch-wissenschaftlichen Rahmen ein Definitionsgerüst, welches deutlich über Grenzen gesetzter Rechtsnormen hinausreicht und auf den abweichenden, stets individuell geprägten, amoralischen Maßstab fokussiert.

Neben den drei vorerwähnten Formen der Tierquälerei und Tiertötung, die aus forensisch-psychologischer Sicht definiert werden (normal, pathologisch, delinquent), bestehen weitere, die allerdings nicht in das klinische Bild abweichenden Verhaltens passen.

Diese anderen Formen von Tierquälerei und Tiertötung sind in der Regel legal und in unserer angeblich so zivilisierten, ethisch hochstehenden Gesellschaft weitgehend akzeptiert. Die Rede ist von …

- Tierversuchen im Namen der Wissenschaft,

- Tierversuchen zu militärischen Zwecken,

- Tiertötungen aus jagdlichen Gründen,

- Tierschlachtungen im Namen der Religion,

- Tierschlachtungen für den täglichen Fleischkonsum,

- Tierschlachtungen für die Leder- und Pelzgewinnung.

In ihrer lesenswerten und umfassenden Facharbeit zum Thema „Gewalt gegen Tiere – Gewalt gegen Menschen“ zeigt Astrid Kaplan das weite Spektrum der Tierquälerei und Tiertötung auf und erörtert Beispiele dieser alltäglich und mit ausdrücklicher gesetzlicher und sozialer Billigung verübten Gewalttaten (Kaplan, 2010, S.20 ff.). Von der Massentierhaltung auf bloßem Beton- und Spaltenboden, der Zwangsfütterung und Schnellmästung, der Pelztierzucht in engen Käfigen, den tage- und wochenlangen Tiertransporten mit hohem Anteil verdurstender, schwer verletzter oder sterbender Rinder, Schweine, Schafe, usw., bis hin zu ihrem oftmals qualvollen Ende in unseren Schlachthäusern ist fast jede denkbare Grausamkeit in unserer Gesellschaft Alltagsgeschäft:

So ist längst auch öffentlich bekannt, dass die CO2-Vergasung von Schweinen bei maximal vierzehn bis fünfzehn Prozent nicht gelingt, sodass diese oftmals bei vollem Bewusstsein in die Brühanlage geraten, dass die Zerlegung noch lebender Rinder geschieht, da in vielen Fällen die Bolzenschussmethode nicht funktioniert oder zu schlampig durchgeführt wird, usf. Die industrialisierte Fleisch- und Ledergewinnung entzieht sich jeder ethischen Rechtfertigung und steht in krassem Gegensatz zu offiziell vollmundig postulierter Humanität, die unser Staatswesen angeblich prägt. Der Hauptteil unserer Gesellschaft beteiligt sich an diesem täglichen Massaker: Die einen etwa als entlohnte Gewalttäter*innen in den Mastbetrieben und Schlachthäusern, die anderen im Handel und als Fleisch- bzw. Lederkonsument*innen und damit als indirekt Auftraggebende der Tierquälerei und Tiertötung. Wundert es da noch, wenn auch die medizinische Wissenschaft, die einmal angetreten war, um Leben zu retten, ihren erheblichen Beitrag zu dieser Horror-Maschinerie leistet?

Kaplan beschreibt in ihrer Arbeit im Detail, wie bestimmte Tierversuche durchgeführt werden: Wie man zum Beispiel den Brustkorb von betäubten Versuchshunden öffnet und das Herz freipräpariert, wie man eine der drei Herzschlagadern mit einem Faden abbindet, um die Herzdurchblutung zu reduzieren, wie nach zwei, drei Stunden der Faden um die Schlagader wieder gelöst wird und man ein Kontrastmittel in die Vene spritzt, um eine abschließende Ultraschalluntersuchung des Herzens durchführen zu können. Unmittelbar nach dieser Prozedur erfolgt die Tötung der Tiere, indem man sie abspritzt. Danach werden die „verbrauchten“ Laborhunde entsorgt. Diese Prozedur zur Untersuchung von Durchblutungsstörungen per Ultraschall geschieht in diesem Fall bei einer Hundegruppe von zehn Tieren. (Kaplan, 2010, S.40 f.) In einem anderen Fall spricht Kaplan so genannte Tierpatente an. So wurde durch das Europäische Patentamt etwa ein Patent auf eine „Krebsmaus“ erteilt. Zitiert wird dazu ein Statement der Vereinigung „Ärzte gegen Tierversuche e. V.“:

