Читать книгу Apocalypse Now - Volker Schunck - Страница 11
Gottes Ohnmacht
ОглавлениеDer Volksmund sagt spöttisch: Böse Menschen werden besonders alt. Und umgekehrt: Die guten Menschen holt Gott früh zu sich. Aber diese beiden Sprichworte, die eigentlich nur hilflose Erklärungsversuche für die Realität des Todes sind, stimmen natürlich so nicht. Wie gerne glauben wir den Statistiken, die behaupten, dass die Menschen in den westlichen Industrieländern zunehmend mit einer höheren Lebenserwartung rechnen können.
Ein langes Leben, Segen oder Fluch? Ist das Leben viel zu lang? möchte man fragen, wenn man an all die Menschen denkt, die in Altenheimen unwürdig vor sich hin vegetieren oder an die Menschen, die vielleicht gerne sterben möchten, es aber nicht können, weil sie Opfer einer überzüchteten Apparatemedizin sind, die ihr Leben unnatürlich in die Länge zieht. Ja sicher, das Leben ist heilig, aber darf das auf Kosten der Menschlichkeit gehen? Spielt eine Medizin, die auf Kosten des Patienten sein Leben “retten” will, nicht genauso “Gott”, wie eine Sterbehilfe, die dem Patienten den Schierlingsbecher reicht?
Und auf der anderen Seite: Wie viele Kinder und Jugendliche sterben viel zu früh, ohne dass sich ihr Leben voll hat entfalten können? Ich denke dabei nicht nur an die hohe Kindersterblichkeit in den Entwicklungsländern, sondern auch an die vielen Kinder, die unheilbar an Krebs erkranken oder im Straßenverkehr ihr Leben verlieren. Wieviele Kinder werden misshandelt, missbraucht und totgeschlagen! Ich kann diesen ganzen Irrsinn, der sich Leben nennt, kaum aushalten, verstehen schon gar nicht.
Ich kann einen Gott nicht ertragen, der ein solches Leben zulässt. Aber anderherum kann ich ein solches Leben auch nicht ertragen, ohne Gott. Der Gedanke daran, dass es einen Gott gibt, der allmächtig ist und sich das ganze Schauspiel auf der Erde ansieht ohne einzugreifen – er müsste doch nur mit den Fingern schnippen und das ganze Leiden hätte ein Ende – ist für mich beängstigend!
Ein Mensch, der Mensch, Jesus, stirbt auch viel zu früh. Wie sehr hätte ich mir gewünscht, dass er lange lebt. Dass er 70 oder 80 Jahre alt wird, damit er seine Spuren tief in den Seelen der Menschen hinterlassen kann. Aber diese Zeit ist ihm nicht gewährt. Er isst und trinkt wie wir. Doch Jesus lebt nicht vom Brot allein, sondern aus dem Herzen Gottes heraus. Daher kann ich durch Jesus Gott “verstehen”. Durch Jesus kann ich die Spannung aushalten zwischen Gott und dem Leiden in dieser Welt.
In Jesus blicke ich in die gütigen Augen Gottes. In seinem Tod am Kreuz sehe ich keinen allmächtigen Gott, sondern einen ohnmächtigen Gott, der seine machtlosen, durchbohrten Hände seinen Peinigern versöhnend entgegenhält. In und durch Jesus offenbart sich Gott, dessen Liebe stärker ist als der Tod.