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Der Großinquisitor

“In dem Roman “Die Brüder Karamasoff” zeichnet Dostojewski im Kapitel “Der Großinquisitor” ein düsteres, apokalyptisches Endzeit-Szenario. Christus kommt zurück in diese Welt – inkognito. Rechts und links seines Weges brennen die Scheiterhaufen, denn es ist die Zeit der Großinquisition. Aber sein Kommen bleibt nicht inkognito. Schnell wird er vom gemeinen Volk erkannt, Menschen berühren sein Gewand und werden heil. Doch für die Institution Kirche, verkörpert in der Gestalt des Großinquisitors, ist Christus nur ein Störenfried, der die Routine der Macht empfindlich stört. Er wird eingesperrt und von dem knochigen, alten und rechtgläubigen Großinquisitor in seiner Zelle verhört. Das Gespräch entwickelt sich um Freiheit, Macht, Moral und Brot. Der Großinquisitor spricht, der inhaftierte Christus, der den morgigen Tag nicht mehr erleben soll, hört zu, sieht ihn nur an und schweigt die ganze Zeit. Zum Schluß küsst er die dürren, rechtgläubigen Lippen des Alten, der ihm schließlich die Zelle aufschließt und dann gehen lässt.

Ähnlich wie in dieser Geschichte ist der Gedanke an Christus in unserer Konsumwelt, eine Störung, die in unsere tägliche Routine einbricht. In der Woche schuften wir bis zum Umfallen, kaufen uns Dinge, die wir nicht brauchen und vergeuden unser Geld mit Urlaub, der uns keine Erholung mehr bringt, Stichwort: City-Hopping. Möglichst viel in möglichst kurzer Zeit sehen. Dresden, Prag, Berlin, Paris. Europa in einer Woche. Und Christus schweigt. Man wünscht sich ein großes Donnerwetter vom Himmel, das die Menschen aufrüttelt – aber da kommt nichts. Gott schweigt.

Es ist gerade die Stille, die in dieser Zeit nötig ist. Sie entlarvt uns hinter unseren Fassaden. Sie entlarvt unser heilloses Greifen nach materiellen Dingen, das uns im Kreis laufen lässt und uns von uns selbst und von Gott entfremdet. Wir glauben den Heilsversprechungen der Werbung und kaufen was das Zeug hält. Aber das Suchen hat nie ein Ende, der sogenannte Fortschritt geht weiter, und die glücklichen Menschen in der Werbung hören nie auf. Nie und nimmer. Darüber vergessen wir, wer wir selbst sind. Getrieben laufen wir in die Entfremdung. Wir sind wie Schafe, die keinen Hirten haben. Dumm sind wir und verlaufen. Wenn uns das mit Haut und Haaren bewusst wird, ist das schon mal was.

Aus der inneren Stille heraus können wir ganz konkret fragen: Brauche ich das wirklich? Sind diese neuen Features so essentiell, dass ich wieder ein neues Teil kaufen muss? Was treibt mich eigentlich um? Was suche ich wirklich?

Wer diese innere Haltung des kritischen Hinterfragens für sich kultivieren lernt, wird möglicherweise zum Außenseiter in der Gesellschaft. Auf der In- und Out-Liste steht er ganz oben – nicht bei In sondern bei Out.

Was ist an dem schon dran? fragen die, die andere nach Besitz und Aussehen beurteilen. Für die Industrie ist so jemand ein hoffnungsloser Fall. Was kann man einem Menschen, der an sich selbst genug hat schon verkaufen?

Aber ich sage dir: Das Leben ist mehr als eine Schublade voll mit alten Handys. Mehr als dein begehbarer Kleiderschrank. Mehr als ein Lottogewinn oder eine gute Partie. Mehr als eine Weltreise. Woher ich das weiß?