„Die moralische Haltung, die es für legitim hält, fühlenden Lebewesen schon vor der Geburt ein Krebsgen einzuschleusen, damit sie gezielt voraussehbar Krankheiten entwickeln, bildet bis zum heutigen Tag den absoluten Kältegrad in der Mensch-Tier-Beziehung.“ (URL Bernstein; zitiert bei: Kaplan, 2010, S.40)

Mittlerweile ist man bereit, noch einen Schritt weiter zu gehen, um rund 30.000 Chemikalien die bereits seit zwanzig Jahren am freien Markt gehandelt werden, nachträglich auf ihre Giftigkeit zu prüfen: Kaplan berichtet, dass bei den dafür geplanten Tierversuchen u. a. Substanzen wie Holzschutzmittel, Wandfarben und Schmierstoffe den Labortieren (Affen, Hunde, Meerschweinchen, Kaninchen, Ratten und Mäuse) in den Magen gepumpt bzw. in die Augen oder auf die geschorene Haut gerieben werden sollen. Entweder sterben diese Versuchstiere den qualvollen Gifttod oder sie werden nach Ablauf einer Frist abgespritzt.

Dieses „wissenschaftliche“ Vorgehen trägt die offiziellen Bezeichnungen Akuttoxizitätstest bzw. LD50-Test (kurzzeitiger Kontakt mit Testchemikalien, Zwangsfütterung in steigender Dosierung bis 50 % der Tiere derart getötet sind) und DRAIZE-Test zur Ermittlung der Haut- und Augenreizung. (Kaplan, 2010, S.38)

Bereits angesprochen wurde, dass Gewalt gegen Tiere ebenfalls in Form angeblich religiös zwingender Rituale geschieht. Sowohl im Judentum als auch im Islam wird das rituelle Schächten von Tieren als einzige mit dem Glauben vereinbare Tötungsart propagiert. Diese Tötungsart sieht Kehlschnitte und das langsame Ausbluten noch lebender Tiere vor, da der Verzehr bereits verendeter „Fleischlieferanten“ den Gläubigen beider Religionen nicht erlaubt ist. Bis zum heutigen Tage fordern und erreichen religiöse-fundamentalistische Gruppierungen insbesondere die Schächtung unbetäubter Tiere und argumentieren dafür mit dem deutschen Verfassungsrecht auf freie Religionsausübung.

Die massenhafte, industrialisierte Schächtung lebender Tiere ist kein ethisches Problem ferner Staaten des Morgenlandes. Sie erfolgt täglich in der Bundesrepublik Deutschland und im legalen Rahmen unserer (Tierschutz-)Gesetze. Und selbst die von orthodoxen Glaubensangehörigen eingeforderte betäubungslose Schächtung geschieht aktuell aufgrund der früher genannten gesetzlichen Ausnahmeregelung nach dem TierSchG § 4a Abs. 2 Nr. 2, um das mit dem Tierschutz konkurrierende Staatsziel Religionsfreiheit zu garantieren.

Längst wird das durch Schächtung gewonnene „Halal“-Fleisch nach betriebs- und marktwirtschaftlichen Vorgaben produziert. Es gelangt in Supermärkte, Speiselokale und Dönerstände und ist auch für Kundschaft außerhalb muslimischer Religionsgemeinschaften frei erhältlich. So schrieb das „Bio- und Halal-Magazin“ zu dieser Entwicklung bereits im Jahr 2008 im Rahmen einer Marktanalyse:

„Weltweit wächst kein Segment auf dem Lebensmittelmarkt so rasch wie ‚Halal-Food’. Europäische Hypermärkte vervielfachten ihre Ladenfläche für Halal-Produkte. Türkische Lebensmittelgeschäfte boomen, inzwischen liegen auch bei Edeka, Rewe, Metro, Spar und Lidl modern konzipierte ‚Halal’-Snacks für junge Leute im Regal.“ (URL Ziegler)

Es dürfte den Rahmen dieser primär kriminologischen Arbeit sprengen, würde man versuchen, jede Form der Gewalt gegen Tiere hier tiefer zu erörtern. Dennoch ist es von zentraler Bedeutung, die mannigfaltigen Formen von Tierquälerei und Tiertötung in unserer Gesellschaft wenigstens zu benennen.