Der, dessen Auftritt mindestens unpassend in dieser Gesellschaft geworden ist, dessen kurzer Lebensweg aus Schweiß und Blut am Kreuz endet, kennt seine und unsere Wurzeln, woher wir sind und wohin wir gehen. Wir sind aus dem Herzen Gottes geboren und sterben zurück in die Hände Gottes. Das mit Haut und Haaren zu erkennen, und vor allem: mit dem Herzen, bedeutet neu geboren zu werden. Wie der kleine Jesus, der als Kind armer Leute zur Welt kommt. Im Laufe seines Lebens erkennt er, weil Gott sein Herz berührt, wie anders, wie unmittelbar nah, wie gütig und lebendig Gott ist.

Die Geschichten der Bibel über Jesus als Sohn armer Leute, sind Geschichten, die selbst von armen, einfachen Leuten erzählt sind, holzschnittartig und literarisch nicht unbedingt anspruchsvoll. Wie hätte ich mir da einen Dostojewski als Jünger Jesu gewünscht, der uns in die Seelenwelt der Jünger - und vor allem von Christus mitnimmt!

Wie war das ganz genau, wie waren die Details, dass Jesus ganz intim – entgegen dem Mainstream – Gott als Vater bezeichnet hat, oder wie war das mit den Wundern, was ist da, meinetwegen mit einem neu-deutschen Wort gefragt, energetisch passiert?

Aber all diese Informationen haben wir nicht. Wir haben keine 4 Antworten, von denen 3 falsch sind. Der Telefonjoker hat keine Ahnung, das Publikum ist geteilter Meinung, der Quizmaster gibt uns keine Tipps, weil er uns nicht leiden kann – es kommt, wie immer, auf uns selber an. Und hätten wir die brilliantesten Köpfe im Team der zwölf Jünger Jesu, einen Dostojewski, der uns haarklein die Seelenzustände Jesu mit Lokalkolorit und gesellschaftlichem Ambiente erzählen könnte, oder einen Freud, der Jesus vermutlich nur einen Vaterkomplex unterstellen würde, auf all das kommt es nicht an. Es kommt auf uns selber an. Darauf ob ich eine Art innere Sensibilität für mich selbst und Gott entwickele. Darauf ob ich Stille zulasse.

Merke ich manchmal, wie sich im Gespräch die Worte hochschaukeln, und ich förmlich neben mir stehe und die Szene selber ungläubig wie ein Theaterstück betrachte? Kommt es mir manchmal so vor als wenn das Leben an sich ein Film wäre, in dem jeder nur eine Rolle spielt, und sich das Wesentliche nur in seltenen Augenblicken, wie Licht durch die Schlitze der Rolläden in einen dunklen Raum, ins Leben stiehlt? Kommt es mir so vor als wenn wir alle am Wesentlichen vorbei gehen? Dann ist es höchste Zeit, dann ist unser Herz reif für Gott. Deshalb nämlich, weil wir uns ähnlich wie Christus nicht mit dem Status Quo begnügen, sondern beginnen eine innere Distanz zur Gesellschaft zu entwickeln und von der Oberfläche in die Tiefe zu gehen. Wie geht das?

Ich weiß, dass ich mich jetzt möglicherweise in die Nesseln der Fit-and-Fun-Gesellschaft setze: Das geschieht durch Einsamkeit und Stille, damit ich von mir selbst und der Gesellschaft los komme. Und durch Krisen, Leiden und Schmerzen, denn sie schmelzen alles Überflüssige weg, so dass nur noch die Basics übrigbleiben: das Wesentliche.

Letztlich ist die Frage nach dem Wesentlichen die Frage nach Gott. Aber Gott ist kein abstraktes Seinsprinzip oder eine Arbeitshypothese der Philosophen. Gott ist nicht nur lebendige Urkraft, die alles mit Lebensenergie versorgt, ja, das Leben selber ist, sondern Gott ist lebendiges Du, ansprechbar, gütig und verständnisvoll.Denn in Jesus steht Gott sich selbst als Mensch gegenüber. Gott wird Mensch, damit wir Menschen werden können.

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Wir feiern Christus

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