Der Verweis auf delinquente oder pathologisch Tierquälende allein käme einer Verfälschung des Gesamtbildes gleich:

Gewalttäter*innen, deren Verhalten von ärztlichen und justiziellen Instanzen als abweichend und illegal etikettiert wird, agieren nicht im gesellschaftsfreien Raum. Sie verüben ihre Taten in einem sozialen Umfeld, das täglich und auf brutalste Weise zeigt, wie wenig ein Tierleben wert ist und wie „normal“ und allgemein akzeptiert sich doch die Abläufe in den Mastbetrieben, in den Schlachthäusern und den Tierversuchslaboratorien für unsere Gesellschaft darstellen. Niemand wird den Effekt dieses sozialen Umfeldes auf Persönlichkeitsformung und Internalisierung entsprechender gesellschaftlicher (Un-)Werte bezweifeln können.

Ob Gewalttäter*innen im legalen Bereich der Schlachthäuser und Versuchslaboratorien oder im illegalen Feld privater Tierquälerei, eines ist allen gemeinsam: Gegenüber Tieren gilt für sie kein ethisches Prinzip und keine Zuerkennung moralischer Eigenwerte, sondern stets das Recht des Stärkeren und die Ausübung von Macht. Daran ändert auch das offiziell verkündete Staatsziel Tierschutz wenig.

Bezogen auf den kriminologischen Diskurs der Gewaltprävention ist eine thematische Begrenzung auf illegale Tierquälerei und Tiertötung notwendig. Folgt man hierbei nur forensisch-psychologischer Darlegung, so lässt sich die nachstehende Typologie des Sachverhalts Tierquälerei aufzeigen:

Tabelle 1:

Typologie des Sachverhalts Tierquälerei

Passives VerhaltenAktives VerhaltenStichworte dazu:
1a) „Normale“ Tierquälerei1b) „Normale“ TierquälereiTierquälerei in der Regel im Vorschulalter, ausgelöst bei unreifer emotionaler Intelligenz und / oder mangelnder Beaufsichtigung durch Eltern, Lehrerschaft und andere Bezugspersonen
2a) Pathologische Tierquälerei2b) Pathologische TierquälereiAusgelöst durch seelische Belastungen wie etwa körperlichen oder sexuellen Missbrauch im Kindesalter, mögliches Vorliegen von Hirnschädigungen, Schlüsselreize wie zum Beispiel Tierschlachtungen initiieren abweichende sexuelle Handlungsmuster
3a) Delinquente Tierquälerei3b) Delinquente TierquälereiStraffälligkeit der Täter*innen nicht nur im Bereich Tierschutz, Konsum von Alkohol bzw. Rauschdrogen während der Tierquälerei, parallel dazu auch Begehung antisozialer Handlungen

(Typologie nach: URL Faust, S.4)

3. 3. Gewalt gegen Menschen

Der Kriminalexperte Harbort definiert in Anlehnung an die Vorgaben des deutschen Strafgesetzbuches (StGB) den Typus des (vorwiegend männlichen) Serienmörders wie folgt:

„Der voll oder vermindert schuldfähige Täter (i. S. des Paragraphen 21 des Strafgesetzbuches) begeht alleinverantwortlich oder gemeinschaftlich (i. S. des Paragraphen 25 des Strafgesetzbuches) mindestens drei vollendete vorsätzliche Tötungsdelikte (i. S. der Paragraphen 211 [Mord], 212 [Totschlag], 213 [minder schwerer Fall des Totschlags] des Strafgesetzbuches), die von einem jeweils neuen, feindseligen Tatentschluß gekennzeichnet sind.“ (Harbort, 2016, S.20)

Harbort führt aus, dass sich im Unterschied zu früheren Definitionen - wie etwa der des amerikanischen Federal Bureau of Investigation (FBI) – Serienmörder*innen von anderen Gewalttäter*innen vermittels dieser Typologisierung zweifelsfrei abgrenzen lassen. Es sei das Problem der FBI-Definition, dass sie von der irrigen und simplifizierenden Prämisse ausgehe, (männliche) Serienmörder wären stets so genannte Lust- oder Sexualmörder.

Das FBI hatte Serienmord zunächst beschrieben als „drei oder mehr voneinander unabhängige Ereignisse, die an unterschiedlichen Orten stattfinden und von einer emotionalen Abkühlung des Täters zwischen den Einzeltaten gekennzeichnet sind“. Dann wurde nachgebessert: „Drei oder mehr Morde ohne erkennbare Täter-OpferBeziehung.“ (Harbort, 2016, S.19). Nach Harbort greift die FBI-Definition also zu kurz, um alle Typen von Serienmörder*innen zu erfassen. Bezogen auf sexuell begründete Gewalttaten ist sie jedoch hinreichend und deckt auch die von Harbort genannten kriminogenen Verlaufsphasen dieser speziellen Gruppe ab.

Die nachstehende Tabelle 2 zeigt diese Verlaufsphasen in der Persönlichkeits-Entwicklung sexuell motivierter (männlicher) Serienmörder in knapper, stichwortbeschränkter Form auf.

Tabelle 2:

Verlaufsphasen im Entwicklungs- und Handlungszyklus sexuell motivierter Serienmörder nach Stephan Harbort

Kriminogene VerlaufsphaseBedeutungsgehalt
1. KonditionierungIn der Kindheit bzw. Jugend erfahrene spezifische Schlüsselreize, die abnorme sexuelle Orientierungen initiieren.
2. EntwicklungWochen oder Monate später imaginär durchlebte bzw. klar registrierte Schlüsselerlebnisse. Es erfolgt bereits eine aktive Teilnahme an diesen Schlüsselerlebnissen (z. B. Tierschlachtungen).
3. VerselbstständigungGenerierung einer eigenen, spezifischen Erlebniswelt des nun ritualisierten abnormen Sexualverhaltens. Ersatzhandlungen finden statt (etwa Tiermissbrauch). Die Grenze zur vorhergehenden Phase ist fließend.
4. ErprobungEs besteht der verstärkte Drang, die geschaffene sexuelle Illusion in die Realität umzusetzen. Sexuelle Ersatzhandlungen erscheinen nun unbefriedigend. Sie werden durch das Ziel ersetzt, vorgestellte Tatabläufe direkt am Menschen zu vollziehen.Es kommt zur Ausspähung potenzieller Opfer und zu ersten Übergriffen. Eine vollendete Tötungshandlung unterbleibt jedoch, da die Eigendynamik der Tatabläufe den Täter in der Regel überrascht.

Fortsetzung Tabelle 2:

5. UmsetzungEs geschieht die Tötung des ersten Opfers. Der Täter besitzt nun Erfahrung, hat aus vorhergehenden Situationen gelernt. Die Tatvollendung erscheint ihm möglich. Er kann jetzt seine Sexualphantasien am Menschen realisieren.Es kommt zur Jagd auf geeignete Opfer, und das internalisierte Ritual determiniert den Tatablauf.
6. VertiefungZwiespältige Reflexionen des Täters: Verspürte Erleichterung, aber auch ein Schockiertsein über die eigene Abnormität sowie Angst vor möglicher Festnahme.Harbort spricht von einem Selbstfindungsund Orientierungsprozess, der dann auch ursächlich ist für die Monate, eventuell Jahre, verzögerte weitere Tat.
7. WiederholungDrei Erfahrungen prägen diese Phase: Das imaginäre Nacherleben der ersten Tat stellt nicht mehr zufrieden, sexuelle Befriedigung wird dadurch nicht erneut erreicht.Zudem entwickeln einige Täter die Überzeugung, dass Tatziele ungenügend umgesetzt wurden und zukünftig besser zu erlangen sind.Schließlich besteht aber nun die Auffassung, dass ein Entdeckungsrisiko nur gering einzuschätzen ist: Man wurde bei seiner ersten Tat nicht gefasst.Weitere Gewalttaten folgen, wobei die Tötungshemmung durch Gewöhnung zunehmend aufgehoben wird. Die Gewaltspirale setzt sich nun in immer kürzeren Zeitabständen fort.

(Typologie gemäß Harbort, 2016, S.225 ff.)

Die dargestellte Übersicht verdeutlicht die kriminogenen Lernprozesse und Verhaltensmuster sexuell motivierter (männlicher) Gewalttäter, wie sie sich auch in den nachstehenden Kurzbiografien wiederfinden lassen. „Serienmörder"-Definition und hier aufgeführte Lernphasen zeigen jedoch ihre Begrenztheit, wenn die Erklärung der Verhaltensmuster nicht sexuell gesteuerter Mehrfachmörder*innen ansteht. Ein Beispiel dafür ist der später aufgeführte Fall des Amokläufers Martin Peyerl. Problematisch ist ebenfalls die wohl beabsichtigte Eingrenzung auf männliche Personen: Fallen weibliche Täter wie etwa die dreifache Giftmörderin Christa Lehmann hier nicht durch das Raster? Werden sie überhaupt in den Kalkül einbezogen?

Die Spirale der Gewaltkriminalität IV  /  4., neu bearbeitete Auflage

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